OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 20.09.2018 - 10 LA 284/18 - asyl.net: M26608
https://www.asyl.net/rsdb/M26608
Leitsatz:

Anforderungen an die Substantiierung eines Beweisantrags:

1. Einem Beweisantrag ist nur dann nachzugehen, wenn er hinreichend substantiiert ist.  Das Substantiierungsgebot verlangt, dass die Tatsache mit einem gewissen Maß an Bestimmtheit als wahr und mit dem angegebenen Beweismittel beweisbar behauptet wird. Ist dies nicht der Fall, ist der Antrag aber als Beweisanregung aufzufassen.

2. Bei einem Sachverständigenbeweisantrag, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, erfordert die Substantiierung eines Beweisantrags regelmäßig die Vorlage eines gewissen Anforderungen genügenden fachärztlichen Attests, aus dem sich nachvollziehbar ergeben muss, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezugnahme auf Urteile des BVerfG, siehe Urteilsbegründung)

Schlagwörter: Beweisantrag, Verfahrensfehler, rechtliches Gehör, Berufungszulassungsantrag, Beweisermittlungsantrag, Ausforschungsbeweisantrag, Beweisanregung, Sachaufklärungspflicht, Amtsermittlung, fächärztliches Attest, Abschiebungsverbot, Posttraumatische Belastungsstörung, psychische Erkrankung,
Normen: AsylG § 78, AufenthG § 60 Abs. 7, StPO § 244,
Auszüge:

[...]

26 Das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Prozessgrundrecht soll sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und mangelnder Berücksichtigung des Sachvortrags eines Beteiligten haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.06.1985 - 1 BvR 933/84 -, BVerfGE 70, 215, 218). Die Beteiligten müssen Gelegenheit erhalten, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen und Rechtsfragen erklären zu können (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 01.08.2017 - 2 BvR 3068/14 -, juris Rn. 47; BVerwG, Beschluss vom 02.05.2017 - 5 B 75.15 D -, juris Rn. 11). Art. 103 Abs. 1 GG gewährt allerdings keinen Schutz dagegen, dass das Gericht das Vorbringen oder den Beweisantrag eines Beteiligten aus Gründen des materiellen oder formellen Rechts unberücksichtigt lässt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 22.05.2012 - 2 BvR 1352/10 -, juris Rn. 6; BVerwG, Beschluss vom 26.07.2018 - 8 B 41.17 -, juris Rn. 8). So kann das Gericht auch in Verfahren, in denen der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, Beweisanträge unberücksichtigt lassen, wenn es die angebotenen Beweise nach dem sonstigen Ermittlungsergebnis für nicht sachdienlich oder aus Rechtsgründen für unerheblich hält. Es darf allerdings eine derartige Nichtberücksichtigung nicht auf sachfremde Erwägungen stützen, einen Beweisantrag also nicht aus Gründen ablehnen, die im Prozessrecht keine Stütze finden (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 22.09.2009 - 1 BvR 3501/08 -, juris Rn. 13; vgl. auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19.12.2016 - 2 BvR 1997/15 -, juris Rn. 15; BVerwG, Beschluss vom 28.06.2018 - 10 B 20.17 -, juris Rn. 9; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.06.2018 - 13 A 1080/18.A -, juris Rn. 3). Einem Beweisantrag ist allerdings nur dann nachzugehen, wenn er hinreichend substantiiert ist. Ist dies nicht der Fall, ist der Antrag aber als Beweisanregung aufzufassen. Die Ablehnung derartiger Beweisanregungen ist daran zu messen, ob das Tatsachengericht seine Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verletzt hat (BVerwG, Beschluss vom 19.05.2016 - 6 B 1.16 -, juris Rn. 32). Die für einen Beweisantrag erforderliche Substantiierung erschöpft sich nicht in der Nennung eines bestimmten Beweismittels und der Behauptung einer bestimmten Tatsache, die das Beweisthema bezeichnet. Das Substantiierungsgebot verlangt vielmehr, dass die Tatsache vom Beteiligten mit einem gewissen Maß an Bestimmtheit als wahr und mit dem angegebenen Beweismittel beweisbar behauptet wird (BVerwG, Beschlüsse vom 14.09.2017 - 4 B 28.17 -, juris Rn. 19, und vom 27.04.2016 - 2 B 23.15 -, juris Rn. 5; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 21.03.2018 - 1 LA 77/17 -, juris Rn. 69). Bei einem Sachverständigenbeweisantrag, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, erfordert dies regelmäßig die Vorlage eines gewissen Anforderungen genügenden fachärztlichen Attests, aus dem sich nachvollziehbar ergeben muss, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt (BVerwG, Beschluss vom 26.07.2012 - 10 B 21.12 -, juris Rn. 7, und Urteil vom 11.09.2007 - 10 C 8.07 -, juris Rn. 15; OVG Bremen, Beschluss vom 13.06.2018 - 2 LA 50/17 -, juris Rn. 5; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.06.2018 - 13 A 1080/18.A -, juris Rn. 13; vgl. auch Senatsbeschluss vom 07.09.2018 - 10 LA 343/18 -, juris Rn. 10). [...]

29 Zwar kann es die gerichtliche Sachaufklärungspflicht verletzen, wenn ein solcher als unzulässig abzulehnender Beweisantrag nicht als Beweisanregung aufgefasst wird. Ein solcher Verstoß würde jedoch keinen Verfahrensmangel darstellen, der gem. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG zur Zulassung der Berufung führen könnte, weil er nicht unter die in § 138 VwGO aufgeführten absoluten Revisionsgründe fällt (vgl. Sächsisches  OVG, Beschluss vom 05.07.2018 - 4 A 570/18.A -, juris Rn. 7; Bayerischer VGH, Beschlüsse vom 15.06.2018 - 20 ZB 18.31354 -, juris Rn. 4, und vom 08.05.2018 - 20 ZB 18.30551 -, juris Rn. 2; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22.01.2018 - 3 L 63/17 -, juris Rn. 13; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.12.2017 - 13 A 753/17.A -, juris Rn. 5). [...]