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VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 22.03.2018 - 13 K 723/17.A - asyl.net: M26556
https://www.asyl.net/rsdb/M26556
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für einen chinesischen Mann und seine Tochter, deren Mutter mit einem anderen Mann verheiratet ist:

1. Nichtehelichen Kinder droht in China Verfolgung, da ihnen die Houkou-Registrierung verweigert wird und sie damit aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden.

2. Der Anknüpfungspunkt für die flüchtlingsrelevante Verfolgung ist die Gruppe der per se als "überflüssig" angesehenen Menschen in China (unter Bezug auf VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14.09.2016 - A 11 S 1125/16 - asyl.net: M24292).

3. Die Verfolgung trifft nicht nur das nichteheliche Kind selbst, sondern auch den leiblichen Vater.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: China, nichteheliches Kind, soziale Gruppe, Diskriminierung, Flüchtlingsanerkennung, Familienangehörige, Sippenhaft,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3 Abs. 1,
Auszüge:

[...]
So hat der Kläger zu 1. glaubhaft geschildert, dass er eine Affäre hatte und dabei ein nichteheliches Kind - die Klägerin zu 2. - gezeugt hat. Ebenso glaubhaft hat er dargelegt, dass seine Tochter von dem Mann seiner Geliebten bedroht und geschlagen wurde, als dieser herausbekommen hatte, dass der Kläger zu 1. der leibliche Vater ist. Da der Kläger zu 1. von dem Mann bedroht wurde und das Kind heimlich an sich nehmen musste, hat er keine Papiere. Auch liegt keine Meldung im Melderegister vor. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes; muss die Familie mit einer für durchschnittliche chinesische Einkommensverhältnisse empfindlichen Geldbuße rechnen, die an das Einkommen gekoppelt ist. Sofern das Bußgeld nicht gezahlt wird oder nicht gezahlt werden kann, darf eine Eintragung des gegen die Familienplanungsbestimmungen verstoßenen Kindes in das Haushaltsregister ("Hukou") nicht vorgenommen werden. Eine fehlende Eintragung im Haushaltsregister hat Auswirkungen u.a. auf die Möglichkeit des freien Schulbesuchs, freie medizinische Versorgung und andere soziale Leistungen (vgl. Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht China vom 23.12.2017, Seite 20).

Dies gilt nicht nur für das (2. bzw.) 3. Kind, sondern auch für uneheliche Kinder (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zu China: Konsequenzen bei Rückkehr einer unverheirateten Frau mit drei im Ausland geborenen Kindern inkl. Möglichkeit, staatlichen Maßnahmen durch "Freikauf" zu entgehen vom 10. Februar 2016).

Dies stellt in Anknüpfung an die Zugehörigkeit der Klägerin zu. 2. als nichteheliches Kind - und des Klägers zu 1. als deren Vater - und damit der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe eine Verfolgungshandlung von menschenrechtsverletzendem Gewicht dar (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14. September 2016 - A 11 S 1125/16).

Die unter Verstoß gegen diese Grundregeln gezeugten Kinder sollen nämlich entweder durch Zwangsabtreibung schon am Geborenwerden gehindert werden bzw. die gleichwohl existierenden Kinder werden, falls für sie kein Bußgeld gezahlt werden kann und da man sie nach ihrer Geburt nicht mehr umbringen kann und will, dann eben als juristisch nicht existent ins Vakuum der Rechtlosigkeit gestoßen, indem man ihnen die in jeder Hinsicht für ein Überleben in der chinesischen Gesellschaft unerlässliche houkou-Registrierung verweigert wird und sie damit zum Dahinvegetieren als Entrechtete am Rande der Gesellschaft verdammt. Diese bewusst als Sanktion verhängte Vorenthaltung von Ausbildungs - und Gesundheitsversorgungsleistungen, die dem Staat möglich sind und auch tatsächlich von ihm erbracht werden, stellt insofern eine gezielte und bewusste Benachteiligung und somit etwas ganz anderes dar, als das generelle Fehlen solcher staatlicher Leistungen in Staaten, die solche nicht aufbringen können, und auf die nach den internationalen Menschenrechtsstandards zwar ein Recht bestehen mag, das aber wie bei allen sozialen Rechten nur unter dem Vorbehalt des Finanzierbaren und Möglichen gewährt werden kann. Die generelle Verweigerung einer houkou-Registrierung als Sanktion für eine unerlaubte Geburt ist auch etwas anderes, als die in China vorzufindende Zweiteilung in houkou-Registrierungen für den Aufenthalt auf dem Land bzw. für den Aufenthalt in der Stadt, welche zahlreichen Wanderarbeitnehmer, die nur eine ländliche houkou-Registrierung besitzen, von einem legalen Leben, Wohnen und Arbeiten in der Stadt ausschließt und sie - falls sie sich dort doch aufhalten - in den Städten in die Illegalität drängt, wo sie und ihre Kinder mangels städtischer houkou-Registrierung keinen Anspruch auf Schulbesuch, Gesundheits- und Sozialleistungen haben. Die Verweigerung der houkou-Registrierung stellt mithin nicht nur im asylrechtlichen Sinne wortwörtlich eine "Ausgrenzung aus der staatlichen Friedensordnung" dar, sondern eben auch eine flüchtlingsrechtliche Verfolgung in Anknüpfung an eine soziale Gruppenzugehörigkeit, nämlich die Gruppe der per se als "überflüssig" angesehenen Menschen in China (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14. September 2016 - A 11 S 1125/16 – m.w.N.).

Dies trifft sowohl auf die Klägerin zu 2. als unmittelbar Betroffene und auf den Kläger zu 1. als leiblicher Vater zu, den die Sanktionen des Staates ebenfalls treffen. [...]