Die Monatsfrist des § 42b Abs. 4 Nr. 4 SGB VIII, innerhalb derer das Verfahren zur Verteilung unbegleitet eingereister ausländischer Kinder und Jugendlicher durchzuführen ist, beginnt (erst) mit der Feststellung der Minderjährigkeit und nicht bereits mit Beginn der vorläufigen Inobhutnahme zum Zwecke der Altersbestimmung zu laufen.
(Amtlicher Leitsatz)
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Aus der Gesamtschau von Wortlaut und Systematik des Gesetzes sowie seiner Entstehungsgeschichte unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Altersfeststellung ergibt sich vielmehr hinreichend deutlich, dass die Monatsfrist (erst) mit der Feststellung der Minderjährigkeit zu laufen beginnt. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass die von der Beklagten in den Mittelpunkt ihres Interesses gerückte Frage nach den Voraussetzungen, unter denen im Rahmen der Altersbestimmung nach § 42f SGB VIII eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen ist, in einem verwaltungsgerichtlichen (Revisions-)Verfahren beantwortet werden kann. Im Einzelnen:
Schon der Wortlaut des § 42b SGB VIII legt nahe, dass die Monatsfrist erst zu laufen beginnt, wenn die Minderjährigkeit des Betreffenden feststeht. Zwar lässt die Formulierung des § 42b Abs. 4 Nr. 4 SGB VIII, wonach die Durchführung eines Verteilungsverfahrens ausgeschlossen ist, wenn sie nicht innerhalb eines Monats "nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme" erfolgt, bei isolierter Betrachtung das Verständnis zu, dass die Monatsfrist an jedwede vorläufige Inobhutnahme unabhängig von ihrem Rechtsgrund anknüpft. Eine solche Auslegung würde jedoch ignorieren, dass das Verteilungsverfahren nach § 42b SGB VIII nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift in Absatz 1 Satz 1 sowie Absatz 4 ausschließlich "Kinder und Jugendliche", also Personen betrifft, die minderjährig sind (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB VIII). Personen, die nicht minderjährig sind, werden nicht nach Maßgabe dieser Vorschrift verteilt.
Der durch den Wortlaut nahegelegte Befund wird durch den systematischen Zusammenhang des § 42b SGB VIII mit den weiteren Regelungen des Ersten Abschnitts des Dritten Kapitels des Achten Buches Sozialgesetzbuches unterstrichen. Die §§ 42c bis e SGB VIII beziehen sich auf das Verteilungsverfahren nach § 42b SGB VIII und setzen ebenfalls die Minderjährigkeit der betreffenden Person voraus. Des Weiteren ist die Minderjährigkeit Voraussetzung für die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII und die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a SGB VIII. Eine (vorläufige) Inobhutnahme Volljähriger ist rechtlich nicht zulässig, sie ist gesetzlich vielmehr ausgeschlossen. [...]
Das Normverständnis wird durch teleologische Erwägungen getragen. Die Feststellung der Minderjährigkeit nach § 42f SGB VIII soll vermeiden, dass nachfolgende Maßnahmen der Jugendhilfe (Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII oder Gewährung von Hilfen zur Erziehung) revidiert und rückabgewickelt werden müssen, weil sich nachträglich herausstellt, dass der Betreffende gar nicht minderjährig ist. Sie soll zudem weitestmöglich sicherstellen, dass in ihrer Persönlichkeit bereits weiter entwickelte junge Erwachsene in der fälschlichen Annahme ihrer Minderjährigkeit nicht gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht werden, die für einen dauerhaften Aufenthalt konzipiert sind. [...]