VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Urteil vom 07.06.2018 - 2 K 1834/17.KS.A (Asylmagazin 10-11/2018, S. 371 f.) - asyl.net: M26444
https://www.asyl.net/rsdb/M26444
Leitsatz:

Familienasyl nur bei gleicher Staatsangehörigkeit wie stammberechtigte Person:

1. Die Schutzzuerkennung nach §26 AsylG (Familienasyl) kommt nur dann in Betracht, wenn die antragstellende Person die Staatsangehörigkeit des Verfolgerstaates des stammberechtigten Familienmitglieds besitzt (hier wurde die Entscheidung in Bezug auf den Ehepartner getroffen).

2. Das Familienasyl dient nicht oder nicht primär aufenthaltsrechtlichen Zwecken. Soweit es um die Sicherung des familiären Zusammenlebens geht, sind die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften ausreichend, um den Ehegatten oder den Kindern von international Schutzberechtigten das Zusammenleben im Bundesgebiet zu ermöglichen.

(Leitsätze der Redaktion; anders aber: Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017; Bodenbender, in: Gemeinschaftskommentar zum AsylG, Stand: 115; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.05.2002 - A 13 S 1068/01 - asyl.net: M2263)

Anmerkung:

Schlagwörter: Familienasyl, Staatsangehörigkeit, Verfolgerstaat, Familieneinheit,
Normen: AsylG § 26,
Auszüge:

[…]

§ 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG setzt den Bestand der Ehe schon im Verfolgerstaat des stammberechtigten Asylberechtigten (bzw. Flüchtlingsberechtigten nach § 26 Abs. 5 Satz 2 AsylG) voraus. Der Kläger besitzt vorliegend aber nicht die syrische Staatsangehörigkeit seiner international schutzberechtigten Ehefrau, sondern ausschließlich die irakische Staatsbürgerschaft. Dementsprechend bezieht sich einerseits das die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Ehefrau begründende Verfolgungsschicksal der Ehefrau ausschließlich auf den Staat Syrien und andererseits das vom Kläger dargelegte eigene Verfolgungsschicksal auf den Irak. Somit entfällt die Vermutung eines gemeinsamen Verfolgungs- und Fluchtschicksals, welches für das Familienasyl nach § 26 Abs. 1 AsylG typischerweise unterstellt werden kann.

Verfolgerstaat i.S.v. § 26 AsylG ist mit Ausnahme der Fälle, in denen ein Staatenloser politisch verfolgt wird, der Herkunftsstaat des originär Asylberechtigten. Die Asylanerkennung nach Art. 16a GG - und dementsprechend gemäß § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 AsylG internationaler Schutz - kommt nämlich nur dann in Betracht, wenn der Asylsuchende die Staatsangehörigkeit des Verfolgerstaates besitzt; andernfalls braucht er den Schutz des Art. 16a GG nicht (so: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: 105. Lieferg. Januar 2018, § 26 AsylVfG, Rdnr. 37).

Zwar wird in der Literatur und vereinzelt in der Rechtsprechung aus der Formulierung "Verfolgerstaat des Asylberechtigten" abgeleitet, dass ein familienasylbegehrender Ehegatte nicht unbedingt dieselbe Staatsangehörigkeit innehaben muss wie der originär Asylberechtigte (so: Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 26, Rdnr. 13; Bodenbender, in: Gemeinschaftskommentar zum AsylG, Stand: 115. Lieferg. März 2018, § 26, Rdnr. 51; Koisser/Nicolaus, Das Familienasyl des § 7a Abs 3 AsylVfG - Eine Analyse aus der Sicht des UNHCR, ZAR, 1991, 34; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Mai 2002 - A 13 S 1068/01 -, juris; ohne diese Frage zu problematisieren: Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 26 AsylG, Rdnr. 13; VG München, Urteil vom 11. April 2017 - M 4 K 16.32238 -, juris). Dies wird damit begründet, dass ansonsten Staatenlose und Ehegatten mit einer anderen Staatsangehörigkeit, die im Verfolgerstaat gelebt haben, schutzlos wären. Danach soll dann, wenn der Asylberechtigte mit einem Ehegatten anderer Staatsangehörigkeit im Verfolgerstaat zusammengelebt hat, Familienasyl genießen, auch wenn hierfür im Einzelfall kein Bedürfnis bestehen sollte. Vom Ehegattenasyl ausgeschlossen seien daher nur Ehegatten von deutschen Staatsangehörigen oder Unionsbürger (so: Marx, a.a.O., § 26, Rdnr. 13).

Diese Auffassung vermag im Hinblick auf die Funktion des Asyls jedoch nicht zu überzeugen. Denn das Familienasyl dient nicht oder nicht primär der aufenthaltsrechtlichen Sicherung der Familie des Flüchtlings (so überzeugend: Hailbronner, a.a.O., § 26 AsylVfG, Rdnr. 37). Soweit es um die Sicherung des familiären Zusammenlebens geht, sind die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften (§§ 29, 30 AufenthG sowie im Hinblick auf eine Aufenthaltsbeendigung § 60a AufenthG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG) ausreichend, um den Ehegatten oder den Kindern von Flüchtlingen das Zusammenleben im Bundesgebiet zu ermöglichen. Wesentlicher Grundgedanke beim Ehegattenasyl ist das gemeinsame Verfolgungs- und Fluchtschicksal, die Vermutung der eigenen Verfolgung, der damit verbundene Entlastungszweck für die Prüfung eines eigenen Asylantrags und schließlich die mit der Gewährung eines einheitlichen Flüchtlingsstatus verbundene Integrationswirkung. Hat ein Ehegatte eines anerkannten Flüchtlings eine andere Staatsangehörigkeit, so entfällt zumindest die für das Familienasyl typischerweise unterstellte eigene Verfolgungsgefahr, die allerdings ohne Rücksicht auf die wirkliche Verfolgungssituation angenommen wird. Im Falle anderweitiger Staatsangehörigkeit besteht die für den Flüchtlingsstatus jeglicher Art zu Grunde gelegte Angewiesenheit auf den internationalen Flüchtlingsschutz aber deshalb nicht, weil der Familienangehörige sich jederzeit auf seine eigene Staatsangehörigkeit berufen und den Schutz seines Heimatstaates in Anspruch nehmen kann. Dies spricht gegen die Gewährung von Familienasyl an Ehegatten anderer Staatsangehöriger. Insoweit besteht keine andere Interessenlage, als wenn der Ehegatte die deutsche Staatsangehörigkeit besäße. Ausreichend zur Verwirklichung der Familieneinheit sind die aufenthaltsrechtlichen Ansprüche. Für einen Flüchtlingsstatus entfällt ein hinreichender Grund. Ungeschriebene Voraussetzung des Flüchtlingsstatus ist nach Sinn und Zweck der Regelung zumindest potentiell, wenn auch nicht notwendigerweise tatsächlich, die "Nähe zum Verfolgungsgeschehen" sowie eine eigene Gefährdung und der daraus resultierende Verlust des mit der Staatsangehörigkeit verbundenen elementaren Schutzes (so auch: Hailbronner, a.a.O., § 26 AsylVfG, Rdnr. 37). Dies überzeugt insbesondere im Hinblick auf das in § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG normierte Erfordernis, dass sich das Verfolgungsschicksal auf das Land (Herkunftsland) bezieht, dessen Staatsangehörigkeit der Schutzsuchende besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder will. Aber auch unter Anwendung der oben dargelegten abweichenden Rechtsansicht, besteht ein Anspruch des Klägers nach § 26 Abs. 1 AsylG nicht. Denn auch hiernach soll ein Ehegatte einer anderen Staatsangehörigkeit nur dann Familienasyl genießen, wenn der Asylberechtigte mit einem Ehegatten im Verfolgerstaat zusammengelebt hat. Dies ist vorliegend aber gerade nicht der Fall. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er nach der Eheschließung am 27.05.2012 mit seiner Ehefrau in Syrien zusammengelebt hat. Vielmehr ist er zusammen mit seiner Ehefrau aus dem Irak ausgereist, wo er seinen Angaben nach bis zu diesem Zeitpunkt in Mossul gelebt hat. Dementsprechend hat auch die Ehefrau des Klägers beim Bundesamt angegeben, dass sie im Juni 2012 Syrien verlassen habe, um dort mit ihrem irakischen Ehemann im Irak zu leben (vgl. Seite 2 des Bescheids vom 30.12.2016, Az.: 6273503-1 475). [...]