OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 09.04.2018 - 10 LB 92/17 - asyl.net: M26250
https://www.asyl.net/rsdb/M26250
Leitsatz:

 

Keine systemischen Mängel des italienischen Asylsystems für Dublin-Rückkehrende:

Weder die Unterbringungssituation noch die Gesundheitsversorgung und die sonstigen Lebensbedingungen von Asylsuchenden in Italien weisen gravierende Defizite auf. Durch die Verringerung der Ankunftszahlen seit 2017 hat sich die Situation für Asylsuchende in Italien immer mehr entspannt.

(Leitsätze der Redaktion, ähnlich: OVG Niedersachsen, Urteil vom 04.04.2018, Dublin-Sammlung: M26252, OVG Niedersachsen, Beschluss vom 06.08.2018, Dublin-Sammlung: M26668, VG Hannover, Beschluss vom 14.01.2019, Dublin-Sammlung: M27029; andere Ansicht: VG Hannover, Beschluss vom 19.06.2018 - 3 B 3967/18 - asyl.net: M26317)

 

Schlagwörter: Italien, Dublinverfahren, systemische Mängel, Aufnahmebedingungen, medizinische Versorgung, Lebensunterhalt,
Normen: GR-Charta Art. 4, EMRK Art. 3, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1a, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7, VO 604/2013 Art. 17,
Auszüge:

[...]
a) Dublin-Rückkehrer, deren Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen sind, haben im Rahmen der - möglichen - Fortführung ihres Asylverfahrens einen mit den Vorgaben aus Artikel 17 Abs. 1 i.V.m. Artikel 2 g Aufnahmerichtlinie übereinstimmenden durchsetzbaren Unterkunftsanspruch. Ihnen droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit, weil sie auch faktisch in der Regel einen Zugang zu Wohnraum haben.

Unterkünfte im (staatlichen) Unterkunftssystem stehen Dublin-Rückkehrern nach der Ankunft in hinreichender Zahl zur Verfügung (Bundesamt, Länderinformation Italien, Stand: Mai 2017, S. 2):

Laut MEDECINS SANS FRONTIERES ("Ärzte ohne Grenzen" - im Folgenden: MSF -) bestanden am 31. Dezember 2017 für Asylsuchende - einschließlich Dublin-Rückkehrern - und anerkannt Schutzberechtigte insgesamt knapp über 180.000 Plätze zur Verfügung (MSF, Stand: 08.02.2018, "Out of sight" - Second edition). Das Bundesamt und Asylum Information Database (im Folgenden: AIDA) gehen von einer Gesamtkapazität von insgesamt 175.734 Plätzen aus (Bundesamt, Stand Mai 2017; AIDA 2017: Country Report: Italy, 2016 Update, www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2016update.pdf, S. 69). Diese verteilen sich auf das in Italien eingerichtete Erst- und Zweitaufnahmesystem zur Unterbringung von Schutzsuchenden einschließlich Dublin-Rückkehrern sowie auf die Notfallzentren CAS ("Centri die accoglienza straordinaria").

Das Erstaufnahmesystem besteht aus den CDA ("Centro di accoglienza") und den "Centri governativi di prima accoglienza" (ehemals CARA). Diese Erstaufnahmeeinrichtungen verfügen über eine Kapazität von insgesamt 14.694 Plätzen (AIDA 2017: Country Report: Italy, Update 2016, S. 69). Gemäß Gesetzesdekret 142/2015 werden die Erstaufnahmeeinrichtungen durch öffentliche und private Träger betrieben. Insgesamt waren diese Anfang 2017 mit 14.290 Personen belegt (AIDA, Country Report: Italy, Update 2016, S. 70).

Das SPRAR ("Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati") bildet das Zweitaufnahmesystem mit einer Kapazität von 31.313 Plätzen (Schweizerische Flüchtlingshilfe - im Folgenden: SFH -, E-Mail vom 12.09.2017 an das VG Hannover, S. 1). Bei den SPRAR handelt es sich um eine dezentrale und auf lokaler Ebene organisierte (Zweit-)Unterbringung mit dem Ziel der Teilhabe am kommunalen Leben. Die Unterbringung ist von Unterstützungs- und Integrationsmaßnahmen (Rechtsberatung, Sprachvermittlung, psychosoziale Unterstützung, Taschengeld je nach SPRAR-Projekt zwischen 1,50 Euro/Tag und 3 Euro/Tag) begleitet (Bundesamt, Länderinformation Italien, Stand: Mai 2017, S. 1 und 2). Das Zweitaufnahmesystem (SPRAR) besteht zu einem Großteil aus Wohnungen (82 Prozent der zur Verfügung stehenden Unterbringungsmöglichkeiten im Zweitaufnahmesystem), kleineren Aufnahmeeinrichtungen (12 Prozent der zur Verfügung stehenden Unterbringungsmöglichkeiten im Zweitaufnahmesystem) und Gemeinschaftshäusern (6 Prozent der zur Verfügung stehenden Unterbringungsmöglichkeiten im Zweitaufnahmesystem; AIDA, Country Report: Italy, Update 2016, S. 70). Zum 24. Januar 2017 (noch vor der Erhöhung der Kapazität) waren ca. 25.934 Personen im Zweitaufnahmesystem untergebracht (AIDA, Country Report: Italy, Update 2016, S. 71). Das SPRAR-System wird als Erfolgsmodell gelobt, das noch weiter ausgebaut werden sollte (Bundesamt, Länderinformation: Italien, Stand: Mai 2017, S. 2). Dies ist im letzten Jahr geschehen, indem Italien die SPRAR-Plätze um 10.000 Plätze auf nunmehr 31.313 Plätze erhöht hat (SFH, E-Mail vom 12.09.2017 an das VG Hannover, S. 1, 2; AIDA 2017: Country Report: Italy, Update 2016, S. 71).

Neben den Unterkünften des Erst- und Zweitaufnahmesystems stehen für Schutzsuchende ferner Notfallzentren, die CAS, zur Aufnahme bereit. Anfang des Jahres 2017 bestand eine Gesamtkapazität von 137.218 Plätzen (AIDA 2017: Country Report: Italy, Update 2016, S. 69). Die Notfallzentren sind nicht nur auf die Erstaufnahme von Schutzsuchenden ausgerichtet, sondern dienen auch im Notfall als Reserve im Rahmen der Zweitaufnahme. Gegenwärtig werden die Notfallzentren zu diesen Zwecken herangezogen (AIDA 2017, Country Report: Italy, Update 2016, S. 71). Sie sind aufgrund der hohen Ankunftszahlen praktisch in das normale Aufnahmesystem integriert und haben somit ihren Charakter als Notfallzentren verloren. Bis Ende des Jahres 2016 waren 75 Prozent der Schutzsuchenden in solchen Notfallzentren untergebracht (AIDA 2017, Country Report: Italy, Update 2016, S. 72). Laut MSF sind dort derzeit mehr als 150.000 Migranten untergebracht (MSF, Stand: 08.02.2018). In den Notfallzentren erfolgt eine Versorgung und Unterstützung durch Nahrung, Taschengeld bzw. Gutscheine in Höhe von 2,50 Euro/Tag (bis zu 7,50 Euro/Tag für Familien), Gesundheitsversorgung, Hygieneartikel, Telefonkarte und Asylberatung (Bundesamt, Länderinformation Italien, Stand: Mai 2017).

Werden die für die einzelnen Unterkunftsarten ausgewiesenen Unterkunftskapazitäten (14.694 Plätze in den CDA, 31.313 Plätze in den SPRAR und 137.218 Plätze in den CAS) zusammengezählt, ergibt sich eine Gesamtkapazität von 183.225 Plätzen im (staatlichen) Unterkunftssystem. Nach den oben wiedergegebenen Angaben von MSF sind aber in den Notfallzentren tatsächlich mehr Personen untergebracht, nämlich mehr als 150.000 Migranten, während das Erstaufnahmesystem mit 14.290 Personen jedenfalls Anfang 2017 nicht vollständig ausgelastet war. Ausgehend von diesen tatsächlichen Belegungszahlen lebten im Jahr 2017 195.603 Personen im (staatlichen) Unterkunftssystem. Dies stimmt nahezu überein mit den Angaben im Integrationsplan von Oktober 2017 (Nationaler Integrationsplan, FOR PERSONS ENTITLED TO INTERNATIONAL PROTECTION, October 2017, S. 12). Danach lebten am 31. August 2017 196.285 Menschen im Aufnahmesystem ("were present in the national migrants reception system").

Aus diesen Zahlen ergibt sich zwar eine gewisse Überbelegung im (staatlichen) Unterkunftssystem im Umfang von ca. 13.000 Personen. Aus dieser im Vergleich zu der Gesamtkapazität des staatlichen Unterkunftssystems relativ geringen Zahl kann jedoch nach Auffassung des Senats keineswegs auf systemische Mängel in den Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer geschlossen werden. [...]

Doch selbst wenn man unterstellt, die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern reichten derzeit oder in naher Zukunft nicht aus, ergäbe sich daraus nach Auffassung des erkennenden Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Verletzung der Rechte aus Artikel 4 EUGrCh und Artikel 3 EMRK überschreitendes Versagen des Staates. Denn diese Rechte verpflichten die Staaten weder, eine absolut bestimmbare Mindestanzahl von Unterkünften zur Verfügung zu stellen, noch dazu, rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten im Umfang einer "Spitzenbelastung" vorzuhalten (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.06.2016 - 13 A 569/16.A -, juris Rn. 90).

Nach den vorliegenden Erkenntnissen reagiert Italien jedenfalls inzwischen flexibel auf den Zustrom. Das System ist durch die kurze Auftragsdauer für die temporären CAS-Zentren (Ausschreibung alle sechs Monate) sehr flexibel in Bezug auf Schwankungen. Ferner waren unter dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU verschiedene Projekte ausgeschrieben, die auch die Unterbringung von Asylbewerbern umfassten. Vor allem hat der italienische Staat die Zahl der Unterkunftsplätze im (staatlichen) Unterkunftssystem in den Jahren von 2015 bis 2017 erheblich erhöht, nämlich nahezu verdreifacht. Denn Ende Februar 2015 waren lediglich 67.128 Plätze vorhanden, davon 9.504 im Erstaufnahmesystem, 20.596 im SPRAR-System und 37.028 in den Notfallzentren (Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 23.04.2015, Anfragebeantwortung an VG Schwerin, S. 2; Auswärtiges Amt vom 25.03.2015, Anfragebeantwortung an VG Schwerin, S. 2), nunmehr bestehen 183.225 Plätze im Unterkunftssystem.

Hiervon ausgehend ist die - nach den oben dargestellten neueren Zahlen ohnehin nicht begründete - Erwartung, dass künftig zunehmend mehr Flüchtlinge den Weg über das Mittelmeer suchen und in Italien die Grenze zur EU überschreiten werden, nicht ausreichend, um systemische Mängel anzunehmen. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn - was hier nicht der Fall ist - absehbar wäre, dass auf eine erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung dieses Problems ergriffen würden und der italienische Staat mit Gleichgültigkeit die Obdachlosigkeit eines erheblichen Teils der Migranten hinnimmt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.06.2016 - 13 A 569/16.A -, juris Rn. 90 ff.; vgl. auch VG München, Beschluss vom 07.11.2017 - M 9 S 17.52825 -, juris Rn. 39).

Systemische Mängel, die eine Verletzung der Rechte aus Artikel 4 EUGrCh und Artikel 3 EMRK begründen könnten, ergeben sich auch nicht aus der Situation, die Asylsuchende bei ihrer Rückkehr nach Italien konkret zu erwarten haben:

Es mag zwar immer wieder vorkommen, dass Asylsuchende während der Bearbeitung ihres Asylantrags in Italien auf sich allein gestellt und zum Teil auch obdachlos sind. So gibt es Berichte, dass alleinstehende Dublin-Rückkehrer oder Dublin-Rückkehrer, die ohne Garantien nach Italien überstellt wurden, in den meisten Fällen keine Unterstützung von den Organisationen am Flughafen erhielten und sich mindestens die erste Zeit ohne Unterkunft durchschlagen mussten (SFH, E-Mail vom 12.09.2017 an das VG Hannover). Auch gibt es Berichte, wonach-Dublin-Rückkehrer zumindest nicht in allen Fällen eine staatliche Unterkunft erhielten. The inside story on emergencies (im Folgenden: IRIN) berichtet von einem aus Deutschland überstellten, verletzten und behandlungsbedürftigen Syrer, dem Polizisten bei der Ankunft in Mailand gesagt hätten, er solle auf der Straße schlafen. Auch ein aus Frankreich überstellter palästinensischer Flüchtling, der "einfach auf der Straße gelassen" worden sei, wird in dem Bericht erwähnt. Ein solches Verhalten der Polizei gegenüber Rückkehrern sei nicht ungewöhnlich. Es sei im Wesentlichen Glückssache, ob und wie viel Unterstützung Rückkehrer erhielten (IRIN, 11/2017, "How a fingerprint can change asylum seeker's life"). Die Zeitung "Zeit" berichtet ebenfalls von einem rückgeführten Asylbewerber, der anschließend auf der Straße lebte (Zeit Online, "An der Grenze des Rechts", 08.10.2017). Von den vulnerablen Dublin-Rückkehrern, die Dutch Council for Refugees (im Folgenden: DRF) und SFH für einen Bericht beobachteten, wurde keiner nach der Ankunft unmittelbar in ein SPRAR geschickt. Die Behandlung nach Ankunft sei als willkürlich empfunden worden. In vielen Fällen sei erst durch das Eingreifen der genannten Organisationen überhaupt eine Unterkunft zur Verfügung gestellt worden (SFH/DRC, "Is Mutual Trust Enough? The situation of persons with special reception needs upon return to Italy", 09.02.2017, S. 22). Im Ergebnis sind diese Berichte aber nicht verallgemeinerungsfähig, sondern belegen allein, dass DublinRückkehrer in Einzelfällen von Obdachlosigkeit bedroht sind. Dies wird dadurch bestätigt, dass nur wenige obdachlose Dublin-Rückkehrer auf der Straße angetroffen werden (SFH, Länderinformation Italien, August 2016, S. 29). Dabei übersieht der Senat nicht, dass in Italien insgesamt relativ viele Migranten auf der Straße oder in besetzten Häusern unter teils sehr schlechten Bedingungen leben (siehe z.B. IRIN, "No home for refugees in Rome. Italy's policies appear designed to deter asylum seekers but most have nowhere else to go", 10.11.2017). Genaue Zahlen scheinen hierzu jedoch nicht verfügbar zu sein. Weder die SFH noch der UNHCR haben Kenntnis über die Zahl obdachloser Schutzberechtigter (SFH, Anlage vom 31.07.2017 zur E-Mail vom 12.09.2017 an das VG Hannover, S. 5). Nach Schätzung der MSF gibt es mindestens 10.000 obdachlose Menschen unter den internationalen und humanitären Schutzgenehmigungsinhabern und Antragstellern, die nur begrenzten oder keinen Zugang zu grundlegenden Gütern und medizinischer Versorgung haben (MSF, Stand: 08.02.2018, "Out of sight" - Second edition).

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass auch außerhalb der staatlichen Einrichtungen Unterkunftsmöglichkeiten bestehen. Nichtregierungsorganisationen (im Folgenden: NGOs) und Freiwillige betreuen teilweise informelle Unterkünfte, z.B. Zelte (IRIN 11/2017, Fingerprint). Diverse NGOs bieten Notschlafstellen an (Bundesamt, Stand: Mai 2017, S. 2). Für anerkannte Asylbewerber ohne Unterkunft bieten namentlich Organisationen wie die Caritas, Suore Missionarie della Carità, Centro Astalli, Stranieri in Italia, Opere Antoniane, Comunità di Sant'Egidio oder Consiglio Italiano per i Rifugiati Unterstützung an (Auswärtiges Amt - im Folgenden: AA -, Anfragebeantwortung an OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.02.2016 zum Az. 13 A 516.80/48651). Auch viele religiöse Einrichtungen betreiben Unterbringungseinrichtungen und verteilen Kleidung und Nahrung (Nationaler Integrationsplan, FOR PERSONS ENTITLED TO INTERNATIONAL PROTECTION, October 2017, S. 21). Die SFH gibt zu Schlafplätzen von NGOs und Kirchen zu bedenken, dass diese erstens größtenteils bereits Teil des staatlichen Systems seien, womit sie auch den dortigen Vorgaben unterlägen, und nicht zusätzlich dazu bestünden. Zweitens stünden sie allen Bedürftigen zur Verfügung, nämlich nicht nur Schutzsuchenden oder -berechtigten, sondern auch Personen, die keinen Asylantrag stellen, oder italienischen Obdachlosen. Es handele sich daher um wenige Plätze (SFH, Länderinformation Italien, August 2016, S. 16). [...]

Ebenso wenig lassen die Aufnahmebedingungen in den (staatlichen) Aufnahmezentren mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit systemische Mängel erkennen:

Dublin-Rückkehrer - wie der Kläger - werden meist in einem Erstaufnahme- oder Notfallzentrum untergebracht, wobei auch die Unterbringung im Zweitaufnahmesystem SPRAR oder in sonstigen Gemeindeunterkünften möglich ist. Da Dublin-Rückkehrer lediglich einen kleinen Teil der insgesamt in Italien ankommenden Schutzsuchenden ausmachen, fehlt ein festgelegtes, einheitliches Vorgehen für die (Wieder-)Aufnahme ins System. Nach den Angaben der SFH kann dies ein Grund dafür sein, weshalb die Behandlung von Dublin-Rückkehrern variiert und die Aussagen ihrer "Interviewpartner und -partnerinnen" weder untereinander noch mit den konkreten Erfahrungen von Personen, die unter der Dublin-Verordnung nach Italien transferiert wurden, übereinstimmen. Dublin-Rückkehrende stellen danach einen Sonderfall im italienischen Aufnahmesystem dar (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 13, 28).

Ausweislich des Berichts über die Fact-Finding-Mission einer Delegation des Europarats im Oktober 2016 stellen sich die Bedingungen in den vier besuchten Erstaufnahmeeinrichtungen als passabel dar. Die Delegation besuchte auch eine SPRAR-Einrichtung in Rom, die einen positiven Eindruck in Hinblick auf die materiellen Bedingungen und den guten Willen der dortigen Verantwortlichen hinterließ (Bundesamt, Länderinformation Italien, Stand: Mai 2017; Report of the fact-finding mission to Italy by Ambassador Tomáš Boček, Special Representative of the Secretary General on migration and refugees, 16-21 October 2016).

Die CAS (Notfallzentren) werden von verschiedenen Institutionen geführt, unter anderem von Gemeinden, Privatorganisationen oder auch von NGOs. Der Leitung fehlt vielfach die Erfahrung im Asylbereich. Viele dieser Strukturen sind sehr abgelegen, überfüllt und ungeeignet. Zudem wird von sehr niedrigen sanitären Standards berichtet. Aufgrund des enormen Anstiegs an Zentren und des stetigen Wechsels durch die regelmäßigen Ausschreibungen ist das Personal oft unqualifiziert und/oder überarbeitet (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 31). Zudem ist Erkenntnismitteln aus dem Jahr 2016 zu entnehmen, dass einige Notfallzentren im Hinblick auf Hygiene und Sicherheit noch hinter den Standards im Erstaufnahmesystem zurückbleiben (Cona [Venedig], Piano Torre di Isnello [Palermo], Telese [Kampanien], Montalto Uffugo [Kalabrien]). In Telese sind heißes Wasser und Elektrizität nur zeitweise verfügbar. Allerdings gibt es auch positive Beispiele unter den CAS wie in Trieste, die den Standard der Erstaufnahmeeinrichtungen übertreffen und die Standards der SPRAR erreichen (vgl. dazu AIDA, Country Report: Italy, Update 2016, S. 75, 76). Auch insofern ist ferner zu berücksichtigen, dass Artikel 4 EUGrCh und Artikel 3 EMRK die Staaten nicht verpflichten, für "Spitzenbelastungen" Kapazitäten vorzuhalten (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.06.2016 - 13 A 569/16.A -, juris Rn. 90) und es daher durchaus auch zu Engpässen bei der Qualität der Unterbringung kommen kann, ohne dass daraus sogleich eine Verletzung von Artikel 4 EUGrCh und Artikel 3 EMRK folgt, zumal Italien nach den obigen Feststellungen flexibel auf den Zustrom reagiert und die Zahl der Unterkunftsplätze im (staatlichen) Unterkunftssystem - wie oben ausgeführt - in den letzten Jahren erheblich erhöht hat.

Auch das Unterbringungsverfahren für Dublin-Rückkehrer als solches weist keine systemischen Mängel auf:

Zur Durchsetzung ihres Unterkunftsanspruchs müssen Dublin-Rückkehrer, deren Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen sind, wieder in die für ihr Asylverfahren zuständige Questura reisen. Dafür händigt die Polizei ihnen am Flughafen eine Einladung aus, in der die Information enthalten ist, welche Questura dies ist (Bundesamt für Fremdwesen und Asyl der Bundesrepublik Österreich - im Folgenden: BFA -, Länderinformation der Staatendokumentation: Italien, 03/2017, S. 33). Das Zugticket stellt in der Regel eine Flughafen-NGO zur Verfügung (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 28).

Ein abweichendes Verfahren gilt, wenn der Betroffene beim vorherigen Aufenthalt in Italien die ihm zugewiesene Unterkunft nicht in Anspruch genommen oder die Unterkunft ohne Meldung verlassen hat. In letzterem Falle wird von einer freiwilligen Abreise ausgegangen, so dass der Anspruch auf eine Unterkunft verloren geht. Die Unterbringung kann aber neu beantragt werden (AA, Anfragebeantwortung an das OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.02.2016 zum Az. 13 A 516.80/48651), um in das Unterbringungssystem wieder aufgenommen zu werden. Dazu muss ein Termin bei der Questura vereinbart werden, bei dem die Gründe für das Verlassen des Zentrums zu erklären sind. Die Questura entscheidet dann, ob die Person wiederaufgenommen wird. Bis zur Entscheidung hat die Person keinen Zugang zu staatlicher Unterbringung. Bei einer Ablehnung gibt es keine staatliche Unterbringungsalternative. Sofern eine Person wiederaufgenommen wird, wird sie im Falle von Platzmangel auf den letzten Platz der Warteliste gesetzt (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 28 f.). Wurde eine Person bereits einmal im SPRAR-System aufgenommen und hat dieses wieder verlassen, gibt es keine Möglichkeit, dort wieder aufgenommen zu werden, es sei denn, es wird neue Vulnerabilität vorgebracht und ein Antrag beim Innenministerium gestellt (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 36). Rücküberstellte haben dann Zugang zum SPRAR, wenn sie die maximale Aufenthaltsdauer zuvor noch nicht ausgeschöpft haben und ein Platz frei ist. Die maximale Aufenthaltsdauer reicht bis zur Entscheidung über den Asylantrag plus sechs Monate nach Zuerkennung des Schutzstatus oder plus ein Jahr bei Vulnerabilität (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 39). Soweit es nach dem Gesagten in bestimmten Fällen zu einem Verlust des Unterkunftsanspruchs kommen kann, ergibt sich daraus kein Verstoß gegen Artikel 3 EMRK. Denn der italienische Staat kann den Unterkunftsanspruch zulässigerweise an bestimmte - von dem Asylsuchenden erfüllbare - Voraussetzungen knüpfen, bei deren Nichteinhaltung kein Anspruch auf Unterbringung in einer staatlichen Unterkunft mehr besteht. Diese Einschränkung oder Entziehung des Unterkunftsanspruchs steht im Einklang mit der Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013. Gemäß Artikel 20 Abs. 1 Satz 1 a) i.V.m. Artikel 18 Aufnahmerichtlinie kann der italienische Staat die Unterkunft als materielle Leistung in dem Fall, dass der bestimmte Aufenthaltsort ohne Unterrichtung oder erforderliche Genehmigung verlassen wird, einschränken oder entziehen. Meldet sich der Asylsuchende bei der zuständigen Behörde hat diese gemäß Artikel 20 Abs. 1 Satz 2 Aufnahmerichtlinie unter Berücksichtigung der Motive des Untertauchens eine ordnungsgemäß begründete Entscheidung über die erneute Gewährung einiger oder aller im Rahmen der Aufnahme gewährten Leistungen zu treffen, die entzogen oder eingeschränkt worden sind. Die Entscheidung über diese "Sanktion" hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu berücksichtigen; in jedem Fall ist aber der Zugang zur medizinischen Versorgung zu gewährleisten (Artikel 20 Abs. 5 Sätze 2 und 3 Aufnahmerichtlinie). Gegen diese Entscheidung stehen dem Schutzsuchenden ferner Rechtsbehelfe nach Artikel 26 Abs. 1 Aufnahmerichtlinie zu, insbesondere hat er gemäß Absatz 2 dieses Artikels einen Anspruch auf unentgeltliche Rechtsberatung.

Die im Bereich der Unterkunftsversorgung aufgezeigten Mängel und Defizite sind demnach weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes systemisches Versagen Italiens festgestellt werden kann, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Artikel 3 EMRK oder Artikel 4 EUGrCh mit dem dafür notwendigen Schweregrad zur Folge hätte.

b) Solche Mängel sind auch nicht im Bereich der Gesundheitsversorgung festzustellen:

Denn Dublin-Rückkehrer haben Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem, insbesondere ist eine kostenfreie Notversorgung gewährleistet. Entsprechend Artikel 19 Abs. 1 Aufnahmerichtlinie haben Dublin-Rückkehrer während des Asylverfahrens ebenso wie jede andere Person, die sich in Italien aufhält, nach nationalem Recht einen Anspruch auf medizinische Grund- und Notfallversorgung bei Krankheit oder Unfall sowie auf eine Präventivbehandlung zur Wahrung der individuellen und öffentlichen Gesundheit (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 54; vgl. dazu AIDA, Country Report: Italy, 2016 Update, S. 79). Das beinhaltet einen grundsätzlich kostenlosen Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie Arzt, Zahnarzt und Krankenhaus (AA, Anfragebeantwortung an OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.02.2016 zum Az. 13 A 516/14A.). [...]

c) Auch die Versorgung mit den übrigen zum Lebensunterhalt notwendigen Leistungen weist für Dublin Rückkehrer keine systemischen Mängel auf:

Den Vorgaben gemäß Artikel 17 Abs. 1 i.V.m. Artikel 2 g) und Artikel 18 der Aufnahmerichtlinie entsprechend erfolgt die Versorgung mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln und dem sonstigen Bedarf des täglichen Lebens für Dublin-Rückkehrer im Grundsatz über die Unterbringungseinrichtungen. Denn Dublin-Rückkehrer, die nach ihrer Rückkehr, in Unterbringungseinrichtungen untergebracht sind, werden für die Dauer ihres Aufenthalts dort versorgt. In den SPRAR-Unterkünften werden neben Lebensmitteln auch Unterstützungs- und Integrationsmaßnahmen (Rechtsberatung, Sprachvermittlung, psychosoziale Unterstützung) angeboten und ein Taschengeld je nach SPRAR-Projekt zwischen 1,50 Euro/Tag und 3 Euro/Tag ausgezahlt (Bundesamt, Länderinformation Italien, Stand: Mai 2017, S. 1 und 2). In den CAS-Unterkünften werden neben den Lebensmitteln auch Hygieneartikel, Telefonkarten und Asylberatung zur Verfügung gestellt. Ferner wird ein Taschengeld bzw. Gutschein in Höhe von 2,50 Euro/Tag (bis zu 7,50 Euro/Tag für Familien) gewährt (Bundesamt, Länderinformation Italien, Stand: Mai 2017). [...]

2. Dass dem Kläger als Dublin-Rückkehrer für den Fall, dass ihm in Italien Flüchtlings- oder subsidiärer Schutz gewährt wird, die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.d. Artikel 4 EUGrCh drohen könnte, steht seiner Überstellung nach Italien ebenfalls nicht entgegen (vgl. VG Minden, Beschluss vom 09.01.2018 - 10 L 1755/17.A - juris Rn. 42 ff.; a.A. möglicherweise VGH Baden-Württemberg, Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union vom 15. März 2017 - A 11 S 2151/16 -, juris Rn. 25 f.) [...]