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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 20.03.2018 - 1 B 5.18 - Asylmagazin 6/2018, S. 214 ff. - asyl.net: M26197
https://www.asyl.net/rsdb/M26197
Leitsatz:

Keine Haftung für die Gesundheitsversorgung aus einer Verpflichtungserklärung in NRW:

1. Keine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Klärungsbedürftigkeit, da Folgendes sich aus dem Gesetz ergibt: Eine Verpflichtungserklärung umfasst grundsätzlich die Haftung für Kosten für die Versorgung im Krankheits- oder Pflegefall. Dies ergibt sich aus § 68 Abs. 1 S. 1 AufenthG.

2. Keine Revisionszulassung wegen Divergenz, da sich es sich bei der Würdigung des OVG um reine Subsumtion unter Vorgaben des BVerwG handelt. Die Aufnahmeanordnung des Landes Nordrhein-Westfalen sieht ausdrücklich keine Haftung für Leistungen in Krankheits- oder Pflegefällen vor. Wenn die Verpflichtungserklärung auf Veranlassung der Ausländerbehörde abweichend hiervon formuliert wurde, liegt ein Ausnahmefall vor, der einer Ermessensentscheidung bedarf.

(Leitsätze der Redaktion; entspricht BVerwG, Beschluss vom 14.03.2018 - 1 B 9.18; Bestätigung des Urteils des OVG NRW vom 08.12.2017 - 18 A 1197/16 - asyl.net: M26198)

Schlagwörter: Verpflichtungserklärung, medizinische Versorgung, Asylbewerberleistungsgesetz, Landesaufnahmeprogramm, Nordrhein-Westfalen, Grundsätzliche Bedeutung, Divergenzrüge, Divergenz, Krankheitsfall, Pflegebedürftigkeit,
Normen: VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1, AufenthG § 68, AufenthG § 68 Abs. 1 S. 1, AsylG § 4, AufenthG § 23, VwGO § 133 Abs. 3 S. 3, BGB § 157, BGB § 133, VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

3 Die Beschwerde wendet sich dagegen, dass nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts der Verpflichtete aus einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG, die er zugunsten zweier syrischer Staatsangehöriger eingegangen ist, vom Beklagten nicht zur Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung herangezogen werden kann.

4 a) In diesem Zusammenhang hält die Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig, "ob die in § 68 Absatz 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) enthaltenen Tatbestandsmerkmale 'sämtliche öffentlichen Mittel ... , die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich ... der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden' entsprechend dem Bezug zum jeweiligen Leistungssystem auszulegen sind und daher in den jeweiligen Leistungssystemen unterschiedliche Bedeutung haben können oder ob Aussagen in einer Verpflichtungserklärung zum Umfang der Haftung eines Verpflichtungsgebers (Haftungsfreistellung für Kosten bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit), die mit Bezug auf das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) gemacht wurden, bei der Beurteilung der Haftung nach § 68 AufenthG für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Zweites Buch Sozialgesetzbuch - SGB II) Bedeutung haben können".

5 Die aufgeworfenen Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Denn sie können bereits anhand des Gesetzes unter Berücksichtigung der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden.

6 Schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ergibt sich, dass der Verpflichtete sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten hat, die für den Lebensunterhalt des Ausländers aufgewendet werden. Als erstattungspflichtig werden im Gesetz ausdrücklich auch aufgewendete Mittel zur Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit genannt. Das können für Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG Leistungen bei Krankheit nach § 4 AsylbLG und bei Beziehern von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) - wie hier im Streit - Beitragszahlungen zur Kranken- und Pflegeversicherung sein. Das Berufungsgericht hat die abgegebene Verpflichtungserklärung des Klägers ohne Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln dahin ausgelegt, dass sie die Haftung für Kosten, die für die Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden müssen, dem Grunde nach erfasst.

7 b) Die Revision kann auch nicht hinsichtlich der des Weiteren als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Frage zugelassen werden, "ob die Nichtbeachtung von Vorgaben eines Landes (Streichung der im Musterformular enthaltenen Aussagen zur Haftung für die Versorgung im Krankheits- und Pflegefall) bei Leistungen nach dem SGB II zu einer von der gesetzlichen Grundkonzeption des § 68 AufenthG abweichenden atypischen Fallgestaltung führt (Folge: Ermessensentscheidung über die Inanspruchnahme des Verpflichtungsgebers), wenn die Vorgaben insoweit weder mit dem Inhalt des Landesaufnahmeprogramms (LAP) nach § 23 Absatz 1 AufenthG noch mit dem hierzu ergangenen Einvernehmen des Bundes (Bundesministerium des Innern) übereinstimmten".

8 Diesbezüglich ist in der von dem Oberverwaltungsgericht in Bezug genommenen höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und das Gebot, bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten (vgl. § 6 Abs. 1 HGrG), in der Regel verlangen, dass der Verpflichtete im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen ist, ohne dass es dahingehender Ermessenserwägungen bedürfte, dass indes von dieser Regel bei Vorliegen atypischer Gegebenheiten abgewichen werden kann. Während typischerweise von einem Regelfall auszugehen ist, wenn die Voraussetzungen des Aufenthaltstitels einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren voll und individuell geprüft worden sind und nichts dafür spricht, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten führen könnte, ist ein Ausnahmefall anzunehmen, wenn eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die strikte Gesetzesanwendung Folgen zeitigte, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sind und mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Rücksichtnahme auf die individuelle Leistungsfähigkeit nicht vereinbar wären. [...] Unabhängig davon bestimmt sich der Inhalt der gegenüber einer bestimmten Behörde abgegebenen Verpflichtungserklärung gemäß den §§ 133, 157 BGB nach dem Empfängerhorizont (hier dem der Ausländerbehörde). Nimmt diese eine Verpflichtungserklärung entgegen, die nach der tatrichterlichen Würdigung (eindeutig) die Haftung für bestimmte Leistungen ausschließt, ist die Erklärung auch nur mit diesem Inhalt wirksam geworden. Dies gilt auch dann, wenn in der Erklärung die Erstattungspflicht zulasten eines anderen Rechtsträgers (hier: der Bundesagentur für Arbeit) sachlich und/oder zeitlich eingeschränkt worden ist (s.a. Beschluss vom 14. März 2018 - 1 B 9.18 - Rn. 6).

9 2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. [...] Allein das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht. Auch diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. [...]

Das Oberverwaltungsgericht führt - wie von der Beschwerde wiedergegeben - anknüpfend an die vorstehenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts aus, ein Ausnahmefall liege vor, weil die Ausländerbehörde der Stadt L. die dem Kläger abgenommenen Verpflichtungserklärungen abweichend von den landesrechtlichen Vorgaben formuliert habe mit der Folge, dass diese eine in der Aufnahmeanordnung des Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen ausdrücklich nicht vorgesehene Erstattungspflicht für Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft, Geburt, Behinderung und Pflegebedürftigkeit nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch enthielten. Damit sei die nach der Aufnahmeanordnung wegen der staatlichen Mitverantwortung in Bürgerkriegssituationen beabsichtigte Lastenverteilung im Einzelfall des Klägers entgegen den Vorgaben der landesweit geltenden Regelungen verfehlt und dem Kläger eine nach dem maßgeblichen Willen des Landes nicht gewollte Belastung auferlegt worden. Bei dieser Würdigung handelt es sich um die Subsumtion des Sachverhalts unter die vorstehenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts und nicht um die Formulierung eines Rechtssatzes. [...]