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Zitieren als:
Landesbehörden, Entscheidung vom 19.04.2018 - IV 206 - 292-5/2015-147/2015-UV - asyl.net: M26196
https://www.asyl.net/rsdb/M26196
Leitsatz:

Zu § 25 Abs. 4a AufenthG (Aufenthaltsrecht während Strafverfahren für Opfer von Menschenhandel, Zwangsarbeit etc.): Gesetzliche Voraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4a AufenthG ist, dass die Mitwirkung der von einer bestimmten Straftat betroffenen Person für das Strafverfahren erforderlich ist, sie jede Verbindung zu den Tätern abgebrochen hat und sie zur Zeugenaussage bereit ist. 

1. Zur Notwendigkeit der Mitwirkung hat die Staatsanwaltschaft Stellung zu nehmen; vorher ist eine Duldung zu erteilen. Eine mögliche Einreisesperre ist aufzuheben oder zu verkürzen. 

2. Zuständig für das aufenthaltsrechtliche Verfahren ist die Ausländerbehörde am Ort an dem die von der Straftat betroffene Person aufgegriffen worden ist, da eine solche Person üblicherweise nicht über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt. 

3. Wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Person Opfer einer der o. g. Straftaten geworden ist, soll ihr eine Ausreisefrist von mindestens drei Monaten gesetzt werden, damit sie Gelegenheit hat, sich zu entscheiden, ob sie zur Zeugenaussage bereit ist. 

4. Nach dem 2015 neu eingefügtem Satz 3 soll die Aufenthaltserlaubnis nach Beendigung des Strafverfahrens verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen hierfür gegeben sind. Insbesondere kommt eine Gefährdung im Herkunftsland der betroffenen Person oder eine Stigmatisierung wegen ihrer Aussage in Betracht. Dies gilt auch, wenn das Strafverfahren nicht zu einer Verurteilung der Täter geführt hat. 

5. Von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen Identitätsklärung und Passbesitz ist abzusehen.

6. Hinweise zur Beteiligung der Fachstelle gegen Frauenhandel »contra« und zu Folgerechten wie Leistungsbezug, Erwerbstätigkeit und Familiennachzug. (Zusammenfassung der Redaktion)

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Opfer, Straftat, Menschenhandel, Zwangsarbeit, Zwangsprostitution, Ausbeutung, Mitwirkung, Staatsanwaltschaft, Zeugen,
Normen: AufenthG § 25 Abs. 4a, StGB § 232, StGB § 232a, StGB § 232b, StGB § 233, StGB § 233a,
Auszüge:

[...]

1. Grundsätze/Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß 25 Abs. 4a AufenthG: [...]

Zur Ermittlung der Notwendigkeit der Mitwirkung im Strafverfahren ist eine Stellungnahme der zuständigen Staatsanwaltschaft bzw. des Gerichts einzuholen.

Ist eine Entscheidung der zuständigen Staatsanwaltschaft oder des Gerichts über die Notwendigkeit der vorübergehenden Anwesenheit der betroffenen Person kurzfristig nicht möglich, ist bis zu deren Vorliegen, wenn nötig, die Duldung zu erteilen oder zu verlängern.

Besteht gegen die betroffene Person ein gem. § 11 Abs. 1, 6 oder 7 AufenthG entstandenes Einreise- und Aufenthaltsverbot, muss dies vor Erteilung des Aufenthaltstitels gem. § 11 Abs. 4 AufenthG aufgehoben bzw. die Frist nach Abs. 2 verkürzt werden. Dies gilt insbesondere, wenn die betroffene Person sich im Ausland aufhält und mit einem Visum einreisen soll. Auf das Beteiligungserfordernis nach § 72 Abs. 3 AufenthG wird ausdrücklich hingewiesen. Ggf. ist auch zu prüfen, ob die Voraussetzungen nach § 118a LVwG für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens (hier Ausweisungsverfahrens) von Amts wegen und auf Antrag der oder des Betroffenen gegeben sind. [...]

2. Zuständigkeit der Zuwanderungs-/Ausländerbehörde:

Die örtliche Zuständigkeit der Zuwanderungs-/Ausländerbehörde richtet sich nach den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Vorschriften.

Drittstaatsangehörige, die Opfer der Straftaten gemäß § 232 bis 233a StGB sind, verfügen in der Regel nicht über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet i.S.d. § 31 Abs. 1 Nr. 3 a LvwG; für die Durchführung des aufenthaltsrechtlichen Verfahrens dürfte daher in der Regel die Zuwanderungs-/Ausländerbehörde des Kreises oder der kreisfreien Stadt, in dem bzw. in der der Anlass für die Amtshandlung hervortritt, bzw. des Aufgriffsortes örtlich zuständig sein (§ 31 Abs. 1 Nr. 4 LVwG).

Werden betroffene Personen zu ihrem Schutz außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Zuwanderungs-/Ausländerbehörde des Aufgriffsortes untergebracht, sollte diese im Sinne des § 31 Abs. 3 LVwG grundsätzlich weiterhin zuständig bleiben und das Verfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient. Die Zuwanderungs-/Ausländerbehörde des neuen Aufenthaltsortes hat dem zuzustimmen. [...]

3. Aufklärungs- und Lösungsphase, Ausreisefrist, Unterrichtung, Ausreisepflicht

3.1. Aufklärungs- und Lösungsphase

Die zuständige Zuwanderungs-/Ausländerbehörde prüft die Erteilung einer Duldung an betroffene Personen im Ermessen nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen die vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern können. Anhaltspunkte können sich dabei, im Einvernehmen mit den Betroffenen, auch aus einer Mitteilung der Fachstelle contra an die Zuwanderungs-/Ausländerbehörden ergeben.

3.2 Ausreisefrist nach § 59 Abs. 7 AufenthG

Liegen der Zuwanderungs-/Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die Ausländerin/der Ausländer Opfer einer in § 25 Abs. 4a Satz. 11 AufenthG genannten Straftat wurde, setzt sie gem. § 5 Abs. 7 AufenthG abweichend von § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass sie/er eine Entscheidung über die Aussagebereitschaft nach § 25 Abs. 4a Satz 2 Nummer 3 AufenthG treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. [...]

5. Prüfung der Erteilungsgrundlagen nach Ablauf der Ausreisefrist und des Strafverfahrens sowie Dauer des Aufenthalts

Nach Ablauf der Ausreisefrist prüft die Zuwanderungs-/Ausländerbehörde, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4a AufenthG vorliegen.

Kann nach Ablauf der Ausreisefrist eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4a AufenthG erteilt werden, ist diese gem. § 26 Abs. 1 Satz 5 AufenthG für jeweils 1 Jahr zu erteilen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis nach § 2 Abs. 4a Satz 3 AufenthG verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern.

In der Begründung zu dem Gesetzentwurf, der den neuen Satz 3 in § 25 Abs. 4a AufenthG eingefügt hat, wird hervorgehoben, dass mit der Formulierung eine sichere Perspektive für einen Daueraufenthalt für die Zeit nach Beendigung des Strafverfahrens geschaffen werden soll. Für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis kommt es danach nicht mehr darauf an, ob die weitere Anwesenheit des Ausländers für die Durchführung eines Strafverfahrens erforderlich ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll vielmehr auch aus rein humanitären oder persönlichen Gründen verlängert werden. Dabei ist unter Beendigung des Strafverfahrens nicht nur eine Verurteilung unter Mitwirkung der Betroffenen zu verstehen, sondern es sollen auch solche Konstellationen erfasst werden, in denen ein Strafverfahren ohne Verschulden der betroffenen und aussagebereiten Zeugen aus anderen Gründen nicht durchgeführt wird (beispielsweise durch die Einstellung des Verfahrens).

Als humanitäre oder persönliche Gründe für eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4a Satz 3 AufenthG kommen insbesondere in Betracht:

- eine Gefährdung im Herkunftsland durch die Aussage der Ausländerin/des Ausländers

- soziale Stigmatisierung im Herkunftsland

Zu weiteren Anhaltspunkten hat die Fachstelle contra eine Indikatorenliste erstellt (Anlage 2).

Die Zuwanderungs-/Ausländerbehörde soll, sofern die Strafverfolgungsbehörden zustimmen, die Fachstelle contra über die Inhaftierung betroffener Frauen - insbesondere nach größeren Ermittlungs- und Durchsuchungsmaßnahmen durch die Strafverfolgungsbehörden - unterrichten, damit die Fachstelle contra über die Haftanstalt notwendige Hilfe anbieten kann. Dabei ist sicherzustellen, dass die Identität der Betroffenen ohne deren Einverständnis nicht preisgegeben wird. […]

11. Absehen von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen (§ 5 Abs. 3 AufenthG)

In der Regel ist der Aufenthalt von Opfern von Straftaten gemäß § 232 bis 233a StGB wegen der unerlaubten Einreise oder des nach Ablauf des Touristenvisums unerlaubten Aufenthalts rechtswidrig. Zudem besitzen die Opfer oftmals keinen Pass, weil er ihnen von den Tätern abgenommen wurde, so dass häufig auch nicht ihre Identität geklärt ist. Um für diesen Personenkreis die in der Richtlinie 2004/81/EG vorgesehene Erteilung eines Aufenthaltstitels zum vorübergehenden Aufenthalt zu ermöglichen, sieht die Richtlinie vor, dass eine unerlaubte Einreise und die Nichterfüllung der Passpflicht hierfür unschädlich sind. Gem. § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist in den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 2 Absatz 4a AufenthG von der Anwendung der § 5 Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des § 5 Absatzes 2 AufenthG abzusehen. [...]