1. Zurückkehrenden syrischen Asylbewerbern droht derzeit allein wegen einer illegalen Ausreise aus Syrien und der Asylantragstellung sowie dem Aufenthalt in Deutschland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung.
2. Zurückkehrenden syrischen Asylbewerbern, die sich der Wehrpflicht in Syrien durch Ausreise ins Ausland entzogen haben, droht derzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung durch den syrischen Staat wegen einer ihnen deshalb zumindest zugeschriebenen regimefeindlichen Gesinnung. Ihnen ist daher die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
B. Danach ist die Beklagte nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) gemäß § 3 Abs. 4 Halbsatz 1 AsylG verpflichtet, den Kläger als Flüchtling gemäß § 3 Abs. 1 AsylG anzuerkennen. [...]
Eine begründete Furcht vor flüchtlingsrelevanter Verfolgung ergibt sich jedenfalls aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem er Syrien verlassen hat (sog. Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG). Dabei kommt als Verfolgungsakteur im Sinne des § 3c AsylG allein der syrische Staat in Betracht, da eine (hypothetische) Abschiebung ernsthaft nur über eine Flugverbindung zu den internationalen Flughäfen in Damaskus und Latakia denkbar ist, die das syrische Regime kontrolliert (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Syrien: Rückkehr, 21. März 2017).
1. Ein solcher Nachfluchtgrund droht bei einer Rückkehr nach Syrien aber nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit allein wegen der (illegalen) Ausreise aus Syrien und der Asylantragstellung sowie dem Aufenthalt in Deutschland. Diese Umstände allein rechtfertigen nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen einen Asylbewerber bei der Rückkehr nach Syrien als Oppositionellen betrachten und ihn wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen (so auch OVG Schl.-H., Urt. v. 23. November 2016 - 3 LB 17/16 -, juris Rn. 40; OVG Rh.-Pf., Urt. v. 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 40 ff.; OVG Saarland, Urt. v. 2. Februar 2017 - 2 A 515/16 -, juris Rn. 21 ff., und v. 22. August 2017 - 2 A 262/17 -, juris Rn. 23 ff.; OVG NRW, Urt. v. 4. Mai 2017 - 14 A 2023/16.A -, juris Rn. 30 ff., und v. 21. Februar 2017 - 14 A 2316/16.A -, juris Rn. 35 ff.; BayVGH, Urt. v. 21. März 2017 - 21 B 16.31013 -, juris Rn. 21 ff.; NdsOVG, Urt. v. 27. Juni 2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 43 ff.; VGH BW, Urt. v. 9. August 2017 - A 11 S 710/17 -, juris S. 20 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22. November 2017 - OVG 3 B 12.17, juris Rn. 19 ff.; offen gelassen: HessVGH, Urt. v. 6. Juni 2017 - 3 A 3040/16.A -, juris Rn. 48 ff.).
a) Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln spricht ganz Überwiegendes dafür, dass alle Rückkehrer, mithin auch unverfolgt ausgereiste Asylbewerber, bei der Einreise durch die syrischen Sicherheitsbehörden befragt werden. Dabei werden Misshandlungen und Folter, also Verfolgungshandlungen i. S. v. § 3a Abs. 2 AsylG, beinahe routinemäßig angewandt, ohne dass hierfür ein Anfangsverdacht vorliegen muss (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Leitfadens für Syrien, deutsche Version April 2017 [künftig: UNHCR April 2017], Ziff. II; Petra Becker, Auskunft an das VG Dresden v. 6. Februar 2017, und Niederschrift über die öffentliche Verhandlung des VG Dresden v. 1. März 2017 - 4 K 1073/16.A -). Vor derartigen Maßnahmen besteht subsidiärer Schutz nach § 4 AsylG.
b) Anhand der vorliegenden Erkenntnismittel lässt sich jedoch nicht die Überzeugung gewinnen, dass diese Verfolgungshandlungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit an flüchtlingsrelevante Verfolgungsgründe i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 AsylG anknüpfen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Es lässt sich nicht feststellen, dass der syrische Staat jedem für längere Zeit ausgereisten syrischen Staatsangehörigen, der im Ausland ein Asylverfahren betrieben hat und wieder zurückkehrt, pauschal unterstellt, Regimegegner zu sein bzw. in engerer Verbindung mit oppositionellen Kreisen im Exil zu stehen, solange keine besonderen zusätzlichen Anhaltspunkte bzw. gefahrerhöhenden Merkmale vorliegen.
Es ist allgemein bekannt, dass die Zahl der im Ausland lebenden syrischen Flüchtlinge seit Beginn des Bürgerkriegs sprunghaft auf knapp 4,9 Millionen gestiegen ist und mittlerweile noch weiter gestiegen sein dürfte (vgl. VGH BW, Urt. v. 9. August 2017, a.a.O., m.w.N. zur Auskunftslage). Es kann davon ausgegangen werden, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der Syrer vor den unmittelbaren bzw. mittelbaren Folgen des Bürgerkriegs geflohen ist und nicht wegen einer drohenden Gefahr politischer Verfolgung. Dies zeigen u.a. die in verschiedenen Berichten angesprochenen beträchtlichen, wenn auch nicht genau quantifizierten Zahlen von syrischen Staatsangehörigen, die nach einem kürzeren oder längeren Auslandsaufenthalt wieder - endgültig oder auch nur vorübergehend - nach Syrien zurückgekehrt sind (vgl. SFH v. 21. März 2017, a.a.O.; Immigration and Refugee Board of Canada v. 19. Januar 2016).
Im Hinblick darauf, dass seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien im Jahre 2011 keine Abschiebungen aus dem westlichen Ausland erfolgen, ist die Auskunftslage zu der hier relevanten Frage naturgemäß "dünn". Den wenigen vorliegenden Dokumenten lassen sich aber ausnahmslos keine konkreten und nachvollziehbaren Gesichtspunkte entnehmen, die bei (illegaler) Ausreise aus Syrien sowie Asylantragstellung und Aufenthalt im Ausland einen verlässlichen Schluss auf die erforderliche politische Gerichtetheit von Verfolgungshandlungen zulassen oder auch nur nahelegen. Nach der Auskunftslage liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse darüber vor, dass Rückkehrer allein aufgrund eines vorangegangenen Auslandsaufenthalts und Asylantragstellung Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind (vgl. Auskunft an das VG Dresden v. 2. Januar 2017 zum Az. 4 K 689/16.A und an das VG Düsseldorf v. 2. Januar 2017 zum Az. 5 K 7221/16.A). Auch aus den bereits genannten Auskünften der Sachverständigen Petra Becker ergibt sich, dass Befragungen und eventuelle Misshandlungen nicht an eine (zugeschriebene) politische Gesinnung anknüpfen. Denn die Sachverständige führt aus, jeder Rückkehrer werde befragt und Misshandlung gehöre einfach zur Routine eines Verhörs durch das Regime dazu, unabhängig von der Person des Betroffenen. Der UNHCR geht in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus Syrien fliehen, 4. Fassung November 2015, und im Bericht vom April 2017 davon aus, dass Personen bei Vorliegen eines der dort näher beschriebenen Risikoprofile Flüchtlingsschutz benötigen. Die Stellung eines Asylantrags und der längere Verbleib im (westlichen) Ausland stellen danach jedoch keinen solchen risikoerhöhenden Umstand dar. Soweit der UNHCR dort ausführt, Mitglieder religiöser Gruppen wie der Sunniten erfüllten ein Risikoprofil, folgt daraus allerdings keine beachtliche Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgung durch den syrischen Staat für alle Sunniten. Der UNHCR erfasst mit seinem religiösen Risikoprofil (Sunniten, Alawiten, Ismailis, Zwölfer-Schiiten, Drusen, Christen, Jesiden) praktisch die gesamte Bevölkerung. Das ist erkennbar allein darauf bezogen, dass einzelne religiös-fundamentalistische Rebellengruppen in ihrem Herrschaftsgebiet Angehörige bestimmter anderer Religionen verfolgen. Erkenntnisse darüber, dass der syrische Staat die Sunniten, also die Anhänger der Mehrheitsreligion, verfolgt, gibt es nicht (vgl. OVG NRW, Urt. v. 21. Februar 2017 - 14 A 2316/16.A -, juris Rn. 81 ff.).
2. Die Furcht vor flüchtlingsrelevanter Verfolgung ist zur Überzeugung des Senats aber deshalb begründet, weil sich der bei der Ausreise 24 und jetzt 28 Jahre alte Kläger durch seine Flucht und den Auslandsaufenthalt dem Militärdienst entzogen hat.
a) Der Kläger unterliegt der Wehrpflicht und hat sich dieser durch seine Flucht und den Verbleib im Ausland entzogen. Dies ergibt sich aus der Auskunftslage zur Wehrpflicht in Syrien, die sich wie Folgt darstellt:
In Syrien besteht Militärdienstpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer unabhängig vom ethnischen oder religiösen Hintergrund (vgl. SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28. März 2015; SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23. März 2017) wie auch für Palästinenser, die in Syrien leben (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 5. Januar 2017, S. 37; Deutsches Orient-Institut an HessVGH v. 1. Februar 2017), gilt. Auch Oppositionelle werden einberufen. Die Registrierung für den Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren. Die Wehrpflicht dauerte in der Vergangenheit bis zum Alter von 42 Jahren; mehrere Auskünfte verweisen allerdings auf Quellen, wonach die Wehrpflicht in der Praxis gegenwärtig bis zum 50. bzw. sogar bis zum 54. oder 60. Lebensjahr ausgeweitet wird (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf v. 2. Januar 2017 zum Az. 5 K 7480/16.A; Deutsche Botschaft Beirut, Auskunft an das BAMF v. 3. Februar 2016; SFH v. 23. März 2017, a.a.O.).
Ausnahmen von der Wehrpflicht werden - von Bestechungen abgesehen - in eng begrenzten Fällen gemacht, so etwa bei Personen jüdischen Glaubens oder bei Untauglichkeit. Gesetze und Regelungen über Ansprüche auf Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes gibt es etwa für Einzelkinder oder Studenten - hier je nach Art des Studiums gestaffelt, regelmäßig höchstens bis zum Alter von 27 Jahren (SFH v. 28. März 2015, a.a.O.). Die Regelungen gelten wohl teilweise zwar formal weiter, in der Praxis finden sie allerdings aufgrund des stark zunehmenden Personalbedarfs nur mehr sehr eingeschränkt und zunehmend willkürlich Anwendung (UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen, Syrien: Militärdienst, 30. November 2016; SFH, Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als "einziger Sohn", 20. Oktober 2015; SFH v. 23. März 2017, a.a.O.).
Ebenso geraten zunehmend auch noch nicht 18 Jahre alte Jugendliche vornehmlich an den zahlreichen im ganzen Land verstreuten Checkpoints in den Blick der Sicherheitskräfte und des Militärs und laufen Gefahr, Repressalien ausgesetzt zu werden (SFH v. 23. März 2017, a.a.O.).
Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf v. 2. Januar 2017 zum Az. 5 K 7480/16.A; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30. Juli 2014). Entlassungen aus dem Militärdienst sind nach den verwerteten Erkenntnismitteln seit dem Jahre 2011, dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung, eher zur Ausnahme geworden; viele Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals wäre Desertion die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden (BFA v. 5. Januar 2017, a. a. O., S. 24; SFH v. 23. März 2017, a.a.O.).
Gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Wehrdienstes als Reservisten jederzeit abrufbar sein (Auswärtiges Amt an das VG Düsseldorf v. 2. Januar 2017 zum Az. 5 K 7480/16.A; SFH, Syrien: Arbeitsverweigerung, 12. März 2015; SFH v. 23. März 2017, a.a.O.). In der Vergangenheit wurden alle Männer bis zum Alter von 42 Jahren als Reservisten geführt; aufgrund der prekären Personalsituation gibt es gegenwärtig kein festgesetztes Höchstalter für die Aktivierung von Reservisten mehr, vielmehr werden nach den vorliegenden Auskünften im Einzelfall - je nach Ausbildung und bisheriger Tätigkeiten für die Armee - Männer im Alter von bis zu 50 oder sogar 60 Jahren erneut zum Dienst verpflichtet (SFH v. 23. März 2017, a.a.O.).
Seit Herbst 2014 werden Reservisten in großem Stile eingezogen (SFH v. 12. und 28. März 2015, jeweils a.a.O.). Die syrische Armee hat nach mehreren Quellen mit örtlichen Generalmobilmachungen begonnen, neue Checkpoints etabliert und Razzien im privaten und öffentlichen Bereich intensiviert, um Reservisten zu finden, die sich bislang dem Dienst entzogen haben. Die Vorgehensweise wird als zunehmend aggressiv beschrieben (vgl. UNHCR v. 30. November 2016, a.a.O., S. 5). In wenigen Monaten wurden zehntausende Personen (zwangs-)rekrutiert und es existieren Berichte, wonach im Frühjahr 2015 Listen mit über 70.000 Namen von Personen, die als Reservisten eingezogen werden sollen, an den Checkpoints der syrischen Armee zirkulierten (SFH v. 28. März 2015 und 23. März 2017, jeweils a.a.O.).
Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren dürfen seit März 2012 nur mit einer offiziellen Beglaubigung des Militärs, mit der bescheinigt wird, dass sie vom Militärdienst freigestellt sind, das Land verlassen; seit Herbst 2014 besteht darüber hinaus für Männer, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind, ein generelles Ausreiseverbot (SFH v. 12. und 28. März 2015 sowie v. 30. Juli 2014, jeweils a.a.O.; Deutsches Orient Institut, Auskunft an OVG Schl.-H. v. 7. November 2016; UNHCR, April 2017). Jungen Männern vor Erreichen des 18. Lebensjahres wird die Ausreise erschwert, indem Reisepässe nur für eine kurze Gültigkeitsdauer ausgestellt werden (UNHCR v. 30. November 2016, a.a.O., S. 4 f.).
b) Rückkehrern im wehrdienstfähigen Alter droht jedoch nicht nur die gesetzlich dafür vorgesehene Bestrafung und/oder die Einziehung, sondern insbesondere im Zusammenhang mit den drohenden Verhören und Bestrafungen auch Folter und der Einsatz an der Front mit oft nur minimaler Ausbildung, d. h. als "Kanonenfutter". Damit drohen auch dem Kläger bei seiner Rückkehr nach Syrien Verfolgungshandlungen i. S. v. § 3 Abs. 1, § 3a AsylG. Er ist im wehrpflichtigen Alter ausgereist, nicht vom Wehrdienst befreit (sein Studentennachweis reichte nur bis 2009) und hat sich deshalb durch eine illegale Ausreise seiner Wehrpflicht in Syrien entzogen. Denn er konnte im Dezember 2013 Syrien trotz gültigen Reisepasses mangels offizieller Bescheinigung des Militärs über die Freistellung vom Militärdienst nur illegal verlassen, was er nach eigenen Angaben auf dem Landweg in die Türkei auch getan hat.
Wehrdienstverweigerung und -entziehung wird in Syrien nach dem Military Penal Code geahndet (vgl. Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf v. 2. Januar 2017 zum Az. 5 K 7480/16.A; Deutsche Botschaft Beirut v. 2. März 2016, a.a.O.; SFH v. 30. Juli 2014 und 23. März 2017, jeweils a.a.O.). Nach dessen Artikel 98 wird, wer sich der Einberufung entzieht, mit Haft zwischen einem und sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft. Wer das Land verlässt, ohne eine Adresse zu hinterlassen, unter der er immer erreichbar ist, und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion im eigentlichen Sinn werden in Artikel 101 fünf Jahre Haft angedroht bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft. Bereits die nicht genehmigte und somit unerlaubte Ausreise wird wie ein Wehrdienstentzug geahndet (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf v. 2. Januar 2017 zum Az. 5 K 7480/16.A).
Die tatsächliche Praxis in Syrien entspricht dieser Rechtslage jedoch nicht. Danach droht Wehrdienstentziehern je nach Profil und Umständen sofortiger Einzug zum Militär, Einzug an die Front oder Haft und Folter (vgl. SFH v. 23. März 2017, a.a.O. unter Berufung auf den Danish Immigation Service). In der schriftlichen Auskunft an das Verwaltungsgericht Dresden vom 6. Februar 2017 gibt die Sachverständige Petra Becker an, dass derjenige, der sich dem Wehrdienst durch Flucht ins Ausland entzieht, bei seiner Rückkehr mit Gefängnis und Folter rechnen müsse, auch wenn sie es für das wahrscheinlichste halte, dass ein rückkehrender Wehrpflichtiger bei seiner Einreise direkt dem Wehrdienst zugeführt wird (so bei ihren mündlichen Angaben gegenüber dem VG Dresden am 1. März 2017 im Verfahren 4 K 1073/16.A). Der UNHCR berichtet, anstelle der (Verhängung oder Vollziehung der) gesetzlich vorgesehenen Haftstrafen würden Wehrdienstentzieher in der Praxis Tage oder Wochen nach ihrer Festnahme an die Front geschickt, oft nur mit minimaler Ausbildung. Bei Festnahme und während der Inhaftierung drohe den Betroffenen Folter oder andere Misshandlung; es werde berichtet, dass diese Praktiken in Syrien endemisch seien (UNHCR, Auskunft an den HessVGH v. 30. Mai 2017). In den Herkunftslandinformationen vom April 2017 führt der UNHCR aus, es werde berichtet, dass Wehrdienstentzieher in der Praxis festgenommen und unterschiedlich lange inhaftiert werden und danach in ihrer militärischen Einheit Dienst leisten müssten; Folge der Wehrdienstentziehung könne aber auch die umgehende Einziehung nach der Festnahme und der Einsatz an vorderster Front sein. Aus Berichten gehe hervor, dass sie während der Haft dem Risiko der Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt seien. Abweichend hiervon führt lediglich das Auswärtige Amt (Auskünfte vom 2. Januar 2017 an das VG Dresden und an das VG Düsseldorf zum Az. 5 K 7480/16.A, jeweils a.a.O.) aus, dass Personen, die sich der Wehrpflicht durch Aufenthalt im Ausland entziehen, bei Rückkehr mit Geldbußen oder Haftstrafen rechnen müssten. Diese Auskünfte sind jedoch nicht durch konkrete Quellen belegt und sie berücksichtigen nicht die in allen sonstigen Auskünften mitgeteilte allgemein verbreitete Praxis der Folter.
c) Im Falle des Klägers liegt auch die für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung der Verfolgungshandlung mit einem Verfolgungsgrund i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG vor.
aa) Die an eine Wehrdienstentziehung geknüpften Sanktionen stellen, selbst wenn sie von totalitären Staaten ausgehen, nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung dar, wenn sie nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen sollen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21. November 2017 - 1 B 148.17 -, juris Rn. 12). [...]
bb) Auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel lässt sich in Übereinstimmung mit den Urteilen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Februar 2017 - 21 B 16.31001 -, des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. Mai 2017 - A 11 S 562/17 - und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. Juni 2017 - 3 A 3040/16.A - feststellen, dass die den syrischen Männern im wehrpflichtigen Alter drohenden staatlichen Maßnahmen nach ihrer objektiven Gerichtetheit an den in § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG genannten Verfolgungsgrund der - ihnen vom syrischen Staat gemäß § 3b Abs. 2 AsylG zugeschriebenen - politischen Überzeugung anknüpfen. Das syrische Regime befindet sich seit 2011 in einem Bürgerkrieg. Der syrischen Armee mangelt es aufgrund militärischer Verluste, Desertion und Wehrdienstentzug in ganz erheblichem Umfang an in diesem Bürgerkrieg nötigen Soldaten (vgl. SFH v. 23. März 2017, a.a.O. und die Sachverständige Petra Becker bei ihrer mündlichen Anhörung vor dem Verwaltungsgericht Dresden am 1. März 2017 im Verfahren 4 K 1073/16.A ["Dem Regime geht es derzeit darum, möglichst viele Männer an die Front zu bekommen."]). Weiter ist das Verhalten des syrischen Regimes in diesem Bürgerkrieg vollständig von einem "Freund-Feind-Schema" als alles durchziehendes Handlungsmuster geprägt (vgl. Deutsches Orient-Institut, Auskunft an den HessVGH v. 1. Februar 2017; SFH v. 12. März 2015, a.a.O.).
Angesichts dessen wird jeder Wehrpflichtige, der in diesem Bürgerkrieg das Regime durch Wehrdienstentzug zugunsten der - auch militärischen - Opposition schwächt, als Verräter oder Oppositioneller angesehen und ist dementsprechend häufiger und verschärfter den beschriebenen Verfolgungshandlungen ausgesetzt. So führt der UNHCR im Bericht von April 2017 nach Auswertung unterschiedlicher Quellen aus, die syrische Regierung betrachte Wehrdienstentziehung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck politischen Dissenses und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen. In seiner Auskunft vom 30. Mai 2017 (an den HessVGH, a.a.O.) zitiert der UNHCR dazu umfangreiche Quellen, die u.a. mitteilen, dass sich dies für Wehrdienstverweigerer durch besonders strenge Behandlung durch Militäroffiziere und andere Beamte während ihrer Haft oder ihrer Wehrpflicht äußern kann (Christopher Kozak, Syrien Research Analyst beim Institute for the Study of War, 22. Mai 2017). Zudem indiziert die besondere Intensität der real drohenden Verfolgungshandlungen, wie sie in Syrien bei Wehrdienstentzug festzustellen sind (vermehrtes Risiko von Folter, Misshandlungen und Verbringung an die Front als "Kanonenfutter"), dass diese jedenfalls auch an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal - die zumindest zugeschriebene regimefeindliche Gesinnung -, anknüpfen (vgl. BVerwG, Urt. v. 25. Juli 2000 - 9 C 28.99 -, juris Rn. 14, und v. 25. Juni 1991 - 9 C 131.90 -, juris Rn. 19).
Die abweichende Beurteilung der Sachlage durch die Oberverwaltungsgerichte Rheinland-Pfalz (Urt. v. 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16 -), Nordrhein-Westfalen (Urt. v. 4. Mai 2017 - 14 A 2023/16.A -), des Saarlandes (Urt. v. 22. August 2017 - 2 A 228/17 -) und Niedersachsens (Urt. v. 27. Juni 2017 - 2 LB 91/17 -) überzeugt nicht. Diese Gerichte vertreten die Auffassung, es sei den syrischen Machthabern bekannt, dass die Flucht aus Syrien oft nicht durch politische Gegnerschaft zum Staat, sondern durch Angst vor Krieg und Kriegseinsatz als einem mächtigen unpolitischen Motiv bestimmt sei, weshalb es an der politischen Gerichtetheit der Reaktionen des syrischen Regimes auf den Wehrpflichtentzug fehle. Diese Wertung wird indes durch die dargelegte gegenteilige Auskunftslage nicht gestützt. Soweit teilweise die Auskunftslage anders eingeschätzt wird, weil die Auskünfte des UNHCR eher politisch motiviert seien, kann dies die Bewertung des Senats schon deshalb nicht in Frage stellen, weil diese auf einer Gesamtschau von Auskünften unterschiedlicher Quellen beruht.
So gibt es Hinweise, dass alle, die sich dem syrischen Regime entziehen - wie es Wehrdienstpflichtige tun, zumal wenn sie illegal ins Ausland reisen -, als Oppositionelle und je nach bisheriger Funktion als "Landesverräter" betrachtet werden (SFH v. 12. März 2015, a.a.O.). Auch diejenigen, bei denen nur die Absicht der Desertion vermutet wird, werden als Regimegegner betrachtet und haben gewaltsames Verschwinden, Haft und Folter zu gewärtigen (Amnesty International, "Between prison and the grave", S. 44). Dementsprechend hat auch die Deutsche Botschaft in Beirut (Auskunft an das BAMF v. 3. Februar 2016) mitgeteilt, dass Rückkehrer überwiegend im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder nicht
geleistetem Militärdienst befragt und zeitweilig inhaftiert wurden oder deshalb dauerhaft verschwunden sind. Auch das Deutsche Orient-Institut (Auskunft an den HessVGH v. 1. Februar 2017) hat ausgeführt, dass Berichte zum Teil stattfindende Befragungen oder gar einen allgemeinen Verdacht gegenüber (illegal) ausgereisten wehrpflichtigen Männern bei ihrer Wiedereinreise nach Syrien bestätigen. [...]