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VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Urteil vom 04.04.2017 - 2 A 106/16 MD - asyl.net: M26005
https://www.asyl.net/rsdb/M26005
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für eine Frau aus Benin, der Zwangsverheiratung und Genitalverstümmelung droht:

1. Trotz eines offiziellen Verbots werden Genitalverstümmelungen vor allem im Norden des Benins vorgenommen.

2. Zwangsbeschneidungen betreffen nicht nur Mädchen und Frauen in einem bestimmten Alter.

3. Alleinstehende Frauen können landesweit ohne familiäre Unterstützung nicht überleben, daher besteht keine interne Fluchtalternative.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Benin, geschlechtsspezifische Verfolgung, Frauen, Genitalverstümmelung, interne Fluchtalternative, Schutzfähigkeit, Schutzbereitschaft, Zwangsehe, soziale Gruppe,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 4,
Auszüge:

[...]

Der Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. den §§ 3ff. AsylG. [...]

Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Klägerin bei einer Ausreise nach Benin dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit Zwangsbeschneidung zu rechnen hat. Eine Zwangsbeschneidung ist ein asylerheblicher Eingriff, der vom Grundsatz her einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu begründen vermag.

Zwangsbeschneidungen sind in Benin - wovon die Beklagte selbst ausgeht - nach wie vor verbreitet. Die Klägerin hat glaubhaft vorgetragen, dass sie aus einer sehr religiösen Familie stammt, deren Volk im Norden von Benin lebt und sehr traditionell ist. Auch nach den Erkenntnissen der Beklagten wird Genitalverstümmelung jedenfalls auch von einzelnen Ethnien in den nördlichen Regionen Benins praktiziert. [...]

Die beachtliche Wahrscheinlichkeit für die Zwangsbeschneidung der Klägerin lässt sich auch nicht mit deren Alter verneinen. Nach den Erkenntnissen der Organisation Terre des Femmes vom 16.09.2015 lassen sich zum Beschneidungsalter keine generellen Aussagen für das gesamte beninische Staatsgebiet treffen. [...] Weibliche Genitalverstümmelung ist zwar seit 2003 in Benin verboten; dennoch finden Genitalverstümmelungen nach den glaubhaften Angaben der Klägerin außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung statt, wobei eine große Diskrepanz zwischen der Stadt- und Landbevölkerung besteht, und werden staatlicherseits kaum geahndet.

Auch an einer innerstaatlichen Fluchtalternative fehlt es, da die alleinstehende Klägerin nur im Einflussbereich ihrer Großfamilie überleben kann, von der u.a. der soziale Druck zu einer Beschneidung gerade ausgeht. [...]