LG Osnabrück

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Zitieren als:
LG Osnabrück, Beschluss vom 15.11.2017 - 11 T 373/17 - asyl.net: M25968
https://www.asyl.net/rsdb/M25968
Leitsatz:

Zu den Anforderungen an die haftrichterliche Anhörung gem. § 420 FamFG durch das Amtsgericht:

1. Die Anhörung durch das Gericht hat vor der Haftanordnung zu erfolgen. Ist dies nicht der Fall, durfte die Anordnung nicht ergehen und muss ggfs. aufgehoben werden (unter Bezug auf BGH, Beschluss vom 17.06.2010 - V ZB 3/10 - asyl.net: M17371).

2. Wurde dem Betroffenen auch nach Verkündung des Haftbeschlusses nicht umfassend Gelegenheit gegeben, zur Haftanordnung Stellung zu nehmen, sondern erfolgten lediglich Ausführungen zu seiner Person, seiner Staatsangehörigkeit und seinem Reiseweg, kann auf jeden Fall die Frage dahinstehen, ob der Verfahrensmangel der fehlenden Anhörung heilbar ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Anhörung, Haftrichter, Dublinverfahren, Überstellungshaft, Abschiebungshaft, Verfahrensfehler, Heilung, Haftbeschluss, Haftantrag, rechtliches Gehör,
Normen: FamFG § 420 Abs. 1 S. 1, GG Art. 103 Abs. 1, GG Art. 104, FamFG § 26,
Auszüge:

 […]

Es liegt ein Verstoß gegen den Anhörungsgrundsatz vor, § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG.

Gem. § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Anordnung der Freiheitsentziehung persönlich anzuhören. Diese vorherige persönliche Anhörung gehört zu den wesentlichen Verfahrensgarantien gemäß Art 104 GG, gewährleistet das rechtliche Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und trägt entscheidend zur Sachverhaltsermittlung bei (BVerfG NJW 1991, 1283; InfAuslR 1996, 198). Der Umfang der Anhörung bestimmt sich wie bei allen anderen Maßnahmen der Sachaufklärung gemäß § 26 FamFG danach, was nach den Umständen des Einzelfalls geboten ist, um den Sachverhalt sachgerecht von Amts wegen aufzuklären (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 3/10, zit. nach juris Rn. 22). Dabei sind grundsätzlich alle für die Freiheitsentziehung maßgeblichen Fragestellungen zu klären. Dies sind neben der Identität des Betroffenen insbesondere die wesentlichen Grundvoraussetzungen des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (vor allem die Voraussetzungen der Verlassens/Ausreisepflicht, der Abschiebung und der Haftgründe), die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung, gegebenenfalls ihre Vermeidbarkeit durch weniger einschneidende Maßnahmen sowie die voraussichtliche Dauer (vgl. Grotkopp in: Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl. 2017, § 420 Anhörung; Vorführung, Rn. 4). Eine inhaltlich unzureichende persönliche Anhörung des Betroffenen führt dazu, dass der Sachverhalt nicht in dem gebotenen Umfang aufgeklärt ist, die Haftanordnung deshalb nicht ergehen darf und gegebenenfalls aufgehoben werden muss (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 3/10, zit. nach juris Rn. 22).

Gemessen an diesen Anforderungen war das Verfahren der Anhörung vor dem Amtsgericht nicht ordnungsgemäß am 19.04.2017. Es heißt im Protokoll zwar, dass dem Betroffenen nach Bekanntgabe des Haftantrags Gelegenheit gegeben worden sei, sich "zu dem Sachverhalt" zu äußern. Tatsächlich war dies jedoch vor Erlass des Haftbeschlusses ersichtlich nicht der Fall. [...]

Aber auch danach wurde dem Betroffenen nicht umfassend Gelegenheit gegeben, zum Vortrag der Behörde zur Haft Stellung zu nehmen. Inhaltlich bezogen sich die Ausführungen des Betroffenen lediglich darauf, dass er die im Antrag/Beschluss genannte Person ist, welche Staatsangehörigkeit er hat und ob er über Italien nach Deutschland gekommen ist. Mit Blick auf die auch insoweit unzureichende Anhörung kann deshalb dahinstehen, ob der Verfahrensmangel mit einer verspäteten Anhörung vor Erlass eines die Haft - wie im Rahmen des hier ohnehin nicht anwendbaren § 115 Abs. 4 StPO - bloß aufrechterhaltenen Beschlusses jedenfalls für die Zukunft heilbar ist. [...]