BVerfG

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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 24.01.2018 - 2 BvR 2026/17 - asyl.net: M25919
https://www.asyl.net/rsdb/M25919
Leitsatz:

Ein Gehörsverstoß nach Art. 103 GG liegt vor, wenn das erstinstanzliche Gericht sich nicht ausreichend mit dem zentralen Vorbringen der antragstelenden Person auseinandersetzt, in Bulgarien drohe laut einem aktuellen obergerichtlichen Urteil international Schutzberechtigten eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, und stattdessen ausschließlich auf den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes Bezug nimmt, der sich mit der Situation international Schutzberechtigter aber nicht befasst.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Bulgarien, internationaler Schutz in EU-Staat, obergerichtliche Rechtsprechung, rechtliches Gehör, Drittstaatenregelung,
Normen: GG Art. 103 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Nach diesen Maßstäben verletzen die angegriffenen Beschlüsse das Recht des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG. Er hat sowohl mit seinem Eilantrag als auch mit seiner Anhörungsrüge auf die Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hingewiesen, nach der das Asylsystem Bulgariens insbesondere  hinsichtlich anerkannter Flüchtlinge an systemischen Mängeln leide. Da der Beschwerdeführer in Bulgarien als Flüchtling anerkannt worden ist, zählt dieser Hinweis auf die Würdigung der Lage anerkannt Schutzberechtigter in Bulgarien zum wesentlichen Kern seines Vorbringens. Die Frage, ob hinsichtlich Bulgariens angesichts der Situation anerkannt Schutzberechtigter ein Abschiebungsverbot besteht, war für das Verfahren des Beschwerdeführers auch von zentraler Bedeutung. Das Bundesamt hatte in dem angefochtenen Bescheid vom 19. Dezember 2016 im Asylfolgeverfahren eine erneute Abschiebungsandrohung erlassen, der eine erneute Prüfung von Abschiebungsverboten vorausgegangen ist. Diese neue Abschiebungsandrohung hatte das Verwaltungsgericht zum Gegenstand seiner Prüfung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu machen. Insoweit ist der Prüfungsmaßstab nicht aufgrund der verfahrensrechtlichen Konstellation des Asylfolgeantrags verändert. Im Rahmen der Interessenabwägung hatte das Verwaltungsgericht insbesondere unter Heranziehung aktueller Erkenntnisse zu berücksichtigen, ob - wie von dem Beschwerdeführer geltend gemacht - ein Abschiebungsverbot vorliegt, weil dem Beschwerdeführer als anerkanntem Flüchtling in Bulgarien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK drohe. Dies hat das Verwaltungsgericht unterlassen. Insbesondere hat sich der Einzelrichter - anders als in einem Beschluss vom 14. August 2017 in einem Verfahren eines in Bulgarien anerkannten Asylbewerbers - nicht mit dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. November 2016 im Hinblick auf systemische Mängel des bulgarischen Asylsystems befasst, auf das der Beschwerdeführer hingewiesen hat. In dem angegriffenen Beschluss vom 12. Juli 2017 nimmt das Verwaltungsgericht lediglich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug, der die Lage anerkannt Schutzberechtigter in Bulgarien nicht in die Prüfung eines Abschiebungsverbots einbezieht. Auch in dem Beschluss vom 7. August 2017, in dem das Verwaltungsgericht die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers zurückgewiesen hat, fehlt eine Würdigung des Vortrags des Beschwerdeführers zu der Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, nach der das Asylsystem Bulgariens insbesondere hinsichtlich bereits anerkannter Flüchtlinge unter systemischen Mängeln leidet. [...]