VGH Hessen

Merkliste
Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 21.11.2017 - 5 A 2126/16 - asyl.net: M25908
https://www.asyl.net/rsdb/M25908
Leitsatz:

Ausschluss der Einbürgerung wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen:

1. Es bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass die der Muslimbruderschaft ideologisch und organisatorisch nahestehenden Organisationen des Rates der Imame und Gelehrten (RIG) und die Islamische Gemeinschaft Deutschlands (IGD) gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verfolgen. 

2. Diese Organisationen weisen nicht etwa inhomogene Strömungen auf, die unter dem Aspekt der Verfassungsfeindlichkeit unterschiedlich betrachtet werden müssten.

3. Eine Unterstützungshandlung i.S.d. § 11 S. 1 Nr. 1 Alt. 1 StAG ist anzunehmen, wenn eine Person Vertreter der Organisationen zu öffentlichen Auftritten einlädt, in sozialen Netzwerken als Repräsentant bzw. Ansprechpartner der Organisationen auftritt und regelmäßig an Veranstaltungen und Seminaren der Organisationen teilnimmt. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Einbürgerung, freiheitliche demokratische Grundordnung, Muslimbruderschaft, RIG, IGD, Islamische Gemeinschaft Deutschlands, Ausschlussgrund, Unterstützung, tatsächliche Anhaltspunkte, Verfassungsfeindliche Bestrebungen, Rat der Imame und Gelehrten,
Normen: StAG § 11 Satz 1 Nr. 1 1. Alt., StAG § 11 Satz 1 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

Der Einbürgerung des Klägers steht der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1, 1. Alt. Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG - entgegen. [...]

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist zunächst festzustellen, dass der Kläger in Kontakt zu verfassungsfeindlichen Organisationen - der Islamischen Gemeinschaft Deutschland e.V. (IGD) und dem Rat der Imame und Gelehrten e.V. (RIG), der Muslimbrüderschaft (MB) in Deutschland - stand und offensichtlich noch steht. Nach den Verfassungsschutzberichten der Länder Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen ist die 1928 in Ägypten von Hassan al-Banna gegründete MB eine internationale Organisation, die bis heute von zentralen Elementen der Ideologie der Gründungsbewegung geprägt wird. Wesentlicher Bestandteil dieser Ideologie ist die Errichtung islamischer Herrschaftsordnungen auf der Grundlage von Koran und Sunna (Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2015, S. 188). [...] Mit einer legalistischen Strategie, d.h. ohne das Recht zu verletzen, wird versucht, ihrer Ideologie zur Akzeptanz in Teilen der Gesellschaft zu verhelfen. Dazu verhalten sie sich nach außen offen, tolerant und dialogbereit und streben eine Zusammenarbeit mit politischen Institutionen und Entscheidungsträgern an, um so Einfluss im öffentlichen Leben zu gewinnen (Verfassungsschutzbericht Bayern 2016, S. 41; Hessischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 110).

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts handelt es sich vor dem dargestellten Hintergrund bei diesen Organisationen auch nicht um inhomogene Organisationen, die verschiedene Strömungen aufweisen, die unter dem Aspekt der Verfassungsfeindlichkeit unterschiedlich zu bewerten sind. [...]

Vielmehr lässt sich aus den zitierten Verfassungsschutzberichten der Länder für die in Europa agierenden Strömungen der MB bzw. der ihr nahe stehenden Organisationen eine Doppelstrategie ableiten, deren wesentlicher Ansatzpunkt sich auf Angebote im Kinder- und Jugendbereich bezieht. Neben den dort vermittelten unpolitischen und lebenspraktischen Inhalten finden sich religiös-politische Einflussnahmen im Sinne der MB-Ideologie, so dass davon auszugehen ist, dass die islamistische Gottesstaat-Ideologie weitere Verbreitung findet (Hessischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 107 und 110). Da der Kläger den Inhalten der zitierten Verfassungsschutzberichte der Länder nicht substantiiert entgegengetreten ist und die Erkenntnisse auch nicht durch sonstige abweichende Informationen in Zweifel gezogen werden, bestehen zur Überzeugung des Gerichts hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass die auf deutschem Boden agierenden, der MB nahe stehenden Organisationen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verfolgen. Diese Bestrebungen hat der Kläger jedenfalls unterstützt. [...]

So hat der Kläger in seiner Funktion als Vorsitzender des Vereins Islamische Gemeinde ... e.V. ausweislich einer Teilübersetzung der arabischsprachigen Facebook-Seite am 1. November 2012 interessierte Besucher zu einer Vortragsveranstaltung des Referenten Scheich AC zum Thema "Grundlagen des zeitgenössischen Lebens in Koran und Sunna" eingeladen. Der Referent ist Mitglied des Vereinsvorstands (Geschäfts- und Schriftführer) des RIG, Imam des islamischen Zentrums Frankfurt (IZF) und Dozent am EIHW. Mit dieser Einladung hat der Kläger objektiv zur Verbreitung der verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Ideologie der MB nahe stehenden Organisationen beigetragen, dessen Mitglied der Referent ist. Des Weiteren muss sich der Kläger auch die Verbreitung von Stellungnahmen und Verlautbarungen auf dem Facebook-Profil des RIG in deutscher und arabischer Sprache als einbürgerungsfeindliche Handlung zurechnen lassen, die im Briefkopf eine Telefonnummer aufwiesen, die am 15. Mai 2015 dem Kläger zuzuordnen war, jedoch im Juli 2015 abgeschaltet wurde. Dies verdeutlicht, dass der Kläger - unabhängig von einer formellen Mitgliedschaft im RIG - bereit ist, als Repräsentant und Ansprechpartner des RIG öffentlich in Erscheinung zu treten. Dies rechtfertigt darüber hinaus die Annahme, dass er die Vorstellungen, Werte und Unternehmungen der Vereinigung teilt bzw. sich mit ihnen identifiziert. In dieses Bild passt auch die regelmäßige Teilnahme des Klägers an Veranstaltungen und Seminaren des RIG und einer Teilnahme an der Jahreskonferenz der IGD. [...]

Soweit man dem wiederholten, zuletzt in der mündlichen Verhandlung dargestellten Vortrag des Klägers Glauben schenkt, seine Aktivitäten im Zusammenhang mit dem RIG und der IGD seien allein auf seine religiöse Weiterbildung gerichtet, er respektiere die Rechtsordnung des Grundgesetzes, distanziere sich von Extremismus und Terror und er sei auch in keinerlei verfassungsfeindliche Organisationen eingebunden, lässt sich dies allenfalls als ein unbeachtlicher innerer Vorbehalt hinsichtlich der verfassungsfeindlichen Bestrebungen der von ihm unterstützten Organisationen qualifizieren (vgl. dazu Hailbronner/Hecker, a.a.O., § 11 Rn. 11). [...]

Vor diesem Hintergrund kommt auch eine glaubhafte Abwendung der Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht in Betracht. Denn ein solches Sich-Abwenden setzt eine Änderung der inneren Einstellung voraus, was wiederum voraussetzt, dass der Einbürgerungsbewerber jedenfalls einräumen muss oder zumindest nicht bestreiten darf, in der Vergangenheit Bestrebungen im vorgenannten Sinne unterstützt zu haben, und dass er derartige Unterstützungshandlungen, insbesondere deren Verfassungswidrigkeit nicht verharmlost oder bagatellisiert (BVerwG, Urteil vom 20. März 2012 - 5 C 1/11 -, BVerwGE 142, 132 = NVwZ 2012, 1254; Berlit in: GK-StAR, Stand: April 2017, § 11 StAG Rn. 152.3). [...]