Eine Verfolgung, die auf der clanübergreifenden Heirat eines einem Minderheitenclan Angehörigen beruht, knüpft an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe an und kann die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen (Rn.19).
(Amtlicher Leitsatz)
[...]
19 a) Die Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan in Somalia stellt sich als Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe dar. Nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten (lit. a)), und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (lit.b)).
20 aa) Wie sich aus den Erkenntnismitteln ergibt, haben Minderheitenclans in Somalia eine deutlich abgegrenzte Identität und werden als andersartig betrachtet. Angehörige eines Minderheitenclans erleiden in Somalia bereits allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu diesem schwere Diskriminierungen von Folter über Entführungen bis hin zu Tötungen (vgl. UNHCR, UNHCR Position On Returns To Southern And Central Somalia (Update I), Mai 2016, S. 9 f.; Home Office, United Kingdom, Country Policy and Information Note - Somalia: Majority clans and minority groups in south and central Somalia, Juni 2017, S. 26 f.). Mischehen, insbesondere zwischen Berufskasten und Mehrheitsclans, werden nicht akzeptiert. Damit sind Minderheiten von allen Formen der Unterstützung durch Clans oder von sozialem Aufstieg durch Eheschließung ausgeschlossen; ihnen wird häufig der Zugang zur Justiz verweigert. Nach dem Zusammenbruch des somalischen Staates im Jahr 1991 schwächte der wachsende Einfluss der Clans die Stellung von Minderheiten in der Gesellschaft, die darüber hinaus unverhältnismäßig unter den Kampftätigkeiten in ihren Regionen zu leiden hatten (EASO - Informationsbericht über das Herkunftsland - Süd- und Zentralsomalia – Länderüberblick – August 2014, S. 51 f.). Minderheiten als kleine und arme Gruppen sind in der Regel nicht in der Lage, ihre Rechte gegen einen Mehrheitsclan zu verteidigen und durchzusetzen (EASO, a.a.O., S. 53). Aufgrund ihrer Stellung im von Clanstrukturen geprägten Gesellschaftssystem Somalias sind die Angehörigen der Minderheitenclans im gesteigerten Maße gefährdet, zwischen die Fronten der bewaffneten Auseinandersetzungen zu geraten (zur gesteigerten Gefahr von Angehörigen der Minderheitenclans vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 07. April 2016 – 20 B 14.30101 –, juris Rn. 29 unter Hinweis auf EASO, Somalia Security Situation, S. 60).
21 Clan und Familie, einbezogen die weitere Familie, sind demzufolge nach wie vor die wichtigsten Faktoren bezüglich der Akzeptanz, der Sicherheit und dem Zugang zu Grundbedürfnissen wie Wohnung und Essen (Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: November 2016 – S. 16; vgl. zur Einordnung als soziale Gruppe auch VG Braunschweig, Urteil vom 07. April 2016 – 5 A 75/15 –, juris).
22 bb) Aus dem Vorgenannten ergibt sich auch, dass die Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan auf angeborenen Merkmalen beruht, da diese durch die familiäre Abstammung bestimmt wird. Ein sozialer Aufstieg ist auf Grund des Verbots von Mischehen nicht möglich (siehe soeben unter aa)).
23 b) Die dargelegten Verfolgungshandlungen, die die erforderliche Intensität gemäß § 3a AsylG erreichen, knüpfen auch an die Zugehörigkeit zu dieser sozialen Gruppe, und damit an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal, an, § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Die körperlichen Misshandlungen, die der Kläger durch die Familie/den Clan seiner Frau erlitten hat, resultieren – entgegen der Ansicht im Bescheid – aus dessen Clanzugehörigkeit. Zwar ist unmittelbarer Anknüpfungspunkt die vom Kläger mit einer zum Clan der Hawiye gehörenden Frau eingegangene Beziehung, jedoch wird diese Beziehung allein aufgrund der Zugehörigkeit des Klägers zum Clan der Madhiban missbilligt. Gehörte der Kläger einem Mehrheitsclan an, so wäre die Heirat vom Clan der Hawiye akzeptiert worden und der Kläger hätte ebenso wenig Misshandlungen erdulden müssen wie seine Partnerin (vgl. dazu ebenfalls VG Braunschweig a.a.O). [...]