VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 02.01.2018 - 3 A 4808/16 - asyl.net: M25889
https://www.asyl.net/rsdb/M25889
Leitsatz:

Wirksamkeit einer religiösen Eheschließung im Irak:

1. Eine Ehe kann im Irak rechtsgültig auch ohne staatliche Registrierung geschlossen werden.

2. Die grundsätzlich vorgeschriebene Registrierung durch das zuständige Gericht wirkt nur deklaratorisch.

3. Eine nach religiösem Ritus im Irak geschlossene Ehe wird im Irak staatlich anerkannt und ist damit auch vom Bundesamt als Ehe im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zu werten.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Familienflüchtlingsschutz, religiöse Eheschließung, Irak, Yeziden, Unwirksamkeit der Eheschließung, anwendbares Recht, Familienasyl, Wirksamkeit der Eheschließung,
Normen: EGBGB Art. 11 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, EGBGB Art. 11, EGBGB Art. 11 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, EGBGB § 13 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

20 Die Eheschließung ist auch wirksam im Sinne des § 26 AsylG. Die Klägerin hat nach ihren Angaben zwar lediglich wie bereits ausgeführt nach religiösem Ritus geheiratet und die Ehe nicht, wie es allgemein auch für von Yeziden geschlossene Ehen üblich ist, bei Gericht registrieren lassen. Dennoch steht dies einer staatlichen Anerkennung der Ehe durch den irakischen Staat nicht entgegen (zur staatlichen Anerkennung als maßgebliches Kriterium siehe Hailbronner, GK-AsylG, § 26 Rn. 46).

21 Grundsätzlich ist zwar eine nur nach religiösem Ritus mit Eheschließungswillen eingegangene Verbindung, die der Heimatstaat nicht anerkennt, keine Ehe im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. So sind die Vorschriften des Familienasyls beispielsweise auf die nach islamischem Ritus in der Türkei geschlossenen sogenannten "Imam-Ehen" nicht anwendbar, da diesen nach türkischem Recht die Rechtsgültigkeit fehlt (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2005 - 1 C 17.03 - juris m.w.N.). Die Ehe der Klägerin und ihres Mannes hingegen ist nach den maßgeblichen irakischen Rechtsvorschriften als im Irak rechtsgültig geschlossen anzusehen. Das Gericht hat insbesondere aufgrund des für das VG Sigmaringen erstellten Gutachtens des Max-Planck-Instituts vom 20. Oktober 2011 (im Folgenden: MPI), welches in das Verfahren eingeführt worden ist, die Überzeugung gewonnen, dass eine Ehe im Irak rechtsgültig auch ohne staatliche Registrierung geschlossen werden kann, da die grundsätzlich vorgeschriebene Registrierung durch das zuständige Gericht nur deklaratorisch wirkt, die Ehe mithin auch ohne Eintragung wirksam ist (vgl. Gutachten des MPI, Seite 6f.; ebenso VG Sigmaringen, Beschluss vom 5. Dezember 2011 - A 1 K 677/10 - BeckRS 2012, 51514).

22 Das MPI führt in seinem Gutachten aus, dass auch irakische Yeziden den Regelungen des Gesetzes über das Personalstatut (PSG, Gesetz Nr. 188 von 1959, zuletzt geändert durch die Änderungsgesetze Nr. 19/1999 und Nr. 22/1999; eine Fassung des PSG in deutscher Sprache findet sich in Bergmann/Ferid/Henrichs, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 110. Lieferung, Seite 10ff.) unterfallen (Gutachten, Seite 5). Nach Art. 3 PSG ist die Ehe ein zivilrechtlicher Vertrag zwischen einem Mann und einer Frau, durch den ein dauerhaftes eheliches Band erzeugt wird. Gemäß Art. 10 PSG muss jede Eheschließung bei der Registrierungsbehörde - dem zuständigen Gericht für Angelegenheiten des Personalstatuts - eingetragen werden. Diese Eintragung wirke nach den Ausführungen des MPI allerdings nur deklaratorisch, die Ehe sei auch ohne Eintragung wirksam (Gutachten, Seite 7). Für das irakische Recht sei mithin festzuhalten, dass Ehen ohne staatliche Mithilfe unter Hinzuziehung zweier Zeugen geschlossen werden könnten. Die Eintragung der Ehe sei zwar gesetzlich vorgeschrieben. Diese diene jedoch Beweiszwecken und zum Nachweis der Eheschließung, aber nicht ihrer eigentlichen Begründung. Dies ergebe sich aus Art. 10 Abs. 4 PSG, der der Registrierung ausdrücklich eine Beweisfunktion zuweise (Gutachten, Seite 7). Dieser Einschätzung schließt sich das Gericht an.

23 Diesem Ergebnis stehen die Ausführungen des BVerwG in dem genannten Urteil vom 22. Februar 2005 (a.a.O.) nicht entgegen. Zwar geht das BVerwG davon aus, dass Ehe im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nur eine bereits im Verfolgerstaat eingegangene und von diesem als Ehe anerkannte und registrierte Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau sei. Allerdings stellt auch das BVerwG maßgeblich auf die staatliche Anerkennung als Voraussetzung für eine nach Maßgabe der Vorschriften des Familienasyls wirksame Eheschließung ab, also die offizielle Betrachtung der Ehe als rechtsgültig. Diese ist hier - also für die religiös geschlossene Ehe der Klägerin - nach dem Ergebnis des Gutachtens des MPI bereits aufgrund der religiösen Trauung gegeben, weil es zwingende konstitutive Formvorschriften für die Begründung der Ehe eben gerade nicht gibt. Auf die zusätzliche (im Irak rein deklaratorische) Registrierung kommt es demnach zur Überzeugung des Gerichts wie bereits ausgeführt für die Annahme einer wirksamen Eheschließung nicht an (vgl. auch VG Trier, Gerichtsbescheid vom 4. März 2016 - 5 K 3320/15.TR - juris, Rn. 24f., welches für Somalia unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BVerwG ebenfalls die staatliche Anerkennung der Iman- Ehen als Grundvoraussetzung für eine wirksame Eheschließung ansieht, ohne aber eine förmliche Registrierung zu fordern).

24 Die Vorschriften über das irakische PSG, welche dem Gutachten des MPI zugrunde liegen, sind auch weiterhin in Kraft (vgl. hierzu den Nachweis im Vorlesungsmaterial der Universität Zürich zur Veranstaltung Introduction to Islamic and Middle Eastern Law von März 2017, www.rwi.uzh.ch/dam/jcr:63be7793- dc78-485c-b983-1a127128df3c/Personal%20Status%20Law%201%20Intro_Marriage%2 0FS%202017.pdf, Seite 7, abgerufen am 29. Dezember 2017). [...]