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LG Hannover

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Zitieren als:
LG Hannover, Beschluss vom 17.01.2018 - 8 T 4/18 - asyl.net: M25870
https://www.asyl.net/rsdb/M25870
Leitsatz:

Verstoß gegen Beschleunigungsgebot bei Dublin-Überstellung nach Italien:

1. Gewisse Verzögerungen, die mit der begleiteten Abschiebung verbunden sind, haben Betroffene hinzunehmen.

2. Abschiebungen nach Italien aber dürften kurzfristig realisierbar sein. Eine längerfristige Inhaftierung, die auf der Überlastung der für die Durchführung der Abschiebung zuständigen Behörden beruht, ist unrechtmäßig.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf BGH, Beschluss vom 16.02.2012 - V ZB 320/10 - asyl.net: M1949)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Haftdauer, Haftanordnung, Beschleunigungsgebot, Verhältnismäßigkeit, begleitete Abschiebung, Abschiebung,
Normen: FamFG § 58, AufenthG § 62 Abs. 3, FamFG § 417, GG Art. 104, GG Art. 2 Abs. 2 S. 2, EMRK Art. 5,
Auszüge:

[...]

7. Das Beschleunigungsgebot ist jedoch nicht gewahrt.

Gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat die Ausländerbehörde die Abschiebung mit der größtmöglichen Beschleunigung zu betreiben, damit die Haft auf eine möglichst kurze Zeit beschränkt bleibt (BGH, Beschl. v. 16.02.2012, V ZB320/10, juris, Rn. 14). Das Gebot verlangt, dass die Abschiebungshaft als Freiheitsentziehung i.S.v. Art. 2 Abs. 2 S. 2, Art. 104 GG und Art. 5 EMRK auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wird und die Ausländerbehörde die Abschiebung ohne unnötige Verzögerung betreibt (BGH, Beschl. v. 21.10.2016, V ZB 56/10, juris, Rn. 13).

Nach diesen Maßstäben ist das Beschleunigungsgebot nicht gewahrt.

a) Nicht zu beanstanden ist, dass die zuständigen Behörden eine begleitete Abschiebung für geboten erachtet haben. Gegen den Betroffenen wurden mehrere strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet, welche teilweise Gewaltdelikte wie Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zum Gegenstand haben. Gewisse, mit der Rückführung in Begleitung durch Polizeibeamte und dem durch die Ausländerbehörde an die Polizei zu richtenden Ersuchen zwangsläufig verbundene Verzögerungen hat der Betroffene hinzunehmen (vgl. BGH, Beschl. v. 16.02.2012, a.a.O., Rn. 15).

b) Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass eine frühere begleitete Abschiebung vor dem 28.02.2018 nicht durchführbar war. Es fehlt an ausreichenden Anknüpfungstatsachen.

Soweit die Behörde darauf verwiesen hat, Abschiebungen nach Italien benötigten derzeit einen Vorlauf von 10 bis 12 Wochen, da eine Vielzahl von Überstellungen nach Italien gemäß der Dublin-VO (Verordnung EU Nr. 604/2013, nachfolgend Dublin-III-VO) zu erfolgen habe und pro Flug jeweils nur eine geringe Zahl von Plätzen für abzuschiebende Personen gebucht werden könnten, ist dies nicht ausreichend. [...]

Die Verzögerung beruht danach wesentlich auf der Auslastung der für die Durchführung der Abschiebung zuständigen staatlichen Stellen, welche der Betroffene nicht hinzunehmen hat (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 16). Die Vielzahl von Abschiebungen, die mit Sicherheitsbegleitung durch die Polizei erfolgen sollen und mithin Personaleinsatz in größerem Umfang erforderlich machen, rechtfertigt die lange Haftdauer nicht. Zwar ist mit Rücksicht auf die Vielzahl von Flüchtlingen, die insbesondere in den letzten beiden Jahren (auch) über Italien in den Schengen-Raum und sodann vielfach nach Deutschland eingereist sind, grundsätzlich nachvollziehbar, dass viele Personen nunmehr abgeschoben werden sollen. Dass angesichts der guten Flugverbindungen zwischen Deutschland und Italien eine Abschiebung allein deshalb nicht zu einem früheren Zeitpunkt möglich ist, ergibt sich daraus jedoch nicht ohne Weiteres. Überdies hat die Beschwerdegegnerin auch das behauptete Missverhältnis zwischen der Vielzahl begleiteter Abschiebungen nach Italien und den zur Verfügung stehenden Flugplätzen auch nicht weiter dargetan. [...]