OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.12.2017 - 14 A 2644/17.A - asyl.net: M25858
https://www.asyl.net/rsdb/M25858
Leitsatz:

Abweisung des Berufungszulassungsantrags im Fall eines syrischen Wehrdienstverweigerers, da die im Antrag aufgeworfenen Fragen entweder nicht klärungsbedürftig oder klärungsfähig sind.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Syrien, Asylrelevanz, Militärdienst, Wehrdienstverweigerung, illegale Ausreise, Berufungszulassung, Berufungszulassungsantrag, Upgrade-Klage,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3b Abs. 2, AsylG § 3 Abs. 1, AsylG § 3a Abs. 2 Nr. 5, AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage:

Muss ein Kläger im Rahmen des § 3b Abs. 2 AsylG nachweisen, dass ihm vom syrischen Regime ein Merkmal zugeschrieben wird oder reicht die begründete Furcht aus, dass ihm ein solches Merkmal zugeschrieben wird?

ist nicht klärungsbedürftig, da sie auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts und der einschlägigen Rechtsprechung ohne Weiteres dahingehend beantwortet werden kann, dass für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die begründete Furcht des Ausländers, das heißt die beachtliche Wahrscheinlichkeit, ausreicht, dass sein Verfolger ihm ein solches Merkmal zuschreiben wird.

Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Nach § 3b Abs. 2 AsylG ist bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder der religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolgung zugeschrieben werden. Hieraus ergibt sich ohne Weiteres, dass für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die begründete Furcht des Ausländers, das heißt die beachtliche Wahrscheinlichkeit, ausreicht, dass der Verfolger dem Ausländer eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale zuschreiben wird. Die Worte "aus begründeter Furcht" in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG beziehen sich nicht nur auf die beiden nachfolgenden Worte "vor Verfolgung", sondern auch auf die weiter folgenden Worte "wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe". Dementsprechend gilt für die Feststellung der Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der einheitliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67 (73), Rdnr. 19). [...]

Die vom Kläger weiter aufgeworfenen Rechtsfragen:

Muss ein um Flüchtlingsschutz Nachsuchender im Anwendungsbereich des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG vortragen, dass sein eigener Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, wenn es sich bei den Kriegsverbrechen des Militärs nicht um Einzelfälle handelt?

und

Muss ein Reservist oder ein zum Wehrdienst Verpflichteter, der noch keinen Einberufungsbefehl erhalten hat, zusätzlich vortragen, dass seine eigene künftige Militäreinheit Kriegsverbrechen begehen wird, wenn es sich bei den begangenen Kriegsverbrechen des Militärs nicht um Einzelfälle gehandelt hat?

sind, soweit klärungsfähig, geklärt und im Übrigen nicht weiter klärungsfähig.

Nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG kann als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt gelten, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten die dort genannten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG. Damit ist klar, dass dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nur zuerkannt werden kann, wenn er begründet befürchten muss, das heißt die beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen wird, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen. Es muss plausibel sein, dass der Betroffene künftig während seines Militärdienstes Handlungen der genannten Art begehen oder sich jedenfalls in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müsste. Wann eine derartige Plausibilität besteht, ist eine Frage der Tatsachenwürdigung, die sich abstrakt nicht näher umschreiben lässt (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 - C-472/13 -, NVwZ 2015, 575 (577), Rdnr. 38 - 40).

Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht nicht festgestellt, dass es sich bei den Kriegsverbrechen des syrischen Militärs nicht nur um Einzelfälle handelt. Daher steht auch nicht fest, dass sich die von den Klägern aufgeworfenen Fragen in einem Berufungsverfahren überhaupt stellen würden. Die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Fragen muss aber feststehen. Sinn und Zweck der Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung einer Rechtsfrage ist es, zu einer Weiterentwicklung und einheitlichen Anwendung des Rechts beizutragen. Diesen Zweck kann die Zulassung der Berufung nicht erfüllen, wenn nicht feststeht, dass die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage in dem angestrebten Berufungsverfahren überhaupt geklärt werden kann. Hingegen ist es nicht Sinn und Zweck der Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung, im Berufungsverfahren erst die Grundlage zu erarbeiten, auf der sich eine grundsätzlich bedeutsame und klärungsbedürftige Frage vielleicht stellen könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 2011 - 6 B 37.10 -, NVwZ 2011, 507 (509), Rdnr. 11 (für das Revisionsverfahren)).

Die vom Kläger weiter aufgeworfene Rechtsfrage:

Ist es für das Tatbestandsmerkmal der "Verweigerung des Militärdienstes" gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG erforderlich, dass die Verweigerung förmlich erklärt wird, wenn es keine Möglichkeit eines Wehrersatzdienstes gibt, oder reicht in diesem Fall die Entziehung durch Flucht aus?

ist nicht klärungsbedürftig, da sie geklärt ist. Der Begriff der Wehrdienstverweigerung erfordert mehr als die bloße Nichterfüllung des Wehrdienstes durch Flucht, sondern die Versagung der Abschlagung des Verlangens nach Erfüllung des Wehrdienstes, also die explizite Ablehnung des Wehrdienstes (vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Nachdruck von 1984 der Erstausgabe von 1956, Bd. 25, Sp. 2173, Stichwort: Verweigerung). [...]

Die vom Kläger weiter aufgeworfene Rechtsfrage:

Ist in den Fällen, in denen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG vorliegen, zusätzlich ein Verfolgungsgrund gemäß § 3b AsylG zu prüfen?

ist nicht klärungsbedürftig, da sie sich aus dem Gesetz beantwortet. Nach § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in Verbindung mit den in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen, mithin auch im Fall des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG.

Schließlich ist die vom Kläger zuletzt aufgeworfene Rechtsfrage:

Reicht es für die Zuschreibung eines politischen Merkmals an eine gesamte Gruppe - hier Wehrdienstentzieher - im Rahmen der Auslegung des § 3b Abs. 2 AsylG aus, dass diese Gruppe objektiv gezielt wegen der Gruppenzugehörigkeit Verfolgungshandlungen mit der Behauptung einer oppositionellen Gesinnung ausgesetzt wird, oder ist es zusätzlich erforderlich, dass der Verfolger auch subjektiv dem Verfolgten diese Merkmale zuschreibt?

nicht klärungsbedürftig, da sie geklärt ist. Bei der Beantwortung der Frage, ob die Verfolgung "wegen" der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgt, kommt es nicht auf die subjektiven Motive des Verfolgenden, sondern auf die objektive Gerichtetheit der Maßnahme an (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 2006 - 1 B 9.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 18 Rdnr. 5). [...]