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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 25.10.2017 - 1 C 30.16 - asyl.net: M25826
https://www.asyl.net/rsdb/M25826
Leitsatz:

Kein Erwerb der Staatsangehörigkeit durch "schwache" Auslandsadoption:

1. Für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch eine Auslandsadoption ist es nach § 6 StAG notwendig, dass diese auch in Deutschland wirksam und einer Adoption nach deutschem Recht wesensgleich ist.

2. Die Adoption eines minderjährigen Kindes im Ausland durch deutsche Staatsangehörige führt für das Kind in aller Regel nur dann zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit, wenn die Auslandsadoption auch zum Erlöschen des Eltern-Kind-Verhältnisses zu den leiblichen Eltern führt.

3. Bei der Beurteilung der Wesensgleichheit einer Auslandsadoption kommt es nicht darauf an, ob im konkreten Fall ein oder beide leiblichen Elternteile verstorben oder verschollen sind, sondern es bedarf es einer abstrakten Betrachtung. Denn im Staatsangehörigkeitsrecht ist das Gebot der Rechtssicherheit von so wesentlicher Bedeutung, dass klare abstrakte Kriterien für die rechtliche Gleichwertigkeit der Adoptionswirkungen und damit den Staatsangehörigkeitserwerb geboten sind.

(Leitsätze der Redaktion, siehe auch Pressemitteilung des BVerwG Nr. 71/2017 vom 25.10.2017)

Schlagwörter: Adoption, deutsche Staatsangehörigkeit, Erwerb der Staatsangehörigkeit, Auslandsadoption, schwache Adoption, Demokratische Republik Kongo, Volljährigkeit, Haager Adoptionsabkommen, Unterhaltsansprüche, Adoptionswirkungen, Einbürgerung, leibliche Eltern, Verwandtenadoption, Rechtssicherheit, abstrakte Betrachtung, konkrete Betrachtung, Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeitsausweis, Volladoption, Wirkungsgleichheit,
Normen: StAG § 30 Abs. 1 S. 1, StAG § 30 Abs. 3 Satz 1, AdWirkG § 2, StAG § 6 Abs. 1, AdWirkG § 3 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Nach § 6 Satz 1 StAG erwirbt eine Person, die im Zeitpunkt des Annahmeantrags das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, mit der nach den deutschen Gesetzen wirksamen Annahme als Kind durch einen Deutschen die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Senat legt das Tatbestandsmerkmal der "nach den deutschen Gesetzen wirksamen Annahme als Kind" dahin aus, dass eine im Ausland vollzogene Adoption in Deutschland wirksam sein und in den für den Erwerb der Staatsangehörigkeit wesentlichen Wirkungen einer Minderjährigenadoption nach deutschem Recht gleichstehen muss.

1. Ausländische Adoptionen können in Deutschland nur Rechtswirkungen entfalten, wenn sie als im Inland wirksam anerkannt werden. Die Anerkennung erfolgt dabei grundsätzlich ipso iure. Über sie entscheidet jedes deutsche Gericht und jede Behörde inzident in dem Verfahren, in dem es auf die Wirksamkeit der ausländischen Adoption ankommt, so auch im Verfahren nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (vgl. Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 3. Auflage 2016, § 14 Rn. 69). Das deutsche Recht macht die Anerkennung von ausländischen Adoptionsentscheidungen daher - anders als die Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen in § 107 FamFG - nicht von einer allgemeinverbindlichen Feststellungsentscheidung abhängig. Vielmehr geht § 108 Abs. 1 FamFG grundsätzlich von der Anerkennungsfähigkeit der Adoptionsentscheidungen aus, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Die Anerkennung nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG ist indes ausgeschlossen, wenn sie zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung gegen Grundrechte verstößt. [...]

1.2 Die Auslandsadoption der Klägerin vom Mai 2006 ist in Deutschland familienrechtlich wirksam, weil das Amtsgericht Stuttgart dies durch Beschluss vom 31. Oktober 2008 nach § 2 AdWirkG rechtskräftig festgestellt hat. Zugleich steht aufgrund der amtsgerichtlichen Entscheidung fest, dass das Eltern-Kind-Verhältnis der Klägerin zu ihren verstorbenen leiblichen Eltern durch die Annahme nicht erloschen ist (§ 2 Abs. 1 AdWirkG) und das Annahmeverhältnis in Ansehung der elterlichen Sorge und der Unterhaltspflicht einem nach den deutschen Sachvorschriften begründeten Annahmeverhältnis gleichsteht (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AdWirkG). Diese Feststellungen wirken nach § 4 Abs. 2 Satz 1 AdWirkG für und gegen alle, sind also auch für das staatsangehörigkeitsrechtliche Verfahren nach § 6 StAG verbindlich (BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 2007 - 5 B 4.07 - FamRZ 2007, 1550 Rn. 7).

2. Die familienrechtlich wirksame Adoption der Klägerin steht jedoch in den für den Erwerb der Staatsangehörigkeit wesentlichen Wirkungen einer Minderjährigenadoption nach deutschem Recht nicht gleich. Daher fehlt es an einer Voraussetzung des § 6 Satz 1 StAG.

2.1 Das Erfordernis der Wirkungsgleichheit einer Auslandsadoption mit einer Minderjährigenadoption nach deutschem Recht ergibt sich zwar nicht eindeutig aus dem Wortlaut des § 6 StAG, wohl aber aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift unter Berücksichtigung des historischen Willens des Gesetzgebers. [...]

2.2 Von zentraler Bedeutung für die Wirkungsgleichheit einer Auslandsadoption mit einer Minderjährigenadoption nach deutschem Recht ist, dass das Eltern- Kind-Verhältnis des Adoptierten zu seinen leiblichen Eltern erlischt (§ 1755 BGB). Diese Rechtsfolge hat selbst eine Verwandtenadoption nach § 1756 Abs. 1 BGB, bei der die übrigen Verwandtschaftsverhältnisse bestehen bleiben. Erlischt das Eltern-Kind-Verhältnis zu den leiblichen Eltern bei einer Auslandsadoption nicht, scheidet ein Staatsangehörigkeitserwerb nach § 6 Satz 1 StAG in aller Regel aus. Das fehlende Erlöschen steht der Wirkungsgleichheit einer "schwachen Adoption" entgegen, bei der ein verwandtschaftliches Verhältnis zu den leiblichen Eltern fortbesteht. Die Kappung der Bande zu den leiblichen Eltern ist von zentraler Bedeutung für die Integration des Kindes in die neue Familie. Keine derart zentrale Bedeutung kommt hingegen dem Fortbestehen bestimmter unterhalts- und erbrechtlicher Bindungen zu. Sie sind allerdings mit in eine Gesamtabwägung bei der Beurteilung der für den Staatsangehörigkeitserwerb maßgeblichen Voraussetzung einzustellen, ob die Auslandsadoption mit einer Minderjährigenadoption nach deutschem Recht weitgehend wirkungsgleich ist.

2.3 Bei der Beurteilung der Wesensgleichheit einer Auslandsadoption bedarf es einer abstrakten Betrachtung, die die Rechtswirkungen nach dem ausländischen Recht denen nach deutschem Recht gegenüberstellt und nicht danach differenziert, ob im konkreten Fall die leiblichen Eltern noch leben oder - wie hier - bereits verstorben sind. Im Staatsangehörigkeitsrecht ist das Gebot der Rechtssicherheit von so erheblicher Bedeutung, dass klare abstrakte Kriterien für die rechtliche Gleichwertigkeit der Adoptionswirkungen und damit den Staatsangehörigkeitserwerb geboten sind. Das gilt in besonderer Weise für den Staatsangehörigkeitserwerb kraft Gesetzes. Das Gebot der Rechtssicherheit hat aufgrund der verfassungsrechtlichen Wertung in Art. 16 Abs. 1 GG besonderes Gewicht bei den Verlusttatbeständen nach § 17 StAG, ist aber auch bei der Auslegung der Tatbestände zu beachten, die einen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes bewirken (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 42; BVerwG, Urteile vom 19. Februar 2015 - 1 C 17.14 - BVerwGE 151, 245 Rn. 26 und vom 26. April 2016 - 1 C 9.15 - BVerwGE 155, 47 Rn. 25). [...]