BGH

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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 29.06.2017 - V ZB 40/16 - asyl.net: M25767
https://www.asyl.net/rsdb/M25767
Leitsatz:

Zur Ermittlungspflicht des haftanordnenden Gerichts bei fehlender Befristung der Einreisesperre:

1. Die Haftanordnung kann auch ergehen, wenn eine Einreisesperre nicht befristet wurde, wenn sichergestellt ist, dass die Befristung so rechtzeitig vor der beabsichtigten Abschiebung ergeht, dass die betroffene Person noch in Deutschland Rechtsschutz hiergegen erlangen kann (unter Bezug auf BGH, Beschluss vom 16.09.2015 - V ZB 194/14 - asyl.net: M23347).

2. Bei Haftanordnung hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen nur dann zu ermitteln, ob die Befristung des Einreiseverbots von den Behörden rechtzeitig erlassen werden kann, wenn diese die Befristung erwägen, die betroffene Person auf eine Befristung dringt oder sie aus einem anderen Grund zu erwarten ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Einreisesperre, Einreiseverbot, Befristung, Haftanordnung, Ermittlungspflicht, Sachaufklärungspflicht, Untersuchungsgrundsatz, Sicherungshaft, Ausweisung, Abschiebung, gerichtliche Überprüfung, Ausreisepflicht,
Normen: AufenthG § 11, AufenthG § 11 Abs. 2, AufenthG § 62 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, AufenthG § 62 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5, RL 2008/115/EG Art. 11 Abs. 2, FamFG § 26,
Auszüge:

[...]

bb) Entgegen der Ansicht des Betroffenen musste sich das Beschwerdegericht bei seiner Prognose nicht mit der Frage einer Befristung des unbefristeten Einreiseverbots befassen, das die Ausweisungsverfügung vom 17. Januar 2006 ausgelöst hat.

(1) Richtig ist der Ausgangspunkt des Betroffenen. Nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG (vom 16. Dezember 2008, ABl. EG Nr. L 348 S. 98 - sog. Rückführungsrichtlinie) darf ein Einreiseverbot im Regelfall nicht länger als 5 Jahre dauern. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gilt diese Regel auch für Einreiseverbote aufgrund von Verfügungen, die - wie die genannte Ausweisungsverfügung gegen den Betroffenen - vor dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der genannten Vorschrift der Richtlinie am 24. Dezember 2010 erlassen worden sind. Auch ist danach die Befristung nicht nur auf Antrag, sondern von Amts wegen vorzunehmen (EuGH, Urteil vom 19. September 2013, Filev und Osmani, C-297/12, EU:C:2013:569 Rn. 34, 45). Die Entscheidung muss so frühzeitig ergehen, dass der Betroffene noch in Deutschland Rechtsschutz hiergegen organisieren kann (Nachweise bei Senat, Beschluss vom 16. September 2015 - V ZB 194/14, FGPrax 2016, 33 Rn. 5).

(2) Das bedeutet aber weder, dass Abschiebungshaft nur angeordnet werden dürfte, wenn ein unbefristetes Einreiseverbot aus einer altrechtlichen Ausweisung oder Abschiebung befristet worden ist, noch, dass der Haftrichter in jedem Fall zu prüfen hätte, ob die beteiligten Behörden ihren geschilderten ausländerrechtlichen Pflichten nachkommen. Das ist in erster Linie Aufgabe der Aufsichtsbehörden und, wenn der Betroffene um Rechtsschutz nachsucht, Aufgabe der Verwaltungsgerichte. Im Abschiebungshaftverfahren ist dagegen nur zu prüfen, ob Maßnahmen zur Befristung unbefristeter Einreiseverbote oder ihr Fehlen ein Abschiebungshindernis erwarten lassen (vgl. Senat, Beschluss vom 16. September 2015 - V ZB 194/14, FGPrax 2016, 33 Rn. 9). Im Rahmen der amtswegigen Aufklärung des Sachverhalts gemäß § 26 FamFG sind Nachforschungen, ob der rechtzeitige Erlass einer Befristungsentscheidung sichergestellt ist, nur veranlasst, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die zuständigen Stellen die Befristung des Einreiseverbots erwägen oder der Betroffene auf eine solche Befristung dringt. Bleibt die Behörde, die das unbefristete Einreiseverbot befristen müsste, untätig, hat der Haftrichter Veranlassung zu weiteren Nachforschungen nur, wenn sich der Betroffene bei den (Aufsichts-)Behörden oder den Verwaltungsgerichten um eine Befristung bemüht oder entsprechende Maßnahmen aus einem anderen Grund zu erwarten sind. Fehlt es daran, muss der Haftrichter diesen Gesichtspunkt nicht in seine Prognose einbeziehen. [...]