Bei Ablauf der Überstellungsfrist zur Dublin-Familienzusammenführung hat Deutschland sein Selbsteintrittsrecht auszuüben:
1. Einstweilige Anordnung: Das BAMF hat sich bei drohendem Ablauf der Dublin-Überstellungsfrist zur Familienzusammenführung über das Fristende hinaus für den minderjährigen Bruder eines in Deutschland anerkannten Flüchtlings für zuständig zu erklären.
2. Der Anspruch ergibt sich aus Art. 6 und 8 Abs. 1 Dublin-III-VO und dem Vorrang des Kindeswohls und des Familienlebens, wenn das BAMF für minderjährige Asylsuchende zum Zweck des Familiennachzugs bereits seine Zuständigkeit erklärt hat (unter Bezug auf VG Wiesbaden, Beschluss vom 15.09.2017 - 6 L 4438/17.WI - asyl.net: M25517, Asylmagazin 10-11/2017).
3. Darüber hinaus wird das BAMF nicht (etwa zur fristgerechten Überstellung) verpflichtet, da Griechenland für die Überstellung zuständig ist und davon ausgegangen wird, dass das BAMF nunmehr alles daran setzen wird die Überstellung des Minderjährigen zu erreichen.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er hat einen Anspruch darauf, dass Deutschland sich für die Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes des Bruders des Antragstellers, Herrn ..., über den 26. Oktober 2017 hinaus für zuständig erklärt. Der Anordnungsgrund ergibt sich aus dem drohenden Übergang dieser Zuständigkeit von Deutschland auf Griechenland.
Es besteht derzeit eine Zuständigkeit Deutschlands für die Prüfung dieses Antrags nach Art. 8 Abs. 1 Dublin III-Verordnung. [...] Das Bundesamt hat deshalb dem Aufnahmegesuch für den Bruder des Antragstellers am 26. April 2017 gegenüber der griechischen Dublin-Einheit zugestimmt.
Rechtsfolge dieser Verpflichtung ist nach Art. 18 Abs. 1 Buchstabe a Dublin III-Verordnung, dass Deutschland als nach der Dublin III-Verordnung zuständiger Mitgliedstaat verpflichtet ist, einen Antragsteller (hier: Bruder des Antragstellers), der in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Griechenland) einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen. Deutschland hat dem Aufnahmegesuch Griechenlands zugestimmt (Art. 21, 22 Dublin III-Verordnung). Nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-Verordnung erfolgt die Überstellung des Antragstellers (...) aus dem ersuchenden Mitgliedstaat (hier: Griechenland) in den zuständigen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) (...), sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat. Nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung gilt indes: Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme (...) der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über.
Nach diesen Maßgaben geht die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz am 26. Oktober 2017 auf Griechenland als den ersuchenden Mitgliedstaat über. Nach dem klaren Wortlaut der Verordnung ist es unerheblich, ob eine Überstellung des Bruders des Antragstellers auch noch nach Ablauf dieser Frist erfolgen kann, wie dies das Bundesamt in seiner Stellungnahme vorträgt. Das Bundesamt sah sich nicht veranlasst, die gerichtlichen Anfragen nach einer Ausübung des Selbsteintrittsrechts, hier insbesondere nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-Verordnung, zu beantworten. Vor diesem Hintergrund war zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, sich für die Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes des Bruders des Antragstellers über den 26. Oktober 2017 hinaus für zuständig zu erklären, erforderlich.
Der Anspruch ergibt sich materiell-rechtlich aus Art. 8 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung. Diese Norm der Dublin- III-Verordnung ist dahingehend auszulegen, dass jedenfalls in einer Fallgestaltung wie der vorliegenden, in der das Bundesamt der Aufnahme eines minderjährigen Antragstellers zum Zwecke der Familienzusammenführung zu einem sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Familienmitglied zugestimmt hat, das Bundesamt sich nicht auf einen Ablauf der Überstellungsfrist berufen kann, sondern sich über diese Frist hinaus seine Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz erklären muss. Dies ergibt sich aus Sinn und Zweck der Dublin III-Verordnung: [...]
Diese Erwägungen werden konkretisiert durch Art. 6 Dublin III-Verordnung, der Garantien für Minderjährige enthält und das Wohl des Kindes in allen Verfahren nach der Dublin III-Verordnung als vorrangige Erwägung vorgibt.
Das Bundesamt wird nunmehr innerhalb der gesetzten Frist bis zum 15. November 2017 gegenüber dem Gericht eine Erklärung über die fortbestehende Zuständigkeit Deutschlands für die Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes des Bruders des Antragstellers, Herrn ..., über den 26. Oktober 2017 hinaus abzugeben haben. [...]
Das Gericht sieht von einer weitergehenden Verpflichtung des Bundesamtes zur Hinwirkung auf die Überstellung des Bruders des Antragstellers ab. Hierfür sind folgende Erwägungen maßgeblich: Zum einen dürften die griechischen Behörden für die Organisation der Überstellung des Bruders des Antragstellers und die Ausstellung der erforderlichen Dokumente zuständig sein. Zum anderen geht das Gericht davon aus, dass das Bundesamt angesichts der fortbestehenden Zuständigkeit und zur Sicherung des Kindeswohls nach der Dublin III-Verordnung nunmehr alles daran setzen wird, in Absprache mit den griechischen Behörden eine Überstellung des Bruders des Antragstellers zu erreichen. Hierfür könnte es sich anbieten, die Kontakte und Unterstützung der deutschen Liaisonbeamtin in Griechenland zu nutzen. Auch ist zu berücksichtigen, dass der minderjährige Bruder des Antragstellers hier Aufnahme und Unterstützung bei seinem Bruder finden wird, mithin die deutschen Behörden keine Unterkunft organisieren müssen. [...]