VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 09.08.2017 - 6 K 808/17.WI.A - asyl.net: M25523
https://www.asyl.net/rsdb/M25523
Leitsatz:

[Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aktenführung gilt auch für elektronische Akten:]

1. Werden Schriftsätze und Dokumente eingescannt, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sicherzustellen, dass eine Übereinstimmung zwischen Papierdokument und Originaldokument sichergestellt ist. Hierbei sind die vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) entwickelten Anforderungen technischer und organisatorischer Art an Scanprozesse zu beachten.

2. Unabhängig davon, ob die Akte manuell oder elektronisch geführt wird, ist sicherzustellen, dass die Akten vollständig und wahrheitsgetreu geführt werden und vollständig gem. § 99 VwGO dem Gericht vorgelegt werden.

3. Bei der sogenannten elektronischen Bundesamtsakte, die regelmäßig dem Gericht vorgelegt wird, handelt es sich nicht um die "Akte" i.S.v. § 99 Abs. 1 VwGO.

Das elektronische System Maris verfügt über weitergehende und damit mehr Daten, als die, die dem Gericht vorgelegt werden. Diese sind u. a. Verknüpfungen zu Familienangehörigen unter anderen Bundesamtsaktenzeichen, Hinweise auf frühere Verfahren mit den dortigen Aktenzeichen, aber auch Freitextfelder, in denen der jeweilige Sachbearbeiter Informationen eintragen kann und sei dies nur eine Wiedervorlagefrist oder ein Hinweis für das AVS. Darüber hinaus enthält das Maris-System aber auch Informationen des Anhörers zur Glaubhaftigkeit des Vortrages, welche in Freitextfelder eingetragen werden können.

4. Eingehende Dokumente gelangen erst mit Auflösung der Maris-Postmappe in die eigentliche elektronische Bundesamtsakte. Damit stehen diese Unterlagen dem Einzelentscheider zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht zur Verfügung, ohne dass dies kenntlich gemacht ist.

5. Eine Überprüfung auf Aktenvollständigkeit ist dem Gericht regelmäßig nicht möglich, da das Bundesamt die Herausgabe der Meta-Daten einer jeden Akte, wie der Unterlagen, die sich bei der "Erstellung" der elektronischen Akte zum Versand an das Gericht noch in Maris-Postmappen, dem EGVP usw. befinden, technisch verhindert.

(Amtliche Leitsätze, vgl. auch VG Wiesbaden, Urteil vom 07.04.2017 - 6 K 280/17.WI.A - asyl.net: M25371)

Schlagwörter: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, elektronische Akte, ordnungsgemäße Aktenführung,
Normen: VwGO § 99,
Auszüge:

[...]

Werden Schriftsätze und Dokumente eingescannt, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sicherzustellen, dass eine Übereinstimmung zwischen Papierdokument und Originaldokument sichergestellt ist. Hierbei sind die vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) entwickelten Anforderungen der technischen organisatorischen Art als Scanprozesse zu beachten (vgl. BSI, Technische Richtlinie 03138 "Ersetzendes Scannen", Stand: 02.03.2017, nebst sämtlicher dazugehöriger Anlagen - https://www.bsi.bund.de/DE/Publikationen/TechnischeRichtlinien/tr03138/index_htm.html).

Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein eingescanntes Dokument, das in elektronischer Form vorliegt, im Unterschied zu Papierdokumenten keine Urkunde ist, da es nicht in verkörperter Form vorliegt und auch ohne technische Hilfsmittel nicht lesbar ist. Insoweit fordern die technischen Richtlinien des BSI zum Ersetzenden Scannen von der scannenden Person eine qualifizierte Signatur.

Eine qualifizierte Signatur liegt vorliegend nicht vor. Im Gegenteil, der Vermerk vom 20.01.2017 (Bl. 109 BA) vermerkt (wohl in die Zukunft vorausschauend), dass drei Tage später, am 23.01.2017 eine Abgabe zur Post erfolgte, jedoch nicht, dass eine Zustellung per Zustellungsurkunde (ZU) erfolgen soll oder gar erfolgt ist.

Selbst wenn eine Originalzustellungsurkunde beim Bundesamt noch vorliegen würde, wurde diese zur mündlichen Verhandlung nicht vorgelegt. Bereits insoweit wurde keine ordnungsgemäße Akte gem. § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgelegt (dazu unten mehr). Dies wäre nur der Fall gewesen, wenn die sog. Dokumentenmappe mit der ZU im Original vorgelegt worden wäre. [...]

Zunächst ist festzustellen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seiner Vorlagepflicht der Behördenakte gem. § 99 Abs. 1 VwGO bereits insoweit nicht nachgekommen war, als bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 10.04.2017 schier gar nichts vorgelegt worden ist. Insoweit verhielt sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in offensichtlicher Weise rechtswidrig (so schon VG Wiesbaden, Urteil vom 07.04.2017, Az.: 6 K 429/17.WI.A).

Soweit dann im weiteren Verfahren die sogenannte elektronische Bundesamtsakte dem Gericht vorgelegt worden ist, wurde in der mündlichen Verhandlung nach Anhörung der Prozessvertreter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge mehr als deutlich herausgearbeitet, dass es sich vorliegend nicht um die "Akte" i.S.v. § 99 Abs. 1 VwGO handelt. [...]

Insoweit ist die Behörde verpflichtet, ihre Akte vollständig und wahrheitsgetreu zu führen (Grundmann/Greve, a.a.O. m.w.N.; VG Wiesbaden, Urteil vom 28.12.2016, Az.: 6 K 332/16.WI; Urteil vom 07.04.2017, Az.: 6 K 429/17.WI.A). Dies bedeutet, dass die Behörde, gleich, ob die Akte manuell oder elektronisch geführt wird, sicherzustellen hat, dass die Akten vollständig und wahrheitsgetreu geführt werden und vollständig gem. § 99 VwGO dem Gericht vorgelegt werden.

Diesem Anforderungsprofil kommt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht nach. Bei der vorgelegten so genannten elektronischen Bundesamtsakte handelt es sich vielmehr um eine Ansammlung von Scans und eingepflegten Dokumenten. Dabei ist bereits auffällig, dass als Asylantragstellungsdatum der 09.09.2016 aufgenommen wurde, obwohl das Bundesamt den Kläger bereits am 21.01.2016 erfasste und ihm einen Fragebogen zum Ausfüllen aushändige, das Ergebnis jedoch lediglich einscannte, ohne dieses weiter zur Kenntnis zu nehmen.

So ist die vom Bundesamt vorgenommene Differenzierung zwischen Asylsuchendem und Asylbewerber (Antragsteller), herrührend von der mangelnden Schärfe des Gesetzgebers im Asylgesetz, nicht europarechtskonform. Denn Art. 20 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. EU L 180 vom 29.06.2013, S. 31; VO 604/2013), ist dahin auszulegen, dass ein Antrag auf internationalen Schutz als gestellt gilt, wenn der mit der Durchführung der sich aus dieser Verordnung ergebenden Verpflichtung betrauten Behörde ein Schriftstück zugegangen ist, das von der Behörde erstellt wurde und bescheinigt, dass ein Drittstaatsangehöriger um internationalen Schutz ersucht hat und, ggf., wenn ihr nur die wichtigsten in einem solchen Schriftstück enthaltenen Informationen, nicht aber das Schriftstück oder eine Kopie davon zugegangen sind (EuGH, Urteil vom 26.07.2017, Az.: C 670/16).

Art. 20 VO 604/2014 lautet:

(2) Ein Antrag auf internationalen Schutz gilt als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Bei einem nicht in schriftlicher Form gestellten Antrag sollte die Frist zwischen der Abgabe der Willenserklärung und der Erstellung eines Protokolls so kurz wie möglich sein. Mithin ist das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufgenommene Datum 09.09.2016 (Bl. 22 BA), zu dem der Asylantrag gestellt worden sein soll, schlicht falsch. Richtig wäre der 21.01.2016 als Datum der Antragstellung. Die spätere Datumsaufnahme durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dient lediglich dazu, die Statistik über Verfahrenslaufzeiten beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu schönen (siehe Sachverständiger Schild, Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Registrierung und des Datenaustausches zu aufenthalts– und asylrechtlichen Zwecken (Datenaustauschverbesserungsgesetz) – BT–Drucksache 18/7043;  Ausschussdrucksache A–Drs. 18 (4) 472 B).

Die elektronische Bundesamtsakte ist auch nicht nur der Ausdruck bzw. die Zusammenstellung der PDF-Dokumente, die vorgelegt wurden. Die elektronische Bundesamtsakte stellt vielmehr das gesamte Verfahren "Maris" dar, ergänzt durch das Dublin–Verfahren.

Das elektronische Verfahren Maris zeichnet sich dadurch aus, dass eingescannte oder elektronisch erstellte Dokumente unter einem Aktenzeichen zusammengeführt werden, jedoch auch, dass das Verfahren auch sogenannte Meta–Daten aufweist. Diese sind, wie die Vertreter des beklagten Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in der mündlichen Verhandlung bestätigten, Daten, welche gerade nicht in der als PDF oder in ausgedruckter Form an das Gericht gesandte sogenannte elektronische Akte enthalten sind.

Das elektronische System Maris verfügt vielmehr über weitergehende und damit mehr Daten. Diese sind u. a. Verknüpfungen zu Familienangehörigen unter anderen Bundesamtsaktenzeichen, Hinweise auf frühere Verfahren mit den dortigen Aktenzeichen, aber auch Freitextfelder, in denen der jeweilige Sachbearbeiter Informationen eintragen kann und sei dies nur eine Wiedervorlagefrist oder ein Hinweis für das AVS. Darüber hinaus aber auch Informationen des Anhörers zu Glaubhaftigkeit des Vortrages, welche in Freitestfelder eingetragen werden können.

Soweit die Beklagte der Auffassung ist, dass man bei einer papiergeführten Behördenakte eine Chronologie nur aufgrund der Abheftung erkennen könne, ergibt sich eine solche Chronologie jedenfalls nicht aus der so genannten elektronischen Bundesamtsakte. Denn zu der sogenannten elektronischen Akte gelangen eingescannte und elektronisch erzeugte Dokumente erst, wenn die sogenannte Maris–Postmappe von dem jeweiligen Sachbearbeiter aufgelöst wird. Dies bedeutet im Verfahrensablauf, dass eingehende Dokumente, wie vorliegend von dem Kläger übersandt, erst zu einem Zeitpunkt in die eigentliche elektronische Bundesamtsakte gelangen, wenn die Maris-Postmappe aufgelöst wird.

Vorliegend hatte der Kläger die von dem Anhörer geforderten Unterlagen tatsächlich an das Bundesamt gesandt. Das Absendedatum ist mangels eingescannten Briefumschlags unbekannt. Eingegangen sind die Unterlagen jedoch am 04.01.2017. Tatsächlich befinden sich die Unterlagen in der elektronischen Bundesamtsakte erst hinter dem von der Einzelentscheiderin gefertigten und von ihr unterschriebenen Bescheid. Dies, obwohl der Bescheid nach dem Bekunden der Einzelentscheiderin am 19.01.2017 erstellt und unterschrieben worden ist. Mithin haben die Unterlagen 15 Tage vor der Erstellung des Bescheides tatsächlich der Behörde vorgelegen, konnten aber von der Einzelentscheiderin wohl mangels aufgelöster Maris-Postmappe nicht zur Kenntnis genommen werden.

Insoweit führt das Bundesamt de facto eine Akte und eine Vielzahl von Maris-Postmappen, welche erst zur "richtigen" Akte gelangen, wenn diese geöffnet werden. Mithin vermag das Gericht in keinster Weise eine ordnungsgemäße Aktenführung zu erkennen, da Unterlagen unmittelbar zur Akte zu reichen sind, damit die dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorliegenden Unterlagen dem Einzelentscheider zum Zeitpunkt der Entscheidung – soweit diese dem Amt tatsächlich vorliegen – auch zur Verfügung stehen. Dies ist vorliegend nicht gewährleistet. Soweit das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge federführend elektronische Akten bezüglich des Asylverfahrens führen möchte, umfasst der Grundsatz der ordnungsgemäßen Aktenführung die Pflicht der Behörde zur objektiven Dokumentation des bisherigen, im wesentlichen sachbezogenen Geschehensablaufs und folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip, dass nur eine geordnete Aktenführung einem rechtsstaatlichen Verwaltungsvollzug mit der Möglichkeit der Rechtskontrolle durch Gerichte und Aufsichtsbehörden ermöglicht (vgl. Minikommentar zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften, erstellt durch BMI, Referat O2, § 6 Erläuterung 4; zur ordnungsgemäßen und vollständigen Aktenführung bei elektronischen Akten einer Bundesbehörde, siehe VG Wiesbaden, Urteil vom 28.12.2016, Az. 6 K 332/16.WI; zu den Mängeln er elektronischen Akte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge siehe schon VG Wiesbaden, Urteil vom 28.02.2014, Az. 6 K 152714.WI.A, NJW 2014, 2060 f.).

Daraus ergibt sich für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass elektronische Akten so zu führen sind, dass alle wesentlichen Verfahrenshandlungen und Schriftsätze vollständig und nachvollziehbar gerade auch zum Zeitpunkt einer internen Verwaltungsentscheidung, hier dem Bescheid vom 19.01.2017, vorliegen.

Insoweit wird gegen das Gebot der wahrheitsgetreuen Aktenführung verstoßen (vgl. Minikommentar zum Gesetz der Förderung der elektronischen Verwaltung sowie Änderung weiterer Vorschriften, erstellt durch BMI, Referat O2, zu § 6 Erläuterung 4). Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides hätten insoweit alle Unterlagen, auch die, die in sogenannten Maris-Postmappen noch vorhanden waren, bei der Entscheidung durch die Einzelentscheiderin vorliegen müssen, was offensichtlich nicht der Fall war. Gleiches gilt für die Vorlage an das Gericht. Soweit noch Maris-Postmappen beim Erstellen der elektronischen Akte in Form eines PDF beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorhanden sind, werden die Inhalte der Maris-Postmappen dem Gericht nicht mit vorgelegt. Damit liegt mehr als offensichtlich keine geordnete Aktenführung
vor. Die Rechtskontrolle durch die Gerichte wird damit unmöglich gemacht.

Gleiches gilt für das ersetzende Scannen und dem damit vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge praktizierten Verwaltungsablauf. Denn alle Dokumente, welche gescannt werden sollen, gehen an die zentrale Scanstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Dort erfolgt der Scan. Anschließend erfolgt die Erstellung der Maris-Postmappe. Mithin ist eine zeitnahe und fristgemäße Bearbeitung eingehender Poststücke allein schon durch die Verwaltungsorganisation des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge durch Selbstverschulden erschwert oder sogar vollständig vereitelt (Zu Beweisproblemen bei gescannten Unterlagen und fehlender Schriftlichkeit, siehe VG Wiesbaden, Urteil vom 07.04.0217; Az. 6 K 280/17.WI.A.).

Erschwerend kommt dabei hinzu, dass die elektronisch angelegte Postmappe dann durch das "AVS" einem Sachbearbeiter zugeleitet wird. Vorliegend erklärten die Vertreter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, dass die Post des Klägers nicht mehr zugeordnet werden konnte, weil der Vorgang schon an die Einzelentscheiderin abgegeben worden war. Insoweit war eine Zusammenführung der Akte mit den Unterlagen nicht mehr möglich.

Mithin könnte man meinen, dass das das gesamte Verfahren des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge eine dilettantische Willkür aufzeigt.

Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass Maris für die nunmehr vorliegenden Massen an Verfahren nicht ausgelegt ist. Denn das Verfahren Maris stammt EDV-geschichtlich aus einer Zeit um das Jahr 2004. Insoweit wäre es Aufgabe des Bundesamtes bzw. des übergeordneten Ministeriums gewesen, bereits frühzeitig, so man sich auf EDV stützen und eine elektronische Verwaltung mit elektronischen Prozessen will, diese rechtzeitig so zu gestalten, dass sie "Massenverfahren" standhalten. Denn bereits vor der sogenannten Flüchtlingswelle hatte das Bundesamt noch eine so erhebliche Zahl an älteren Asylverfahren zu bewältigen, dies mit der Folge, dass noch heute insoweit Untätigkeitsklagen bei den Gerichten anhängig gemacht werden. Dies war nicht nur gerichtsbekannt, sondern müsste auch der Verwaltung und dem Bundesinnenministerium bekannt sein.

Soweit darüber hinaus Originalunterlagen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingescannt, vernichtet bzw. an die Kläger zurückgegeben werden, führt dies ebenfalls zu einer Erschwerung der Nachvollziehbarkeit des Verwaltungshandelns. Warum das Bundesamt die bisherige Verwaltungspraxis des Sammelns von Originaldokumenten, insbesondere Urkunden, in Dokumentenmappen eingestellt hat, erschließt sich nicht. Dies auch, wenn eine Wirtschaftsberatungsfirma, hier McKinsey, solches empfohlen hat. Denn dies spricht nicht für die Qualität der Berater, die ganz offensichtlich über keine Verwaltungserfahrung verfügten.

Weder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, noch die Bundesrepublik Deutschland, sind ein Wirtschaftsunternehmen mit wirtschaftlichen Dienstleistungen, sondern handeln gerade im sensiblen Bereich der Menschenrechte und des Flüchtlings- und Asylrechts durchgehend hoheitlich. Andernfalls müsste man wohl auf den Gedanken kommen, dass hier hoheitliches Handeln nur noch vorgegaukelt werden soll. Dies kann nicht ernsthaft gemeint sein, da der Staat sich ansonsten selbst aufgeben würde, mithin faktisch Art. 20 i.V.m. Art. 79 GG durch Wirtschaftsberatungsfirmen – wie McKinsey - mit Billigung der Politik außer Kraft gesetzt wird (Beratervertrag hin oder her). Das Gericht vermag kaum zu glauben, dass dies ernsthaft gewollt ist. Sollte es nicht gewollt sein, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sein Verfahren rechtsstaatlichen Grundsätzen anzupassen und ist insoweit auch von der Aufsichtsbehörde, dem Bundesministerium des Innern, zu rechtmäßigem Verhalten anzuhalten und auf den "richtigen Weg zu führen".

Nach alledem vermag das erkennende Gericht in keinster Weise zu erkennen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seiner Pflicht zur Vorlage der Behördenakte – sei dies elektronisch oder manuell – gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO nachgekommen ist. Denn das Bundesamt verweigert dem Gericht die Meta-Daten einer jeden Akte ebenso, wie alle Unterlagen, welche sich noch bei der "Erstellung" der elektronischen Akte zum Versand an das Gericht in Maris-Postmappen, dem EGVP usw. befinden. Mithin bekommt das Gericht ganz offensichtlich nur "irgendetwas". Dies mag dem tatsächlichen Inhalt der Akte nahekommen, ist jedoch nicht die vollständige Akte. Denn zu der elektronischen Akte gehören auch Vermerke in den Freitextfeldern, wie dies auch früher handschriftlich an Schriftstücken in der papiergeführten Akte aufgebracht worden ist; ferner Verweise auf Familienangehörige, frühere Verfahren, Dublin-Verfahren usw., welche dem Gericht gerade nicht bekannt gegeben werden.

Das Gericht darf nicht "dümmer" gestellt werden, als der jeweilige Sachbearbeiter des Beklagten durch die vorhandenen Meta-Daten, z. B. durch Verknüpfungen zu Familienangehörigen und anderen Akten, aber auch Informationen in den Freitextfeldern.

Dabei kommt erschwerend hinzu, dass in sogenannten Dublin-Verfahren eine ordnungsgemäße Aktenvorlage selbst nach dem bisherigen System nicht gewährleistet ist, was das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge allerdings wohl erkannt haben dürfte.

Aus der dienstlichen Erklärung der Einzelentscheiderin ergibt sich, dass diese den Bescheid eigenhändig unterschrieben und an das Asylverfahrenssekretariat zur weiteren Bearbeitung gegeben hat. Insoweit war die Entscheidung des Bundesamtes schriftlich ergangen, § 31 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Ein schriftlicher Bescheid liegt jedoch nicht mehr vor. Unter Schriftform wird im Verwaltungsrecht des Bundes die Schriftform im Sinne einer unterzeichneten Erklärung verstanden (amtliche Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zum Abbau verzichtbarer Anordnungen der Schriftform im Verwaltungsrecht des Bundes, BR–Drucksache 491/16, A. Problem und Ziel, S. 1). Eine wirksame Ausfertigung des Bescheides dürfte ebenfalls nicht anzunehmen sein, da die Zustellung "ohne Doku"–Mappe erfolgt ist. Insoweit lag zwar der unterschriebene Bescheid dem Asylverfahrenssekretariat in Münster vor, nicht jedoch in der Außenstelle Bonn. Mithin bestehen Zweifel an der Ausfertigung, wie sie dem Kläger zugestellt worden ist (vgl. Bl. 13 GA). Denn der ausfertigenden Person lag ein schriftlicher Bescheid nicht vor, den sie hätte ausfertigen können.

Eine qualifizierte Signatur des Bescheides durch die Einzelentscheiderin erfolgte ebenfalls nicht. Das Original ist offensichtlich vernichtet.

Soweit der von der Einzelentscheiderin unterzeichnete Bescheid eingescannt worden ist, weist dieser Scan jedoch nur Kopiefunktion auf. Denn die elektronischen Dokumente werden vom Bundesamt nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen, mit der Folge, dass sie gegenüber Papierurkunden einen geringeren Beweiswert aufweisen. Ob aus einer solchen Kopie eine Vollstreckung letztendlich möglich ist, muss vorliegend nicht entschieden werden.

Soweit das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darauf verweist, dass bei Zweifeln über eingescannte Urkunden dies zu Lasten des Bundesamtes gehen müsse und insoweit ein solches Verhalten sich die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Beweislast zurechnen lassen müsse (in diesem Sinne ebenfalls FG Düsseldorf, Urteil vom 07.03.2017, Az.: 10 K 242/15 Kg. AO Rdnr. 33 f. nach Juris), vermag hierin das Gericht ebenfalls kein rechtsstaatliches Verhalten zu erkennen, da in solchen Fällen der Ausgang eines Verfahrens von einer gewissen willkürlichen Verfahrensbehandlung der Beklagten abhängt.

So hatte das Gericht schon einmal ausgeführt:

"Das Gericht gestattet sich insoweit zum wiederholten Male den Hinweis, dass der bisherige Einscanprozess des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge mehr als dürftig ist. So erfolgten bereits Täuschungshandlungen (türkische Nüfen mit rotem Stempel wurden eingescannt, wobei rot nicht erfasst wurde und damit der Stempel im Abdruck nicht enthalten war; vorgelegte Farbbilder mit vermeintlichen Folterspuren wurden so eingescannt, dass diese im schwarz-weiß-Ausdruck absolut unleserlich und die Darstellungen nicht erkennbar waren; Asylantragsschriften wurden mit Seite 1 und 4 eingescannt, die Gründe jedoch nicht; die Liste lässt sich beliebig fortsetzen)." (VG Wiesbaden, Urteil vom 28.02.2014, Az. 6 K 152/14.WI.A, Rn. 26 – nach juris). [...]