VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.08.2017 - A 11 S 1740/17 - asyl.net: M25431
https://www.asyl.net/rsdb/M25431
Leitsatz:

[Kein Darlegungserfordernis im Berufungszulassungsantrag zu Erkenntnismitteln, die nicht in das Verfahren eingeführt wurden:]

1. Werden in einem Urteil die tragenden Sachverhaltsfeststellungen allein auf unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG verwendete, nicht in das Verfahren eingeführte Erkenntnismittel gestützt, folgt aus dem Darlegungsgebot aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht, dass sich der Zulassungsantrag mit dem Inhalt der verwendeten Erkenntnismittel auseinandersetzen müsste.

2. Insbesondere ist in diesen Fällen kein Vortrag dazu erforderlich, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Afghanistan, Berufungszulassung, Erkenntnismittel, rechtliches Gehör, Darlegungslast,
Normen: AsylG § 78 Abs. 4 S. 4, AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3, VwGO § 138 Nr. 3, GG Art. 19 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

1. Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, dass ein Urteil nur auf solche Tatsachen und Beweismittel (einschließlich Presseberichte und Behördenauskünfte) gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Nur bei einer Offenlegung der Erkenntnisquellen über die der Entscheidungsfindung zugrunde gelegten tatsächlichen Umstände wird den Beteiligten eine effektive Prozessführung ermöglicht und die Gelegenheit eröffnet, durch Vortrag und Anträge auf die Zusammensetzung des Quellenmaterials Einfluss zu nehmen. Hieraus folgt im gerichtlichen Asylverfahren grundsätzlich die Pflicht des Gerichts, die Erkenntnismittel, auf die es seine Entscheidung zu stützen beabsichtigt, in einer Weise zu bezeichnen und in das Verfahren einzuführen, die es den Verfahrensbeteiligten ermöglicht, diese zur Kenntnis zu nehmen und sich zu ihnen zu äußern (OVG Nds, Beschluss vom 08.07.2014 - 13 LA 16/14 - InfAuslR 2014, 458). Lediglich auf offenkundige Tatsachen, die allen Beteiligten gegenwärtig sind und von denen sie wissen, dass sie für die Entscheidung erheblich sein können, darf die Entscheidung auch ohne ausdrücklichen Hinweis gestützt werden. [...] Zu den ordnungsgemäß in das Verfahren einzuführenden Erkenntnismittel sind auch andere Gerichtsentscheidungen zu rechnen, sofern sie nicht allein wegen ihrer rechtlichen Schlussfolgerungen, sondern (auch) im Hinblick auf ihre tatsächlichen Feststellungen zur Begründung herangezogen werden (VGH Bad.-Württ, Beschluss vom 09.03.2017 - A 12 S 235/17 -, NVwZ-RR 2017, 631; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 08.02.1983 - 9 C 847.82 - juris Rn. 8; OVG Nds, Beschluss vom 08.07.2014, a.a.O.). [...]

3. Der Kläger war nicht aufgrund des Darlegungsgebots aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG gehalten, näher darzulegen, dass das Urteil auf dem Gehörsverstoß beruht, insbesondere musste sich das Zulassungsvorbringen weder mit den einzelnen Gerichtsentscheidungen und ihrem Inhalt auseinandersetzen noch musste der Kläger darlegen, was er vorgetragen hätte, wären die Erkenntnismittel prozessordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt worden. [...]