Keine Flüchtlingsanerkennung wegen Wehrdienstentziehung in Syrien:
1. Nach der Rechtsprechung des OVG droht Asylsuchenden aus Syrien nicht allein wegen der Ausreise, der Asylantragstellung und des Auslandsaufenthalts Verfolgung aus politischen Gründen (entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung des VG Saarland).
2. Auch wegen Wehrdienstentziehung droht Asylsuchenden aus Syrien keine Verfolgung aus politischen Gründen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass möglicherweise den Rückkehrern drohende Bestrafung wegen einer vermuteten politischen Opposition zum Regime erfolgen würde (unter Bezug auf BVerwG, Beschluss vom 24.04.2017 - 1 B 22.17 - asyl.net: M25053 und OVG Niedersachsen, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - asyl.net: M25295).
3. Ferner droht Asylsuchenden aus Syrien, die noch keine Einberufung erhalten haben, keine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung eines völkerrechtswidrigen Militärdienstes nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, da die Umstände ihres Einsatzes in solchen Fällen noch unklar sind. Voraussetzung ist aber, dass sie im Dienst gezwungen wären, sich konkret und unmittelbar an Verbrechen i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG zu beteiligen.
(Leitsätze der Redaktion; Ausdrücklich entgegen VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 14.06.2017 - A 11 S 511/17 - asyl.net: M25209) und VGH Hessen (vgl. Urteil vom 06.06.2017 - 5 K 1854/16.KS.A - asyl.net: M25340) sowie Julia Idler, Anmerkung zum Urteil des OVG NRW vom 4.5.2017, Asylmagazin 7-8/2017, S. 288-290).
[...]
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. [...]
Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. dazu grundlegend Urteil des Senats vom 2.2.2017 - 2 A 515/16 -, bei juris, inzwischen ebenso Urteile beispielsweise vom 11.3.2017 - 2 A 215/17 -, und vom 19.3.2017 - 2 A 177/17 und 2 A 221/17) droht dem Kläger in Syrien nicht allein wegen seiner Ausreise aus dem Heimatland, der Asylantragstellung und des Aufenthalts im Ausland aus nach dem § 28 Abs. 1a AsylG ausnahmsweise beachtlichen Nachfluchtgründen eine politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG (vgl. ebenso etwa OVG Schleswig, Urteil vom 13.4.2016 - 3 LB 17/16 -, juris, VGH München 12.12.2016 - 21 ZB 16.30338 u.a. -, OVG Münster, Urteile vom 6.10.2016 - 14 A 1852/16.A -, juris, und vom 21.2.2017 - 14 A 2316/16.A -, OVG Koblenz, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -; juris). [...]
Über die Frage hinaus, ob dem Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (vgl. zu diesem Prognosemaßstab BVerwG, Urteil vom 1.6.2011 - 10 C 25.10 -, BVerwGE 140, 22) Verfolgungsmaßnahmen drohen, geht der Senat ferner ebenso wie verschiedene andere deutsche Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe davon aus, dass selbst eine - unterstellte - Rückkehrgefährdung sich jedenfalls nicht aus einem der Verfolgungsgründe des § 3b AsylG ergäbe. [...]
2. Dem Kläger, der nach seinen Angaben von 1997 bis 1999 Wehrdienst geleistet hat, droht im Fall einer - unterstellten - Rückkehr nach Syrien insbesondere nicht wegen einer möglichen Wehrdienstentziehung politische Verfolgung nach § 3 Abs. 1 AsylG (ebenso OVG Koblenz, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris, InfAuslR 2017, 80 und AuAS 2017, 35, jeweils nur Leitsatz). [...]
Selbst wenn man unterstellt, der Kläger könnte bei einer Rückkehr Gefahr laufen, wegen Wehrdienstentziehung bestraft und zwangsweise von der syrischen Armee eingezogen zu werden, liegen jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die dem Kläger drohenden Maßnahmen aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe - etwa wegen einer als der Wehrdienstentziehung zugrunde liegende vermuteten politischen Opposition zum Regime - ergehen würden. Was eine künftig drohende Heranziehung zum Wehrdienst angeht, fehlt es an Anhaltspunkten für eine Auswahl anhand der in § 3 AsylG genannten Kriterien; vielmehr rekrutiert die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig von ihrem ethnischen und religiösen Hintergrund (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28.3.2015, Seite 2). Ebenso gibt es keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass gerade dem Kläger wegen einer Wehrdienstentziehung in Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an seine politische Überzeugung oder etwa wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der staatenlosen Palästinenser anknüpfende härtere Bestrafung als sonst üblich - ein sogenannter Politmalus [...] - drohen würde, zumal keine Gesichtspunkte dafür erkennbar sind, weshalb der Kläger in Zusammenhang mit einem Engagement bei einer anderen kämpfenden Organisation im syrischen Bürgerkrieg gebracht werden könnte. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer neueren Entscheidung speziell zu Syrien seine bisherige Rechtsprechung ausdrücklich bestätigt, wonach die an eine Wehrdienstentziehung anknüpfenden Sanktionen auch bei totalitären Staaten nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung darstellen, wenn sie den Betroffenen darüber hinaus zusätzlich wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen sollen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.4.2009 - 2 BvR 78/08 -, juris). [...]
Gegen die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit individueller politischer Verfolgung des Klägers im Falle unterstellter Wehrdienstentziehung spricht zudem das erhebliche Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee. […] Unter den insgesamt fast 5 Millionen Flüchtlingen, die Syrien bis Ende 2015 verlassen haben, dürften sich zumindest Hunderttausende Männer der fraglichen Altersgruppe befinden, die vor der Ausreise - als Wehrdienstpflichtige oder als Reservisten - nicht einberufen worden waren. Jedenfalls hinsichtlich dieses Personenkreises dürfte es dem syrischen Staat beziehungsweise dem Regime Assad vor allem darum gehen, die Betroffenen schnellstmöglich seiner personell stark notleidenden Armee zuzuführen. Darauf lässt auch der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom März 2015 schließen, nach dem zwar einige der Verhafteten zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen, andere jedoch lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt wurden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28.3.2015, Seite 4). Das ist auch nachzuvollziehen. Zur Deckung des Personaldefizits der syrischen Armee taugen zuvor körperlich Misshandelte und Gefolterte eher weniger. Auch von daher machte es keinen Sinn, praktisch jedem wehrdienstfähigen Rückkehrer von vorneherein eine regimefeindliche Gesinnung und unterstellen und ihn daran anknüpfend zu foltern oder gar zu ermorden. Auch allein eine Stellung als Reservist begründete daher noch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein entsprechendes Risikoprofil (anders, insoweit nicht überzeugend etwa VGH München, Urteil vom 14.2.2017 - 21 B 16.31001 -, insbes. Rn 86, 89, bei juris, zu einem Reservisten, bei dem allerdings bereits vor der Ausreise ein konkreter "Rekrutierungsversuch" in seiner Wohnung unternommen worden war, sowie Urteil vom 12.12.2016 - 21 B 16.30372 - zu einem 31-jährigen Reservisten; dagegen Urteil vom 12.12.2016 - 21 B 16.30371 -, zu einem 19-jährigen Syrer aus Damaskus, im Wesentlichen unter Verweis auf dessen Freistellung nach der Regelung für den "einzigen Sohn" und der Beachtung auch in Kriegszeiten). Im Übrigen dürfte - wie schon mehrfach erwähnt - dem syrischen Staat bekannt sein, dass die Flucht aus Syrien und damit auch die Flucht vor der Einberufung durch die Armee in aller Regel nicht durch eine politische Gegnerschaft zum syrischen Staat, sondern vor allem durch Angst vor dem Krieg motiviert war. [...]
Neuere Entscheidungen anderer deutscher Obergerichte geben keine Veranlassung, die Rechtsprechung des Senats zu ändern. Sie beruhen auf einer abweichenden Beurteilung der auch vom Senat ausgewerteten Dokumente (vgl. in dem Zusammenhang BVerwG, Beschlüsse vom 24.4.2017 - 1 B 22.17 und 1 B 70.17 -, bei juris). Das gilt insbesondere für das Urteil des VGH Mannheim vom 14.6.2017 (vgl. VGH Mannheim vom 14.6.2017 - A 11 S 511/17 -, im Anschluss an das Urteil vom 2.5.2017 - A 11 A 562/17 -, beide bei juris), aber auch für die Entscheidung des Hessischen VGH vom 6.6.2017 (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 6.6.2017 - 3 A 3040/16.A -, bei juris), in der als zusätzliches Kriterium für eine flüchtlingsrechtlich beachtliche Rückkehrgefährdung die Herkunft des dortigen Klägers aus einer "vermeintlich regierungsfeindlichen Zone", im konkreten Fall aus Daraa angeführt wird, weswegen ihm eine oppositionelle Einstellung unterstellt werde. In diesen Entscheidungen werden das zuvor erwähnte beachtliche Interesse des syrischen Regimes an einer Truppenverstärkung und die schon immer praktizierte Einbindung auch oppositioneller Gruppen in die syrische Armee sowie der Umstand, dass sich die Betreffenden durch Flucht aus einer regierungsfeindlichen Zone dem Konflikt und damit der Einnahme durch den Regierungsgegner gerade entzogen haben, nicht ausreichend in die Bewertung aufgenommen (vgl. dazu auch OVG Lüneburg, Urteil vom 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, dort insbesondere auch in Auseinandersetzung mit dem Bericht UNHCR Nr. 4/2017). Auch weist der im Urteil des VGH Mannheim enthaltene Hinweis auf "Willkür", extralegale Tötungen und Folterungen und Verschwindenlassen von Personen jeder Herkunft ungeachtet des konkreten Hintergrundes gerade auf das Fehlen eines Verfolgungsgrundes hin. Eine besondere Intensität der drohenden Verfolgungshandlungen vermag angesichts des seit jeher stark repressiven Charakters des syrischen Staates die Gerichtetheit der drohenden Maßnahmen auf einen Verfolgungsgrund nicht zu indizieren. Das Niedersächsische OVG hat inzwischen ebenfalls entschieden, dass der Umstand, dass der Schutzsuchende mit seiner Ausreise einer drohenden Einberufung zum Wehrdienst zuvorgekommen ist, ihm ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht in den Augen der syrischen Machthaber verdächtig erscheinen lässt, über die Flucht vor der Bürgerkriegssituation hinaus politische Opposition betreiben zu wollen. Deshalb drohe auch geflohenen Wehrdienstpflichtigen oder Reservisten, die eine Einberufung erhalten haben oder denen eine solche konkret bevorstand, ebenfalls keine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 27.6.2017 - 2 LB 91/17 ).
Etwas anderes ergibt sich mit Blick auf die §§ 3a Abs. 2 Nr. 5, 3 Abs. 2 Satz 1 AsylG auch nicht aus dem Vortrag des Klägers, soweit er zusätzlich unter Bezugnahme auf eine Anmerkung (Idler, Keine Flüchtlingsanerkennung wegen Wehrdienstentziehung in Syrien; Asylmagazin 7-8/2017, Seite 288 f.; vgl. auch Marx, "Kriegsdienstverweigerung im Flüchtlingsrecht", bei www.connection-ev.org/article-1972) zum Urteil des OVG NRW (Urteil vom 4.5.2017 - 14 A 2023/16.A -; juris) geltend macht, nach der Genfer Flüchtlingskonvention sei die Flüchtlingseigenschaft wegen Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen anerkannt, wenn sich der Verweigerer darauf berufe, dass er sich einem militärischen Einsatz entzogen habe, der von der Völkergemeinschaft als den Grundregeln menschlichen Verhaltens widersprechend angesehen werde. Angesichts der wiederholten und systematischen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die syrische Armee sei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass Wehrpflichtige unmittelbar an den verbotenen Handlungen beteiligt wären. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu dem der nationalen Regelung zugrunde liegenden Art. 9 Abs. 2e der RL 2011/95/EU (vgl. EuGH, Urteil vom 26.2.2015 – C-472/13 - (Shepherd gegen Deutschland), NVwZ 2015, 575) ist es indes nicht ausreichend, dass das "Militär", in diesem Fall die Streitkräfte des syrischen Regimes, als solches (allgemein) Verbrechen im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG begeht. Vielmehr muss der sich auf die Vorschrift berufende Flüchtling konkret nachweisen, dass gerade seine Militäreinheit Einsätze unter Umständen durchgeführt hat oder durchführen wird, die unter diese Vorschrift fallen und dass er sich konkret unmittelbarer an solchen Handlungen beteiligen müsste (vgl. auch dazu OVG Lüneburg, Urteil vom 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, dort insbesondere auch in Auseinandersetzung mit der die Wehrpflichtproblematik anders beurteilenden Rechtsprechung des VGH München, Urteil vom 12.12.2016 - 21 B 16.30372 -, Asylmagazin 2017, 108, des VGH Mannheim, Urteil vom 14.6.2017 - A 11 S 511/17 - und des VGH Kassel, Urteil vom 6.6.2017 - 3 A 3040/16, beide bei juris). Davon kann bei dem Kläger nicht ausgegangen werden, denn er hatte bislang weder eine Einberufung erhalten noch stand eine solche konkret bevor. [...]
Soweit die Betrachtungsweise des Senats in den erwähnten Entscheidungen des VGH Baden-Württemberg (vgl. VGH Mannheim vom 14.6.2017 - A 11 S 511/17 -, dort Rn 71) als schon im Ansatz spekulativ bezeichnet wird, bleibt festzuhalten, dass es keine Erkenntnisse über eine entsprechende Einordnung und Behandlung von Rückkehrern speziell aus Westeuropa gibt. Sie kann es "belastbar" wegen des seit 2011 geltenden und auch praktizierten Abschiebestopps für die Arabische Republik Syrien auch gar nicht geben, weil es keine solchen, jedenfalls keine unfreiwilligen "Rückkehrer" in diesem Sinne gibt. Unter dem Aspekt ist letztlich sehr vieles, wenn nicht alles in dem Zusammenhang "spekulativ". Das gilt letztlich auch für die im genannten Urteil des Hessischen VGH (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 6.6.2017 - 3 A 3040/16.A -, Rn 96, "Verfolgungskapazitäten") unter dem Aspekt personeller Ressourcen für eine Verfolgung in Syrien angestellten Betrachtungen, in welcher Gruppenstärke oder Reihenfolge eine Rückkehr nach Syrien - irgendwann - erfolgen könnte. [...]