1. Aus Syrien stammenden Personen droht bei einer - ohnehin nur hypothetisch zu unterstellenden - Rückkehr nach Syrien im Allgemeinen weder wegen ihrer illegalen Ausreise in Verbindung mit einem "Asylantrag" und dem Verbleib im westlichen Ausland noch wegen der Religionszugehörigkeit oder wegen des Herkunftsortes Verfolgung iSd. § 3 Abs. 1 AsylG [entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung des VG Oldenburg].
2. Geflohenen Wehrdienstpflichtigen oder Reservisten, die eine Einberufung erhalten haben oder denen eine solche konkret bevorstand, droht ebenfalls keine Verfolgung iSd. § 3 Abs. 1 AsylG.
3. Bei Auswertung der Erkenntnismittel für Syrien ist - vor dem Hintergrund der dort agierenden zahlreichen (Groß)Mächte mit im Einzelnen wiederum unterschiedlichen Interessenlagen das "gewachsene Wissen um Erkenntnisungenauigkeit und -verzerrungen" (vgl. Berlit, NVwZ 2017, 119) zu berücksichtigen.
4. Der in Syrien herrschenden Bürgerkriegssituation trägt der zuerkannte "subsidiäre Schutz" hinreichend Rechnung.
(Amtliche Leitsätze)
(Anmerkung: Das OVG meint, Rückkehrende seien nicht vom in Syrien verbreiteten "Verschwindenlassen" betroffen. Außerdem sei bei Rückführungen ein "mäßigendes Verhalten" des "auf seine Reputation bedachten" syrischen Regimes zu erwarten. Ferner spreche die "Lebenserfahrung" entgegen des UNHCR-Berichts dafür, dass Personen, die aus umkämpften Regionen fliehen, vom Regime nicht als Bedrohung aufgefasst würden. Das OVG setzt sich ausführlich mit der Frage eines völkerrechtswidrigen Militärdienstes nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG auseinander, verneint diese aber, da für den noch nicht eingezogenen Kläger keine konkrete Beteiligung an Kriegsverbrechen absehbar sei und die Wehrdienstentziehung durch Ausreise keine "Verweigerung" darstelle.)
[...]
25 b. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kann der Kläger nicht mit Erfolg begehren.
26 Unbestritten herrscht in großen Teilen Syriens ein "Bürgerkrieg" (bewaffneter Konflikt). [...]
Dieser Situation trägt § 4 Abs. 1 AsylG Rechnung, wonach u.a. bei einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts sowie bei unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung "subsidiärer Schutz" - wie im Falle des Klägers auch geschehen - zu gewähren ist. [...]
38 Da in "Asylverfahren" (hier richtiger: Verfahren auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft) in der Regel keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse zu dem betreffenden Herkunftsland vorliegen, sind die Gerichte darauf angewiesen, sich durch eine Vielzahl unterschiedlicher Erkenntnisse gleichsam mosaikartig ein Bild zu machen. Bei der Beurteilung der zahlreichen vorliegenden Berichte auf ihre Verwertbarkeit und Verlässlichkeit ist dabei stets das "gewachsene Wissen um Erkenntnisungenauigkeit und -verzerrungen" (Berlit, NVwZ 2017, 119) zu berücksichtigen (vgl. auch Gerlach/Metzger: "Wie unser Bild vom Krieg entsteht" Bundeszentrale für politische Bildung, Aus Politik und Zeitgeschichte 8/2013 S. 3). Das gilt umso mehr, wenn - was in Bezug auf Syrien nicht (mehr) in Frage steht - der "Bürgerkrieg" auch von außen über (Groß)Mächte wie z.B. Russland, Türkei, Iran, Saudi-Arabien, USA mit im Einzelnen wiederum unterschiedlichen Interessenlagen "gesteuert" wird (vgl. Gerlach, "Was in Syrien geschieht", Bundeszentrale für politische Bildung, Aus Politik und Zeitgeschichte 8/2016, S. 7, generell zu den Interessenlagen in Syrien: Asseburg: "Ziviler Protest, Aufstand, Bürgerkrieg und Zukunftsaussichten" sowie Jaeger/Tophoven "Internationale Akteure, Interessen, Konfliktlinien", jeweils Bundeszentrale für politische Bildung, Aus Politik und Zeitgeschichte 8/2013,S.11, 23; Geranmayeh/Liik, "Echte Partner oder arrangierte Ehe?", IP <Internationale Presse> v. 1.1.2017 S. 84, abgerufen über Internet am 11.6.2017). Bei der Erhebung und Bewertung von Fakten über die Verhältnisse in Syrien ist daher mit vielfältigen - innersyrischen wie internationalen - Bestrebungen zu rechnen, im jeweiligen Eigeninteresse die Wahrheit zu verfälschen und die Gegenseite in ein schlechtes Licht zu setzen. Dies ist bei der Auswertung jeglicher Erkenntnismittel zu bedenken. Gerade die sehr unterschiedliche Rechtsprechung zu Syrien weist - trotz der Vielzahl der nahezu allen Berichten übereinstimmend vorliegenden Auskünfte und Stellungnahmen - auf eine letztlich unklare Auskunftslage hin. [...]
44 (a) Dass Rückkehrer (gegenwärtig nur aus dem arabischen Raum, zu dem noch Flugverbindungen bestehen) am Flughafen von Damaskus, ggfls. Latakia intensiven Kontrollen ausgesetzt werden und dass Personen, bei denen der Verdacht auf besondere oppositionelle Aktivitäten besteht (oder die für die Ableistung des Kriegsdienstes gesucht werden, vgl. dazu unten), den Flughafen nicht wie beabsichtigt wieder verlassen können, wird allgemein angenommen und dürfte hinreichend gesichert sein. Es ist aber zweifelhaft, ob unter den genannten Aspekten bei Rückkehr nach Syrien eine (Verfolgungs-)Handlung iSd. § 3a AsylG - hier: Befragung mit der konkreten Gefahr einer Verhaftung und/oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung - beachtlich wahrscheinlich droht (die Gefahr einer Verfolgungshandlung mit beachtlichen Gründen verneinend: OVG NW, Urt. v. 21.2.2017 - 14 A 2316/16, juris, Rnr. 35-44, zweifelnd, aber offenlassend: OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016, aaO., Rnr. 48 ff., OVG d. Saarl., Urt. v. 2.2.2017 - 2 A 515/16 -, v. 11.3.2017 - 2 A 215/27 -, jeweils juris). Zweifel ergeben sich angesichts der ständig gestiegenen Zahl der in den letzten Jahren aus Syrien Geflohenen (Ende 2011: 19.900; Ende 2012: rund 728.000; Ende 2015: rund 4.800.000, <zitiert nach OVG NW, Urt. v. 21.2.2017, aaO., Rnr. 61>, also rd. ein Viertel der Bevölkerung von rd. 22 Mio., davon ca. 1 Mio. in die EU-Länder, davon wiederum nach der Statistik des Bundesamtes ca. 600.000 in dem Zeitraum 2013 - 2016 einschl. in das Bundesgebiet). Angesichts dieser Zahlen kann bei realitätsnaher Betrachtung nicht von einem bei jedem Rückkehrer bestehenden in gleicher Weise realen Risiko von Inhaftierung, Misshandlung oder Folter ausgegangen werden; denn auch dem syrischen Regime muss sich bei der großen, sich ständig steigernden Zahl der Flüchtlinge aufdrängen, dass es sich weit überwiegend um Bürgerkriegsflüchtlinge handelt. Bei der Betrachtung der Rückkehrfälle ist zudem an den o.a. Prognosemaßstab anzuknüpfen, der auf eine hypothetische Rückkehr abstellt. Es wäre daher nicht systemgerecht und verfehlt, nur die Rückkehr einzelner Kläger oder kleinerer Gruppen zu unterstellen; denn es befinden sich nahezu alle subsidiär schutzberechtigten Syrer in der gleichen Lage, so dass deshalb die Rückkehr aller auf diese Weise Betroffenen in die Hypothese einfließen müsste. Die Betreffenden wären also Teil einer Rückkehrwelle von beträchtlicher Größe. [....]
49 Soweit Erkenntnismittel auf die große Anzahl verschwundener und in der Regel unter Misshandlungen getöteter Syrer verweisen (z.B. AA, Ad hoc-Bericht v. 17.2.2012 erwähnt eine präzedenzlose Verhaftungswelle anlässlich der Protestbewegung von März 2011, Menschenrechtler hätten die Zahl der Verschwundenen und Verhafteten damals auf rd. 40.000 geschätzt, die syrische Plattform Violations Documentation Centre, VDC, habe damals namentlich ca. 19.400 Haftfälle belegt, soweit Menschenrechtsverteidiger darüber hinaus von rd. 20.000 Verschwundenen ausgegangen seien, sei diese Zahl nicht verifizierbar gewesen; die Recherchen von AI ergaben zwischen März 2011 und August 2015 rd. 58.000 verschwundene Zivilisten <v. 11/2015 "Between Prison and Grave"> sowie ca. 17.700 in der Haft zwischen März 2011 und Dezember 2015 Getöteten <v. 8/2016 "It breaks the human", v. 2/2017 "Human Slaughterhouse">), lässt sich den Erkenntnissen nicht entnehmen, dass darunter in nennenswerter Zahl auch rückkehrende Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem westlichen Ausland waren.
50 Bei der Beurteilung der beachtlichen Wahrscheinlichkeit von Verfolgungshandlungen kann zudem nicht außer Betracht bleiben, dass die (hypothetisch) aus dem westlichen Ausland Rückkehrenden zu einem großen Teil namentlich bekannt sein und unter Beobachtung der rückführenden Staaten und/oder humanitärer Organisationen stehen werden, was für das auf seine Reputation bedachte syrische Regime Anlass für ein mäßigendes Verhalten sein dürfte und daher ebenfalls gegen die Gefahr einer Verfolgungshandlung spricht.
51 (b) Selbst wenn man die beachtliche Wahrscheinlichkeit von Handlungen iSd. § 3a AsylG bei Rückkehr bejahte, fehlt es für die Annahme politischer Verfolgung an der nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund iSd §§ 3 Abs. 1, 3b AsylG.
52 (aa) Der Senat kann nach Auswertung der Erkenntnismittel keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür erkennen, dass der syrische Staat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Rückkehrer wegen ihrer illegalen Ausreise und/oder der Asylantragstellung und/oder dem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland eine abweichende politische Gesinnung zuschreiben wird. Vielmehr ist auch an diesem Prüfungspunkt darauf hinzuweisen, dass dem syrischen Staat gegenwärtig sein muss, dass es sich angesichts der großen Vielzahl der Flüchtenden mehrheitlich nicht um Oppositionelle, sondern um "schlichte" Bürgerkriegsflüchtlinge handelt, die gerade den militärischen Konflikten in ihrem Heimatland ausweichen wollten. [...]
59 Die Annahme, erfolglose Asylbewerber aus dem westlichen Ausland würden - im Gegensatz zu den in die Anrainerstaaten Syriens Geflüchteten - deshalb (unterschiedslos) als Oppositionelle betrachtet, weil die syrische Regierung eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land für den Ursprung des Bürgerkriegs verantwortlich mache, ist eine bloße Vermutung, die angesichts der hohen Zahl in das westliche Ausland geflüchteter und hypothetisch zurückkehrender Syrer dem Senat nicht plausibel erscheint. Mag es bei einer überschaubaren Anzahl von Flüchtlingen wie vor 2011 noch nachvollziehbar gewesen sein, dass diese vom syrischen Regime durchweg als potentielle Gegner angesehen werden könnten, kann dies nicht mehr bei den heutigen Zahlen gelten. Im Gegensatz zur damaligen Lage ist die Zahl derer, die Syrien verlassen haben, heute nicht mehr relativ gering. Zudem ist es mittlerweile nicht mehr erforderlich, eine etwaige von außen organisierte Verschwörung aufzudecken. Die Beteiligung zahlreicher anderer (Groß-)Mächte an den Auseinandersetzungen, die jeweils eigene unterschiedliche Ziele verfolgen, steht vielmehr fest (vgl. oben). [...]
67 Erfolgen etwaige Übergriffe aber unterschiedslos, so geschehen sie letztlich wahllos, mithin ohne Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund (vgl. hierzu, BVerwG, Beschl. v. 27.4.2017 - 1 B 63.17 -, juris, vgl. OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris, OVG d. Saarl., Urt. v. 11.3.2017 - 2 A 215/17 -, juris).
68 (bb) Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aus einem der Gründe des § 3 AsylG ergibt sich auch nicht aus der sunnitischen Religionszugehörigkeit. [...]
70 (cc) Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aus einem der Gründe des § 3 AsylG ergibt sich weiter nicht aus der - nach eigenen Angaben - Herkunft aus der Umgebung von Idlib.
71 Zwar führt der UNHCR 4/2017 im Rahmen der von ihm genannten, aus seiner Sicht Flüchtlingsschutz begründenden Risikoprofile auch die Herkunft aus regierungsfeindlichen Gebieten auf ("Personen mit Wohnort oder Herkunftsort in Gebieten, die sich derzeit oder vormals unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen befinden bzw. befanden", S. 15.). Zum einen aber spricht die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor den Auseinandersetzungen in ihrer Region in das Ausland geflohen sind, sich also dem Konflikt gerade entzogen haben, auch aus Sicht des syrischen Кegimes nicht als Bedrohung aufgefasst werden (vgl. OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rnr. 160 ff.). Zum andern hat der Kläger erklärt, sein Dorf sei durch die syrische Regierung kontrolliert worden. [...]
77 (a) Der Senat ist nicht der Auffassung, dass bereits das grundsätzliche Unterworfensein von syrischen Männern unter eine nicht verlässlich eingrenzbare Dienstpflicht flüchtlingsrechtlich (hier nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 - 3 AsylG) relevant ist (so Bay. VGH, Urt. v. 14.2.2017 - 21 B 16.31001 -, v. 12.12.2016 - 21 B 16.30372 -, jeweils juris, VGH Bad.-Württb., Urt v. 14.6.2017 - A 11 S 511/17 -, v. 2.5.2017 - A 11 S 562/17 -, jeweils juris, Hess. VGH, Urt. v. 6.6.2017 - 3 A 3040/16 -, juris, wobei in jenem Verfahren die Herkunft aus einer regierungsfeindlichen Zone mit berücksichtigt wurde).
78 Allerdings läuft der 1995 geborene Kläger, der ohne Genehmigung der Militärbehörden Syrien verlassen hat, Gefahr, bei (hypothetischer) Rückkehr nach Syrien wegen Wehrdienstentziehung bestraft und/oder der Armee zugeführt zu werden; denn bei Einreise des Klägers über staatlich kontrollierte Flughäfen - in Betracht kommt in erster Linie Damaskus - wird über Datenbanken und Kontrolllisten abgeglichen, ob der Betreffende der Wehrüberwachung unterliegt (AA v. 2.1.2017 an VG Düsseldorf, SFH v. 28.3.2015, Mobilisierung in die syrische Armee).
79 Von welchen rechtlichen Maßstäben insoweit auszugehen ist, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 24. April 2017 (- 1 B 22.17 -) zusammengefasst: [...]
81 (aa) Unter Beachtung dieser Vorgaben liegen nach Auswertung der Erkenntnismittel schon keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die zu erwartende Maßnahme des syrischen Regimes die Intensität einer Verfolgungshandlung erreicht.
82 So stellt die dem Kläger bei hypothetischer Rückkehr bevorstehende Heranziehung zum Wehrdienst als solche keine Verfolgungshandlung dar, sondern ist Ausfluss einer allgemeinen staatsbürgerlichen Pflicht, die grundsätzlich auch totalitäre Staaten von ihren Staatsbürgern einfordern können (ebenso zutreffend OVG NW, Urt. v. 4.5.2017 - 14 A 2023/16 -, Rnr. 49, OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rnr. 140). Auch der Umstand, dass sog. Zwangsrekrutierungen erfolgen (z.B. UNHCR 4/2017 S. 26), ist in einer kriegerischen Auseinandersetzung, in der der Staat auf eine Vielzahl von Soldaten angewiesen ist, als solche keine Verfolgungshandlung, vielmehr in der Staatenpraxis üblich. Dass die Ausbildungszeit oft nur kurz ist (DOI v. 1.2.2017 an Hess. VGH) und die Betreffenden häufig unverzüglich an die Front geschickt werden (vgl. UNHCR 4/2017 S. 25 f.), ist durch militärische Notwendigkeiten bedingt, da die Streitkräfte des syrischen Regimes in weiten Teilen des Landes im Kampfeinsatz sind (DOI v. 1.2.2017 an Hess. VGH) und kann daher - zumindest nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit - einer Verfolgungshandlung gleichgestellt werden.
83 Sollte es zur Strafverfolgung kommen, stellen die oben genannten Strafrahmen als solche eine von ihrer Höhe nicht zu beanstandende ordnungsrechtliche Sanktion für die Verletzung einer alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Pflicht dar. Zureichende Anhaltspunkte, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit darüberhinausgehende Drangsalierungen bis hin zur Folter beachtlich wahrscheinlich sind, liegen nach der Überzeugungsbildung des Senats nicht vor. Als wesentlich ist nämlich in die Überlegungen mit einzubeziehen, dass das syrische Regime den bestehenden Konflikt für sich entscheiden will und daher einen erheblichen Bedarf an einsatzbereiten Soldaten hat. [...]
84 Eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungshandlung lässt sich auch nicht den Ausführungen wie z.B. des DOI (v. 7.11.2016 an OVG S-H, wonach bei Wehrdienstentziehung eine harte Strafe bis hin zu Folter und Tod drohe), der Dt. Botschaft Beirut (v. 3.2.2016, wonach im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst Fälle von Haft oder dauerndem Verschwinden bekannt geworden seien), des IRB Canada (v. 19.1.2016, wonach Wehrdienstpflichtige eine sehr vulnerable Gruppe darstellen), des Danish Immigration Service (v. 9/2015 S. 18, wonach das Syrische Regime bei Wehrdienstentziehung mit Einberufung nach Arrest, Einsatz an der Front, Bestrafung, Misshandlung reagiert) und der SFH (v. 28.3.2015, wonach es bei ergriffenen Wehrdienstverweigerern in der Haft zu Folter komme) entnehmen. Zum einen fehlen belastbare Angaben, um in Anbetracht der hypothetisch großen Rückkehrwelle den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ausfüllen zu können, zum anderen bleiben die Einschätzungen im Allgemeinen und setzen sich insbesondere nicht mit dem gegenläufigen Interesse des syrischen Regimes an einer Aufstockung seiner
Soldaten auseinander.
85 (bb) Und selbst wenn Verfolgungshandlungen als beachtlich wahrscheinlich angesehen werden, fehlt es an der Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund, hier einer an die Wehrdienstentziehung anknüpfenden vermuteten politischen Opposition zum syrischen Regime. [...]
87 Zudem ist davon auszugehen, dass die Furcht Wehrpflichtiger vor den Gefahren eines Kriegseinsatzes ein mächtiges unpolitisches Motiv für eine Flucht darstellt, gerade auch in Anbetracht der erbitterten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den zahlreichen beteiligten Mächten/Gruppierungen in Syrien. Dies muss bei lebensnaher Betrachtung aber auch den syrischen Behörden vor Augen stehen (so aus Sicht des Senats zu Recht OVG NW, Urt. v. 4.5.2017 - 14 A 2023/16 -, Rnr.61 ff., OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, Rnr. 159).
88 Soweit es - entgegen den Ausführungen unter (a) unterstellt - zu erheblichen Misshandlungen kommen sollte, führte dies hinsichtlich der Frage nach einem Verfolgungsgrund nicht weiter. [...] Es spricht vielmehr bei der gebotenen rationalen/plausiblen Betrachtung Überwiegendes dafür, dass der Maßnahme - ausgehend von dem oben dargelegten Ziel, wieder eine umfassende Gebietsherrschaft zu erlangen - die Absicht des syrischen Regimes zugrunde läge, Wehrdienstentziehung im Interesse der Aufrechterhaltung der militärischen Streitmacht umgehend und deutlich zu bekämpfen (vgl. OVG NW, Urt. v. 4.5.2017 - 14 A 2023/16 -, juris Rnr. 58). Bei der Umsetzung dieser Absicht weisen die Erkenntnisquellen erneut auf ein schon weiter oben beschriebenes willkürlich-wahlloses und damit ohne Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund erfolgendes Verhalten der Sicherheitskräfte/der syrischen Armee hin. [...]
92 Hintergrund der Vorschrift des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ist, dass sich eine Reihe von Mitgliedsstaaten gegen jeden Versuch gewandt hatte, die Ablehnung des Militärdienstes aus subjektiven Erwägungen oder Überzeugungen flüchtlingsrechtlich zu privilegieren. Ein Recht auf Wehrdienst- oder Kriegsdienstverweigerung sollte vielmehr nach wie vor nicht generell anerkannt werden. Es wurde daher vorgeschlagen, stattdessen im Einklang mit der Staatenpraxis als objektives Kriterium den Zwang zur Teilnahme an völkerrechtswidrigen Militäraktionen in bewaffneten Konflikten als Grund für eine Flüchtlingsanerkennung anzunehmen (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: 3 /2017, § 3a AsylG Rnr. 31).
93 Die Anwendungsbreite dieser Vorschrift, die unter der Überschrift "Verfolgungshandlungen" steht, ist noch nicht vollständig geklärt.
94 Auszugehen ist davon, dass man sich auf diese Vorschrift nicht berufen kann, wenn die Möglichkeit einer Wehrdienst- oder Kriegsdienstverweigerung in dem jeweiligen Land besteht (EuGH, Urt. v. 26.2.2015 - C-472/13 -, Shepherd, juris).
95 Auszugehen ist zudem davon, dass mit dieser Vorschrift die generelle asylrechtliche Unbeachtlichkeit einer staatlichen Sanktionierung von Fahnenflucht und Desertion aufgehoben wird, weil mit ihr unabhängig vom Inhalt und der Anwendung eines nationalen Wehrstrafrechts die Bestrafung dann Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist, wenn sich der Militärdienst, welchem sich der Ausländer entzogen hat, als Teilnahme an Kriegsverbrechen und anderen völkerrechtswidrigen Handlungen darstellt. Unter diesen Umständen entfällt die Legitimität einer strafrechtlichen Sanktionierung des Wehrdienstentzuges, weil dem Wehrdienstentzug kein kriminelles Unrecht zugrunde liegt (VG Osnabrück, Urt. v. 5.12.2016 – 7 A 35/16 –, juris Rnr. 136; GKAsylG, Stand: 4/2017, § 60 Rnr. 169 ff.).
96 Unterschiedlich bewertet wird dagegen, ob neben der Verfolgungshandlung noch ein Verfolgungsgrund zu fordern ist.
97 Teilweise wird - zu der vergleichbaren Vorschrift in Art. 9 Abs. 2 e RL 2011/95/EU - die Auffassung vertreten, die Vorschrift sei systematisch etwas verunglückt und stelle an sich einen Verfolgungsgrund dar (vgl. GK-AsylG, Stand: 4/2017, § 60 Rnr. 169 ff.). Letztlich sei jeder Deserteur ungeachtet einer - ohnehin in der Realität nicht nachprüfbaren - Gewissensentscheidung anzuerkennen, um einen Wertungswiderspruch zu vermeiden. Wenn nämlich einerseits die Teilnahme an Kriegsverbrechen sanktioniert werde und Personen, die an derartigen Kriegsverbrechen teilgenommen hätten, bei einem etwaigen Antrag auf Gewährung von Flüchtlingsschutz die Flüchtlingsanerkennung versagt werde, dann könne nicht andererseits die Weigerung, an solchen Taten teilzunehmen und die damit in Kauf genommene Bestrafung als flüchtlingsrechtlich irrelevant eingestuft werden. Vergleichbar führt UNHCR 4/2017 aus: [...]
99 Eine unter § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG fallende Bestrafung soll somit per se eine Verfolgung darstellen (vgl. allg. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., S. 67 ff., 75 ff., vgl. z.B. VG Potsdam, Urt. v. 17.2.2016 - 6 K 1995/15 - juris, Rnr. 18; VG Freiburg, Urt. v. 1.2.2017 - A 4 K 2903/16 -, juris Rnr. 28, 32, das - allerdings nicht tragend - von einem implizit vorhandenen oder zumindest zugeschriebenen Verfolgungsgrund religiöser oder humanistischer oder politischer Art ausgeht).
100 Teilweise wird ein Verfolgungsgrund ausdrücklich geprüft (z. B. VG Sigmaringen. Urt. v. 31.1.2017 - A 3 K 4482/16 - juris Rnr. 137 ff.), dabei wird als Verfolgungsgrund auch auf die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe abgestellt (VG Göttingen, Urt. v. 22.3.2017 - 3 A 25/17 -, juris Rnr. 119). Teilweise wird zur Notwendigkeit des Vorliegens eines Verfolgungsgrundes ausgeführt, das Flüchtlingsrecht solle nicht vorrangig verhindern, dass Menschen zu Verbrechern werden; insoweit seien Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen dem internationalen Völkerstrafrecht überantwortet, das eine repressiven Ansatz verfolge. Das Flüchtlingsrecht solle vielmehr verhindern, dass Menschen zu Opfern von Diskriminierungen würden, daher sei neben einer Verfolgungshandlung immer ein Verfolgungsgrund erforderlich. Die bloße Tatsache, dass eine Person Opfer einer Gewalthandlung werde, reiche für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht aus. Fehle der Verfolgungsgrund, komme Schutz nach § 4 AsylG in Betracht (VG Wiesbaden, Urt. v. 7.3.2017 - 6 K 1426/16 -, juris Rnr.41). Der EuGH (Urt. v. 26.2.2015 - C-472/13 -, Shepherd, juris) hatte in seinem Urteil keinen Anlass gesehen, Verfolgungsgründe zu prüfen (Rnr. 31); die Generalanwältin (C-472/13, Schlussantrag Rnr. 47 ff., 59) ist dagegen ausdrücklich auch auf das Vorliegen von etwaigen Verfolgungsgründen eingegangen.
101 Eine Klärung dieser Fragen ist anlässlich des vorliegenden Falles nicht erforderlich.
102 Nicht ausreichend für die Anwendung dieser Vorschrift ist nämlich, dass das "Militär" als solches Verbrechen im Sinne der Vorschrift begeht. [...]
108 Der um Flüchtlingsschutz Nachsuchende muss also mit hinreichender Plausibilität darlegen, dass (gerade) seine Militäreinheit Einsätze unter Umständen durchgeführt hat oder durchführen wird, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen und dass er sich bei der Ausübung seiner Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müsste, wobei logistische und sonstige Unterstützertätigkeiten ausreichend wären.
109 Hieran fehlt es im Falle des Klägers schon deswegen, weil er als bislang ungedienter, nach eigenem Vortrag bis 2015 zurückgestellter Wehrpflichtiger noch gar keiner Einheit zugeteilt ist und zunächst seine militärische Ausbildung noch durchlaufen muss (vgl. hierzu OVG NW, Urt. v. 4.5.2017 - 14 A 2023/16 -, juris). Wo er ggfls. einmal eingesetzt wird und welche Aufgaben ihm dann obliegen, ist derzeit völlig unklar. Unabhängig davon neigt der Senat dazu, eine (glaubhafte, vgl. hierzu Bay. VGH, Beschl. v. 13.1.2017 - 11 ZB 16.31051 -, juris) förmliche Verweigerung des Dienstes zu verlangen, eine Voraussetzung, die durch das bloße Entziehen durch Flucht nicht erfüllt wird (ebenso OVG NW, Urt. v. 4.5.2017, aaO.). [...]
111 (3) Es wäre mit der Systematik des AsylG auch nicht vereinbar, alle vor den katastrophalen Zuständen in Syrien Geflohenen und potentiellen Rückkehrer als "bestimmte soziale Gruppe" im Sinne des §§ 3 Abs. 1 Nr.1, 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG aufzufassen. [...]
113 (4) Auch eine umfassende Gesamtwürdigung aller oben aufgezeigten möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Umstände führt jedenfalls nicht zur Flüchtlingszuerkennung; denn auch bei dieser Gesamtabwägung muss nach der Überzeugungsbildung durch den Senat bei lebensnaher Betrachtung dem syrischen Regime vor Augen stehen, dass der Kläger kein tatsächlicher/vermeintlicher Oppositioneller, sondern lediglich ein vor den Bürgerkriegswirren und dessen Konflikten Geflohener ist. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat auch nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu erkennen, dass angesichts des erheblichen Rekrutierungsinteresses die Wehrdienstentziehung des Klägers zu einer politischen Verfolgung bei Rückkehr führt.
114 (5) Keine Rolle spielt, dass die Beklagte eine frühere Entscheidungspraxis zu Lasten der Rechtsschutzsuchenden geändert hat. Ausgangspunkt war allerdings - wie dem Senat aus früher anhängigen Verfahren bekannt ist - schon ursprünglich eine Flüchtlingsschutz versagende Entscheidungspraxis. Diese hat die Beklagte ab 2011 in einzelnen Fällen und verstärkt nach einer ersten "Welle" etwa ab Herbst 2015 geändert. Was Grund dafür war, kann dahinstehen - möglicherweise (auch) die weitgehende Angleichung des Status des subsidiären Schutzes bzgl. des Familiennachzugs an denjenigen der anerkannten Flüchtlinge, was die Fortführung der damaligen Verfahren möglicherweise als unergiebig erscheinen ließ -; denn eine Flüchtlingsanerkennung entsprach - wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt - nicht der Rechtslage und die Beklagte ist nicht verpflichtet, ein als rechtswidrig erkanntes Verhalten fortzusetzen. Zudem war mit Gesetz vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390) mit Wirkung zum 17. März 2016 § 104 Abs. 13 AufenthG in Kraft getreten, wonach der Familiennachzug für den hier in Rede stehenden Personenkreis zeitlich aufgeschoben worden ist und damit die Unterschiede zwischen den genannten Rechtsstellungen wieder ausgeprägter geworden waren.
115 Da bei (hypothetisch) Zurückkehrenden einschl. Wehrdienstentziehern willkürliche Anwendung von Misshandlungen ggfls. einschl. Folter nicht mit der gebotenen Sicherheit ausgeschlossen werden kann, besteht ein Anspruch auf Schutz nach § 4 AsylG. Dieser ist gewährt worden. [...]