VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Urteil vom 08.03.2017 - 6 K 4546/16.A - asyl.net: M25292
https://www.asyl.net/rsdb/M25292
Leitsatz:

1. Blutrache knüpft nicht an eine asylrelevantes Persönlichkeitsmerkmal i.S.d. § 3b AsylG an.

2. Betroffene zählen auch nicht zu einer bestimmten sozialen Gruppe, da es an einer abgegrenzten Identität fehlt.

2. Personen, denen in Tschetschenien die Blutrache droht, können in anderen Regionen der Russischen Föderation internen Schutz finden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Tschetschenien, Blutrache, interne Fluchtalternative, soziale Gruppe, Verfolgungsgrund,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3b,
Auszüge:

[...]

Hinsichtlich der durch Verwandte jenes Unfallopfers angedrohten Blutrache ist es nicht ersichtlich, dass diese Verwandten dem Kläger zu 1. (oder dem minderjährigen Kläger zu 3.) landesweit nachstellen können, es sich also um nichtstaatliche Verfolgungsakteure i.S.v. § 3c Nr. 3 AsylG handelt, gegen welche staatliche russische Stellen keinen Schutz böten (vgl. § 3c Nr. 3 i.V.m. § 3 d AsylG). Hinsichtlich des- oder derjenigen, die sich nach den Angaben (nur) der Klägerin zu 2. wegen des Schadens am BMW an den Kläger zu 1. gewandt haben sollen, ist insofern erst recht nichts erkennbar.

An dieser Stelle kann es freilich dahinstehen, ob die Kläger tatsächlich keinen staatlichen Schutz gegen blutrachebedingte Übergriffe nichtstaatlicher Akteure in Anspruch nehmen können, obgleich es gerichtsbekannt ist (vgl. VG Potsdam, Urteil vom 14. Juni 2016 - VG 6 K 124/125.A -), dass die russische Justiz zumindest in Einzelfällen gegen einschlägige Akte der Selbstjustiz strafrechtlich vorgeht.

Denn es ist davon auszugehen, dass die Kläger jedenfalls in den außerhalb Tschetscheniens liegenden Teilen der Russischen Föderation internen Schutz im Sinne des § 3e Abs. 1 AsylG finden können. [...]

Es bestehen infolgedessen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger im Falle ihrer Rückkehr in andere Landesteile der Russischen Föderation von staatlichen Stellen festgenommen und nach Tschetschenien überstellt werden würden, und es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Verwandten jenes Unfallopfers oder diejenigen, die ggf. Schadenersatzansprüche wegen der Unfallschäden geltend gemacht haben, den Klägern zu 1. und 3. außerhalb der engeren Heimatregion nachstellen. Soweit die Kläger sich in der mündlichen Verhandlung darauf berufen haben, dass auch der Vater des Klägers zu 1. mit weiteren Familienangehörigen in Deutschland um asylrechtlichen Schutz nachsucht, weil ihm ebenfalls von Verwandten jenes Unfallopfers nachgestellt worden sei, ergibt sich hieraus nichts anderes: der Vater des Klägers zu 1. hatte sich vorgeblich weiterhin in der Heimatregion aufgehalten, so dass er - bei Wahrunterstellung der Blutrachegeschichte der Kläger - als männliches Familienmitglied Ziel der fortdauernden Genugtuungsforderungen hat sein können. Es liegt aber nahe, dass auch der Vater des Klägers zu 1. in andere Regionen der Russischen Föderation hat ausweichen können, um der vorgeblichen Fehde aus dem Weg zu gehen, zumal auch er bis zur Ausreise aus der Russischen Föderation mehrere Jahre nach jenem Unfall unbehelligt vor Ort gelebt hatte. [...]