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LSG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.06.2017 - L 31 AS 618/17 B ER - asyl.net: M25263
https://www.asyl.net/rsdb/M25263
Leitsatz:

Für Flüchtlinge bzw. Asylberechtigte ist allein der Träger zuständig, in dessen Gebiet die leistungsberechtigte Person nach § 12 a Abs 1-3 Aufenthaltsgesetz ihren Wohnsitz zu nehmen hat. Nur dort kann unter Berücksichtigung des insoweit begrenzten Freizügigkeitsrechts die Zuständigkeit eines Jobcenters begründet werden.

(Amtlicher Leitsatz, anders LSG NRW, Beschluss vom 06.03.2017 - L 21 AS 229/17 B ER; L 21 AS 230/ 17 B - asyl.net: M24913)

Schlagwörter: Wohnsitzregelung, Sozialleistungen, örtliche Zuständigkeit, anerkannte Flüchtlinge, Flüchtlingsanerkennung, Wohnsitzauflage, Zuweisung,
Normen: AufenthG § 12a, SGB II § 36 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

10 Nach § 36 Abs. 2 SGB II ist für die Leistungen nach dem SGB II der Träger zuständig, in dessen Gebiet die leistungsberechtigte Person nach § 12 a Abs.1 bis 3 des Aufenthaltsgesetzes ihren Wohnsitz zu nehmen hat.

11 Die Vorschrift, die zum 6. August 2016 in Kraft getreten ist, lässt sich sinnvoll nur im Zusammenhang mit dem ebenfalls am 6. August 2016 in Kraft getretenen § 12a Aufenthaltsgesetz verstehen und auslegen. Nach § 12a Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz ist ein Asylberechtigter, Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter verpflichtet, für den Zeitraum von 3 Jahren ab Anerkennung oder Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in dem Land seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen, in das er zur Durchführung des Asylverfahrens zugewiesen worden ist.

12 Diese Voraussetzungen liegen für die Antragsteller zu 2. - 7. offensichtlich vor, so dass ihr Aufenthaltstitel mit einer entsprechenden Nebenbestimmung versehen wurde. Diese Nebenbestimmung erlaubt den Antragstellern zu ihren Gunsten eine freie Wohnsitzwahl im gesamten Land Schleswig-Holstein. Die den potentiellen Antragsteller im Vergleich dazu wesentlich stärker belastende Verpflichtung, seinen Wohnsitz an einem bestimmten Ort zu nehmen (§ 12a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz), darf erst ergehen, wenn dies zur Versorgung mit angemessenem Wohnraum erforderlich ist und der Förderung seiner nachhaltigen Integration nicht entgegensteht. Eine solche Wohnsitzauflage bezogen auf einen bestimmten Wohnsitz in Schleswig-Holstein ist nicht ergangen. Dies ist den Antragstellern allein günstig.

13 Damit erstreckt sich das Gebiet, in dem die leistungsberechtigten Antragsteller zu 2. – 7. ihren Aufenthalt zu nehmen haben, auf das Gebiet des gesamten Landes Schleswig-Holstein. Nur dort kann unter Berücksichtigung ihres insoweit begrenzten Freizügigkeitsrechts die Zuständigkeit eines Jobcenters begründet werden. Es ist insoweit weder dargetan noch ersichtlich, dass ein beliebiges Jobcenter in Schleswig-Holstein seiner bestehenden Verpflichtung, den Lebensunterhalt der Antragsteller zu 2. - 7. zu sichern, nicht nachkommen würde.

14 Danach kommt für die Antragsteller zu 2.- 7. unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die Zuständigkeit eines Berliner Jobcenters in Betracht.

15 Der Auffassung des Sozialgerichts, dass diese integrations- und sozialpolitisch einzig sinnvolle Auslegung im Gesetzeswortlaut keinen ausreichenden Niederschlag gefunden hat, ist ausdrücklich entgegen zu treten. Sie führt lediglich dazu, die sinnvolle Regelung des § 12a Aufenthaltsgesetz, die die Lasten des Flüchtlingsstroms gleichmäßig auf die Bundesländer verteilen will, sozialrechtlich auszuhöhlen und in ihr Gegenteil zu verkehren, ohne dass hierfür ein auch nur einigermaßen plausibler Grund angeführt werden könnte. Die Auslegung des Sozialgerichts bedingt, dass die Adressaten einer Wohnsitzauflage de facto ohne Konsequenzen gegen diese verstoßen und ihren Wohnsitz unter Aufrechterhaltung des Sozialleistungsanspruchs frei wählen können. Dass diese Konsequenz keineswegs gewollt ist, zeigt der Wortlaut der hier einschlägigen Vorschriften deutlich. Denn es hätte einer Norm wie § 36 Abs. 2 SGB II überhaupt nicht bedurft, wenn der Gesetzgeber hätte regeln wollen, dass die Leistungsberechtigten entgegen ihrer Wohnsitzauflage an jedem beliebigen Ort in der Bundesrepublik Leistungen in Anspruch nehmen können. Denn dieser Grundsatz stand und steht in § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB II und sollte für den hier betroffenen Personenkreis gerade nicht gelten.

16 Soweit das Sozialgericht darauf hinweist, dass eine Diskrepanz zwischen der ein ganzes Bundesland betreffenden Wohnsitzauflage und dem örtlichen Zuständigkeitsbereich eines Jobcenters existiert, ist dies zwar an sich richtig, belegt aber nicht die von ihm vertretene Rechtsauffassung. In diesem Zusammenhang verkennt das Sozialgericht, dass es dem Gesetzgeber mit einer großzügigen, nur ein Bundesland und nicht nur einen bestimmten Wohnort betreffenden Auflage um die Erhaltung eines Restes an Freizügigkeit gegangen sein dürfte.

17 Auch die systematische Analyse des § 36 Abs. 2 SGB II durch das Sozialgericht leidet an demselben Mangel, wenn es behauptet, die positive Zuständigkeitsregelung des § 36 Abs. 2 Satz 1SGB II ginge ins Leere, wenn nicht eine – wesentlich rigidere - Wohnsitzauflage nach § 12 a Abs. 2 und 3 Aufenthaltsgesetz vorliege. Es verkennt schlicht und einfach, dass den Leistungsberechtigten mit einer nur das Bundesland betreffenden Wohnsitzauflage ein größerer Freizügigkeitsspielraum, auch vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, an dem sich eine belastende Wohnsitzauflage auch messen lassen muss, verbleibt. Daraus zu folgern, dass die daran anknüpfende Zuständigkeitsbestimmung der Jobcenter ins Leere ginge, ist für den Senat kaum nachvollziehbar. In diesem Zusammenhang ist es nur klarstellend und keineswegs ein Widerspruch im Regelungsgehalt, wenn klargestellt wird, dass für den Fall, dass dem Ausländer die Auflage erteilt wird, sich an einem bestimmten Ort gerade nicht aufzuhalten, an diesem Ort auch keine Zuständigkeit des Jobcenters begründet werden kann (§ 36 Abs. 2 Satz 2SGB II). Vielmehr belegt auch diese Norm den eindeutigen Zusammenhang zwischen Wohnsitzauflage und zuständigem Jobcenter. [...]