OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 09.12.2016 - 8 ME 184/16 - asyl.net: M25224
https://www.asyl.net/rsdb/M25224
Leitsatz:

1. Aufgenommen hat der Ausländer die Ausbildung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG, wenn er sich auf der Grundlage eines Ausbildungsvertrages am Ausbildungsplatz eingefunden und die Ausbildung tatsächlich bereits begonnen hat. Mit der hiervon abzugrenzenden Variante, dass der Ausländer eine Ausbildung aufnimmt, sind auch solche Fälle erfasst, in denen der Ausländer die Ausbildung zwar tatsächlich noch nicht aufgenommen hat, dies aufgrund eines bereits geschlossenen Ausbildungsvertrages aber demnächst zu erwarten ist.

2. Die Aufnahme der Ausbildung muss - als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG - auch nach Maßgabe der zu beachtenden aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen rechtmäßig erfolgen. Dies setzt insbesondere voraus, dass dem Ausländer eine nach §§ 4 Abs. 2 Satz 3, 42 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG in Verbindung mit § 32 Abs. 1 und 2 Nr. 2 BeschV erforderliche Beschäftigungserlaubnis erteilt worden ist, für die es bei der Aufnahme einer Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf lediglich der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit nicht bedarf.

3. Konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung stehen bevor im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG, wenn die Abschiebung durch die Ausländerbehörde oder eine andere für die Aufenthaltsbeendigung zuständige Behörde vorbereitet wird und für diese absehbar durchgeführt werden soll. Der Erteilung einer Duldung entgegenstehende Maßnahmen sind daher solche, die nach typisierender Betrachtung prognostisch bereits in einem engen sachlichen und vor allem zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung selbst stehen.

4. Für das Bevorstehen konkreter Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung ist die Sachlage in dem Zeitpunkt maßgeblich, in dem der Ausländer bei der Ausländerbehörde die Erteilung der Duldung zum Zwecke der Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung unter Berufung auf einen bestehenden Ausbildungsvertrag und eine darauf bezogene erforderliche Beschäftigungserlaubnis beantragt hat.

(Amtliche Leitsätze; Anmerkung: im vorliegenden Fall wurde die Beschäftigungserlaubnis am 18.10.2016 beantragt, am 27.10.2016 wurden aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet, am 31.10.2016 wurde die Ausbildungsduldung beantragt )

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Beschäftigungserlaubnis, Arbeitsgenehmigung, aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Aufnahme, Ausbildungsvertrag, Beginn, Bevorstehen konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung, Antrag, Antragstellung,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2 S. 3, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4, AufenthG § 4 Abs. 2 S. 3, AufenthG § 42 Abs. 2 Nr. 5, BeschV § 32 Abs. 1, BeschV § 32 2 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

1 Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Aussetzung der Abschiebung zu verpflichten. Der Antragsteller hat einen (Anordnungs-) Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung zum Zwecke der Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 ff. AufenthG nicht glaubhaft gemacht. [...]

3 Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf aufnimmt oder aufgenommen hat (1.). Zudem stehen konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevor (2.). [...]

5 Ist eine solche qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf gegeben, wird dem Ausländer die Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG erteilt, wenn er die Ausbildung "aufnimmt oder aufgenommen hat". "Aufgenommen hat" der Ausländer die Ausbildung, wenn er sich auf der Grundlage eines Ausbildungsvertrages am Ausbildungsplatz eingefunden und die Ausbildung tatsächlich bereits begonnen hat. Mit der hiervon abzugrenzenden Variante, dass der Ausländer eine Ausbildung "aufnimmt", sind auch solche Fälle erfasst, in denen der Ausländer die Ausbildung zwar tatsächlich noch nicht "aufgenommen hat", dies aufgrund eines bereits geschlossenen Ausbildungsvertrages aber demnächst zu erwarten ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.10.2016 - 11 S 1991/16 -, juris Rn. 15). Ein restriktiveres Verständnis, welches als Voraussetzung für die Erteilung der Duldung stets eine tatsächliche Aufnahme der Ausbildung erforderte (vgl. dahingehend die Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD - Drucksache 18/8615 - Entwurf eines Integrationsgesetzes, BT-Drs. 18/9090, S. 26), ist mit Blick auf die vom Gesetzgeber vorgenommene sprachliche Differenzierung von zwei Varianten und auch auf den vom Gesetzgeber mit der Neuregelung verfolgten Zweck (vgl. hierzu Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Integrationsgesetzes, BT-Drs. 18/8615, S. 26) nicht geboten.

6 Allerdings genügt es nicht allein, dass der Ausländer die Ausbildung nach Maßgabe des Ausbildungsvertrages tatsächlich aufnimmt oder aufgenommen hat. Erforderlich ist vielmehr, dass die Aufnahme der Ausbildung auch nach Maßgabe der zu beachtenden aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen rechtmäßig erfolgt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.10.2016, a.a.O., Rn. 14; VG Freiburg (Breisgau), Beschl. v. 11.10.2016 - 4 K 3553/16 -, juris Rn. 6). Dies setzt insbesondere voraus, dass dem Ausländer eine nach §§ 4 Abs. 2 Satz 3, 42 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG in Verbindung mit § 32 Abs. 1 und 2 Nr. 2 BeschV erforderliche Beschäftigungserlaubnis erteilt worden ist, für die es bei der Aufnahme einer Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf lediglich der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit nicht bedarf (vgl. im Einzelnen: Breidenbach/Neundorf, Arbeitsmarkzugangsrechte von Drittstaatsangehörigen, in: ZAR 2014, 227, 231 f.; v. Harbou, Der Zugang Asylsuchender und Geduldeter zu Erwerbstätigkeit und Bildung, in: NVwZ 2016, 421, 423 f.; GK-AufenthG, § 60a Rn. 66 ff. (Stand: März 2016) mit weiteren Nachweisen). Für den Senat ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung der Duldung zum Zwecke der Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung durch das Integrationsgesetz auf das bestehende Erfordernis einer Beschäftigungserlaubnis verzichten und Ausländern ohne einen Aufenthaltstitel abweichend vom Grundsatz des § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG den unreglementierten Zugang zu einer Ausbildung eröffnen wollte. Nach den Gesetzesmaterialien zielt die Neuregelung in § 60a Abs. 2 Satz 4 ff. AufenthG vielmehr nur darauf ab, für die Dauer einer - im Einklang mit den geltenden gesetzlichen Bestimmungen aufgenommenen - Berufsausbildung mehr Rechtssicherheit für Geduldete und Ausbildungsbetriebe zu schaffen (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Integrationsgesetzes, BT-Drs. 18/8615, S. 26).

7 Die so beschriebenen Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG erfüllt der Antragsteller nicht. Er hat zwar mit dem D. unter dem 25. Oktober 2016 einen Berufsausbildungsvertrag geschlossen, wonach zum 1. November 2016 eine dreijährige und damit qualifizierte Berufsausbildung zum Bäcker, einem staatlichen anerkannten Ausbildungsberuf, aufgenommen werden soll. Der Antragsteller verfügt aber nicht über die für die Aufnahme dieser Berufsausbildung erforderliche Beschäftigungserlaubnis des Antragsgegners. Der Antragsgegner hat vielmehr den Antrag des Antragstellers vom 18. Oktober 2016, ihm eine Beschäftigungserlaubnis für die beabsichtigte Ausbildung zu erteilen, im Bescheid vom 23. November 2016 abgelehnt. Anhaltspunkte dafür, dass diese Ablehnung rechtswidrig ist, bestehen für den Senat nicht.

8 2. Die Erteilung einer Duldung zum Zwecke der Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung ist hier zudem deshalb ausgeschlossen, weil konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorstehen. Dies erfordert nicht, dass konkrete Maßnahmen bereits angeordnet oder ausgeführt worden sind. Es genügt vielmehr, dass die Abschiebung durch die Ausländerbehörde oder eine andere für die Aufenthaltsbeendigung zuständige Behörde vorbereitet wird und für diese absehbar durchgeführt werden soll (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD - Drucksache 18/8615 - Entwurf eines Integrationsgesetzes, BT-Drs. 18/9090, S. 26). [...]

9 Den Antrag auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG hat die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers erst am 31. Oktober 2016 unter Bezugnahme auf den am 25. Oktober 2016 geschlossenen Ausbildungsvertrag gestellt. Zuvor hatte der Antragsteller unter dem 18. Oktober 2016 lediglich - und, wie dargestellt, notwendigerweise - die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis beantragt. Ungeachtet dessen, dass am 31. Oktober 2016 die erforderliche Beschäftigungserlaubnis nicht vorlag, standen zu diesem Zeitpunkt bereits konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevor. Der Antragsgegner hatte bereits am 27. Oktober 2016 ein Abschiebungsersuchen an das Landeskriminalamt Niedersachsen gerichtet und zeitgleich dem Antragsteller bescheinigt, dass die Abschiebung eingeleitet ist. [...]