1. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG aufgrund der Gefahr einer Verfolgung durch die Taliban wegen Tätigkeit als Lkw-Fahrer für eine US-Firma. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger eine inländische Fluchtalternative in Afghanistan hat.
2. Zugleich Ablehnungen der Klagen von Ehefrau und minderjährigem Kind, da diesen weder die Flüchtlingseigenschaft, noch subsidiärer Schutz zuerkannt werden und auch keine Feststellung nationaler Abschiebungsverbote erfolgen könne.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Der Kläger zu 1. hat zudem glaubhaft gemacht, dass sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit wegen seiner Tätigkeit für diese Firma durch die Taliban bedroht worden sind, er Afghanistan also vorverfolgt verlassen hat. Der Kläger hat glaubhaft vorgetragen, dass er etwa eineinhalb bis zwei Jahre vor seiner Ausreise Drohbriefe von den Taliban erhalten hat, wonach er aufgefordert worden sei, seine Tätigkeiten für die Ungläubigen einzustellen. Andernfalls werde er "eine höhere Strafe" zu erwarten haben. [...]
Dem Kläger zu 1. stand und steht auch keine zumutbare inländische Fluchtalternative zur Verfügung, um bei seiner Rückkehr nach Afghanistan einer Verfolgung der Taliban auszuweichen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger andernorts in Afghanistan vor Nachstellungen durch die Taliban sicher ist. Auch insoweit kommt ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL zugute. Die Auskunftslage lässt auch nicht den gesicherten Schluss zu, dass die Furcht des Klägers vor Übergriffen unbegründet wäre. Das durch seine Flucht entstandene Misstrauen der Taliban dem Kläger gegenüber wird sich durch seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik weiter verfestigt haben. Nach den Erkenntnissen des UNHCR ist überdies zu bedenken, dass einige Befehlshaber und bewaffnete Gruppen als Urheber von Verfolgung sowohl auf lokaler als auch auf zentraler Ebene agieren. In einigen Fällen sind sie eng mit der örtlichen Verwaltung verbunden, während sie in anderen Fällen Verbindungen zu mächtigeren und einflussreichen Akteuren einschließlich auf der zentralen Ebene verfugen und von diesen geschützt werden. Der Staat ist hierbei nicht in der Lage, Schutz vor Gefahren, die von diesen Akteuren ausgehen, zu gewährleisten. Die Verbindungen zu anderen Akteuren kann - abhängig vom Einzelfall - eine Person einer Gefahr aussetzen, die über das Einflussgebiet eines lokalen Befehlshaber hinausgeht, einschließlich in Kabul. Sogar in einer Stadt wie Kabul, die in Viertel eingeteilt ist, wo sich die Menschen zumeist untereinander kennen, bleibt eine Verfolgungsgefahr bestehen, da Neuigkeiten über eine Person, die aus einem anderen Landesteil oder dem Ausland zuzieht, potentielle Akteure einer Verfolgung erreichen können (UNHCR, Auskunft an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 30.11.2009, S. 4). Im Hinblick auf die Frage, ob für den Kläger zu 1. eine begründete Furcht vor Verfolgung auch außerhalb seiner Herkunftsregion bestünde, kann es auch nicht darauf ankommen, wie hoch möglicherweise eine statistische Wahrscheinlichkeit für eine erneute Verfolgung wäre, sofern sich eine solche überhaupt berechnen ließe. Insofern verbietet es der humanitäre Charakter des Asyls, einem Schutzsuchenden, der das Schicksal der Verfolgung bereits einmal erlitten hat, das Risiko einer Wiederholung solcher Verfolgung aufzubürden (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.05.2009 - 10 C 21.08 - juris). Offenbleiben kann damit, ob der Kläger zu 1. seine Existenz am Ort einer Fluchtalternative in zumutbarer Weise und ohne ein Leben in Illegalität angemessen sichern kann (vgl. hierzu, BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 20; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.03.2012 - 11 S 3070/11 - juris). Insoweit war der Klage des Klägers zu 1. daher stattzugeben. [...]
2.1 Für die Klägerin zu 2. und den Kläger zu 3. ergeben sich aus dem Vortrag der Kläger weder das Vorliegen einer Vorverfolgung im genannten Sinn noch für eine ihnen bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Gefahr politischer Verfolgung. Sie konnten nicht glaubhaft machen, dass ihnen - als Ehefrau und kleinem Kind - des von den Taliban wegen seiner Tätigkeit für die Amerikaner bedrohten Klägers zu 1. ebenfalls Leib und Leben bedrohende Übergriffe in ihrem Heimatort oder sonstwo in Afghanistan bevorstanden oder dass sie solches bei einer Rückkehr nach Afghanistan heute erwarten würde. Vielmehr konzentrierte sich die Beschreibung der für den Kläger zu 1. entstandenen Gefahrensituation allein auf diesen bzw. auf die männlichen erwachsenen Mitglieder seiner Großfamilie. Eine entsprechende Bedrohungssituation ist damit für die Kläger zu 2. und 3. nicht hinreichend wahrscheinlich. [...]
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Hierbei ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich das Gericht anschließt, nicht (mehr) erforderlich, dass diese Gefahren seitens des Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen (vgl. BVerwG, U. v. 13.06.2013 - 10 C 13.12 -, BVerwGE 147, 8, juris). Die Vorschrift des Art. 3 EMRK unterscheidet auch nicht zwischen konkreten und allgemeinen.Gefahren. So können auch schlechte humanitäre Bedingungen eine auf eine Bevölkerungsgruppe bezogene Gefahrenlage darstellen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK führt. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes verletzen humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind (vgl. EGMR, U. v. 28.06.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 -, juris). Es müssen folglich ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür vorliegen, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Dies setzt bei einer Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraus (vgl. BayVGH, B. v 30.09.2015 - 13a ZB 15.30063 -, juris, unter Hinweis auf BVerwG, U. v. 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, juris; BayVGH, B. v 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris).
Von einer derartigen Gefährdung kann für die Kläger zu 2. und 3. für den Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan nicht ausgegangen werden, da sie in ihrer Heimatregion über ein breites familiäres Netz verfügen würden (Eltern der Klägerin zu 2., Geschwister und Eltern des Klägers zu 1.). [...]