VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 09.03.2017 - 4 K 572.16 A - asyl.net: M25014
https://www.asyl.net/rsdb/M25014
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung für 49-jährigen Mann aus Syrien:

1. Allein die illegale Ausreise aus Syrien, Asylantragstellung und ein längerer Aufenthalt im westlichen Ausland führen zu keiner Verfolgung wegen unterstellter regimekritischer Einstellung.

2. Bei Würdigung der beachtlichen Wahrscheinlichkeit der Zuschreibung einer regimekritischen Einstellung durch syrische Sicherheitskräfte ist eine niedrige Schwelle anzusetzen. Unter anderem kann die Herkunft aus Gegenden, von denen Proteste ausgingen, für die Zuschreibung ausreichen. Aus Dara'a stammenden Personen wird jedoch keine oppositionelle Haltung zugeschrieben, obwohl dortige Ereignisse im März 2011 Mitauslöser der späteren Proteste waren.

3. Wehrpflichtigen und Reservisten, die sich nicht einer aktuellen Einberufung entzogen haben, droht bei Rückkehr nach Syrien keine Gefahr einer Verfolgung durch den syrischen Staat wegen unterstellter oppositioneller Haltung.

4. Bei Militärdienstverweigerung droht Rückkehrern grundsätzlich unverhältnismäßige Bestrafung nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG bzw. Strafverfolgung oder Bestrafung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG wegen Verweigerung eines Militärdienstes, der völkerrechtswidrige Handlungen nach sich ziehen kann. Allerdings ist angesichts des Alters des Klägers nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dies auch ihn treffen kann. Darüber hinaus ist keine Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund nach § 3a Abs. 3 AsylG erkennbar.

5. Es besteht kein allgemeines Verfolgungsrisiko für Familien von Personen, die sich einer Einberufung zum Wehrdienst entziehen.

6. Es ist nicht erkennbar, dass die Änderung der Entscheidungspraxis des BAMF in Bezug auf den Schutzstatus für Asylsuchende aus Syrien gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Syrien, illegale Ausreise, Asylantrag, Auslandsaufenthalt, Wehrdienstentziehung, Rückkehrgefährdung, politische Verfolgung, Militärdienst, Wehrpflicht, Reservisten, Flüchtlingseigenschaft, Verfolgungsgrund, Nachfluchtgründe, subsidiärer Schutz, Alter, Asylantragstellung, Upgrade-Klage,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3a Abs. 2 Nr. 3, AsylG § 3a Abs. 2 Nr. 5, AsylG § 3a Abs. 3, AsylG § 28, AsylG § 28 Abs. 1a
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Es ist weder eine nach den hierfür geltenden Maßstäben (siehe unter I.) maßgebliche Vorverfolgung des Klägers geltend gemacht oder erkennbar (siehe unter II.) noch sind mit der erforderlichen richterlichen Überzeugung Gründe für eine Nachverfolgung durch den syrischen Staat (siehe unter III.) oder durch andere Verfolgungsakteure (siehe unter IV.) feststellbar. Es liegt weiterhin kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor (siehe unter V.). [...]

II.

Nach diesen Maßstäben sind zunächst keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Kläger vorverfolgt aus Syrien ausgereist ist. Umstände, die sich als bereits erlittene oder unmittelbar drohende Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 1 AsylG aus einem der in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe seitens des syrischen Staats oder anderer Akteure nach § 3c AsylG ansehen lassen könnten, gehen weder aus den Angaben des Klägers während seiner Anhörung am 6. Juli 2016 (vgl. § 25 Abs. 1 S. 1 AsylG) hervor, noch hat er solche Umstände im Rahmen des Klageverfahrens vorgebracht oder sind sie sonst ersichtlich.

III.

Auf Grundlage der Angaben des Klägers und der Auswertung aller dem Gericht zugänglichen Erkenntnismittel kann auch die beachtliche Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von Nachfluchtgründen im Sinne des § 28 Abs. 1a AsylG wegen einer ihm im hypothetischen Falle der Rückkehr drohenden Verfolgung durch den syrischen Staat aufgrund von – ihm zumindest zugeschriebenen (§ 3b Abs. 2 AsylG) – politischen Überzeugungen nicht zur vollen richterlichen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) festgestellt werden.

Dies gilt zum einen hinsichtlich einer Verfolgungsgefahr wegen (illegaler) Ausreise, Asylantragstellung und längeren Aufenthalts im westlichen Ausland (siehe unter 1.). Etwas anderes ergibt sich im Fall des Klägers zum anderen nicht aus einer Entziehung von der Wehrpflicht bzw. einer drohenden Einziehung zum Kriegsdienst (siehe unter 2.). Sonstige in der Person des Klägers begründete Nachverfolgungsgründe sind ebenfalls nicht erkennbar (siehe unter 3.).

1. Bei einer qualifizierenden Würdigung aller feststellbaren Umstände steht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass dem Kläger politische Verfolgung allein aufgrund (illegaler) Ausreise, Asylantragstellung und längeren Aufenthalts im westlichen Ausland droht, nicht mit der für die gerichtliche Überzeugung erforderlichen Sicherheit fest.

Angesichts der Tatsache, dass aus Deutschland seit April 2011 zunächst informell (vgl. Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 28. April 2011 – M I 3 – 125 242 SYR/0) und im Anschluss durch die obersten Landesbehörden im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern aufgrund jeweils verlängerter Entscheidungen nach § 60a Abs. 1 AufenthG (vgl. Umlaufbeschluss der Innenministerkonferenz vom 26. März 2012 – IV E 3.22; sowie zuletzt etwa Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales Nordrhein-Westfalen vom 11. Oktober 2016 – 122-39.11.04-3-12-079(2604) sowie offenbar auch aus den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 –, juris, Rn. 44; UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Aufl. November 2015, Rn. 40) keine Abschiebungen mehr nach Syrien durchgeführt worden sind, sind keine aktuellen Vergleichsfälle bekannt, auf deren Grundlage auf eine drohende Verfolgung für Rückkehrer nach Syrien oder zwangsweise dorthin Rückgeführter aus den genannten Gründen geschlossen werden könnte.

Auch aus den zugänglichen Erkenntnisquellen ergibt sich aus Sicht der Kammer keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung allein wegen (illegaler) Ausreise, Asylantragstellung und längeren Aufenthalts im westlichen Ausland. Soweit dies von einer Vielzahl erstinstanzlich mit der Frage befasster Verwaltungsgerichte (vgl. aus jüngerer Zeit nur VG Sigmaringen, Urteil vom 31. Januar 2017 – A 3 K 4482/16 –, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 4. Januar 2017 – 2 A 5738/16 –, juris; VG Freiburg, Urteil vom 16. Dezember 2016 – A 1 K 3898/16 –, juris; VG Karlsruhe, Urteil vom 29. November 2016 – A 8 K 4182/16 –, juris; VG Trier, Urteil vom 7. Oktober 2016 – 1 K 5093/16.TR –, juris; VG Meiningen, Urteil vom 1. Juli 2016 – 1 K 20205/16 Me –, juris; VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 – RO 11 K 16.30707 –, juris; VG Köln, Urteil vom 23. Juni 2016 – 20 K 1559/16.A –, juris) und auch der 23. Kammer dieses Gerichts (Urteile vom 2. März 2017 – VG 23 K 1540.16 A und VG 23 K 1551.16 A –, noch nicht veröffentlicht) anders beurteilt wird, schließt sich die Kammer der in diesen Entscheidungen jeweils vorgenommenen Bewertung nicht an. [...]

Es sind insgesamt keine aktuellen Erkenntnisse bekannt, wonach eine beachtliche Verfolgungsgefahr für illegal ausgereiste Rückkehrer nach Stellung eines Asylantrags und Aufenthalts im westlichen Ausland derzeit eindeutig und positiv feststeht. Die von allen mit der Frage befassten Gerichten ausgewertete aktuelle Erkenntnislage ist vielmehr von einer generellen Unsicherheit geprägt (vgl. Deutsches Orient Institut, Auskunft zum Beschluss 3 LB 17/16, S. 1; siehe auch VG Trier, Urteil vom 7. Oktober 2016 – 1 K 5093/16.TR –, juris, Rn. 43). Angesichts der volatilen Lage innerhalb des Landes seit Ausbruch des Bürgerkrieges im März 2011 (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 2. Januar 2017 – 508-9-516.80/ 48 847 –, S. 3) sind bei der anzustellenden Prognose überdies Erkenntnisse umso sorgfältiger auf ihre aktuelle Relevanz zu überprüfen, je länger sie zurück liegen. Angesichts dieser Erkenntnislage ist eine wertende Gesamtbetrachtung aller verfügbaren Informationen erforderlich (vgl. OVG Koblenz, a.a.O., Rn. 45; VG Trier, Urteil vom 7. Oktober 2016 – 1 K 5093/16.TR –, juris, Rn. 43). [...]

a) Eine für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft hinreichende Gefahr des Klägers, allein wegen (illegaler) Ausreise, Asylantragstellung und Aufenthalts im westlichen Ausland Opfer einer Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG zu werden, ist auf Grundlage der vorliegenden Informationen zu der Lage in Syrien und dem Vorgehen der staatlichen Organe nicht mit dem erforderlichen Grad der (Überzeugungs-)Gewissheit feststellbar.

aa) Zwar ist der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad, um im Fall syrischer Rückkehrer von der Beachtlichkeit des Risikos auszugehen, von einer Verfolgungshandlung möglicherweise betroffen zu werden, grundsätzlich gering einzustufen, ohne dass – entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 7. Februar 2008, a.a.O.) – eine genaue arithmetische Festlegung möglich ist. Es steht nach Überzeugung der Kammer auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel fest, dass insgesamt in der Verantwortung staatlicher Organe in Syrien bereits in der Vergangenheit und mit erhöhter Intensität seit Ausbruch des Bürgerkriegs im März 2011 massive Folterungen stattfinden, die Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG für die von ihnen betroffenen Personen darstellen.

Dies betrifft nach den vorliegenden Erkenntnissen in erster Linie Personen, die von syrischen Sicherheitskräften, insbesondere den vier unabhängig voneinander agierenden Geheimdienstorganisationen des Militärischen Nachrichtendienstes, des Luftwaffennachrichtendienstes, des Direktorats für Politische Sicherheit und des Allgemeinen Nachrichtendienstdirektorats (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 5. Januar 2017, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, S. 17; Human Rights Watch vom Dezember 2015, If the dead could speak, S. 21) in Gewahrsam genommen werden (vgl. hierzu insbesondere Amnesty International vom 14. März 2012, Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp, S. 2): [...]

Ein besonnener und vernünftig denkender Mensch wird grundsätzlich auch ein geringes Risiko, schwer misshandelt oder sogar zu Tode gefoltert zu werden, zu vermeiden suchen. Andererseits führt dies nicht zu einer vollständigen Umkehrung der rechtlichen Maßstäbe. Beachtliche Wahrscheinlichkeit liegt nicht schon dann vor, wenn nicht vollständig ausgeschlossen werden kann, Opfer einer Verfolgungshandlung zu werden. Es muss ein gewisses darüber hinaus gehendes reales Risiko bestehen, um von begründeter Furcht vor Verfolgung ausgehen zu können. [...]

bb) Auch die nach diesen Maßstäben zugrunde zu legende geringe Wahrscheinlichkeitsschwelle führt nicht dazu, dass davon auszugehen ist, jeder nach Syrien einreisende oder zwangsweise zurückgeführte Rückkehrer würde mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Opfer von Folter werden. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln hängt die reale Gefahr, selbst Opfer zu werden, maßgeblich davon ab, ob Rückkehrern nach einer freiwilligen oder erzwungenen Rückkehr in das Land von den staatlichen Stellen eine regimefeindliche Handlung zumindest zugeschrieben wird (vgl. so im Ausgangspunkt wohl auch VG Trier, Urteil vom 7. Oktober 2016, a.a.O., Rn. 33). [...]

Nach Würdigung der vorliegenden Erkenntnisse ist dabei für eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Zuschreibung einer regimekritischen politischen Einstellung durch syrische Sicherheitskräfte eine niedrige Schwelle anzusetzen. Nicht zwingend erforderlich ist, dass Gründe hierfür im eigenen Verhalten oder der nach außen erkennbaren eigenen Einstellung der Person angelegt sind. Es kann nach Auswertung der Erkenntnismittel vielmehr insbesondere ausreichen,

- dass Familien- oder Stammesangehörige tatsächlich regierungskritisch eingestellt sind oder ihnen dies unterstellt wird (vgl. hierzu insbesondere Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche vom 10. September 2015 zu Syrien: Reflexverfolgung, S. 1: [...]

UNHCR vom November 2015, a.a.O., Rn. 17 Fn. 74: [...]

- dass Personen aus Gegenden kommen, von denen Proteste ausgingen oder die – zeitweilig – unter Kontrolle der Opposition standen (vgl. hierzu insbesondere UNHCR vom November 2015, a.a.O., Rn. 17 Fn. 78: [...]

Human Rights Council vom 3. Februar 2016, a.a.O., S. 4: [...]

- dass Personen oppositionsnahen Kräften tatsächlich oder vermeintlich medizinische oder humanitäre Unterstützung geleistet haben (vgl. hierzu insbesondere Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche vom 10. August 2015 zu Syrien: Personen, die für humanitäre Organisationen arbeiten, S. 1: [...]

Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Dresden vom 2. Januar 2017 – 508-9-516.80/ 48 819 –, S. 2: [...]

- oder dass sie als Journalisten tätig waren (vgl. UNHCR vom November 2015, a.a.O., S. 26;. Immigration and Refugee Board of Canada vom 19. Januar 2016, Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, Nr. 2).

cc) Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen lässt sich demgegenüber nicht mit für die richterliche Überzeugung gem. § 108 Abs. 1 VwGO hinreichendem Maß entnehmen, dass für die Zuschreibung einer politisch oppositionellen Haltung durch syrische Sicherheitskräfte im Rahmen der Rückkehr bereits die (illegale) Ausreise, Asylantragstellung und der Aufenthalt im westlichen Ausland ohne Hinzutreten weiterer individueller Faktoren ausreichen (so auch OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2017 – 14 A 2316/16.A –, juris; OVG Saarlouis, Urteil vom 2. Februar 2017 – 2 A 515/16 – , juris; OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 –, juris; VGH München, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16.30338 –, juris; OVG Schleswig, Urteil vom 23. November 2016 – 3 LB 17/16 –, juris).

Hierfür kommt es nach Auffassung der Kammer nicht maßgeblich darauf an, welches Risiko besteht, im Falle einer freiwilligen oder erzwungenen Rückkehr überhaupt von syrischen Sicherheitskräften befragt zu werden. [...]

Selbst wenn man eine beachtliche Wahrscheinlichkeit solcher Befragungen unterstellt [...], folgt daraus nicht automatisch eine entsprechende Wahrscheinlichkeit, hierbei oder im Anschluss Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sein. Eine Rückkehrerbefragung an sich stellt nicht unbedingt eine Verfolgungshandlung dar (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 15. April 2015 – A 3 S 1459/13 –, juris, Rn. 25). [...]

dd) Es scheidet nach Auffassung der Kammer außerdem die generell Fortschreibung einer früheren Erkenntnislage aus. Zwar wird es in der Rechtsprechung teilweise als ausreichend für eine aktuell bestehende Verfolgungsgefahr angesehen, dass keine Erkenntnisse für einen Wegfall einer früheren Verfolgungsgefahr vorliegen (vgl. in diese Richtung VG Trier, Urteil vom 7. Oktober 2016, a.a.O., Rn. 42 ff.). Dies allein überzeugt aber nicht. [...] Dies erlaubt im vorliegenden Fall nach Auffassung der Kammer nicht den Schluss auf eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Zuschreibung einer regimekritischen Haltung wegen (illegaler) Ausreise, Asylantragstellung und Aufenthalts im westlichen Ausland auf Grundlage etwaiger früherer Erkenntnisse. Hiergegen spricht zum einen die Entwicklung in Syrien der letzten Jahre (siehe unter (1)). Zum anderen steht nach Auffassung der Kammer die beachtliche Wahrscheinlichkeit der Zuschreibung einer regimekritischen Haltung allein aufgrund der genannten Umstände auch für die Vergangenheit nicht fest (siehe unter (2)). [...]

ee) Unabhängig von den aktuellen und früheren Einzelerkenntnissen führt auch eine Gesamtbetrachtung der vorliegenden Informationen nicht zur Überzeugung der Kammer, dass die Zuschreibung einer regimekritischen Haltung durch syrische Sicherheitskräfte allein aufgrund der (illegalen) Ausreise, Asylantragstellung und des Aufenthalts im westlichen Ausland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erfolgt. [...]

Nach diesem Maßstab kann die volle Überzeugung einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit auch nicht durch eine wertende Betrachtung der vorliegenden Erkenntnisse gewonnen werden. [...] Selbst wenn die Rationalitätserwartungen an die syrischen Staatsorgane nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht überzogen werden dürfen, erscheint es in der aktuellen Situation auch für ein um sein Überleben kämpfendes Regime (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 31. Januar 2017 – A 3 K 4482/16 –, juris, Rn. 50), welches nach den vorliegenden Informationen vielfach seine Bereitschaft erwiesen hat, mit unvorstellbarer Brutalität gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen, um tatsächliche oder vermeintliche Dissidenz zu bekämpfen, nicht hinreichend realistisch, allein von (illegaler) Ausreise, Asylantragstellung und Aufenthalts im westlichen Ausland auf eine oppositionelle Haltung zu schließen. [...]

In die Gesamtbewertung ist demgegenüber die vermehrte Passausstellung durch syrische Behörden seit Frühjahr 2015 einzubeziehen (vgl. unter anderem den Bericht den Auswärtiges Amtes vom 3. Februar 2016, Auskunft der Botschaft in Beirut an das BAMF, S. 2 f.: [...]

Die Passausstellungspraxis schließt eine Rückkehrergefährdung zwar nicht aus (vgl. VG Sigmaringen, a.a.O., Rn. 108). [...] Auch ungeachtet nahe liegender fiskalischer Erwägungen dürfte allerdings auch für die syrischen Stellen innerhalb und außerhalb des Landes klar sein, dass die Beantragung eines Passes angesichts der bekannten Situation im Land vermutlich mit dem unmittelbaren Ziel der Ausreise sowie mit der hohen Wahrscheinlichkeit verbunden ist, im Anschluss im Ausland Asyl zu beantragen. Wenn allein dies – zumindest im Fall illegaler Ausreise – bei einer Wiedereinreise zum Anlass genommen werden sollte, eine Regimegegnerschaft zuzuschreiben, fragt sich, warum eine entsprechende Zuschreibung nicht ggf. schon bei Passantragstellung erfolgen sollte. [...]

Ein wesentlicher Gesichtspunkt, der in der Gesamtbewertung ebenfalls gegen die Zuschreibung einer politischen Haltung allein aufgrund (illegaler) Ausreise, Asylantragstellung und Aufenthalt im westlichen Ausland spricht, ist schließlich, dass der UNHCR in seinen "Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen" (a.a.O., Rn. 36 ff.) von dem Erfordernis einer Einzelfallprüfung nach Risikoprofilen ausgeht. [...]

Die (illegale) Ausreise, Asylantragstellung und der Aufenthalt im westlichen Ausland werden darin als mögliche Anknüpfungspunkte für die Zuschreibung einer oppositionellen Haltung nicht erwähnt. [...]

ff) Ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit schließlich auch ohne Zuschreibung einer (regierungskritischen) politischen Überzeugung Verfolgungshandlungen in Form von Folter drohen, lässt sich auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse nicht verlässlich beantworten. [...]

b) Auch bei drohender Folter ist eine kausale Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderlich, um politische Verfolgung gem. § 3 Abs. 1 AsylG anzunehmen. [...]

2. Aus der qualifizierenden Würdigung der vorliegenden Erkenntnisse ergibt sich weiterhin nicht mit der für die gerichtliche Überzeugung erforderlichen Sicherheit die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass gerade dem Kläger politische Verfolgung aufgrund bestehender Militärdienstpflichtigkeit droht. [...]

Jedenfalls ist nach Auffassung der Kammer eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass denjenigen Syrern, die sich – wie im Regelfall Reservisten oder vom Wehrdienst dauerhaft befreite Personen – keiner aktuellen Einberufung entzogen haben, im Fall der Rückkehr eine oppositionelle Haltung zugeschrieben werden würde, nicht mit dem erforderlichen Grad der Gewissheit feststellbar (siehe unter aa)). Für den Fall der Verweigerung des Militärdienstes innerhalb von Syrien drohen Rückkehrern im Übrigen zwar grundsätzlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen in Form der unverhältnismäßigen Bestrafung nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG bzw. ggf. der Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung eines Militärdienstes, der völkerrechtswidrige Handlungen nach sich ziehen kann, nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG (siehe unter bb)). Allerdings ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dies angesichts seines Alters auch den Kläger treffen kann (siehe unter cc)). [...]

aa) Aus den vorliegenden Erkenntnissen geht nach Auffassung der Kammer nicht mit hinreichender Sicherheit hervor, dass ohne Hinzutreten weiterer Umstände im Fall der Rückkehr die Zuschreibung einer oppositionellen Haltung sämtlichen Syrern droht, die zwar abstrakt militärdienstpflichtig sind, sich aber keiner tatsächlich erfolgten oder aktuell drohenden Einberufung entzogen haben, wie insbesondere (noch) nicht einberufene Reservisten oder vom Wehrdienst dauerhaft befreite Personen. [...]

Nach der vom UNHCR erstellten auszugsweisen Übersetzung des syrischen Militärstrafgesetzes sind Strafen nur für diejenigen vorgesehen, die einer Einberufung nicht nachgekommen sind (vgl. Legislative Decree No. 61/1950 Military Penal Law, inoffizielle Übersetzung des UNHCR): [...]

Soweit nach anderen Angaben auch die Entziehung von der Einberufung durch Verlassen des Landes, ohne eine Adresse zu hinterlassen, strafbar ist (vgl. Schweizer Flüchtlingshilfe vom 30. Juli 2014, a.a.O., S. 3): [...] lässt sich diese Information nicht verifizieren. [...]

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse kann mangels weiterer tatsächlicher Anhaltspunkte die beachtliche Wahrscheinlichkeit nicht zu der erforderlichen Überzeugung festgestellt werden, dass eine Flucht ins Ausland bei nicht bereits einberufenen Reservisten oder vom Wehrdienst befreiten Personen – wie dem Kläger – aus Sicht des syrischen Staats mit einem Unwerturteil verbunden ist, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu der Zuschreibung einer oppositionellen Haltung führt (anders VGH München, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16.30372 –, juris, Rn. 25 ff.). [...]

bb) Unabhängig von der Zuschreibung einer politischen Haltung drohen Rückkehrern im wehrfähigen Alter jedoch regelmäßig mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unverhältnismäßige Bestrafung nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG, wenn sie sich innerhalb des Landes dem Militärdienst entziehen, bzw. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung eines Militärdienstes, der völkerrechtswidrige Handlungen nach sich ziehen kann, nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. [...]

cc) Angesichts des Alters des Klägers und seines bereits abgeleisteten Militärdienstes erscheint es jedoch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ihm noch eine Einberufung zum Zeitpunkt der Flucht drohte oder für den Fall der Rückkehr nunmehr drohen würde und er deshalb überhaupt potentiell wegen unverhältnismäßiger Bestrafung oder Verweigerung des Militärdienstes Verfolgungshandlungen ausgesetzt sein könnte. [...]

Vor diesem Hintergrund ist der Kläger schon zum mutmaßlichen Zeitpunkt seiner Flucht nach Jordanien mit 46 Jahren und auch zum heutigen Zeitpunkt mit 49 Jahren nach Ableistung seines Militärdienstes ab dem Jahr 1989 für 2 ½ Jahre jedenfalls am oberen Rand des Alters angelangt, zu dem auch in Ausnahmesituation gegebenenfalls überhaupt noch eine Einziehung drohen könnte. Spezielle Umstände oder Spezialkenntnisse, die eine Einberufung auch noch in hohem Alter nahe legen könnten, sind nicht ersichtlich. [...]

b) Soweit – wie dargestellt (siehe unter III.2.a)cc)) – wehrfähigen Rückkehrern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 und 5 AsylG drohen und dies auch den Kläger ausnahmsweise noch treffen könnte, kann die Kammer schließlich die beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund nach § 3a Abs. 3 AsylG nicht mit der erforderlichen Überzeugung erkennen. Aus den vorliegenden Erkenntnismitteln geht vielmehr hervor, dass die Durchsetzung der Wehrpflicht allgemein gegenüber allen syrischen Männern gleichmäßig (rücksichtslos) erfolgt und auch die Sanktionierung von Verstößen nicht generell politisch motiviert ist. [...]

3. Sonstige Umstände, die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu der Zuschreibung einer oppositionellen Haltung und damit zu der beachtlichen Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung führen könnten, sind in der Person des Klägers nicht erkennbar. Hierzu zählt nach Auffassung der Kammer auch die Herkunft des Klägers aus Dara’a nicht. Es liegen keine Erkenntnisse vor, wonach aus Dara’a stammenden Menschen bei der Rückkehr ohne weitere hinzutretende Faktoren eine oppositionelle Haltung zugeschrieben werden würde, selbst wenn die Ereignisse in der Stadt im März 2011 Mitauslöser der später landesweiten Demonstrationen und Proteste waren, die von den Sicherheitskräften brutal unterdrückt wurden. [...]

Auch aus einer (inzwischen) drohenden Wehrpflicht des Sohnes des Klägers ergibt sich nach Überzeugung der Kammer keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Klägers. Aus den vorliegenden

Erkenntnissen geht nach Auffassung der Kammer ohne Hinzutreten weiterer Umstände kein allgemeines Verfolgungsrisiko für Familien von Personen hervor, die sich einer Einberufung zum Wehrdienst durch Flucht (innerhalb oder außerhalb des Landes) entziehen (vgl. Danish Immigration Service vom September 2015, a.a.O., S. 19 f.: [...]

V.

Entgegen der Auffassung des Klägers kann er einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht aus einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG herleiten. Abgesehen davon, dass selbst ein bestehender Verstoß nicht unmittelbar anspruchsbegründend wäre, ist nicht erkennbar, dass die Änderung der Entscheidungspraxis der Beklagten gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt. [...]