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BVerwG, Beschluss vom 21.03.2017 - 1 VR 2.17 - asyl.net: M24855
https://www.asyl.net/rsdb/M24855
Leitsatz:

Abschiebungsanordnung gegen einen der radikal-islamistischen Szene zuzuordnenden Gefährder [in Deutschland geboren und aufgewachsen]:

1. Die auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses in das Zuwanderungsgesetz aufgenommene Regelung in § 58a AufenthG ist nicht wegen Überschreitens der Kompetenzgrenzen des Vermittlungsausschusses (formell) verfassungswidrig.

2. Für eine auf Tatsachen gestützte Gefahrenprognose im Sinne des § 58a Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedarf es keiner konkreten Gefahr im Sinne des Polizeirechts, vielmehr genügt auf der Grundlage einer hinreichend zuverlässigen Tatsachengrundlage eine vom Ausländer ausgehende Bedrohungssituation im Sinne eines beachtlichen Risikos, das sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete Gefahr umschlagen kann.

3. Bei der Abschiebungsanordnung hat die zuständige Behörde in eigener Verantwortung zu prüfen, ob der beabsichtigten Abschiebung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG entgegensteht. Ein nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellter Asylantrag steht dem Vollzug einer Abschiebungsanordnung nicht entgegen.

(Amtliche Leitsätze, Anmerkung: Ein beachtliches Risiko wurde hier bejaht, weil der Betroffene der radikal-islamistischen Szene zuzurechnen und zudem fest entschlossen sei, einen Anschlag in Deutschland zu verüben. Bei der Abschiebung dürfen laut BVerwG den Heimatbehörden zur Sicherheit des Betroffenen keine Details über die Abschiebungsgründe mitgeteilt werden.)

Anmerkung:

Schlagwörter: Salafisten, Islamisten, terroristische Vereinigung, Aussetzung der Abschiebung, Gefährder, Abschiebungsverbot, Abschiebungsanordnung, konkrete Gefahr, Einreisesperre, Aufenthaltsverbot, innere Sicherheit, Verwurzelung, Prognose, Ermessen, faktischer Inländer, Gefahrenprognose, Verhältnismäßigkeit, Vermittlungsausschuss
Normen: AufenthG § 11 Abs. 1, AufenthG § 11 Abs. 2, AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 58a, AufenthG § 59 Abs. 2, AufenthG § 29 Abs. 3, AufenthG § 60, GG Art. 1 Abs. 3, GG Art. 2 Abs. 1, GG Art. 6, GG, Art. 19 Abs. 4, GG Art. 20 Abs. 2, GG Art. 20 Abs. 3, GG Art. 38 Abs. 1, GG Art. 42 Abs. 1, GG Art. 77, GG Art. 83, GG Art. 84, EMRK Art. 8, RL 2008/115/EG Art. 7 Abs. 4, RL 2008/115/EG Art. 11 Abs. 2, RL 2001/95/EU Art. 21 Abs. 2 Buchst. a
Auszüge:

[...]

Selbst wenn eine Überschreitung der Kompetenzgrenzen bejaht würde, würde dieser Verfahrensfehler mangels Evidenz zumindest nicht die Gültigkeit der angegriffenen Norm berühren. Zwar sind die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu den Grenzen der Tätigkeit des Vermittlungsausschusses seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 1999 - 2 BvR 301/98 - (BVerfGE 101, 297) geklärt (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2009 - 2 BvR 758/07 - BVerfGE 125, 104 <132> = juris Rn. 77), sodass sich die am Gesetzgebungsverfahren zum Zuwanderungsgesetz beteiligten Organe nicht auf Unkenntnis berufen könnten. Ein Verfahrensfehler ist aber nur dann evident, wenn er aus der Perspektive eines unvoreingenommenen, mit den Umständen vertrauten Beobachters offenkundig war. Zumindest daran fehlt es, da der Vermittlungsvorschlag - wie dargelegt - an konkrete Vorgaben der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses anknüpft.

bb) Der Bundesgesetzgeber war auch befugt, die Zuständigkeit für den Erlass von Abschiebungsanordnungen den obersten Landesbehörden aufzuerlegen. Nach Art. 83 und 84 GG führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zulässt, und regeln selbst die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Allerdings kann der Bund mit Zustimmung des Bundesrats in Ausnahmefällen wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln (Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG).

Die Zuweisung der Zuständigkeit für den Erlass von Abschiebungsanordnungen nach § 58a AufenthG an die obersten Landesbehörden beruht offenbar auf der Erwägung des Bundesgesetzgebers, dass es wegen der besonderen Gefährlichkeit des erfassten Personenkreises regelmäßig einer zügigen Beurteilung der Sicherheitslage in enger Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden anderer Länder und des Bundes bedarf. Dies genügt als Rechtfertigung für eine bundeseinheitliche Zuständigkeitszuweisung an die obersten Landesbehörden. Ob dies gleichermaßen für die Eintrittsbefugnis des Bundesministeriums des Innern nach § 58a Abs. 2 AufenthG gilt, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung.

cc) § 58a AufenthG ist - in der nachfolgend näher dargelegten Auslegung - auch materiell verfassungsgemäß. Insbesondere stehen die mit dem Erlass einer Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes verbundenen Einschränkungen beim Rechtsschutz im Einklang mit Art. 19 Abs. 4 GG. Angesichts der besonderen Gefahren, denen der Gesetzgeber mit der Möglichkeit einer Aufenthaltsbeendigung nach § 58a AufenthG begegnen will, ist die Vorschrift auch nicht unverhältnismäßig. [...]

aa) Die Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG ist gegenüber der Ausweisung nach §§ 53 ff. AufenthG eine selbstständige ausländerrechtliche Maßnahme der Gefahrenabwehr. Sie zielt auf die Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und/oder einer terroristischen Gefahr. [...]

Die für § 58a AufenthG erforderliche besondere Gefahrenlage muss sich aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ergeben. Aus Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich, dass die Bedrohungssituation unmittelbar vom Ausländer ausgehen muss, in dessen Freiheitsrechte sie eingreift. Ungeachtet ihrer tatbestandlichen Verselbstständigung ähnelt die Abschiebungsanordnung in ihren Wirkungen einer für sofort vollziehbar erklärten Ausweisung nebst Abschiebungsandrohung. Zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung ist sie aber mit Verkürzungen im Verfahren und beim Rechtsschutz verbunden. Insbesondere ist die Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AufenthG). Da es keiner Abschiebungsandrohung bedarf (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AufenthG), erübrigt sich auch die Bestimmung einer Frist zur freiwilligen Ausreise. Zuständig sind nicht die Ausländerbehörden, sondern grundsätzlich die obersten Landesbehörden (§ 58a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG). Die Zuständigkeit für den Erlass einer Abschiebungsanordnung begründet nach § 58a Abs. 3 Satz 3 AufenthG zugleich eine eigene Zuständigkeit für die Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG ohne Bindung an hierzu getroffene Feststellungen aus anderen Verfahren. Die gerichtliche Kontrolle einer Abschiebungsanordnung und ihrer Vollziehung unterliegt in erster und letzter Instanz dem Bundesverwaltungsgericht (§ 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO), ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes muss innerhalb einer Frist von sieben Tagen gestellt werden (§ 58a Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Die mit dieser Ausgestaltung des Verfahrens verbundenen Abweichungen gegenüber einer Ausweisung lassen sich nur mit einer direkt vom Ausländer ausgehenden terroristischen und/oder dem gleichzustellenden Bedrohungssituation für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigen.

Die vom Ausländer ausgehende Bedrohung muss aber nicht bereits die Schwelle einer konkreten Gefahr im Sinne des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts überschreiten (Hailbronner, AuslR, Stand Dezember 2016, § 58a AufenthG Rn. 14 f.; a.A. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 58a AufenthG Rn. 28; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Januar 2017, § 58a AufenthG Rn. 18), bei der bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des geschützten Rechtsguts zu erwarten ist. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, die zur Abwehr einer besonderen Gefahr lediglich eine auf Tatsachen gestützte Prognose verlangt. Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen angesichts des hohen Schutzguts und der vom Terrorismus ausgehenden neuartigen Bedrohungen für einen abgesenkten Gefahrenmaßstab, weil seit den Anschlägen von 11. September damit zu rechnen ist, dass ein Terroranschlag mit hohem Personenschaden ohne großen Vorbereitungsaufwand und mit Hilfe allgemein verfügbarer Mittel jederzeit und überall verwirklicht werden kann. Eine Abschiebungsanordnung ist daher schon dann möglich, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte ein beachtliches Risiko dafür besteht, dass sich eine terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik in der Person des Ausländers jederzeit aktualisieren kann, sofern nicht eingeschritten wird (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand Dezember 2016, § 58a AufenthG Rn. 15).

Für diese "Gefahrenprognose" bedarf es - wie bei jeder Prognose - zunächst einer hinreichend zuverlässigen Tatsachengrundlage. Der Hinweis auf eine auf Tatsachen gestützte Prognose dient der Klarstellung, dass ein bloßer (Gefahren-) Verdacht oder Vermutungen bzw. Spekulationen nicht ausreichen (Hailbronner, AuslR, Stand Dezember 2016, § 58a AufenthG Rn. 15; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Januar 2017, § 58a AufenthG Rn. 8; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 58a AufenthG Rn. 31). Zugleich definiert dieser Hinweis einen eigenen Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Abweichend von dem sonst im Gefahrenabwehrrecht geltenden Prognosemaßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit mit seinem nach Art und Ausmaß des zu erwartenden Schadens differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab muss für ein Einschreiten nach § 58a AufenthG eine bestimmte Entwicklung nicht wahrscheinlicher sein als eine andere. Vielmehr genügt angesichts der besonderen Gefahrenlage, der § 58a AufenthG durch die tatbestandliche Verselbstständigung begegnen soll, dass sich aus den festgestellten Tatsachen ein beachtliches Risiko dafür ergibt, dass die von einem Ausländer ausgehende Bedrohungssituation sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik umschlagen kann.

Dieses beachtliche Eintrittsrisiko kann sich auch aus Umständen ergeben, denen (noch) keine strafrechtliche Relevanz zukommt, etwa wenn ein Ausländer fest entschlossen ist, in Deutschland einen - mit niedrigem Vorbereitungsaufwand möglichen - schweren Anschlag zu verüben, auch wenn er noch nicht mit konkreten Vorbereitungs- oder Ausführungshandlungen begonnen hat und die näheren Tatumstände nach Ort, Zeitpunkt, Tatmittel und Angriffsziel noch nicht feststehen. Eine hinreichende Bedrohungssituation kann sich aber auch aus anderen Umständen ergeben. In jedem Fall bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Ausländers, seines bisherigen Verhaltens, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr und/oder eine Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik ausgeht sowie sonstiger Umstände, die geeignet sind, den Ausländer in seinem gefahrträchtigen Denken oder Handeln zu belassen oder zu bekräftigen. Dabei kann sich - abhängig von den Umständen des Einzelfalls - in der Gesamtschau ein beachtliches Risiko, das ohne ein Einschreiten jederzeit in eine konkrete Gefahr umschlagen kann, auch schon daraus ergeben, dass sich ein im Grundsatz gewaltbereiter und auf Identitätssuche befindlicher Ausländer in besonderem Maße mit dem radikal-extremistischen Islamismus in seinen verschiedenen Ausprägungen bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islamismus identifiziert, über enge Kontakte zu gleichgesinnten, möglicherweise bereits anschlagsbereiten Personen verfügt und sich mit diesen in "religiösen" Fragen regelmäßig austauscht.

Der obersten Landesbehörde steht bei der für eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erforderlichen Gefahrenprognose aber keine Einschätzungsprärogative zu. Als Teil der Exekutive ist sie beim Erlass einer Abschiebungsanordnung - wie jede andere staatliche Stelle - an Recht und Gesetz, insbesondere an die Grundrechte, gebunden (Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG) und unterliegt ihr Handeln nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG der vollen gerichtlichen Kontrolle (Hailbronner, AuslR, Stand Dezember 2016, § 58a AufenthG Rn. 17; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Januar 2017, § 58a AufenthG Rn. 12; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 58a AufenthG Rn. 37 ff.). Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für einen der gerichtlichen Überprüfung entzogenen behördlichen Beurteilungsspielraum. Auch wenn die im Rahmen des § 58a AufenthG erforderliche Prognose besondere Kenntnisse und Erfahrungswissen erfordert, ist sie nicht derart außergewöhnlich und von einem bestimmten Fachwissen abhängig, über das nur oberste (Landes-)Behörden verfügen. Vergleichbare Aufklärungsschwierigkeiten treten auch in anderen Zusammenhängen auf. Der hohe Rang der geschützten Rechtsgüter und die Eilbedürftigkeit der Entscheidung erfordern ebenfalls keine Einschätzungsprärogative der Behörde.

bb) In Anwendung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass vom Antragsteller derzeit aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose nicht nur ein - für die Anwendung des § 58a AufenthG hinreichendes - beachtliches Risiko, sondern bereits eine konkrete Gefahr ausgeht. Nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden ist er der radikal-islamistischen Szene in Deutschland zuzurechnen und pflegt u.a. Kontakte mit Personen, die einer aus dem Umfeld der verbotenen Organisation "Kalifatstaat" hervorgegangenen islamistisch-salafistischen Gruppierung mit jihadistischer Tendenz angehören. Er sympathisiert mit der terroristischen Vereinigung sog. "Islamischer Staat" (IS) und deren Märtyrerideologie und beschäftigt sich bereits seit längerem mit dem Plan, in Deutschland eine schwere Gewalttat unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen zu begehen. Dabei "spielte" der Antragsteller nicht lediglich mit dem Gedanken eines Terroranschlags. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er zum Zeitpunkt seiner Festnahme fest entschlossen war, in Deutschland einen solchen zu verüben, und es ihm nur noch um das "wie" ging. [...]

Damit hat der Antragsteller über einen längeren Zeitraum hinweg die feste Entschlossenheit bekundet, in Deutschland einen terroristischen Anschlag auszuführen und hierfür sein Leben zu geben. Dabei machte er sich auch Gedanken, wie er seine Planung im persönlichen Umfeld verbergen kann [...].

Für einen festen Tatentschluss spricht zudem, dass der Antragsteller nach Auswertung eines am 9. Februar 2017 in seiner Wohnung sichergestellten Mobiltelefons im Chatverkehr mit einer weiteren - namentlich nicht bekannten - Person wegen der Beschaffung von illegalen "Spielzeugen", die "bisschen mehr abgehen" als "Messerchen" [...]. nachgefragt und versucht hat, seinen Chatpartner von der Richtigkeit und Effektivität eines jihadistischen Anschlags für den "IS" in Deutschland zu überzeugen [...].

Zudem hat der Antragsteller Anfang 2017 damit begonnen, sich aktiv um den Erwerb eines Führerscheins der Klasse B zu bemühen, nachdem er zuvor im Chatverkehr mit "Abdullah K." intensiv über die Möglichkeit eines Anschlags mit einem Kraftfahrzeug diskutiert hatte. Seine tiefe Einbindung in die Gedankenwelt des jihadistischen Islamismus ergibt sich auch aus dem Umstand, dass er offensichtlich im Besitz eines bei Jihadisten beliebten Buchs über den Jihad ("Buch des Jihads") ist [...].

dd) Die Abschiebungsanordnung ist auch nicht ermessensfehlerhaft. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 58a AufenthG vor, hat die zuständige Behörde zu prüfen, ob sie nach § 58a AufenthG vorgeht oder ggf. anderweitige Maßnahmen durch die zuständige Ausländerbehörde - etwa der Erlass einer sofort vollziehbaren Ausweisung nebst Abschiebungsandrohung - oder Maßnahmen auf der Grundlage des allgemeinen Polizeirechts ausreichen (Entschließungsermessen); ein Auswahlermessen kommt hingegen nur bei mehreren möglichen Zielstaaten in Betracht, was hier nicht der Fall ist.

Vorliegend hat der Antragsgegner sein Entschließungsermessen dahingehend ausgeübt, dass andere im Aufenthaltsgesetz vorgesehene Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung oder sonstige gefahrenabwehrrechtliche Möglichkeiten nicht ausreichen, um der besonderen vom Antragsteller ausgehenden Gefahr wirksam zu begegnen. Dies ist unter den hier gegebenen Umständen angesichts der an anderer Stelle festgestellten Bereitschaft des Antragstellers zur Begehung eines mit einfachsten Mitteln jederzeit realisierbaren Terroranschlags in Deutschland und der allenfalls begrenzten Wirksamkeit auch aufwändigerer Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen nicht zu beanstanden.

Dabei kann dahinstehen, ob es für den Erlass einer Abschiebungsanordnung einer umfassenden Würdigung und Abwägung der möglicherweise betroffenen Interessen des Ausländers bedarf, oder ob sich dies aufgrund des sicherheitspolitischen Charakters der Vorschrift regelmäßig erübrigt, weil diese eine Gefahrenlage indiziert, für die der Gesetzgeber bereits auf abstrakt-genereller Ebene eine Abwägung zu Lasten des Ausländers vorgenommen hat, so dass von einem überragenden öffentlichen Interesse an einer unmittelbaren Aufenthaltsbeendigung auszugehen ist und die Abschiebung in aller Regel nur bei Vorliegen eines von der zuständigen Behörde in eigener Zuständigkeit zu prüfenden Abschiebungsverbots unterbleiben darf (sog. intendiertes Ermessen, vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Januar 2017, § 58a AufenthG Rn. 24; Hailbronner, AuslR, Stand Dezember 2016, § 58a AufenthG Rn. 34). Denn der Antragsgegner hat bei seiner Entscheidung die privaten Interessen des in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Antragstellers berücksichtigt, der als faktischer Inländer keine oder allenfalls geringe Bindungen an das Land seiner Staatsangehörigkeit hat. Trotz seiner Verwurzelung in die hiesigen Verhältnisse ist die beabsichtigte Aufenthaltsbeendigung unter den hier gegebenen Umständen eines jederzeit möglichen Terroranschlags durch den Antragsteller auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig. [...]