1. Die Überstellung im Rahmen des Dublinverfahrens nach Ungarn ist nach § 3 Abs. 2 Dublin-III-VO wegen dort bestehender systemischer Mängel nicht zulässig; daher ist Deutschland für das Asylverfahren zuständig (unter Auswertung zahlreicher aktueller Länderinformationen und Bezugnahme auf erneute Verschärfung des Asylgesetzes, siehe Meldung vom 17.3.2017 auf asyl.net).
2. Unabhängig davon ist das BAMF für das Asylverfahren auch deshalb zuständig, weil eine Überstellung bis zum Ablauf der Überstellungsfrist aller Voraussicht nach nicht mehr durchgeführt werden wird.
(Leitsätze der Redaktion, zitiert OVG Niedersachsen Urteil vom 15.11.2016 - 8 LB 92/15 - asyl.net: M24435 und VGH Baden-Württemberg Urteil vom 13.10.2016 - A 11 S 1596/16 - asyl.net: M24315)
[...]
Zwar wäre nach Art. 7, 13 Abs. 1 Satz 1, 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO an sich Ungarn für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig. Gemäß Art. 3 Abs. 2 UA 2 und 3 Dublin III-VO ist jedoch die Zuständigkeit Ungarns ausgeschlossen und die Zuständigkeit der Beklagten begründet worden. Denn eine Überstellung des Klägers nach Ungarn ist gemäß § 3 Abs. 2 Dublin III-VO wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen, die für ihn die konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtecharta (EUGRCh) mit sich bringen, nicht zulässig (1.). Ungeachtet dessen ist die Zuständigkeit jedenfalls deshalb auf die Beklagte übergangen, weil eine Überstellung bis zum Ablauf der Überstellungsfrist aller Voraussicht nach nicht mehr durchgeführt werden wird (2.). [...]
Nach der Überzeugung des Senats bestehen in Ungarn aktuell grundlegende Defizite sowohl hinsichtlich des Zugangs zum Asylverfahren als auch in Bezug auf dessen Ausgestaltung sowie im Hinblick auf die Aufnahmebedingungen während des Asylverfahrens, die in ihrer Gesamtheit die Annahme rechtfertigen, dass dem Kläger bei einer Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGrCh bzw. Art. 3 EMRK droht ( ebenso OVG Lüneburg, Beschluss vom 20.12.2016 - 8 LB 184/15 - und VGH Mannheim, Urteil vom 13.10.2016 - A 11 S 1596/16 -, a.A. VG Berlin, Urteil vom 13.12.2016 - 3 K 509/15 A -, jeweils bei juris).
Bei einer Rücküberstellung nach Ungarn droht dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Inhaftierung ohne individualisierte Prüfung von Haftgründen. Die in Ungarn zum 1.7.2013 wieder eingeführte Asylhaft für Asylbewerber ist durch schwerwiegende verfahrensrechtliche und inhaltliche Mängel gekennzeichnet. […] Die Anordnung der Asylhaft erfolgt schematisch; die Haftgründe werden nicht einzelfallbezogen und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geprüft (vgl. Hungarian Helsinki Comittee, Informationsschrift über Asylsuchende in Gewahrsam (und) die dem Dublin Verfahren unterliegen in Ungarn (im Folgenden: Hungarian Helsinki Comittee), Mai 2014, S. 6). […] Zwar besteht an sich freier Zugang zu einer anwaltlichen Vertretung; die Beiordnung von Anwälten erwies sich aber als weitgehend unzureichend, da diese völlig passiv blieben und die Interessen ihrer Mandanten nicht ernsthaft vertraten (vgl. bordermonitoring.eu/Pro Asyl: Gänzlich unerwünscht, Juli 2016, S. 26). Die vom Auswärtigen Amt (vgl. die Auskunft an das VG Regensburg vom 27.01.2016) behauptete genaue Einzelfallprüfung kann schwerlich stattgefunden haben, da von Nichtregierungsorganisationen regelmäßig unbegleitete Minderjährige in der Haft angetroffen wurden. Hierzu wird berichtet, dass keine umfassende und vor allem einigermaßen zuverlässige Alterskontrolle und -feststellung stattfand bzw. gewährleistet war mit der Folge, dass immer wieder unbegleitete minderjährige Antragsteller in Haft kamen und später durch Mitarbeiter humanitärer Organisationen dort angetroffenen wurden (vgl. UNHCR vom 7.1.2015, S. 18; bordermonitoring.eu/Pro Asyl: Gänzlich unerwünscht, Juli 2016, S.26). Vielfach wurden auch Folteropfer und traumatisierte Personen inhaftiert. Grundsätzlich können nunmehr in Ungarn sogar Familien mit minderjährigen Kindern inhaftiert werden, was auch tatsächlich und nicht wie vorgesehen nur in Ausnahmefällen geschieht (vgl. bordermonitoring.eu/Pro Asyl: Gänzlich unerwünscht, Juli 2016, S. 24).
Die Haftbedingungen in den ungarischen Asylhaftanstalten weisen den vorliegenden Erkenntnismitteln zufolge ebenfalls zahlreiche Missstände auf. Inhaftierte Asylbewerber werden wie Strafgefangene behandelt, indem sie zu gerichtlichen Anhörungen oder anderen Terminen außerhalb der Haftanstalt mit Handschellen und angeleint gebracht werden. Darüber hinaus wird auch über Beschimpfungen, Schikanen und Gewaltanwendungen seitens des Wachpersonals berichtet (vgl. Hungarian Helsinki Committee, Mai 2014, S, 18). […]
Das ungarische Asylverfahren weist weitere erhebliche Mängel auf, die den Kläger als Dublin-Rückkehrer zwar nur teilweise unmittelbar betreffen, jedoch belegen, dass die zuvor ausgeführten Defizite nicht die einzigen Mängel des ungarischen Asylverfahrens sind, sondern vielmehr einen Teil von systemisch angelegten Defiziten darstellen.
So behandelt Ungarn - als einziger EU-Staat - Serbien als sicheren Drittstaat, womit die massenhaften Einreiseverweigerungen und Zurückschiebungen an der serbisch-ungarischen Grenze zu erklären sind. Dies stellt einen indirekten Verstoß gegen das Refoulement-Verbot des Art. 33 Abs. 1 GFK dar, weil Serbien seinerseits kein Asylverfahren aufweist, das eine inhaltliche Prüfung der Fluchtgründe garantiert. Vor allem aber stellt die Anerkennung Serbiens als sicherer Drittstaat durch Ungarn einen Verstoß gegen das europarechtliche Konzept des sicheren europäischen Drittstaats dar, wonach ein Drittstaat von den Mitgliedstaaten nur dann als sicherer Drittstaat betrachtet werden darf, wenn er die GFK ohne geografischen Vorbehalt ratifiziert hat und deren Bestimmungen einhält, über ein gesetzlich festgelegtes Asylverfahren verfügt sowie die EMRK ratifiziert hat und die darin enthaltenen Bestimmungen, einschließlich der Normen über wirksame Rechtsbehelfe, einhält (vgl. Art. 39 Abs. 2 RL 2013/32/EU). Diesen Anforderungen genügt Serbien nicht. […] Serbien seinerseits sieht unter anderem Griechenland, Mazedonien und die Türkei als sichere Drittstaaten an. Daraus ergibt sich, dass Ungarn ein System der flüchtlingsrechtlichen Verantwortungslosigkeit betreibt und sehenden Auges Kettenabschiebungen ermöglicht (ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 13.10.2016 - A 11 S 1596/16 -, juris). Darüber hinaus erschwert Ungarn den Zugang zum Asylverfahren für aus Serbien kommende Flüchtlinge erheblich, indem an der Grenze zu Serbien im September 2015 fertiggestellte Grenzzäune errichtet und Transitzonen eingerichtet worden sind, in denen seit März 2016 lediglich einem Kontingent von insgesamt 30 Flüchtlingen täglich die Asylantragstellung erlaubt wird. Dadurch müssen zahlreiche Flüchtlinge teilweise wochenlang unter äußerst prekären Bedingungen vor den Grenzzäunen kampieren (vgl. Amnesty international. Stranded Hope, vom 27.9.2016, S. 14 ff.). Zudem wird über exzessive Gewalteinsätze gegen Flüchtlinge in den Transitzonen sowie in den ungarischen Polizeigefängnissen in Gestalt von Bissen nicht angeleinter Polizeihunde, Einsatz von Pfefferspray und Schlägen berichtet (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 20.12.2016 - 8 LB 184/15 -, juris (m.w.N.); sowie die Saarbrücker Zeitung vom 8.3.2017, S. 3 (Hinter Stacheldraht)).
Durch mehrere Gesetzesänderungen zum 1. 4. 2016 und 1. 6. 2016 besteht selbst für Flüchtlinge, die in Ungarn einen Schutzstatus erhalten, die Gefahr der anschließenden Verelendung und Obdachlosigkeit. […] Zwar verpflichtet Art. 3 EMRK die Vertragsstaaten nicht aus sich heraus dazu, jedermann in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen und Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Jedoch kann sich die Verpflichtung zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung aus europarechtlichen Verpflichtungen wie der Richtlinie 2011/95/EU (Abl. 2011, L 33719) (sog. Qualifikationsrichtlinie) ergeben (vgl. EGMR, Urteil vom 21.1.2011 – 30696/09 -, M.S.S. v. Belgium an Greece, juris; sowie VGH Mannheim, Urteil vom 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 -, juris). Insbesondere ist es mit Art. 3 EMRK unvereinbar, wenn sich ein Asylbewerber, der von staatlicher Unterstützung vollständig abhängig ist und sich in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation befindet, staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht (vgl. EGMR, Urteil vom 21.1.2011 a.a.O.). Die Qualifikationsrichtlinie garantiert anerkannten Flüchtlingen den Zugang zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und - für Minderjährige - zum Bildungssystem zu denselben Bedingungen wie Staatsangehörigen des aufnehmenden Staats (Art. 29 Abs. 1, Art. 30 Abs. 1, Art. 27 Abs. 1) sowie den Zugang zu Wohnraum zu gleichwertigen Bedingungen wie sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet aufhaltenden Drittstaatsangehörigen (Art. 32 Abs. 1). Die erwähnten Gesetzesänderungen stellen die Gewährleistung dieser Garantien in Ungarn ernsthaft in Frage.
Die geschilderten rechtlichen und tatsächlichen Asylverfahrensdefizite fügen sich in die generelle Ausrichtung der ungarischen Flüchtlingspolitik und -gesetzgebung ein. Sowohl die in den Jahren 2015 und 2016 beschlossenen asylrechtlichen Gesetzesänderungen als auch die politische Rhetorik der ungarischen Regierung legen den Schluss nahe, dass es sich um bewusst zur Verringerung der Flüchtlingszahlen angelegte, systemische Mängel handelt. [...]
Am 7.3.2017 hat Ungarn sein Asylgesetz erneut verschärft und die ausnahmslose Internierung von Asylbewerbern in sog. Transitzonen bis zum Ende ihres Asylverfahrens beschlossen (vgl. Saarbrücker Zeitung vom 8.3.2017, S. 3 ("Hinter Stacheldraht")). […]
Die Europäische Kommission hat bereits im Dezember 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet (vgl. die Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 10.12.2015), weil zu befürchten sei, "dass es im Rahmen von Rechtsbehelfen nicht möglich ist, auf neue Fakten und Umstände zu verweisen, und dass Ungarn Entscheidungen im Falle der Einlegung von Rechtsbehelfen nicht automatisch aussetzt, sondern dass Antragsteller bereits vor Verstreichen der Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs oder vor der Prüfung des Rechtsbehelfs effektiv gezwungen werden, ungarisches Hoheitsgebiet zu verlassen". […]
Der Kläger muss, wenn er nach Ungarn zurückkehren würde, um dort ein (weiteres) Verfahren auf Gewährung internationalen Schutzes durchzuführen, als alleinstehender Mann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, in Asylhaft genommen zu werden. […] Alleinstehende Männer, die unter der Dublin-VO dennoch nach Ungarn überstellt werden, werden nach ihrer Ankunft in Ungarn in der Regel in Asylgefängnissen inhaftiert (vgl. bordermonitoring.eu/Pro Asyl: Gänzlich unerwünscht, Juli 2016, S. 28). […]
Infolge dessen ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger bei einer - unterstellten - Rücküberstellung nach Ungarn mit einer Inhaftierung rechnen muss. Dies gilt insbesondere nach der neuerlichen Verschärfung des Asylgesetzes. Angesichts der erwähnten schweren Mängel des Haftanordnungsverfahrens und des gerichtlichen Rechtsschutzes wird er keine effektive und faire Chance haben, seine Belange in das Verfahren einzubringen und damit gehört zu werden. Daher ist es ihm nicht zuzumuten, in Ungarn ein Verfahren auf internationalen Schutz durchzuführen, mit der Folge, dass mit der Asylantragstellung im Bundesgebiet die Zuständigkeit der Bundesrepublik begründet wurde.
2. Die Ablehnung des Antrags auf Durchführung des Asylverfahrens als unzulässig ist auch deshalb rechtswidrig, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass eine realistische Möglichkeit besteht, dass der Kläger innerhalb von sechs Monaten nach Rechtskraft dieses Urteils nach Ungarn überstellt werden könnte.
Steht zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats hinreichend sicher fest, dass innerhalb der nächsten sechs Monate eine Überstellung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sein wird oder durchgeführt werden kann, so gebietet der dem Dublin-System innewohnende Beschleunigungsgedanke, dass bereits jetzt von einer Unmöglichkeit der Überstellung und damit dem künftigen Zuständigkeitsübergang auszugehen ist (vgl. Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO) (ebenso OVG Lüneburg, Beschluss vom 20.12.2016 - 8 LB 184/15 - und VGH Mannheim, Urteil vom 13.10.2016 - A 11 S 1596/16 -, jeweils bei juris; a.A. OVG Schleswig, Beschluss vom 21.11.2016 - 2 LA 111/16 -, juris, nach dessen Ansicht von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht gefordert wird, dass die Abschiebung alsbald durchgeführt wird). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat der Mitgliedstaat, in dem sich der Asylbewerber befindet, darauf zu achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird; erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten der Dublin III-VO selbst prüfen (vgl. EuGH, Urteil vom 14.11.2013 – C-4/11 -, NVwZ 2014, 129). Aus dem Beschleunigungsgebot folgt ein Anspruch des Asylbewerbers auf Sachprüfung in einem effektiven und zügigen Verfahren. […] Um diesen Anspruch auf effektiven Zugang zum Asylverfahren und auf zügige Sachprüfung nicht ins Leere laufen zu lassen, hat ein Mitgliedstaat sein Selbsteintrittsrecht auszuüben, wenn die Überstellung an den an sich für zuständig erachteten Mitgliedstaat wegen dessen mangelnder Aufnahmebereitschaft aussichtslos erscheint ( vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 20.12.2016 - 8 LB 184/15 -, juris).
Im Falle des Klägers ist nicht erkennbar, dass dessen Rücküberstellung nach Ungarn innerhalb der Überstellungsfrist von sechs Monaten (Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO) tatsächlich im Bereich des - realistisch betrachtet - Möglichen liegt. Dabei ist davon auszugehen, dass die Überstellungsfrist aktuell zu laufen beginnt, weil der Kläger sein Begehren nicht weiter verfolgen wird. Dies gebieten der § 77 Abs. 1 AsylG, nach dem auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen ist, und der im Dublin-System innewohnende Beschleunigungsgedanke (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 13.10.2016 - A 11 S 1596/16 -, juris).
Bereits die geringe Rücküberstellungsquote in Bezug auf die Übernahmeersuchen, denen Ungarn zugestimmt hat, spricht maßgeblich dafür, dass eine Rücküberstellung im Fall des Klägers unwahrscheinlich ist. […] Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass Ungarn eine Rücküberstellung nach zuvor erteilter Zustimmung ablehnt (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 20.12.2016 - 8 LB 184/15 -, juris, wonach die ungarische Dublin-Unit in letzter Zeit offenbar aber das Netzwerk "DubliNet" - nach erteilter Zustimmung zum Übernahmeersuchen - die Rücküberstellung (zunächst) mit folgendem Hinweis ablehnt "We kindly inform you that - with regard to our previous communication - we can not accept any incoming Dublin transfers. Therefore we kindly ask you to cancel the transfer and we also ask you not to plan any Dublin transfer to Hungary in the future."). Die anhaltend geringe Zahl von Rücküberstellungen im Verhältnis zur Zahl der zu Überstellenden trägt dazu bei, dass der ohnehin schon extreme Rückstau ständig weiter anwächst.
Bestehen - wie hier - hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass eine Überstellung des Klägers nicht innerhalb der sechsmonatigen Überstellungsfrist erfolgen kann, so ist die Beklagte im Rahmen ihrer prozessualen Mitwirkungspflicht dafür darlegungspflichtig, dass eine Überstellung gleichwohl möglich und wahrscheinlich ist. Dieser Darlegungslast ist die Beklagte im vorliegenden Verfahren nicht in hinreichendem Maße nachgekommen. […] Im Falle des Klägers kommt hinzu, dass seit dem Rücknahmeersuchen der Beklagten und der Zustimmung der ungarischen Asylbehörde fast zwei Jahre verstrichen sind, was die Rücknahmebereitschaft Ungarns zusätzlich in Frage stellen dürfte. Es ist nicht erkennbar, wie der Rückstau abgearbeitet werden soll bzw. ob es ein Konzept gibt, in welcher Reihenfolge in der Vergangenheit aus Ungarn eingereiste Asylbewerber dorthin rücküberstellt werden sollen. Ob in letzter Zeit überhaupt Asylbewerber vom Saarland aus nach Ungarn überstellt wurden, ist nicht bekannt. Die Beklagtenvertreterin konnte hierzu in der mündlichen Verhandlung keine Auskunft geben.
Angesichts des enormen und weiter wachsenden Rückstaus von Überstellungen und der weiterhin geringen Überstellungsquote ist nicht ersichtlich und von der Beklagten nicht substantiiert vorgetragen, dass in absehbarer Zeit Überstellungen in nennenswertem Umfang, die in einem angemessenen Verhältnis zur Gesamtzahl der zu überstellenden Personen stehen, durchgeführt werden können. Bei dieser Sachlage ist die Beklagte zur Vermeidung weiterer unzumutbarer, dem Beschleunigungsprinzip und der Effektivität des Europäischen Asylsystems zuwider laufender Verzögerungen verpflichtet, ohne Ermessensspielraum sofort von dem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, ohne den sich abzeichnenden Zuständigkeitsübergang nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO abwarten zu dürfen. [...]