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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 31.01.2017 - C-573/14 - Lounani gg. Belgien (ASYLMAGAZIN 4/2017, S. 156 ff.) - asyl.net: M24648
https://www.asyl.net/rsdb/M24648
Leitsatz:

Schon eine führende Position in einer terroristischen Vereinigung, auch ohne Verurteilung wegen einer terroristischen Straftat, kann den Ausschluss von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen:

Nach Art. 12 Abs. 2 Bst. c und Art. 12 Abs. 3 Qualifikationsrichtlinie (RL 2004/83/EG) kann die Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling rechtfertigen auch wenn nicht erwiesen ist, dass die betreffende Person eine terroristische Handlung begangen, zu begehen versucht oder angedroht hat.

Im Rahmen der Einzelfallprüfung sind sowohl der Umstand, dass die betreffende Person von den Gerichten eines Mitgliedstaates wegen der Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden ist, als auch die Feststellung, dass diese Person ein führendes Mitglied dieser Vereinigung war, von besonderer Bedeutung, ohne dass nachgewiesen werden müsste, dass diese Person selbst zu einer terroristischen Handlung angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat.

(Leitsätze der Redaktion)

Anmerkung:

Schlagwörter: terroristische Vereinigung, Ausschlussgrund, Flüchtlingsanerkennung,Vorabentscheidungsverfahren, Terrorismus, Terrorismusvorbehalt, Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen, Rahmenbeschluss 2002/475, Lounani,
Normen: RL 2004/83/EG Art .12 Abs. 2 Bst. c, RL 2004/83/EG Art. 12 Abs. 3, GFK Art. 1F Bst. c,
Auszüge:

[...]

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 Abs. 2 Buchst. c und Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2004, L 304, S. 12, berichtigt im ABl. 2005, L 204, S. 24).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides (Generalkommissar für Flüchtlinge und Staatenlose, im Folgenden: Generalkommissar) und Herrn Mostafa Lounani, einem marokkanischen Staatsangehörigen, weil dieser wegen Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen wurde. [...]

39 Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen, dass eine Anwendung der dort vorgesehenen Ausschlussklausel notwendigerweise voraussetzt, dass der Asylbewerber wegen einer der in Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/475 vorgesehenen terroristischen Straftaten verurteilt worden ist?

2. Falls nicht, sind Sachverhalte, die der Gegenpartei im Urteil des Tribunal correctionnel de Bruxelles (Strafgericht Brüssel) vom 16. Februar 2006 zur Last gelegt wurden und aufgrund deren sie wegen Beteiligung an einer terroristischen Organisation verurteilt worden ist, als Handlungen anzusehen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 zuwiderlaufen?

3. Ist im Rahmen der Prüfung, ob einer Person, die internationalen Schutz beantragt, dieser Schutz wegen der Beteiligung an einer terroristischen Organisation zu versagen ist, die Verurteilung als führendes Mitglied einer terroristischen Organisation, mit der festgestellt wird, dass der Antragsteller eine terroristische Handlung weder begangen, versucht noch angedroht hat, ausreichend, um das Vorliegen einer ihm zuzurechnenden Beteiligungs- oder Anstiftungshandlung im Sinne von Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 festzustellen, oder ist es erforderlich, die fraglichen Sachverhalte einzeln zu prüfen und die Beteiligung an der Begehung einer in Art. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/475 definierten terroristischen Straftat oder die Anstiftung hierzu nachzuweisen?

4. Muss sich im Rahmen der Prüfung, ob einer Person, die internationalen Schutz beantragt, dieser Schutz wegen der Beteiligung an einer terroristischen Organisation, gegebenenfalls als Anführer, zu versagen ist, die in Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 genannte Anstiftungs- oder Beteiligungshandlung auf die Begehung einer terroristischen Straftat, wie sie in Art. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/475 definiert ist, beziehen, oder kann sie sich auf die in Art. 2 dieses Beschlusses genannte Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung beziehen?

5. Ist es im Bereich des Terrorismus möglich, den internationalen Schutz nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 zu versagen, wenn keine Begehung, Anstiftung zu oder Beteiligung an einer Gewalttat besonders grausamer Art im Sinne von Art. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/475 vorliegt? [...]

Zur ersten Frage

40 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen ist, dass nur dann angenommen werden kann, dass der dort vorgesehene Grund für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling vorliegt, wenn die Person, die internationalen Schutz beantragt, wegen einer der in Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/475 vorgesehenen terroristischen Straftaten verurteilt worden ist.

41 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass aus den Erwägungsgründen 3, 16 und 17 der Richtlinie 2004/83 hervorgeht, dass die Genfer Konvention einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen darstellt und dass die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Voraussetzungen der Anerkennung als Flüchtling und über den Inhalt des Flüchtlingen zu gewährenden Schutzes erlassen wurden, um die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Genfer Konvention auf der Grundlage gemeinsamer Konzepte und Kriterien zu leiten (Urteil vom 2. Dezember 2014, A u. a., C-148/13 bis C-150/13, EU:C:2014:2406, Rn. 45).

42 Die Bestimmungen der Richtlinie 2004/83 sind daher im Licht der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention und anderen einschlägigen Verträgen, auf die Art. 78 Abs. 1 AEUV Bezug nimmt, auszulegen (Urteile vom 9. November 2010, B und D, C-57/09 und C-101/09, EU:C:2010:661, Rn. 78, und vom 2. Dezember 2014, A u.a., C-148/13 bis C-150/13, EU:C:2014:2406, Rn. 46).

43 Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 entspricht im Wesentlichen Art. 1 Abschnitt F Buchst. c des Genfer Abkommens, der vorsieht, dass die Bestimmungen dieses Abkommens keine Anwendung фuf Personen finden, in Bezug auf die aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sie sich Handlungen zuschulden kommen ließen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.

44 Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 verweist genauer auf Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, "wie sie in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind", zuwiderlaufen.

45 Nach dem 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83 sind die in Art. 12 Abs. 2 Buchst. c dieser Richtlinie genannten Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, u.a. "in den Resolutionen der Vereinten Nationen zu Antiterrormaßnahmen verankert, in denen erklärt wird, 'dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen' und 'dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen'".

46 Zu diesen Resolutionen zählt die Resolution 1377 (2001) des Sicherheitsrats, aus der hervorgeht, dass nicht nur "Akte des internationalen Terrorismus", sondern auch "die Finanzierung, Planung und Vorbereitung sowie jegliche andere Form der Unterstützung von Akten des internationalen Terrorismus" im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen stehen.

47 Im Übrigen kann aus der Resolution 1624 (2005) des Sicherheitsrats abgeleitet werden, dass die Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, nicht auf die "Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus" beschränkt sind. Der Sicherheitsrat fordert die Staaten darin nämlich auf, zur Bekämpfung des Terrorismus im Einklang mit ihren Verpflichtungen nach dem Völkerrecht "alle[n] Personen, die die Finanzierung, Planung, Vorbereitung oder Begehung terroristischer Handlungen unterstützen, erleichtern, sich daran beteiligen oder sich daran zu beteiligen versuchen oder den Tätern Unterschlupf gewähren", einen sicheren Zufluchtsort zu verweigern und sie vor Gericht zu bringen. Außerdem werden die Staaten in Ziff. 1 Buchst. c dieser Resolution aufgefordert, allen Personen, zu denen glaubwürdige und sachdienliche Informationen vorliegen, die ernsthaften Grund zu der Annahme geben, dass sie sich der Aufstachelung zur Begehung einer terroristischen Handlung oder terroristischer Handlungen schuldig gemacht haben, einen sicheren Zufluchtsort zu verweigern.

48 Daraus ergibt sich, dass der in Art. 1 Abschnitt F Buchst. c des Genfer Abkommens und Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 enthaltene Begriff "Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen" nicht dahin ausgelegt werden kann, dass er auf die Begehung terroristischer Handlungen, wie sie in den Resolutionen des Sicherheitsrats beschrieben sind (im Folgenden: terroristische Handlungen), beschränkt ist.

49 Entgegen der Auffassung von Herrn Lounani kann dieser Begriff erst recht nicht dahin ausgelegt werden, dass er nur auf die terroristischen Straftaten im Sinne von Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/475 anwendbar ist, und folglich auch nicht dahin, dass es Voraussetzung ist, dass es zu einer strafrechtlichen Verurteilung wegen einer solchen Straftat gekommen ist.

50 Insoweit ist festzustellen, dass der Rahmenbeschluss 2002/475 – wie aus seinem sechsten Erwägungsgrund hervorgeht – darauf abzielt, in allen Mitgliedstaaten die Definition der terroristischen Straftaten, einschließlich der Straftaten, die im Zusammenhang mit terroristischen Vereinigungen begangen werden, anzugleichen.

51 Wie die Europäische Kommission angemerkt hat, zählt der Rahmenbeschluss 2002/475 hierfür verschiedene Handlungen auf, die unter den allgemeinen Begriff des Terrorismus fallen können, und gliedert sie in vier Kategorien von Straftaten, nämlich in "terroristische Straftaten“ (Art. 1), "Straftaten im Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung" (Art. 2), "Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten" (Art. 3) und schließlich die Anstiftung zur Begehung bestimmter dieser Straftaten, die Beihilfe zur Begehung entsprechender Straftaten bzw. den Versuch der Begehung entsprechender Straftaten (Art. 4).

52 Hätte der Unionsgesetzgeber den Anwendungsbereich von Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 einschränken und den Begriff "Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen" allein auf die in Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/475 aufgezählten Straftaten beschränken wollen, hätte er dies ohne Schwierigkeiten tun können, indem er diese Straftaten ausdrücklich erwähnt oder auf den Rahmenbeschluss 2002/475 Bezug nimmt.

53 Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 nimmt jedoch weder auf den Rahmenbeschluss 2002/475 Bezug – obwohl dieser zum Zeitpunkt der Abfassung von Art. 12 Abs. 2 Buchst. c existierte – noch auf ein anderes im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus erlassenes Instrument der Europäischen Union.

54 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen ist, dass nicht nur dann angenommen werden kann, dass der dort vorgesehene Grund für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling vorliegt, wenn die Person, die internationalen Schutz beantragt, wegen einer der in Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/475 vorgesehenen terroristischen Straftaten verurteilt worden ist. [...]

62 Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 12 Abs. 2 Buchst. c in Verbindung mit Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen ist, dass Handlungen der Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung – wie jene, wegen deren der Beschwerdegegner des Ausgangsverfahrens verurteilt worden ist – unter den in diesen Bestimmungen vorgesehenen Ausschlussgrund fallen können, obwohl die betreffende Person eine terroristische Handlung weder begangen oder zu begehen versucht noch angedroht hat.

63 Hinsichtlich der Handlungen, wegen deren Herr Lounani strafrechtlich verurteilt worden ist, geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass diese Verurteilung insbesondere auf Art. 140 des geänderten Strafgesetzbuchs gestützt ist, mit dem Art. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/475 in belgisches Recht umgesetzt wird, der die Straftaten im Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung definiert und in seinem Abs. 2 Buchst. b die Beteiligung an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung einschließt.

64 Als das Tribunal correctionnel de Bruxelles (Strafgericht Brüssel) Herrn Lounani in seinem Urteil vom 16. Februar 2006 wegen dieser Straftat für schuldig sprach, stützte es dies im Einzelnen darauf, dass er an den Aktivitäten der belgischen Zelle des GICM als führendes Mitglied beteiligt gewesen sei, indem er dieser Vereinigung insbesondere durch materielle oder intellektuelle Dienste logistische Unterstützung geleistet habe, indem er Pässe gefälscht bzw. betrügerisch überlassen habe und indem er sich aktiv an der Ausschleusung Freiwilliger in den Irak beteiligt habe.

65 Somit wurde weder festgestellt, dass Herr Lounani persönlich terroristische Handlungen begangen hat, noch, dass er zu solchen Handlungen angestiftet hat oder daran beteiligt war.

66 Wie in Rn. 48 des vorliegenden Urteils dargelegt, geht aus den einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats jedoch hervor, dass der Begriff "Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen" nicht auf terroristische Handlungen beschränkt ist.

67 Es ist insbesondere festzustellen, dass der Sicherheitsrat in der Resolution 2178 (2014) "seiner ernsten Besorgnis über die akute und zunehmende Bedrohung, die von ausländischen terroristischen Kämpfern ausgeht, das heißt von Personen, die in einen Staat reisen, der nicht der Staat ihrer Ansässigkeit oder Staatsangehörigkeit ist, um terroristische Handlungen zu begehen, zu planen, vorzubereiten", Ausdruck verliehen und seine Besorgnis in Bezug auf Netzwerke ausgedrückt hat, die von terroristischen Einrichtungen aufgebaut worden sind und über die ausländische terroristische Kämpfer und die Ressourcen zu ihrer Unterstützung zwischen den Staaten hin und her geschleust werden.

68 Zu den gegen dieses Phänomen zu ergreifenden Maßnahmen gehört, dass die Staaten dafür zu sorgen haben, dass sie die Anwerbung, Organisation, Beförderung oder Ausrüstung von Personen, die in einen Staat reisen, der nicht der Staat ihrer Ansässigkeit oder Staatsangehörigkeit ist, um insbesondere terroristische Handlungen zu begehen, zu planen oder vorzubereiten, verhüten und bekämpfen.

69 Folglich ist die Anwendung des in Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 vorgesehenen Ausschlusses von der Anerkennung als Flüchtling nicht auf diejenigen zu beschränken, die tatsächlich terroristische Handlungen begehen, sondern kann sich auch auf Personen erstrecken, die die Anwerbung, Organisation, Beförderung oder Ausrüstung von Personen vornehmen, die in einen Staat reisen, der nicht der Staat ihrer Ansässigkeit oder Staatsangehörigkeit ist, um insbesondere terroristische Handlungen zu begehen, zu planen oder vorzubereiten.

70 Außerdem geht aus Art. 12 Abs. 2 Buchst. c in Verbindung mit Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 hervor, dass der in der erstgenannten Bestimmung vorgesehene Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling auch auf Personen anwendbar ist, in Bezug auf die aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sie andere zu Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, angestiftet haben oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben. Angesichts der Ausführungen in den Rn. 48 und 66 des vorliegenden Urteils verlangt die Anwendung dieser zusammen betrachteten Bestimmungen nicht, dass die Person, die internationalen Schutz beantragt, zu einer terroristischen Handlung angestiftet hat oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat.

71 Insoweit weist die Kommission zutreffend darauf hin, dass die Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung eine große Bandbreite von Verhaltensweisen unterschiedlicher Schwere umfassen kann.

72 Unter diesen Umständen darf die zuständige Stelle des betreffenden Mitgliedstaats Art. 12 Abs. 2 Buchst. c Richtlinie 2004/83 erst anwenden, nachdem sie in jedem Einzelfall eine Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, die ihr bekannt sind, vorgenommen hat, um zu ermitteln, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass die Handlungen des Betreffenden, der im Übrigen die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling erfüllt, unter diesen Ausschlusstatbestand fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. November 2010, B und D, C-57/09 und C-101/09, EU:C:2010:661, Rn. 87 und 94).

73 Hinsichtlich der Frage, ob Handlungen wie die Herrn Lounani zur Last gelegten unter Handlungen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, oder unter Anstiftung zu solchen Handlungen oder Beteiligung daran in sonstiger Weise im Sinne von Art. 12 Abs. 3 dieser Richtlinie fallen können, obliegt die endgültige Beurteilung des Antrags auf internationalen Schutz den zuständigen nationalen Behörden unter der Kontrolle der nationalen Gerichte.

74 In Bezug auf zu berücksichtigende Angaben ist festzustellen, dass Herr Lounani nach der Vorlageentscheidung ein führendes Mitglied einer terroristischen Vereinigung internationaler Dimension war, die am 10. Oktober 2002 in die Liste der Vereinten Nationen, die bestimmte Personen und Vereinigungen enthält, gegen die Sanktionen verhängt wurden, aufgenommen wurde und in der seither aktualisierten Liste weiterhin aufgeführt blieb. Seine Handlungen zur logistischen Unterstützung der Aktivitäten dieser Vereinigung haben insofern eine internationale Dimension, als er an der Fälschung von Pässen beteiligt war und Freiwillige unterstützt hat, die sich in den Irak begeben wollten.

75 Derartige Handlungen können den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling rechtfertigen.

76 Entsprechend den Ausführungen in den Rn. 12, 13 und 67 bis 69 des vorliegenden Urteils ist insoweit darauf hinzuweisen, dass die Resolutionen des Sicherheitsrats, insbesondere die Resolution 2178 (2014) in ihrer Ziff. 5 und ihrer Ziff. 6 Buchst. c, unter den Aktivitäten, gegen die die Staaten im Rahmen ihres Kampfes gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen haben, die vorsätzliche Organisation der Reisen von Personen nennen, die in einen Staat reisen, der nicht der Staat ihrer Ansässigkeit oder Staatsangehörigkeit ist, um terroristische Handlungen zu begehen, zu planen oder vorzubereiten.

77 Somit wird, wenn man als erwiesen unterstellt, dass die Vereinigung, der Herr Lounani als führendes Mitglied angehörte, keine terroristische Handlung begangen hat und dass die von dieser Vereinigung unterstützten Freiwilligen, die sich in den Irak begeben wollten, letztlich keine derartigen Handlungen begangen haben, dadurch jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Handlungen von Herrn Lounani als den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufend angesehen werden können. Angesichts der Ausführungen in den Rn. 41 bis 54 und 66 bis 70 des vorliegenden Urteils gilt dies auch für den von dem vorlegenden Gericht in seiner dritten Frage erwähnten Umstand, dass Herr Lounani eine terroristische Straftat im Sinne von Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/475 weder begangen oder zu begehen versucht noch angedroht habe. Aus denselben Gründen ist für die Anwendung von Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 nicht der Nachweis erforderlich, dass Herr Lounani zu einer solchen Straftat angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat.

78 Außerdem ist im Rahmen der von der zuständigen Behörde vorzunehmenden Einzelprüfung der Umstand von besonderer Bedeutung, dass Herr Lounani von den Gerichten eines Mitgliedstaats wegen der Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden ist und diese Verurteilung rechtskräftig ist.

79 Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 2 Buchst. c und Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen sind, dass Handlungen der Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung – wie jene, wegen deren der Beschwerdegegner des Ausgangsverfahrens verurteilt worden ist – den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling rechtfertigen können, auch wenn nicht erwiesen ist, dass die betreffende Person eine terroristische Handlung begangen, zu begehen versucht oder angedroht hat. Für die Einzelprüfung der Tatsachen, anhand deren beurteilt werden kann, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass sich eine Person Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, zuschulden kommen ließ, zu solchen Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat, sind sowohl der Umstand, dass diese Person von den Gerichten eines Mitgliedstaats wegen der Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden ist, als auch die Feststellung, dass diese Person ein führendes Mitglied dieser Vereinigung war, von besonderer Bedeutung, ohne dass nachgewiesen werden müsste, dass diese Person selbst zu einer terroristischen Handlung angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat. [...]