1. Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG im Hinblick auf Italien wegen drohender Verletzung von Art. 3 EMRK wegen mangelnder Existenzsicherungsmöglichkeiten international Schutzberechtigter (hier: alleinerziehende Frau mit minderjährigem Kind).
2. Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG im Hinblick auf Nigeria, da dort wegen mangelnder sozialer Netzwerke der alleinerziehenden Mutter keine Sicherung der Existenzgrundlage gewährleistet wäre und somit die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK droht.
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Die derzeitigen Rückkehrbedingungen der Antragsteller führen zu der Annahme, dass bei Abschiebung nach Italien eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt. Zwar werden anerkannte Flüchtlinge und Personen mit (europarechtlichem/nationalem) subsidiären Schutzstatus den italienischen Staatsangehörigen gleichgestellt, jedoch gelten die vom EGMR (vgl. EGMR, Urteil vom 21.01.2011 - 30696/09 - M.S.S. gegen Belgien und Griechenland) und vom EuGH (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-41/10 und C-493 - N.S. und M.E.) aufgestellten Anforderungen (Einhaltung von Mindeststandards durch Gewährung von Unterkunft und gewisser materieller Unterstützung) nur für Asylbewerber. Hinsichtlich der Antragsteller liegen daher Anhaltspunkte vor, dass diese als international Schutzberechtigte bei Rückkehr nach Italien das Existenzminimum nicht werden erwirtschaften können. [...]
Die derzeitigen allgemeinen humanitären Bedingungen in Nigeria führen nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung der Antragsteller eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab sind nicht erfüllt.
Eine allgemeine extreme Gefahrenlage liegt in Nigeria nicht vor. Anhaltspunkte dafür, dass die Situation in Nigeria derart bedrohlich ist, dass Rückkehrer dort keine Lebensgrundlage hätten, liegen nicht vor. Die Wirtschaftsreformen der letzten Jahre haben zu einer makroökonomischen Konsolidierung geführt, jedoch leben weiterhin ca. 70 % der Bevölkerung am Existenzminimum. Die Arbeitslosigkeit, vor allem in der jungen Bevölkerung, ist hoch. Die meisten Nigerianerinnen und Nigerianer arbeiten als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Ein vom Staat organisiertes und finanziertes Hilfsnetz für Mittellose existiert nicht. Die Grundversorgung wird im Rahmen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Großfamilie gesichert. Daneben existieren Hilfseinrichtungen bei verschiedenen Kirchengemeinden wie es auch im Bundesstaat Lagos eine Vielzahl von NGOs gibt, die sich um die diversen Bevölkerungsgruppen kümmern. Die Inanspruchnahme der Hilfsangebote hängt dabei von der Eigeninitiative des Einzelnen ab.
Es wird nicht verkannt, dass die Lage für viele dort häufig schwierig ist und es in Einzelfällen auch problematisch sein kann, das Existenzminimum zu sichern. Rückkehrer sind jedoch grundsätzlich - selbst bei existenzbedrohenden Schwierigkeiten - nicht chancenlos und werden nicht in eine Situation gebracht, in der so gut wie keine Überlebensmöglichkeit besteht. Im Allgemeinen liegen daher keine existenziellen Gefährdungen vor, die nach ihrer Intensität und Schwere einer Rechtsgutbeeinträchtigung i.S. des Art. 3 EMRK gleichkommen.
Jedoch ist unter Berücksichtigung der konkreten individuellen Umstände der Antragsteller von einer Verletzung des Art. 3 EMRK im Fall einer Abschiebung auszugehen. Angesichts der schlechten Wirtschaftslage und der Bedeutung der Familien- und Stammesbindungen in der nigerianischen Gesellschaft ist es kaum möglich, ohne ein solches Netzwerk in Nigeria wieder Fuß zu fassen. Nach den derzeit nicht zu widerlegenden Angaben ist diese auf sich allein gestellt. Die nigerianische Gesellschaft ist traditionell patriarchalisch und teilweise polygam ausgerichtet. Trotz verfassungsmäßiger Gleichstellung werden Frauen diskriminiert. Die Gleichberechtigung der Frau hat sich in der Praxis wie in einfachgesetzlichen Regelungen bislang nicht durchgesetzt. Neuere Gesetze diskriminieren Frauen insbesondere in Verbindung mit gleichzeitig fortbestehenden traditionellen Regeln. Zwar werden im Südwesten des Landes, der liberaler als die übrigen Landesteile Nigerias ist, alleinstehende oder allein lebende Frauen vor allem in den Städten eher akzeptiert. Auf sich allein gestellt, ist es jedoch häufig nicht möglich, eine Unterkunft zu finden und sich eine eigene wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Daher ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin bei Rückkehr nicht in der Lage sein wird, das Existenzminimum für sich und die Tochter dauerhaft zu erwirtschaften. [...]