OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Urteil vom 22.02.2002 - 1 Bf 486/98.A - asyl.net: M2447
https://www.asyl.net/rsdb/M2447
Leitsatz:

Der Abfall vom islamischen Glauben und der – in Deutschland vollzogene – Übertritt zum Christentum führt [für] einen iranischen Staatsangehörigen ohne zusätzlichen Umstände noch nicht zu einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit.(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Iran, Christen, Konversion, Apostasie, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Missionierung, Beachtlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Strafverfolgung, Scharia, Todesstrafe, Religiös motivierte Verfolgung, Religiöses Existenzminimum
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG und die Feststellung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG. Die Klage war daher unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils abzuweisen.

Nach seinen eigenen Angaben hat der Kläger den Iran 1995 unverfolgt verlassen. Für die Verfolgungsprognose gilt daher, wovon auch das Verwaltungsgericht zu Recht ausgegangen ist, sowohl nach Art. 16 a Abs. 1 GG als auch nach § 51 Abs. 1 AuslG der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.

Bei Anwendung dieser Grundsätze kann nicht festgestellt werden, dass dem Kläger im Iran wegen seines Übertritts zum christlichen Glauben und seiner in der Bundesrepublik insoweit entfalteten weiteren Aktivitäten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht.

Die Auskunftslage bietet im Einzelnen folgendes Bild: ...

Zusammenfassend lässt sich den genannten Auskünften entnehmen, dass die Apostasie im Iran zwar ein absoluter Tabubruch und nach religiösem Recht mit den schärfsten Strafen bedroht ist. Auch ein staatliches asylrelevantes Vorgehen gegen Apostaten erscheint danach jedenfalls nicht als ausgeschlossen. Es fehlt aber an ausreichend konkreten Angaben, die die Annahme erlauben, dass bereits die Apostasie allein - ohne zusätzliche Umstände - mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu staatlicher Verfolgung führt. Entsprechende Referenzfälle werden weder in den Auskünften des Auswärtigen Amtes noch denen von amnesty international, des Deutschen Orient-Instituts, des UNHCR oder in dem CIREA-Bericht genannt. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes und dem CIREA-Bericht haben sich tatsächliche staatliche bzw. staatlich geduldete Repressionen bisher ganz überwiegend gegen Kirchenführer und in der Öffentlichkeit besonders Aktive, nicht aber gegen einfache Gemeindemitglieder gerichtet. Auch in den übrigen Auskünften wird, wie in denjenigen vom Auswärtigen Amt, nur über die Vorfälle der im Jahre 1994 ermordeten Priester der "Assembly of God" Mehdi Dibaj, Hovsepian Mehr und Tatareos Mikaelian berichtet sowie der Fall eines weiteren Priesters der "Assembly of God", Mohammed Bagher Youssefi, der 1996 unter bisher ungeklärten Umständen erhängt in einem Wald nahe der Stadt Sari aufgefunden worden sei, erwähnt. Für die Zeit danach fehlt es an jeglichen konkreten Angaben über Verfolgungsmaßnahmen, selbst gegenüber Priestern oder sonstigen besonders exponierten Vertretern christlicher Gemeinden.

Amnesty international versucht in seiner Auskunft vom 19. Juni 2000 den Umstand, dass in den vergangenen Jahren keine neuen Fälle von Verfolgungsmaßnahmen gegen Personen bekannt geworden seien, die im Iran vom islamischen Glauben zum christlichen Glauben konvertiert sind, damit zu erklären, dass Glaubensübertritte im Iran nur selten stattfänden und häufig geheimgehalten würden. Dies mag im Einzelfall zutreffen, reicht aber für die Annahme einer Verfolgungsgefahr nach dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ersichtlich nicht aus.

Auch die Begründung des Verwaltungsgerichts bleibt deutlich hinter diesem Maßstab zurück, wenn es in dem Urteil heißt, zwar würden die angedrohten schweren Strafen nicht in jedem Fall einer Konversion verhängt, es könne aber auch ausgeschlossen werden, dass diese Gefahr nach wie vor bestehe.

Nicht durchschlagend ist ebenso die Argumentation, mit der das Verwaltungsgericht die Einschätzung des Auswärtigen Amtes zu erschüttern versucht. Dass Strafprozesse im Iran nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden und deshalb für Außenstehende nicht feststellbar sei, ob eine Verurteilung allein wegen der Konversion oder zusätzlich deshalb erfolgt sei, weil der Verurteilte andere Moslems missioniert habe, mag zutreffen. Schlüssig im Sinne einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit wäre dieses Argument aber nur dann, wenn es tatsächliche Anhaltspunkte dafür gäbe, dass derartige Strafprozesse - und zwar nicht nur im Einzelfall - überhaupt stattfinden. Hierzu enthält das angefochtene Urteil jedoch nichts, und der Auskunftslage lässt sich derartiges zumindest für die letzten Jahre ebenfalls nicht über allgemeine Andeutungen hinausgehend konkret entnehmen. Man wird auch nicht davon ausgehen können, dass solche Prozesse, weil sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, völlig unbekannt bleiben, wenn es sie tatsächlich in größerem Umfange gäbe.

Der Senat verkennt bei allem nicht, dass es auch einzelne neuere Auskünfte des Auswärtigen Amtes gibt, die eine kritischere Beurteilung der Gefahrenlage als möglich erscheinen lassen könnten. Diesen - sehr kurzen - Auskünften ist jedoch keine entscheidende Bedeutung zuzumessen, da sie zu wenig konkret sind und im Widerspruch stehen zu den umfassenden Lageberichten sowie einer Reihe sonstiger, wesentlich ausführlicherer Auskünfte des Auswärtgen Amtes (z.B. vom 13.7. und 25.1.1999). Sie finden auch in den Auskünften von anderer Seite keine Grundlage. Der Senat sieht sich in seiner Auffassung bestätigt durch eine Reihe von neueren obergerichtlichen Entscheidungen, in denen ebenfalls keine beachtliche Verfolgungsgefahr für Apostaten im Iran angenommen wird (vgl. OVG Münster; Beschl. V. 5.9.2001, 6 A 3293/01.A; OVG Schleswig, Urt. v. 29.3.2000, 2 L 238/98; BayVGH, Beschl. v. 31.5.2001, 19 B 99.31964; OVG Lüneburg, Urt. v. 26.10.1999, 5 L 3180/99).

Die Angaben des Klägers, die dieser in der mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2002 über seine Aktivitäten in Deutschland gemacht hat und an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht, führen zu keiner anderen Einschätzng der Verfolgungsgefahr. Sie erlauben auch für den Fall, dass diese Aktivitäten iranischen Stellen bekannt werden sollten, nach Auffassung des Senats nicht die Annahme, dass dem Kläger deswegen mit beachtlicher Warhscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung im Iran droht. Seinen Angaben zufolge hat der Kläger in Hamburg regelmäßig den Gottesdienst besucht, zunächst in dem Missionswerk ..., dann in der ... Gemeinde und später in der ... Gemeinde. Er hat in diesem Zusammenhang außerdem an zwei Reisen innerhalb Deutschlands sowie an weiteren Veranstaltungen teilgenommen. Die Aktivitäten des Klägers beschränkten sich danach auf die jeweilige Gemeinde, ohne dass er darin eine besondere Funktion innehatte und in einer solchen nach außen hervorgetreten ist, und auf seinen näheren Freundes- und Bekanntenkreis. Auch wenn es sich bei den vom Kläger besuchten Gemeinden um Missionswerke bzw. evangelische Freikirchen handelt, denen iranische Behörden nach der Auskunftslage besonders kritisch gegenüberstehen, sind die Aktivitäten des Klägers insgesamt zu unbedeutend, um eine beachtliche Verfolgungsgefahr zu begründen. Wie bereits früher ausgeführt, betreffen die in den Auskünften - sowohl des Auswärtigen Amtes als auch des UNHCR, des Deutschen Orient-Instituts und von amnesty international - namentlich erwähnten Fälle von staatlicher oder staatlich geduldeter Verfolgung auch aus dem Bereich der Freikirchen jeweils nur Pastoren oder andere Personen, die öffentlich in herausgehobener Funktion für ihren christlichen Glauben tätig geworden sind, nicht aber einfache Gemeindemitglieder. Die letzten Fälle dieser Art, über die in den beigezogenen Auskünften berichtet wird, liegen zudem schon einige Jahre zurück.

Auch die vom Kläger geschilderten Missionierungsversuche im Freundes- und Bekanntenkreis in Hamburg führen nicht zu einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit. In den Lageberichten des Auswärtigen Amtes (z.B. vom 10.12.2001 S. 17) heißt es insoweit zwar, die Gefahr möglicher Repressionen bestehe für alle missionierenden Christen, gleichgültig ob es sich um geborene oder konvertierte handele. Diese Aussage bezieht sich jedoch, wie der weitere Zusammenhang belegt, in dem sie steht zumindest in erster Linie auf die Missionierung im Iran und nicht auf eine solche im europäischen Ausland.

Der Kläger kann sich zur Begründung seines Asylbegehrens auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er als Christ auf Grund des biblischen Missionsbefehls verpflichtet sei, den Glauben zu verbreiten und dass jedenfalls die Missionierung im Iran zu einer beachtlichen Gefährdung führe. Er braucht zwar bei einer Rückkehr in den Iran seinen christlichen Glauben dort nicht zu verleugnen. Ihm ist es aber zur Vermeidung von Repressalien in seinem Heimatland zuzumuten, die Religionsausübung auf den häuslich-privaten Bereich zu beschränken und jede über diesen Bereich hinausgehende Missionierung zu unterlassen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. - 1.7.1987, BVerfGE Bd. 76 S. 143, 158 ff.) sind Eingriffe in die Religionsfreiheit nur dann als politische Verfolgung zu betrachten, wenn sie den Einzelnen in seinem auf den häuslich-privaten Bereich beschränkten "religiösen Existenzminimum" treffen (vgl. hierzu auch: OVG Münster, a.a.O.; BayVGH, a.a.O.).