BlueSky

VG Aachen

Merkliste
Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 07.11.2016 - 7 K 2010/16.A - asyl.net: M24409
https://www.asyl.net/rsdb/M24409
Leitsatz:

Eine psychische Erkrankung kann in Albanien grundsätzlich behandelt werden. Insbesondere ist eine weitmaschige psychotherapeutische Behandlung möglich und sind zur Behandlung psychischer Erkrankungen verwendete Medikamente in Albanien erhältlich und finanzierbar.

Schlagwörter: Albanien, psychische Erkrankung, medizinische Versorgung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Gemessen an diesen Kriterien kann eine Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht wegen einer Erkrankung des Klägers angenommen werden.

Eine psychische Erkrankung kann aufgrund der vorgelegten ärztlichen Atteste und Bescheinigungen nicht zweifelhaft sein [...] Eine Störung dieser bzw. der von der behandelnden Psychiaterin angenommenen Art kann nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnismitteln aber auch in Albanien behandelt werden:

Die medizinische Versorgung in Albanien ist in staatlichen Krankenhäusern und Polikliniken grundsätzlich kostenlos. Komplizierte Behandlungen können in Tirana und anderen großen Städten durchgeführt werden. Die Medikamentenversorgung ist problemlos. Örtliche Apotheken bieten ein relativ großes Sortiment an gängigen Medikamenten an, die zum großen Teil aus der EU importiert werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, weitere Medikamente aus dem Ausland zu beschaffen. Das staatliche Institut für Gesundheitsversicherungen (sog. Health Insurance Institute – HII –) trägt in Albanien die Kosten für primäre Gesundheitsversorgung und erstattet die Kosten für gewisse Medikamente zurück. Vollständig versicherte Personengruppen sind Pensionierte, Arbeitslose, Studierende, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre. Die staatliche Krankenversicherung übernimmt in der Regel die Kosten für das billigste vorhandene Generikum bei Standard-Medikamenten. Sofern nicht sämtliche Kosten übernommen werden, sind vom Patienten entsprechende Medikamenten-Zuzahlungen zu leisten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Albanien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG vom 16. August 2016 (Stand: Mai 2016), Seite 13 f.; IOM - International Organization for Migration, Information on Return and Reintegration in the Countries of Origin - IRRICO: Albania von Juli 2016; Deutsche Botschaft Tirana, Auskunft an VG Aachen vom 17. Februar 2015; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft an VG Aachen vom 02. Dezember 2015, Seiten 7 und 10).

Diese Grundsätze gelten auch für psychische Erkrankungen (vgl. VG München, Urteil vom 22.08.2016 - M 2 K 15.31150 -, juris Rn. 22; VG München, Beschluss vom 30.06.2016 - M 16 S 16.31393 -, juris Rn. 30; VG Düsseldorf, Beschluss vom 16. August 2016 – 17 L 2574/16.A –, juris Rn. 67).

Insbesondere sind die zur Behandlung psychischer Erkrankungen verwendeten Medikamente in Albanien regelmäßig erhältlich (vgl. Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Tirana, Auskunft vom 29. März 2013 an Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Albanien: Posttraumatische Belastungsstörung, Blutrache, Auskunft der SFH-Länderanalyse, Stand: 13. Februar 2013, Seite 6; aus der Rechtsprechung VG Düsseldorf, Beschluss vom 16. August 2016 – 17 L 2574/16.A –, juris Rn. 67 m.w.N.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18.07.2016 – 17 L 1782/16.A –, juris Rn. 41 m.w.N.).

Auch die dem Kläger konkret verschriebenen Medikamente sind nach den Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid, denen der Kläger nicht entgegengetreten ist, in Albanien verfügbar. Er kann nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Medikamente für ihn nicht finanzierbar seien. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Kläger als Arbeitsloser nach entsprechender Registrierung zu den vollständig versicherten Personengruppen zu zählen ist.

Sind somit die erforderlichen Medikamente allgemein und auch für den Kläger verfügbar, ist ein wesentlicher Bestandteil der gegenwärtigen Behandlung des Klägers gewährleistet. Nach dem fachärztlichen Attest der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der N. GmbH vom 30. Juni 2016 - Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. I. - findet derzeit eine psychotherapeutische Behandlung nicht statt, weil der Kläger nicht psychotherapiefähig ist. Aus diesem Grund beschränkt sich die Behandlung auf psychiatrische Konsultationen regelmäßig alle 5 Wochen für eine Dauer von etwa 30 Minuten. Die Tochter des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung in etwa gleich von einem Arztbesuch alle 1 bis 2 Monate gesprochen. Die Kammer verkennt zwar nicht, dass der Amtsarzt des Kreises F., Facharzt für Psychiatrie L, in seiner psychiatrischen Stellungnahme vom 30. September 2014 ausgeführt hat, die Voraussetzungen für eine stationäre psychiatrische Behandlung seien gegeben, zumindest aber wäre eine engmaschige ambulante Behandlung erforderlich. Maßgeblich ist indes allein, dass faktisch der Kläger nicht stationär psychiatrisch behandelt worden ist und wird und dass er auch nicht engmaschig ambulant betreut wird. Es spricht angesichts der Erkenntnislage nichts dafür, dass eine eher weitmaschige Behandlung nicht auch im Heimatland des Klägers möglich wäre. So sind insbesondere in Tirana Psychologen und Psychotherapeuten niedergelassen (vgl. Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Tirana, Auskunft vom 01. Juni 2012 an Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; aus der Rechtsprechung VG Düsseldorf, Beschluss vom 16. August 2016 – 17 L 2574/16.A –, juris Rn. 67 m.w.N.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18.07.2016 – 17 L 1782/16.A –, juris Rn. 41 m.w.N.).

Zudem sind neben gut ausgestatteten Privatkliniken, die für den Kläger finanziell freilich nicht erreichbar sein dürften, in Albanien auch Nichtregierungsorganisationen ansässig, die Dienstleistungen für psychisch kranke Personen anbieten (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Albanien: Posttraumatische Belastungsstörung, Blutrache, Auskunft der SFH-Länderanalyse, Stand: 13. Februar 2013, Seite 7 f.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 29. April 2016 - 17 L 410/16.A. -, n.v.; VG Düsseldorf, Urteil vom 6. Juli 2016 - 17 K 6384/16.A -).

Darüber hinaus steht Patienten mit psychischen Erkrankungen grundsätzlich das Recht zu, kostenlos in ein allgemeines Krankenhaus eingewiesen oder ambulant behandelt zu werden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Albanien: Behandlung von Epilepsie und Depressionen, Auskunft der SFH-Länderanalyse, Stand: 02. Dezember 2015, Seite 11).

Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass die von dem Arzt für Innere Medizin und für Psychotherapeutische Medizin Dr. H. in seiner fachärztlichen gutachtlichen Stellungnahme vom 30. September 2016 geforderte "fachärztliche regelmäßig überwachte Behandlung" auch in Albanien möglich ist. Dass sie daran scheitern würde, dass der Kläger erforderliche private Zuzahlungen leisten müsste, ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Viele Patienten geben dem ärztlichen Personal von sich aus Geld, weil sie durch tief sitzendes Misstrauen gegenüber dem Establishment das Gefühl haben, sonst nicht die bestmögliche Behandlung zu erhalten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Albanien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG vom 16. August 2016 (Stand: Mai 2016), Seite 13; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Tirana, Auskunft vom 15. März 2016 an VG Gießen).

Selbst für den Fall, dass der Standard einer Behandlung in Albanien hinter dem hiesigen zurückbliebe, genügte dies nicht, um von einer konkreten, d.h. alsbald eintretenden und erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation der Klägerin zu 1) auszugehen. Denn die Gewährung von Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Die Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14.06.2005 - 11 A 4518/02.A -, juris Rn. 23; VG Aachen, Beschluss vom 30.10.2015 - 6 L 807/15.A , juris Rn. 40).

Soweit Dr. H. auf das Problem des Abbruchs der "haltgebenden" Beziehung des Klägers zu seiner hiesigen Psychiaterin hinweist, muss der Aspekt im vorliegenden Zusammenhang außer Betracht bleiben. Denn krankheitsbedingte Gefahren, die sich allein als Folge des Abschiebungsvorgangs bzw. wegen des Verlassens des Bundesgebietes, nicht aber wegen der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung ergeben können, begründen kein Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und sind deshalb nicht vom Bundesamt im Asylverfahren, sondern als inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse von der zuständigen Ausländerbehörde zu prüfen (vgl. BVerwG, BVerwG, Urteil vom 29.10.2002 – 1 C 1/02 – juris Rn. 9; BVerwG, Urteil vom 21.09.1999 - BVerwG 9 C 8.99 -, juris Rn. 13 m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 06.12.2011 – 10 B 23/11 –, juris Rn. 8; BayVGH, Urteil vom 08.03.2012 – 13a B 10.30172 – juris Rn. 25; Nds.OVG, Urteil vom 28.06.2011 – OVG 8 LB 221.09 –, juris Rn. 28; VG München, Urteil vom 27.08.2015 – M 2 K 14.30925 –, juris Rn. 19; VG Berlin, Urteil vom 28. Januar 2015 – 7 K 617.14 A –, juris Rn. 57).

Nichts anderes gilt für die übrigen in der Stellungnahme von Dr. H. genannten "unterstützenden Umweltfaktoren".

Die zunächst vom Amtsarzt des Kreises F., Facharzt für Psychiatrie L., in seiner psychiatrischen Stellungnahme vom 18. Dezember 2014 getroffene Aussage, dass der Kläger nicht eigenständig leben könne – zustimmend aufgegriffen von Dr. H. in seiner Stellungnahme vom 30. September 2016 –, rechtfertigt die Annahme eines Abschiebungsverbots i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ebenfalls nicht. Der Kläger kann auch hier in Deutschland nicht eigenständig leben, sondern ist auf fremde Hilfe angewiesen. Sie wird ganz überwiegend von seiner Ehefrau und seiner Tochter geleistet. Nach einer Rückkehr in ihr Heimatland gemeinsam mit dem Kläger werden sie ihn auch dort betreuen können. Überdies leben weitere (enge) Familienangehörige in Albanien.

Für Rückkehrer nach Albanien besteht überdies nicht aufgrund der wirtschaftlichen Lage allgemein eine Extremsituation, in der Gefahr für Leib und Leben droht (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Albanien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 AsylVfG vom 16. August 2016 (Stand: Mai 2016), Seite 13; aus der Rechtsprechung VG München, Beschluss vom 03.05.2016 – M 16 S 16.30497 –, juris Rn. 14; VG Hamburg, Beschluss vom 14.04.2016 – 2 AE 1426/16 –, juris Rn. 24; VG Regensburg, Urteil vom 30.06.2015 – RO 6 K 15.30516 –, juris; VG Aachen, Urteil vom 16.10.2014 – 1 K 1201/14.A –, juris).

Nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in Albanien vom 16. August 2016 ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln gesichert. Der albanische Staat gewährt Bedürftigen, zu denen auch Familien mit keinem oder geringen Einkommen gehören, Sozialhilfe und Invalidengeld durch Geldbeträge, die sich derzeit zwischen einem monatlichen Sozialhilfesatz von 3.000,-- ALL (ca. 21,-- Euro) und für Familienoberhäupter von 8.000,-- ALL (ca. 57,-- Euro) sowie einem Invalidengeld von 9.900,-- ALL (ca. 70,-- Euro) bewegen. Grundnahrungsmittel, in erster Linie Brot, werden subventioniert. Eine Vielzahl von lokalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen engagiert sich im sozialen Bereich (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Albanien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 AsylVfG vom 16. August 2016 (Stand: Mai 2016), Seite 13).

Daneben kann der Kläger auf die Unterstützung seiner Familie bauen. Generell kommt in Albanien insbesondere im ländlichen Bereich der Großfamilie – nach wie vor – die Aufgabe zu, Familienmitglieder in Not aufzufangen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Albanien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 AsylVfG vom 16. August 2016 (Stand: Mai 2016), Seite 13). [...]