VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 24.05.2016 - 11 K 5952/15 - asyl.net: M23990
https://www.asyl.net/rsdb/M23990
Leitsatz:

[Einbürgerung unter Nebenbestimmungen:]

1) Die Tatbestandsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG muss zum Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllt sein.

2) Die Aufgabe oder der Verlust der bisherigen ausländischen Staatsangehörigkeit nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 StAG ist eine wesentliche, zwingende Voraussetzung für die Anspruchseinbürgerung.

3) Eine wesentliche Voraussetzung des infrage stehenden Verwaltungsakts darf eine Behörde nicht auf eine Nebenbestimmung abschieben. Die Erfüllung der wesentlichen Erteilungsvoraussetzungen darf nicht der Zukunft überlassen bleiben.

4) Das fehlende Tatbestandsmerkmal des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG kann nicht durch eine Auflage, das Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit nach der Einbürgerung zu betreiben, ersetzt werden.

5) Nr. 10.1.14 VAH-StAG ist eine gesetzwidrige Verwaltungsvorschrift.

6) Eine Nebenbestimmung darf isoliert nicht aufgehoben werden, wenn andernfalls die dann verbleibende Genehmigung nicht mehr dem geltenden Recht entspricht und wenn der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvollerweise nicht bestehen bleiben kann.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Einbürgerung, Aufgabe der Staatsangehörigkeit, Nebenbestimmung, zwingende Erteilungsvoraussetzung,
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 4,
Auszüge:

[...]

Die Einbürgerung der Kläger auf der Grundlage des § 10 StAG ist rechtswidrig, da nicht sämtliche Voraussetzungen erfüllt sind. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG setzt voraus, dass der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert. Auch diese Tatbestandsvoraussetzung muss – wie auch sämtliche anderen Anspruchsvoraussetzungen – zum Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllt sein (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Stand: 12.05.2016, Rn. 9; Berlit in: GK-StAR, Stand: Oktober 2014, IV-2 § 10 Rn. 278). Zum Zeitpunkt der Einbürgerung der Kläger hatten sie ihre dschibutische Staatsangehörigkeit jedoch weder verloren noch aufgegeben. [...]

Die den Klägern zusammen mit der Einbürgerung erteilten Auflagen, u.a. den Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit nach Erreichen der Volljährigkeit herbeizuführen (Auflagenbescheid des Beklagten vom 09.07.2015), konnten entgegen der Auffassung des Beklagten nicht auf § 36 Abs. 1 LVwVfG gestützt werden.

Zwar sieht § 36 Abs. 1 LVwVfG vor, dass auch bei einem Rechtsanspruch auf den Verwaltungsakt dieser mit einer Nebenbestimmung versehen werden kann, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Eine Rechtsvorschrift, dass eine Einbürgerung unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit erfolgen kann, gibt es aber nicht. Auch die zweite Alternative des § 36 Abs. 1 LVwVfG ist nicht erfüllt. Bei den im Auflagenbescheid des Beklagten vom 09.07.2015 enthaltenen Auflagen handelt es sich nicht um Nebenbestimmungen zur Sicherstellung der gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes im Sinne des § 36 Abs. 1 Alt. 2 LVwVfG.

Die Aufgabe oder der Verlust der bisherigen ausländischen Staatsangehörigkeit nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG ist eine wesentliche, zwingende Voraussetzung für die Anspruchseinbürgerung. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG geht zurück auf die am 1. Januar 1991 in Kraft getretenen §§ 85 ff AuslG vom 9. Juli 1990 (BGBl. I. S. 1354). Mit diesen neuen Vorschriften zur Erleichterung der Einbürgerung hat der Gesetzgeber gleichzeitig seinen Willen bekräftigt, bei der Einbürgerung Mehrstaatigkeit grundsätzlich zu vermeiden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.02.1991 - 1 B 17/91 - NJW 1991, 2226 und Beschl. v. 15.04.1991 - 1 B 175/90 - NJW 1991, 2227). Nach Auffassung des Gesetzgebers ist das deutsche Einbürgerungsrecht vom Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit geprägt (vgl. BT-Drucks. 11/6321 S. 47). Dieser das deutsche Einbürgerungsrecht prägende Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit beruht auf der Erkenntnis, dass Mehrstaatigkeit grundsätzlich nicht im Interesse des Staates und der Bürger liegt; der Erwerb der deutschen Staats - angehörigkeit unter Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit ist auch aus integrationspolitischen Gründen der Mehrstaatigkeit vorzuziehen (vgl. BT-Drucks. 12/2035 S. 2). Dies belegt hinreichend, dass es sich bei § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG um eine wesentliche Voraussetzung für die Anspruchseinbürgerung (§ 10 StAG) handelt (vgl. VG Ansbach, Urt. v. 26.01.2005 - AN 15 K 04.03098 - juris -; VG Berlin, Urt. v. 10.06.2009 - 2 A 61.08 - juris -; HTK-StAR / § 10 StAG / Allgemeines, Stand: 20.04.2016, Rn. 12 m.w.N.).

Eine wesentliche Voraussetzung des infrage stehenden Verwaltungsakts darf eine Behörde aber nicht auf eine Nebenbestimmung abschieben und damit letztlich offenlassen; vielmehr müssen die wesentlichen Erteilungsvoraussetzungen vorliegen, ihre Erfüllung darf nicht der Zukunft überlassen bleiben (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 14.08.1998 - 1 L 4038/96 - juris - und Beschl. v. 09.06.1983 - 7 B 3/82 - DVBl 1984, 229; VGH München, Urt. v. 08.09.1999 - 7 B 98.2621 - juris -). § 36 Abs. 1 Alt. 2 LVwVfG enthält keine allgemeine Ermächtigung der Behörden, nach Ermessen von der Erfüllung zwingender Erteilungsvoraussetzungen abzusehen und sich stattdessen mit Nebenbestimmungen zufrieden zu geben, die eine Erfüllung der Erteilungsvoraussetzungen in der Zukunft sicherstellen sollen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl., § 36 Rn. 45 m.w.N.). Es obliegt vielmehr dem Begünstigten, die Voraussetzungen eines begünstigenden Verwaltungsaktes nachzuweisen (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., § 36 Rn. 128). Mit der Einbürgerung auf der Grundlage des § 10 StAG unter der Auflage, den Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit nach Erreichen der Volljährigkeit herbeizuführen, ist der Beklagte gleichsam in Vorleistung getreten und müsste durch eine Vollstreckung der Auflage dafür sorgen, dass die fehlende wesentliche Erteilungsvoraussetzung geschaffen wird. Eine solche Konstruktion käme letztlich einem Verzicht auf die Anspruchsvoraussetzung gleich, der von § 36 Abs. 1 Alt. 2 LVwVfG nicht gedeckt ist (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., § 36 Rn. 126).

Nach dem Gesagten kann somit das fehlende Tatbestandsmerkmal des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG nicht durch eine Auflage, das Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit nach der Einbürgerung zu betreiben, ersetzt werden (vgl. VG Berlin, Urt. v. 10.06.2009 - 2 A 61.08 - juris -; VG Stuttgart, Beschl. v. 05.11.2014 - 11 K 4208/14 - InfAuslR 2015, 105; HTK-StAR / § 10 StAG / Allgemeines, Stand: 20.04.2016, Rn. 12 m.w.N.). Dies führt zur Rechtswidrigkeit des Auflagenbescheids des Beklagten vom 09.07.2015. Soweit Nr. 10.1.1.4 VwV StAG (vom 8.Juli 2013 - Az.: 2-1010.1/1, Stand: 16.02.2015), Nr. 10.1.1.4 VAHStAG (Stand: 01.06.2015) und der Erlass des Ministeriums für Integration Bad-Württ. vom 13.09.2013 (Az.: 2-1012.0/0/10) gleichwohl eine Einbürgerung auf der Grundlage des § 10 StAG unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorsehen, verbunden mit der Auflage, dem Einbürgerungsbewerber die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen aufzugeben, handelt es sich nach dem zuvor Ausgeführten um gesetzwidrige Verwaltungsvorschriften. [...]

Im vorliegenden Fall scheidet eine isolierte Aufhebung der von den Klägern angefochtenen Nebenbestimmungen nicht aus. Eine Nebenbestimmung darf zwar nicht isoliert aufgehoben werden, wenn anderenfalls die dann verbleibende Genehmigung nicht mehr dem geltenden Recht entspricht und wenn der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvollerweise nicht bestehen bleiben kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.02.1984 - 4 C 70/80 - NVwZ 1984, 366; Beschl. v. 17.07.1995 - 1 B 23/95 - NVwZ-RR 1996, 20 und Urt. v. 22.11.2000 - 11 C 2/00 - BVerwGE 112, 221; a.A. Eyermann-Happ, VwGO, 12. Aufl. § 42 Rn. 48). So liegt der Fall hier aber nicht. Die Einbürgerung der Kläger ist vom streitgegenständlichen Auflagenbescheid selbständig abtrennbar. Eine Aufhebung der angefochtenen Nebenbestimmungen führt auch nicht dazu, dass die Einbürgerung dann nicht mehr dem geltenden Recht entspricht. Denn die Einbürgerung der Kläger war – wie oben ausgeführt – von Anfang an rechtswidrig. [...]