SG Berlin

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Zitieren als:
SG Berlin, Urteil vom 11.12.2015 - S 149 AS 7191/13 - asyl.net: M23984
https://www.asyl.net/rsdb/M23984
Leitsatz:

Erwerbsfähige EU-Bürger, die sich nur zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten, haben weder einen Leistungsanspruch nach dem SGB II noch nach dem SGB XII.

Der Gesetzgeber hat in seiner Gesetzesbegründung unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass erwerbsfähige Ausländer von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen sein sollen.

Soweit das Bundessozialgericht meint, sich über den eindeutigen Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen zu können, widerspricht dies dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Gewaltenteilung.

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn Unionsbürger auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen in ihrem Heimatland verwiesen werden.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: SGB II, SGB XII, Sozialleistungen, Unionsbürger, Aufenthalt zum Zweck der Arbeitssuche, Gewaltenteilung, Verfassung, Grundgesetz, freizügigkeitsberechtigt,
Normen: SGB II § 7, SGB II § 7a, SGB XII § 2 Abs. 2, FreizügG/EU § 2, GG Art. 1 Abs. 1, GG Art. 20 Abs. 1, AEUV Art. 45 Abs. 2, RL 2004/38/EG Art. 24 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Leistungsberechtigt nach dem SGB II sind nach dessen § 7 Abs. 1 Satz 1 Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig (Nr. 2) sowie hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Diese Voraussetzungen sind hier zwar gegeben. Denn der Kläger bewegt sich innerhalb der maßgeblichen Altersgrenzen, ist mangels entgegenstehender Feststellungen jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum als erwerbsfähig anzusehen (vgl. dazu auch § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II), verfügte über kein für die Bedarfsdeckung zur Verfügung stehendes Einkommen oder Vermögen und lebte bereits seit mehreren Jahren ohne erkennbare Absicht einer Rückkehr nach Bulgarien in Berlin. Der Kläger ist allerdings nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Hiernach sind vom Kreis der Leistungsberechtigten solche Ausländerinnen und Ausländer ausgenommen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.

Der Kläger kann sich vorliegend allenfalls auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche berufen. Dabei haben nach § 2 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes. Der Kreis der freizügigkeitsberechtigten Personen wird in § 2 Abs. 2 FreizügG/EU festgelegt, wobei nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 FreizügG/EU (a.F.) unter anderem diejenigen Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt sind, die sich zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten wollen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R –, juris Rn. 30) soll ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 FreizügG/EU a.F. dabei zwar bereits dadurch begründet werden können, dass ein Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt wird, da dies mit der Verpflichtung einhergeht, alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen und aktiv an allen Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit mitzuwirken (§ 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II). Ob hieran auch nach der Änderung des FreizügG/EU durch das Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 02.12.2014 (BGBl. I, S. 1922) festzuhalten ist, erscheint jedoch zweifelhaft. Denn § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU n.F. knüpft bei einem Aufenthalt zur Arbeitssuche von über sechs Monaten nunmehr daran an, dass ein Nachweis der Arbeitssuche durch den Unionsbürger geführt wird und zugleich die begründete Aussicht auf Einstellung besteht. Es kann vorliegend aber offen bleiben, ob sich der Kläger, der hier – soweit ersichtlich – zu keinem Zeitpunkt Bemühungen entfaltet hat, eine selbstständige oder unselbstständige Beschäftigung aufzunehmen, dennoch auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche berufen kann. Denn auch wenn man das Vorliegen tatsächlicher Bemühungen zur Arbeitssuche für das Bestehen eines Aufenthaltsrechts verlangt, führt dies nicht dazu, dass solche Personen, die nicht oder nicht hinreichend Arbeit suchen, nicht vom Leistungsausschluss erfasst wären. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gilt vielmehr erst Recht für solche EU-Ausländer, die keinerlei Recht zum Aufenthalt, also nicht einmal ein solches zur Arbeitssuche haben (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24.07.2014 – L 15 AS 202/14 B ER –, juris Rn. 22; so nun auch ausdrücklich BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 59/13 R –, dazu Terminbericht Nr. 54/15, juris). Hierfür spricht insbesondere, dass der Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II gegenüber solchen EU-Ausländern, die sich materiell berechtigt zur Arbeitssuche aufhalten, nicht aber gegenüber jenen, die sich unberechtigterweise in Deutschland aufhalten, nur schwerlich mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vereinbar wäre (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03. Dezember 2014 – L 2 AS 1623/14 B ER –, juris Rn. 6 m.w.N. auch zur Gegenmeinung).

Die Anwendung von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II scheidet hingegen dann aus, wenn sich der Unionsbürger auf ein anderes Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU oder dem begrenzt subsidiär anwendbaren Aufenthaltsgesetz (AufenthG) berufen kann (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R –, juris Rn. 27). So liegt es im Falle des Klägers aber nicht.

Insbesondere verfügt Kläger nicht über ein Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU. Hiernach haben Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 FreizügG/EU genannten Unionsbürger das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, wobei unter Familienangehörigen die Verwandten in aufsteigender und in absteigender Linie der Unionsbürger zu verstehen sind, denen die Unionsbürger Unterhalt gewähren. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Der Kläger erhielt von seiner Mutter nicht in einer solchen Weise Unterhaltsleistungen, die zur Vermittlung eines Aufenthaltsrechts geeignet gewesen wären.

Zum einen ist insoweit in zeitlicher Hinsicht zu berücksichtigen, dass die Mutter des Klägers nach dessen Vorbringen ihre Unterstützung mit der Erbringung von Leistungen des Beklagten in Umsetzung des Beschlusses des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14.06.2013 (L 25 AS 938/13 B ER) eingestellt hat. Jedenfalls für die Zeit ab Ende Juni 2013 konnte damit also kein Aufenthaltsrecht des Klägers nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU mehr bestehen. Doch auch für die vorangegangene Zeit ist ein solches Recht zu verneinen. So ist hier zu berücksichtigen, dass die Mutter des Klägers selbst Leistungen nach dem SGB II bezog und zwar in Höhe ihres Gesamtbedarfs ohne Anrechnung von Einkommen. Zwar ist unschädlich, dass es sich bei den Unterhaltsleistungen an den Kläger nicht um Zuwendungen in Höhe seines (existenzsichernden) Bedarfs nach dem SGB II gehandelt haben dürfte. Die Eigenschaft des Familienangehörigen, dem Unterhalt gewährt wird, ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nämlich ungeachtet der Gewährung des Existenzminimums zu beurteilen (Urteil vom 18. Juni 1987 – 316/85 –, Rn. 20, juris). Ob dies allerdings auch dann einschränkungslos gilt, wenn der Unterhalt mithilfe von solchen Mitteln erbracht wird, die der Unterhaltserbringer selbst als Sozialleistung erhalten hat, wobei die Sozialleistung nach dem Recht des Mitgliedstaates zudem nur in einer solchen Höhe erbracht wird, dass sie an sich nur zur Existenzsicherung des Unterhaltserbringers und nicht auch zur Sicherung der Existenz weiterer Personen vorgesehen und ausreichend ist, kann dahinstehen. Denn vorliegend war die zwischen dem Kläger und seiner Mutter – stillschweigend – getroffene Unterhaltsvereinbarung ohnehin dahingehend ausgestaltet, dass er die Unterhaltsleistungen nur bis zum Eintritt in den Leistungsbezug nach dem SGB II erhalten sollte. Der Bezug von Unterhaltsleistungen stellt im Falle des Klägers damit aber eine für den Erhalt von Sozialleistungen anspruchsbegründende Voraussetzung dar, die mit dem Bezug der begehrten Sozialleistung bzw. eine "juristische Sekunde" zuvor entfällt. Damit ist aber auch ein rechtmäßiger Bezug von Leistungen nach dem SGB II gestützt auf § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU für den Kläger rechtlich unmöglich.

Der Kläger ist deshalb aufgrund des allein in Betracht kommenden Aufenthaltsrechts zur Arbeitssuche nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen, wobei dieser Ausschluss auch mit dem Europäischen Unionsrecht vereinbar ist.

Zum einen bewirkt der Leistungsausschluss keinen Eingriff in die Arbeitnehmerfreizügigkeit gem. Art 45 Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Denn ausländische Unionsbürger, die Leistungen nach dem SGB II beziehen wollen, können sich insoweit als potenzielle Bezieher von Sozialhilfe bereits nicht auf diese Grundfreiheit berufen. So hat der EuGH zwar in der Rechtssache Vatsouras und Koupatanze (Urteil vom 04.06.2009 – C-22/08, juris, unter Rn. 36 ff.) ausgeführt, dass sich die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung suchen, ebenfalls auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 EGV (mittlerweile Art. 45 AEUV) berufen können. Dabei ist es unzulässig, diese Personen von einer finanziellen Leistung auszunehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern soll, jedenfalls sofern die Betroffenen bereits eine tatsächliche Verbindung mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates hergestellt haben. Es ist jedoch Aufgabe der zuständigen nationalen Behörden und Gerichte, nicht nur das Vorliegen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Arbeitsmarkt festzustellen, sondern auch, ob es sich bei einer staatlichen Unterstützungsleistung um eine solche handelt, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll. Dabei hat der EuGH insbesondere klargestellt, dass finanzielle Leistungen, die unabhängig von ihrer Einstufung nach nationalem Recht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, nicht auch als Sozialhilfeleistungen i.S.v. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG angesehen werden können (Ausschließlichkeitsverhältnis). In der Rechtssache Dano hat der EuGH sodann entschieden – nachdem das Sozialgericht Leipzig in seiner Vorlage die Leistungen nach dem SGB II als besondere beitragsunabhängige Leistungen i.S.v. Art. 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 eingestuft hatte – dass es sich bei diesen um Sozialhilfeleistungen nach Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG handelt (vgl. EuGH, Urteil vom 11.11.2014, C-333/13, juris, Rn. 63). Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende können hiernach aber rechtlich nicht zugleich als solche angesehen werden, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Diese Auffassung hat der EuGH nunmehr in der Rechtssache Alimanovic (Urteil vom 15.09.2015, C-67/14, Rn. 46 f., juris) bekräftigt und die insoweit von einer rechtlich unmöglichen Gestaltung ausgehende Vorlagefrage des Bundessozialgerichts – nämlich die Annahme einer Gleichzeitigkeit von Sozialhilfe und einer den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichternden Leistung – unbeantwortet gelassen.

Zum anderen ist der Ausschlusstatbestand auch mit dem sekundären Unionsrecht vereinbar (vgl. dazu nun auch den Terminbericht Nr. 54/15 des BSG vom 03.12.2015, juris). Im Hinblick auf eine Vereinbarkeit von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II bzw. § 7 Abs. 2 Satz 2 SGB II a.F. mit der Regelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38 hat der EuGH bereits in der Rechtssache Vatsouras und Koupatanze (Urteil vom 04.06.2009 – C-22/08, juris, Rn. 35, 39) ausgeführt, dass dem Aufnahmemitgliedstaat durch die Bestimmung der Richtlinie gerade die Möglichkeit eingeräumt wird, ausländischen Arbeitsuchenden aus dem Unionsgebiet trotz Vorhandensein eines Aufenthaltsrechts aus der Richtlinie einen Anspruch auf Sozialhilfe zu versagen. In der Rechtssache Alimanovic hat der EuGH diese Ansicht bekräftigt und klargestellt, dass auch gegenüber denjenigen arbeitssuchenden Unionsbürgern, die aufgrund rechtmäßigen Aufenthalts an sich die Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats hinsichtlich des Zugangs zu Sozialhilfeleistungen beanspruchen können, dennoch eine Berufung auf die Ausnahmebestimmung von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie zulässig ist, um ihnen keine Sozialhilfe zu gewähren (Urteil vom 15.09.2015, C-67/14, Rn. 57 f., juris). [...]

Ferner bestand auch im Hinblick auf die dem ALG II vergleichbaren Leistungen der Hilfe für den Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII für das Gericht keine Veranlassung, als Träger dieser Leistungen das Land Berlin gem. § 75 Abs. 2 Var. 2 SGG beizuladen, da der Kläger auch auf Leistungen nach dem SGB XII keinen Anspruch hat.

So bestimmt § 21 Satz 1 SGB XII, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Dies ist hier der Fall, da der Kläger nach dem oben Gesagten die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllt und damit als erwerbsfähiger Leistungsberechtigter dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II ist.

Soweit das Bundessozialgericht demgegenüber der Auffassung ist, dass auch diejenigen Personen einen Anspruch auf Hilfe für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII haben können, die zwar aufgrund ihres Gesundheitszustandes erwerbsfähig, aber nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen sind (BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R –, Terminbericht Nr. 54/15, juris; dafür auch Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage, § 21 Rn. 5), folgt die Kammer dem nicht. Denn für das obige Normverständnis spricht die Gesetzesbegründung zu § 21 SGB XII (BT Drs. 15/1514, S. 57), wo es heißt:

Die Regelung setzt nicht voraus, dass jemand tatsächlich Leistungen des anderen Sozialleistungsträgers erhält oder voll erhält, sondern knüpft an die Eigenschaft als Erwerbsfähige oder deren im Zweiten Buch näher bezeichneten Angehörigen an.

In der Gesetzesbegründung zu § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (BT Drs. 16/688, S. 13) heißt es zudem:

Auch wenn bei Ausländern die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, das heißt sie zwischen 15 und unter 65 Jahre alt, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, können dennoch die Leistungen nach diesem Buch durch den neugefassten Satz 2 ausgeschlossen sein. Darüber hinaus kommen dann für diese Personengruppe auch Leistungen des SGB XII wegen § 21 Satz 1 SGB XII nicht in Betracht, da sie dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II ist.

Damit hat der Gesetzgeber indes unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass erwerbsfähige Ausländer von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen sein sollen (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.06.2012 – L 20 AS 1322/12 B ER –, Rn. 43, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.06.2015 – L 31 AS 100/14 –, Rn. 51, juris; BeckOK SozR/Groth, SGB XII, Stand: 01.12.2014, § 21 Rn. 3).

Soweit das Bundessozialgericht demgegenüber offenbar meint, sich über den eindeutigen Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen zu können, hält die Kammer dies für verfassungsrechtlich nicht haltbar. So ist Ziel der gerichtlichen Auslegung einer Norm stets die Ermittlung und Verwirklichung des Normzwecks. Soweit hingegen in eine Norm Regelungsziele "eingelegt" werden, die nicht vom Gesetzgeber gesetzt wurden, wird die Grenze der Auslegung überschritten (vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Auflage, Rn. 725 ff., 755b). Die Überschreitung der Grenzen der Auslegung ist jedoch grundsätzlich unzulässig, da die verfassungsrechtliche Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) es ausschließt, dass die Gerichte Befugnisse beanspruchen, die von der Verfassung dem Gesetzgeber übertragen worden sind. Die Gerichte dürfen sich daher nicht aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und damit der Bindung an Recht und Gesetz entziehen. Zwar ist auch eine – über die Auslegung hinausgehende – richterliche Rechtsfortbildung dabei nicht gänzlich ausgeschlossen. Eine Interpretation einer Norm, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt wird, greift hingegen unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (BVerfG, Beschluss vom 25.01.2011 – 1 BvR 918/10 –, Rn. 53 f., juris). Im Hinblick auf die Vorschrift des § 21 Satz 1 SGB XII sind diese engen Voraussetzungen der richterlichen Rechtsfortbildung nach Auffassung der Kammer nicht gegeben.

Trotz des zuvor Gesagten bestand für die Kammer aber auch keine Veranlassung, das Verfahren auszusetzen und nach Art. 100 Abs. 1 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Vereinbarkeit der Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und § 21 Satz 1 SGB XII einzuholen. Die Kammer geht nicht davon aus, dass der Verfassung ein Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII entnommen werden kann (a.A. im Hinblick auf das SGB XII dagegen BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R –, Terminbericht Nr. 54/15, juris).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages aus Art. 20 Abs. 1 GG zwar verpflichtet, materiell bedürftigen Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Hiermit korrespondiert ein individueller, gesetzlich zu sichernder Leistungsanspruch bezogen auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Dem Gesetzgeber kommt insoweit jedoch ein Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Der Gestaltungsspielraum ist dabei enger, soweit die zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen notwendigen Mittel festgelegt werden, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht. Dabei erlaubt es die Verfassung im Falle von Ausländern indes nicht, dass zu einem menschenwürdigen Leben in Deutschland Notwendige unter Hinweis auf das Existenzniveau des Herkunftslandes niedriger als nach den hiesigen Lebensverhältnissen geboten festzulegen (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 –, Rn. 63-67, juris). Migrationspolitische Erwägungen können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen (BVerfG, a.a.O., Rn. 95, juris). Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen daher auch nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung ist nur möglich, sofern der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht (BVerfG, a.a.O., Rn. 73, juris).

Nach Ansicht der Kammer folgt aus diesen Anforderungen an die auch arbeitsuchenden Unionsbürgern durch den deutschen Staat zu gewährenden Leistungen jedoch nicht zwangsläufig ein Anspruch dieser Personengruppe auf die oben genannten Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII, insbesondere wenn die betroffenen Personen – wie hier wohl auch der Kläger – nicht einmal über ein materielles Recht zum Aufenthalt in Deutschland verfügen. Denn anders als Asylbewerbern – um die es in der zuvor zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz ging – ist es Unionsbürgern regelmäßig möglich, ohne drohende Gefahren für hochrangige Rechtsgüter (etwa durch politische Verfolgung) in ihr Heimatland zurückzukehren und eben dort staatliche Unterstützungsleistungen zu erlangen. Die Verweisung auf die Inanspruchnahme entsprechender Leistungen im Heimatland ist nach Ansicht der Kammer unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten dabei nicht zu beanstanden (so auch Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. Februar 2010 – L 15 AS 30/10 B ER –, juris, Rn. 30; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07. Mai 2013 – L 29 AS 514/13 B ER –, juris, Rn. 94). Der deutsche Staat ist daher regelmäßig nur zur Gewährung von Überbrückungsleistungen verpflichtet, welche insbesondere die Übernahme der Kosten der Rückreise und des bis dahin erforderlichen Aufenthalts in Deutschland umfassen (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER –, juris, Rn. 66-68). Im vorliegenden Verfahren kommt eine Zuerkennung von Leistungen der vorgenannten Art an den Kläger allerdings schon deshalb nicht in Betracht, weil sein Rechtsschutzinteresse nicht auf eine Unterstützung bei der Rückkehr nach Bulgarien gerichtet ist, sondern auf laufende Geldleistungen zwecks eines dauerhaften Verbleibs in Deutschland. [...]