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EuGH

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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 07.06.2016 - C-155/15, Karim gg. Schweden - asyl.net: M23884
https://www.asyl.net/rsdb/M23884
Leitsatz:

Asylsuchende haben subjektive Rechte aus der Dublin-Verordnung:

Im Rahmen eines in Art. 27 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung vorgesehenen Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung können Schutzsuchende einen behördlichen Verstoß gegen die Regelung des Art. 19 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung geltend machen, wonach die Zuständigkeit eines Mitgliedsstaates erlischt und ein neues Dublinverfahren durchzuführen ist, wenn sie den Dublin-Raum für mindestens drei Monate verlassen haben.

(Unter Bezugnahme auf EuGH Urteil vom 07.06.2016, C‑63/15, Ghezelbash gg. Niederlande, asyl.net: M23883; vgl. Beitrag von Heiko Habbe, Asylmagazin 7/2016)

Schlagwörter: Dublin III-Verordnung, Verlassen des Hoheitsgebiets, Karim, Vorabentscheidungsverfahren, Dublinverfahren, Zuständigkeit, subjektives Recht, wirksamer Rechtsbehelf, Dublin II-VO, Ghezelbash, Dublinverfahren,
Normen: VO 604/2013 Art. 27 Abs. 1, VO 604/2013 Art. 27 Abs. 5, VO 604/2013 Art. 19 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

14 Mit seiner zweiten Frage, die zuerst zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmung, insbesondere ihr Unterabs. 2, auf einen Drittstaatsangehörigen anwendbar ist, der nach seiner Stellung eines ersten Asylantrags in einem Mitgliedstaat den Nachweis erbringt, dass er das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, bevor er einen neuen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat. [...]

[...] in einem Fall, in dem ein Drittstaatsangehöriger nach der Stellung eines ersten Asylantrags in einem Mitgliedstaat das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, bevor er einen neuen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat, [erlegt] Art. 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 dem Mitgliedstaat, bei dem der neue Asylantrag gestellt worden ist, die Verpflichtung auf, auf der Grundlage der Vorschriften der Verordnung das Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats durchzuführen, der für die Prüfung des neuen Asylantrags zuständig ist.

18 Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmung, insbesondere ihr Unterabs. 2, auf einen Drittstaatsangehörigen anwendbar ist, der nach der Stellung eines ersten Asylantrags in einem Mitgliedstaat den Nachweis erbringt, dass er das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, bevor er einen neuen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat. [...]

21 Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist daher zu klären, ob Art. 27 Abs. 1 der Verordnung im Licht ihres 19. Erwägungsgrundes dahin auszulegen ist, dass in einem Sachverhalt wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen ein Asylbewerber im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung einen Verstoß gegen die Regelungen des Art. 19 Abs. 2 der Verordnung geltend machen kann.

22 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich aus den Rn. 30 bis 61 des Urteils vom 7. Juni 2016, Ghezelbash (C-63/15), ergibt, dass Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 im Licht ihres 19. Erwägungsgrundes einem Asylbewerber einen wirksamen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung über seine Überstellung gewährt, der insbesondere auf die Überprüfung der Anwendung dieser Verordnung abzielen und damit dazu führen kann, dass die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats in Frage gestellt wird, auch wenn in diesem Mitgliedstaat keine systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestehen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union mit sich bringen.

23 Auch wenn im Übrigen die Anwendung der Verordnung Nr. 604/2013 im Wesentlichen auf der Durchführung eines Verfahrens zur Ermittlung des zuständigen Mitgliedstaats beruht, der aufgrund der in Kapitel III der Verordnung festgelegten Kriterien bestimmt wird (Urteil vom 7. Juni 2016, Ghezelbash, C-63/15, Rn. 41), wird doch durch die Regelung des Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung der Rahmen bestimmt, in dem dieses Verfahren durchzuführen ist, wenn der betreffende Drittstaatsangehörige nach der ersten Stellung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, bevor er einen neuen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat. [...]

25 Dieses neue Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung unterscheidet sich von dem ursprünglich durch den Mitgliedstaat, bei dem der erste Asylantrag gestellt worden war, durchgeführten Verfahren und kann zur Bestimmung eines neuen zuständigen Mitgliedstaats aufgrund der in Kapitel III der Verordnung Nr. 604/2013 normierten Kriterien führen.

26 Daher muss das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung befasste Gericht, um sich zu vergewissern, dass diese Entscheidung nach einer fehlerfreien Durchführung des in der Verordnung vorgesehenen Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ergangen ist, das Vorbringen eines Asylbewerbers prüfen können, mit dem ein Verstoß gegen die Regelung des Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung geltend gemacht wird.

27 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 im Licht ihres 19. Erwägungsgrundes dahin auszulegen ist, dass in einem Sachverhalt wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen ein Asylbewerber im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung einen Verstoß gegen die Regelung des Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung geltend machen kann. [...]