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BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R (= ASYLMAGAZIN 6/2016, S. 190 ff.) - asyl.net: M23659
https://www.asyl.net/rsdb/M23659
Leitsatz:

1. Ein materiell nicht freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger ist in entsprechender Anwendung des Leistungsausschlusses für Arbeitsuchende von Leistungen des SGB II ausgeschlossen.

2. Materiell nicht freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger können im Einzelfall Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Recht der Sozialhilfe als Ermessensleistung beanspruchen; das Ermessen des Sozialhilfeträgers ist im Regelfall bei einem verfestigten Aufenthalt nach mindestens sechs Monaten auf Null reduziert.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Unionsbürger, Leistungsausschluss, Arbeitnehmerbegriff, Sozialleistungen, Hilfe zum Lebensunterhalt, SGB II, freizügigkeitsberechtigt, SGB XII, Existenzsicherung, EuGH, Dano, Alimanovic, beitragsunabhängige Sozialleistungen, Sozialhilfe,
Normen: SGB XII § 23 Abs. 1 S. 3, SGB II § 3 Abs. 1 S. 2, Nr. 1, SGB II § 3 Abs. 1 S. 2, Nr. 2, VO 883/2004/EG Art. 70,
Auszüge:

[...]

(d) Diese Auslegung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II ist auch europarechtskonform. Der EuGH hat sowohl in der Rechtssache Dano (vom 11.11.2014 - C-333/13) als auch in der Rechtssache Alimanovic (vom 15.9.2015 - C-67/14) in den hier gegebenen Fallkonstellationen die Zulässigkeit der Verknüpfung des Ausschlusses von Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten von existenzsichernden Leistungen mit dem Bestehen eines Aufenthaltsrechts im Sinne der RL 2004/38/EG ausdrücklich anerkannt. Nach seiner Rechtsprechung sind Art. 24 Abs. 1 der RL 2004/38/EG i.V.m. ihrem Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 VO 883/2004/EG dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" im Sinne des Art. 70 Abs. 2 VO 883/2004/EG ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Rs Dano vom 11.11.2014 - C-333/13 RdNr. 84). In der Rechtssache Alimanovic hat der EuGH insoweit betont, dass Unionsbürger anderer EU-Staaten, die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, vom deutschen Gesetzgeber vom Bezug von Alg II oder Sozialgeld ausgeschlossen werden können, selbst wenn diese Leistungen als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne des Art. 70 VO 883/2004/EG eingeordnet werden (EuGH Rs Alimanovic vom 15.9.2015 - C-67/14 RdNr. 63). Beim Alg II und Sozialgeld handele es sich um Leistungen der "Sozialhilfe" im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der RL 2004/38/EG. Danach haben die Aufnahmestaaten jedoch keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung ihrer Staatsangehörigen und solcher anderer EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen Anspruch auf Sozialhilfe, wenn Letztere nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist bzw. Familienangehörige dieser sind (s hierzu auch Kingreen in NVwZ 2015, 1503, 1505 f; Padé in jM 2015, 414, 415).

3. Den Klägern steht jedoch ein Recht auf Existenzsicherung durch Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII gemäß § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII in gesetzlicher Höhe gegen die Beigeladene zu.

a) Die Kläger waren leistungsberechtigt im Sinne des Sozialhilferechts, weil sie im streitigen Zeitraum ihren Lebensunterhalt nicht i.S. des § 19 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 27 Abs. 1 SGB XII aus eigenen Kräften und Mitteln decken konnten.

Nach § 19 Abs. 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Dies war bei den Klägern, wie eingangs dargelegt, im streitigen Zeitraum der Fall. Ihr Bedarf im sozialhilferechtlichen Sinne ist dem Grunde nach zwar teilweise dadurch gedeckt worden, dass sie - durch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugesprochene SGB II-Leistungen - den leistungslosen Zeitraum überstanden haben (vgl. BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr. 20, RdNr. 14 m.w.N.). Insoweit greift für einen Teil des streitigen Zeitraums die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X ein.

b) Einem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII stand auch eine mangelnde Kenntnis der Beigeladenen von der Bedürftigkeit der Kläger im streitigen Zeitraum nicht entgegen. Die Kläger haben zwar "nur" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei dem Beklagten beantragt. Die nach § 18 Abs. 1 SGB XII erforderliche Kenntnis der Beigeladenen von dem Bedarf der Kläger liegt jedoch gleichwohl vor. Die Beigeladene muss sich insoweit die Kenntnis des Beklagten aufgrund des Antrags auf SGB II-Leistungen nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG zurechnen lassen (BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 42 RdNr. 25; BSG vom 13.2.2014 - B 8 SO 58/13 B - SozR 4-3500 § 25 Nr. 4 RdNr. 8; BSG vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 18/07 R - SozR 4-3500 § 18 Nr. 1 RdNr. 22 ff.).

c) Ebenso wenig waren die Kläger nach § 21 S. 1 SGB XII von der Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen. § 21 S. 1 SGB XII bestimmt, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Die Kläger waren im streitigen Zeitraum nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II, weil sie dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II unterfielen. Dies führt dazu, sie dem System des SGB XII zuzuweisen. Die Erwerbsfähigkeit zumindest der Kläger zu 1 und 2 steht dem nicht entgegen.

Schon der Wortlaut des § 21 S. 1 SGB XII stellt nicht ausschließlich auf das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ab, sondern berücksichtigt einen Leistungsanspruch nach dem SGB II dem Grunde nach. Ist mithin ein Erwerbsfähiger wegen des Vorliegens der Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II, folgt hieraus nicht zwangsläufig ein Leistungsausschluss nach dem SGB XII (BSG vom 25.9.2014 - B 8 SO 6/13 R - BSGE <vorgesehen> = SozR 4-4200 § 44a Nr. 1, RdNr. 11). Die "Systemabgrenzung" erfordert vielmehr eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Leistungsausschlüsse (Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 21 RdNr. 26, 34; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, § 21 RdNr. 46, Stand I/2014; so im Ergebnis auch Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 RdNr. 64). Im Grundsatz gilt für die Systemzuweisung aufgrund der Erwerbszentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen werden soll, dem System des SGB XII zugewiesen wird.

Auf dieser Grundlage hat das BSG bereits für andere in § 7 SGB II geregelte Leistungsausschlüsse ausdrücklich entschieden, dass die "Anwendungssperre" des § 21 S. 1 SGB XII nicht greift (vgl. Eicher in jurisPKSGB XII, 2. Aufl. 2014, § 21 RdNr. 34 ff). Dies gilt nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate sowohl für den Leistungsausschluss wegen einer den Regelbedarf unterschreitenden ausländischen Rentenleistung als auch den Leistungsausschluss eines Erwerbsfähigen wegen der Unterbringung in einer stationären Einrichtung oder in einem Krankenhaus nach § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II. Sie sind i.S. des § 21 SGB XII nach dem SGB II dem Grunde nach nicht mehr leistungsberechtigt und bei Bedürftigkeit auf "die auf gleicher Grundlage wie im SGB II bemessenen und daher vom Umfang im Wesentlichen identischen Leistungen der Sozialhilfe" verwiesen (BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 30 RdNr. 20; BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 42 RdNr. 10, 24; vgl. auch BSG vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr. 47: vorzeitige Altersrente nach Aufforderung durch den Grundsicherungsträger). In gleicher Weise hat der für das Sozialhilferecht zuständige 8. Senat des BSG für den Leistungsausschluss bei Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneten Freiheitsentziehung entschieden. Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II unterfallen, können grundsätzlich Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII beanspruchen (BSG vom 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R - SozR 4-3500 § 67 Nr. 1 RdNr. 20).

Bezogen auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II gilt nichts anderes (Berlit in Berlit/Conradis/ Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl. 2013, Kap. 12 RdNr. 54; Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 21 RdNr. 35). Der Ausschluss von Personen, die nicht oder nicht mehr über eine Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, vom erwerbszentrierten Leistungssystem des SGB II führt dazu, die Sperrwirkung des § 21 SGB XII entfallen zu lassen.

d) Allerdings steht dem Rechtsanspruch der Kläger auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ein Ausschluss aufgrund der Regelung des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII entgegen.

(aa) Die Kläger sind zwar nicht i.S. des § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB XII eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen. Es mangelt hier insoweit an dem finalen Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebezug (vgl. BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE <vorgesehen> = SozR 4-3500 § 25 Nr. 5, RdNr. 25). Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat. Wie das BVerwG dies bereits zu der wortgleichen Vorschrift des § 120 Abs. 3 S. 1 BSHG entschieden hat, bezeichnet schon die Konjunktion "um (…) zu (…)" ein ziel- und zweckgerichtetes Handeln und damit eine Zweck-Mittel-Relation, in der die Einreise das Mittel und die Inanspruchnahme von Sozialhilfe den mit ihr verfolgten Zweck bildet (vgl. BVerwG vom 4.6.1992 - 5 C 22/87 - BVerwGE 90, 212, 214; im Anschluss daran etwa LSG Berlin-Brandenburg vom 10.9.2009 - L 23 SO 117/06 - juris-RdNr. 27 f; LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.1.2009 - L 20 B 58/08 AY - juris-RdNr. 25 ff; LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.11.2008 - L 8 SO 173/08 ER - juris-RdNr. 20 f). Dabei wird diese Zweck-Mittel-Relation jedoch auch dann als gegeben angesehen, wenn die Einreise des Ausländers auf verschiedenen Motiven beruht, der Zweck der Inanspruchnahme für den Einreiseentschluss jedoch von prägender Bedeutung gewesen, also nicht nur neben vorrangigen anderen Zwecken billigend in Kauf genommen worden ist (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr. 46, Stand VI/2012).

So liegt der Fall nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG hier nicht. Es ist keine Zweck- Mittel-Relation im eben dargelegten Sinne gegeben, denn die Kläger zu 1 und 2 sind zur Arbeitsuche eingereist. Das LSG hat dies - wenn auch die Erfolgsaussichten der Arbeitsuche für den hier streitigen Zeitraum verneinend - ausdrücklich festgestellt. So haben die Kläger zu 1 und 2, wie das LSG unter Hinweis auf die Beratungsvermerke in den Akten ausgeführt hat, mehrfach Deutschkurse beantragt und sich auch sonst um Eingliederungsleistungen bemüht. Sie haben auch nicht schon bei der Einreise oder kurz danach, sondern erstmals nach rund einem Jahr ihres Aufenthalts in Deutschland und dann erneut rund noch einmal ein weiteres Jahr später existenzsichernde Leistungen beantragt. Der Kläger zu 3 folgt dem als Familienangehöriger.

(bb) Die Kläger unterfallen auch nicht dem Wortlaut der Alt. 2 des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII. Sie verfügten - wie unter 2.a) dargelegt - im streitigen Zeitraum nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche. Dies ist nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 3 SGB XII jedoch Voraussetzung für den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII. Der Ausschluss tritt danach nur dann ein, wenn ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche im streitigen Zeitraum tatsächlich gegeben ist.

(cc) Ebenso wie oben zum Leistungsausschluss im SGB II dargelegt, sind jedoch auch nach § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII nichtfreizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer von den existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe ausgenommen (offengelassen BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE <vorgesehen> = SozR 4-3500 § 25 Nr. 5, RdNr. 25; aA Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und der Sozialhilfe, Band 1 Teil II, Stand VIII/2013, § 23 SGB XII RdNr. 47b; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr. 54d, Stand VI/2012).

Im Entwurf des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 25.9.2006 (BT-Drucks. 16/2711 S. 10) wird darauf hingewiesen, dass die Einfügung der Alt. 2 in § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII einen der Regelung im SGB II entsprechenden Leistungsausschluss für Ausländer normiere und damit zugleich sicherstelle, dass Ausländer, die nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende hätten, auch aus dem SGB XII keine Ansprüche herleiten könnten. § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II in der damaligen Fassung lautete: Ausgenommen sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt [und] ihre Familienangehörigen (…) (i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze vom 24.3.2006, BGBl I 558 m.W.v. 1.4.2006). Es sollte damit Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der RL 2004/38/EG umgesetzt werden (BT-Drucks. 16/2711 S. 10). Nach Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, S. unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Die dort vorgenommene Abgrenzung zwischen den gleich zu behandelnden Personengruppen und denen, die aus europarechtlicher Sicht von den Aufnahmestaaten von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden dürfen, erfolgt, indem der Personenkreis der Freizügigkeitsberechtigten, die der Gleichbehandlung unterfallen, positiv benannt wird. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass neben denen, die freizügigkeitsberechtigt wegen der Arbeitsuche sind und denen der Aufnahmestaat gleichwohl keine Sozialhilfeleistungen zu erbringen braucht, dies auch für die Nichtfreizügigkeitsberechtigten gilt. Sie unterfallen nicht dem Gleichbehandlungsgebot.

Soweit spätere Versuche, eine weitergehende Anpassung der Rechtslage des SGB II an das SGB XII zu bewirken, nicht erfolgreich waren (s nur BT-Drucks. 16/2711 S. 16; BT-Drucks. 16/2753 S. 1, 2; BT-Drucks. 16/5527 S. 15, 23; BT-Drucks. 16/239 S. 13, 17), sprechen diese Versuche und die Reaktionen hierauf nicht für das Erfordernis einer anderen Wertung im Hinblick auf den "Erst-Recht-Schluss" im SGB XII als im SGB II. Die zuvor beschriebene Anpassung des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII war ausreichend, um die gewünschte Parallele zum SGB II für die hier zu beurteilenden Fälle zu ermöglichen. Insbesondere bedurfte es keiner Reaktion auf die Änderung des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl I, 1970 m.W.v. 28.8.2007). Die Umstrukturierung des S. 2 und die Einfügung der Nr. 1 in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II ist für das SGB XII ohne Bedeutung.

e) Zwar ist Rechtsfolge des Ausschlusses nach § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII, dass trotz des tatsächlichen Aufent - halts im Inland kein Rechtsanspruch auf ua Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII besteht. In einem solchen Fall des Ausschlusses können jedoch nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Ausschlussregelung, denn sie nimmt lediglich Bezug auf den "Anspruch" auf Sozialhilfe. Dementsprechend hat bereits das BVerwG zu der Vorschrift des § 120 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BSHG befunden, dass Ausländer, die dem Leistungsausschluss unterfielen, weil sie eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen, lediglich von einem Rechtsanspruch ua auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 120 Abs. 1 S. 1 BSHG ausgeschlossen seien (BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 316 f; Schellhorn/Jirasek Seipp, Kommentar zum BSHG, 16. Aufl. 2002, § 25 RdNr. 10, § 120 RdNr. 16; so auch Krahmer in LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003, § 25 RdNr. 7; Birk in ders, § 120 RdNr. 47). Insoweit gilt für die Regelung des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII, die der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung des BVerwG im Wesentlichen inhaltsgleich ausgestaltet hat (BTDrucks. 15/1514 S. 58), nichts anderes (vgl. BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE <vorgesehen> = SozR 4-3500 § 25 Nr. 5, RdNr. 28; s. auch Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 23 SGB XII RdNr. 76, Stand XII/2008; Birk in LPK-SGB XII, 10. Aufl. 2015, § 23 RdNr. 20; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 23 RdNr. 42; differenzierend Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr. 50, Stand VI/2012, der einen Rechtsanspruch auf die im Einzelfall gebotenen Leistungen annimmt, um zu einem Gleichklang mit § 1a AsylbLG zu gelangen).

Der Ausschluss nur von dem Rechtsanspruch auf die in S. 1 des § 23 Abs. 1 SGB XII benannten Leistungen erschließt sich auch aus dem - im Übrigen gegenüber § 120 BSHG unveränderten - systematischen Verhältnis der Regelungen der Sätze 1 und 3 in Abs. 1 des § 23 SGB XII zueinander. Durch § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII erhält der Ausländer ausschließlich unter der Voraussetzung, dass er sich tatsächlich im Inland aufhält, einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nach einem reduzierten Leistungskatalog, aber der Höhe nach uneingeschränkt. Hiervon sollen diejenigen, die die Ausschlusstatbestände des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII erfüllen, ausgeschlossen werden, nicht jedoch von dem der Sozialhilfe systemimmanenten grundsätzlichen Anspruch auf Hilfe bei bedrohter Existenzsicherung (s hierzu BVerwG vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139; BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 317 ff). Diesem Personenkreis sollen daher nur nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Leistungen der Sozialhilfe erbracht werden können, aber eben auch solche Leistungen, die nach S. 1 des § 23 Abs. 1 SGB XII vom Rechtsanspruch ausgenommen worden sind, soweit im Einzelfall geboten.

f) Das Ermessen des Sozialhilfeträgers ist jedoch in einem Fall wie dem vorliegenden, dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert. Dies ist immer dann der Fall, wenn sich das Aufenthaltsrecht des ausgeschlossenen Ausländers verfestigt hat - regelmäßig ab einem sechsmonatigen Aufenthalt in Deutschland. Dies folgt aus der Systematik des § 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB XII im Verhältnis zu § 23 Abs. 1 S. 1 und 3 SGB XII sowie verfassungsrechtlichen Erwägungen.

So bezieht sich der ausdrückliche Ausschluss der Alt. 2 des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII auf den im Freizügigkeitsgesetz/EU zeitlich begrenzten Vorgang der Arbeitsuche. Unter 2.a) ist bereits dargelegt worden, dass die Freizügigkeitsberechtigung zum Zwecke der Arbeitsuche nach dem Ablauf von sechs Monaten gemäß § 2 Abs. 1a FreizügG/EU i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2.12.2014 (BGBl I 1922) endet, wenn nicht weiterhin eine begründete Aussicht auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit besteht. Diese Begrenzung der Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche dient nach den Gesetzesmaterialien der Umsetzung von Unionsrecht in seiner Auslegung durch den EuGH, der entschieden habe, dass die Mitgliedstaaten berechtigt seien, das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auf einen angemessenen Zeitraum zu begrenzen, wobei der EuGH von einem Zeitraum von sechs Monaten ausgegangen sei (BT-Drucks. 18/2581 S. 15 zu Art. 1 Nr. 1 Buchst. b; vgl. dazu bereits BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 34, RdNr. 29). Mit dem auf den konkreten Einzelfall abstellenden Zusatz - "darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden" - nimmt die Neuregelung lediglich die Formulierung in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b RL 2004/38/EG auf, enthält jedoch mit der allgemein geltenden zeitlichen Begrenzung - "für bis zu sechs Monate" - eine Typisierung. Für diese typisierte Dauer einer Arbeitsuche von sechs Monaten nach der Einreise liegt eine Aufenthaltsverfestigung noch nicht vor, weil hinter der zeitlichen Begrenzung die Erwartung steht, es handele sich um einen angemessenen Zeitraum, die Erfolgsaussichten einer Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat ohne Aufenthaltsverfestigung zu prüfen.

Werden diese Erwartungen enttäuscht und bleibt der tatsächliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nach Ablauf von sechs Monaten bestehen, tritt im Regelfall eine Aufenthaltsverfestigung ein, der nach geltendem Recht ausländerbehördlich entgegengetreten werden kann. Bestand nie eine Freizügigkeitsberechtigung wegen eines Aufenthalts zur Arbeitsuche oder besteht diese nach Ablauf von sechs Monaten mangels begründeter Aussichten, eingestellt zu werden, nicht mehr, kann durch die Ausländerbehörde der Verlust der Freizügigkeitsberechtigung durch Verwaltungsakt festgestellt werden (Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 S. 1 FreizügG/EU). Erst die förmliche Verlustfeststellung begründet nach § 7 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht, wenn nicht Rechtsschutz in Anspruch genommen wird (vgl. BT-Drucks. 16/5065 S. 211 zu Art. 2 Nr. 8 Buchst. a Doppelbuchst. aa). In tatsächlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass von der rechtlichen Möglichkeit der Verlustfeststellung nur in geringem Umfang Gebrauch gemacht wird (Thym, NZS 2014, 81, 87; BT-Drucks. 17/13322 S. 19). Zur Prüfung der Voraussetzungen einer Verlustfeststellung kann die zuständige Ausländerbehörde im Übrigen nach § 5 Abs. 2 S. 1 FreizügG/EU bereits frühzeitig, nämlich drei Monate nach der Einreise, verlangen, dass die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 FreizüG/EU glaubhaft gemacht werden.

Ist hiernach typisierend von einer Aufenthaltsverfestigung auszugehen, ist die Ermessenausübung jedoch daran zu messen, dass der Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialhilferecht ansonsten weder nach dem Grund der Einreise, noch nach Berechtigung oder Dauer des Aufenthalts fragt. Bei der Leistungsgewährung nach dem SGB XII kommt es in erster Linie auf die Tatsache einer gegenwärtigen Hilfebedürftigkeit an (BSG vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R - SozR 4-3500 § 30 Nr. 4 RdNr. 26; BVerwG vom 2.6.1965 - V C 63.64 - BVerwGE 21, 208, 211; vgl. auch Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl. 2013, Kap. 7 RdNr. 24). Es reicht nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII allein der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland aus. Dem Leistungsberechtigten, der über kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche mehr verfügt und "erst-recht" von dem Rechtsanspruch auf "Sozialhilfeleistungen" i.S. des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII ausgeschlossen ist, mangelt es wie jedem anderen Ausländer, der sich tatsächlich im Inland aufhält - zunächst einmal ohne Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung - an einer Aufenthaltsperspektive. Um den Gleichklang mit Letzterem zu erreichen, ist es folgerichtig, zumindest im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt durch eine Ermessensreduktion, bei verfestigtem Aufenthalt zu denselben Leistungen zu gelangen. Dieses nach Ablauf von regelmäßig sechs Monaten durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts bewirkte Faktum eines verfestigten tatsächlichen Aufenthalts des Unionsbürgers im Inland ist unter Berücksichtigung auch der verfassungsrechtlichen Vorgaben kein zulässiges Kriterium, die Entscheidung über die Gewährung existenzsichernder Leistungen dem Grunde und der Höhe nach in das Ermessen des Sozialhilfeträgers zu stellen.

Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum AsylbLG (vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134) im Anschluss und in Weiterentwicklung der grundlegenden Entscheidung vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 12) Grundlagen und Umfang des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums näher ausgeformt. Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlten, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen oder durch Zuwendungen Dritter zu erlangen seien, sei der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stünden. Als Menschenrecht - und dies ist hier entscheidend - stehe dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zu (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 159 = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 RdNr. 89, unter Hinweis auf BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 12). Eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus hat das BVerfG im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der existenzsichernden Leistungen ausdrücklich abgelehnt (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 RdNr. 99). Insoweit komme es für eine abweichende Bedarfsbestimmung darauf an, ob etwa wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden könnten. Hierbei sei etwa zu berücksichtigen, ob durch die Kürze des Aufenthalts Minderbedarfe durch Mehrbedarfe kompensiert werden könnten, die typischerweise gerade unter den Bedingungen eines nur vorübergehenden Aufenthalts anfielen. Dies lässt sich während des Bestehens eines Aufenthaltsrechts allein zum Zwecke der Arbeitsuche über die Ermessensleistung des § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII regulieren, nicht jedoch bei verfestigtem Aufenthalt. Denn ließen sich - so das BVerfG - tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und wolle der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, müsse er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasse, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhielten. Eine Beschränkung auf etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte komme dann nicht mehr in Betracht, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten habe. Für diese Fälle sei ein zeitnaher Übergang zu den existenzsichernden Leistungen für Normalfälle vorzusehen (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 RdNr. 99 ff). Dies begründet im Regelfall eine Ermessensreduktion auf Null und damit eine Anpassung der Hilfe zum Lebensunterhalt für diejenigen, die sich nicht nur kurzfristig im Inland aufhalten. Denn im Übrigen weist das BVerfG darauf hin, dass eine Regelung zur Existenzsicherung vor der Verfassung nur Bestand habe, wenn Bedarfe durch Anspruchsnormen gesichert würden (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 162 = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 RdNr. 96). [...]