VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 24.02.2016 - 17a K 5036/14.A (= ASYLMAGAZIN 6/2016, S. 171) - asyl.net: M23627
https://www.asyl.net/rsdb/M23627
Leitsatz:

Für eine Person, die aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht für sich selbst sorgen kann und auf keine familiäre Unterstützung zählen kann, besteht bei der Rückkehr nach Mazedonien eine erhebliche Gefahr der Verelendung, da die mazedonischen Sozialhilfeleistungen nicht ausreichen dürften, die konkrete Gefahr einer völligen sozialen Verwahrlosung abzuwenden.

Schlagwörter: Mazedonien, psychische Erkrankung, Behinderung, Schwerbehinderung, Existenzminimum, Existenzgrundlage, Betreuung, Intelligenzminderung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Hiervon ausgehend lässt sich nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer für den Kläger ein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG herleiten. Ausweislich der im Tatbestand dargestellten ärztlichen Berichte bzw. Bescheinigungen leidet der Kläger an einer paranoiden Schizophrenie bzw. einer paranoiden-halluzinatorischen Psychose. Soweit in dem zuletzt vorgelegten Bericht der Fachärztin [...] ohne weitere Erläuterung "nur" noch eine leichte Intelligenzminderung und deutliche Verhaltensstörung, jedoch keine paranoide Schizophrenie attestiert wird, misst die Kammer diesem Umstand keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Allein die in den vorliegenden ärztlichen Berichten und Stellungnahmen einheitlich beschriebenen krankheitsbedingten Verhaltensauffälligkeiten des Klägers, die offenbar allein durch die medikamentöse Therapie unter Kontrolle gehalten werden können, und seine Minderbegabung sowie der beim Kläger vorliegende Grad der Behinderung von 60 hindern ihn nach Überzeugung des Gerichts insgesamt daran, ein eigenständiges Leben insbesondere im Hinblick auf seine Gesunderhaltung ohne die Hilfe Dritter führen zu können. Im Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 22. April 2014, mit dem der Kläger unter Betreuung gestellt worden ist, ist seine Betreuungsbedürftigkeit insbesondere für die Gesundheitsfürsorge Festgestellt worden. Danach ist davon auszugehen, dass auch die regelmäßige Medikamenteneinnahme des Klägers der ständigen Kontrolle bedarf. Dass dies ohne die Hilfe seiner Familienangehörigen bei einer Rückkehr nach Mazedonien gewährleistet ist, ist nicht ersichtlich und erscheint auch nicht vorstellbar. Der Kläger verfügt nach seinen unbestritten gebliebenen Ausführungen über keinerlei verwandtschaftliche oder sonstige Kontakte in seinem Heimatland. Mit Blick auf die Reiseunfähigkeit des Bruders des Klägers und die seinen Eltern erteilten Aufenthaltserlaubnisse ist davon auszugehen, dass eine Begleitung des Klägers durch seine Familie im Falle seiner Ausreise nicht erfolgen wird. Bei zusammenfassender Bewertung der gesundheitlichen Verfassung und der persönlichen Lebenssituation des Klägers im Übrigen ist nach Überzeugung der Kammer nach gegenwärtigem Erkenntnisstand ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Es besteht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers bei einer Rückkehr nach Mazedonien aufgrund der dort vorhandenen Verhältnisse wesentlich verschlechtern wird. Dabei geht das Gericht aufgrund des aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12. August 2015 und mit den Ausführungen im angefochtenen Bescheid zwar davon aus, dass die Behandlung einer paranoiden Schizophrenie u.a. mit den von der Klägerin benötigten Medikamenten in Mazedonien grundsätzlich möglich und für den Kläger auch erhältlich sein würde. Dennoch ist im vorliegenden Einzelfall mit Blick auf die individuelle Verfassung des Klägers davon auszugehen, dass er allein ohne fremde Hilfe nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten insbesondere in gesundheitlicher Hinsicht eigenverantwortlich zu regeln, sondern auf eine dauernde umfassende Betreuung angewiesen ist, ohne die er in Mazedonien in absehbarer Zeit in eine Lage völliger Hilflosigkeit mit der konkreten Gefahr sozialer Verwahrlosung geraten wird. Die Kammer ist davon überzeugt, dass eine derart aufwändige dauerhafte fürsorgerische Begleitung und Betreuung des Klägers in Mazedonien deshalb nicht gewährleistet werden kann, weil die dortige soziale und medizinische Versorgung insgesamt von deutschen Verhältnissen weit entfernt ist. Davon, dass etwa dauerhaft ein Betreuer und Pflegedienst zur Verfügung stehen, die die Regelung der persönlichen Verhältnisse und insbesondere die notwendige Medikamenteneinnahme des Klägers sicherstellen, ist nicht auszugehen. Aufgrund der erkennbaren mangelnden Fähigkeit des Klägers, seine eigenen Angelegenheiten selbständig zu regeln, erscheint eine solche Betreuung und Kontrolle unabdingbar.

Darüber hinaus ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger aufgrund der Schwere seiner Erkrankung und seiner übrigen Einschränkungen ohne Berufsausbildung und der in Mazedonien als eines der ärmsten Länder auf dem Balkan herrschenden schlechten wirtschaftlichen Lage mit hoher Arbeitslosigkeit (vgl. dazu Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12. August 2015) auf unabsehbare Zeit nicht in der Lage sein wird, Erwerbseinkommen zu erzielen. Die vom mazedonischen Staat gewährten Sozialhilfeleistungen dürften nicht ausreichen, die konkrete Gefahr einer völligen sozialen Verwahrlosung des Klägers abzuwenden. Der Klägerin wäre bei einer Rückkehr nach Mazedonien angesichts seiner persönlichen Lage und der schwierigen Verhältnisse in seinem Heimatland mit der dort zu erwartenden Situation komplett überfordert. Daher ist konkret zu befürchten, dass er schon bald nach seiner Rückkehr nach Mazedonien schweren Schaden nehmen würde. Dies rechtfertigt in seinem Fall die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. [...]