Hat die Ausländerbehörde eine zunächst erteilte Aufenthaltserlaubnis nachfolgend rückwirkend ab dem Zeitpunkt ihrer Erteilung bestandskräftig aufgehoben, dann ist diese auch unter dem Gesichtspunkt eines Elterngeldanspruchs als nicht erteilt zu betrachten.
(Amtlicher Leitsatz)
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Elterngeld für die Betreuung ihres jüngsten Kindes N. in den ersten zwölf Lebensmonaten, da sie seinerzeit (ebenso wie auch in den beiden nachfolgenden - grundsätzlich ebenfalls nach § 4 Abs. 1 BEEG als Bezugszeitraum in Betracht kommenden - Lebensmonaten des Kindes, d.h. im 13. und 14. Monat) nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen solchen Anspruch erfüllt hat.
Allerdings hatte die Klägerin im streitbetroffenen Zeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, sie lebte mit ihren drei Kindern und insbesondere auch mit dem jüngsten Kind ... in einem Haushalt und hat insbesondere auch dieses Kind selbst betreut und erzogen und jedenfalls keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt (vgl. dazu § 1 Abs. 1 BEEG).
Die Klägerin erfüllt jedoch nicht die weiteren in § 1 Abs. 7 BEEG geforderten Voraussetzungen. Nach dieser Vorschrift ist ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin nur anspruchsberechtigt, wenn diese Person (Nr. 1) eine Niederlassungserlaubnis besitzt, (Nr. 2) eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde (a) nach § 16 oder § 17 des Aufenthaltsgesetzes erteilt, (b) nach § 18 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden, (c) nach § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in ihrem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt, (d) nach § 104a des Aufenthaltsgesetzes erteilt oder (Nr. 3) eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und (a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält...
Der von der Klägerin herangezogene Beschluss des BVerfG vom 10. Juli 2012 (– 1 BvL 2/10, 1 BvL 3/10, 1 BvL 4/10, 1 BvL 3/11 –, BVerfGE 132, 72) hat dieses gesetzliche Erfordernis eines mindestens dreijährigen Aufenthalts nach § 1 Abs. 7 Nr. 3 Buchstabe a BEEG nicht modifiziert; das BVerfG hat ausdrücklich klargestellt, dass lediglich der im Gesetz vorgesehene Ausschluss ausländischer Staatsangehöriger, denen der Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen erlaubt ist und die keines der in (§ 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchstabe b BErzGG 2006 und) § 1 Abs. 7 Nr. 3 Buchstabe b BEEG genannten Merkmale der Arbeitsmarktintegration erfüllen, vom Bundeserziehungsgeld und vom Bundeselterngeld gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verstößt; die vorstehend erläuterte Regelung des § 1 Abs. 7 Nr. 3 Buchstabe a BEEG wird davon nicht erfasst.
Als syrische Staatsangehörige zählt die Klägerin zu den nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern. Im streitbetroffenen Zeitraum verfügte sie über eine Aufenthaltserlaubnis, welche anfänglich nach § 25 Abs. 5 AufenthG und ab November 2013 nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt worden war.
Solche Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 3 bzw. 5 AufenthG begründen nach den erläuterten gesetzlichen Vorgaben nicht als solche einen Anspruch auf Gewährung von Elterngeld, sondern nur dann (Nr. 3a) wenn sich der Inhaber seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält.
An dem Erfordernis eines vorausgegangenen mindestens dreijährigen rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalts fehlt es im vorliegenden Zusammenhang.
Erforderlich für den Bezug von Elterngeld ist ein für die Bezugszeit geltender Verwaltungsakt der Ausländerbehörde. Das Aufenthaltsrecht muss also durch die Ausländerbehörde bereits zu Beginn des Leistungszeitraumes förmlich festgestellt sein. Nicht ausreichend ist hingegen ein materiell-rechtlicher Anspruch auf einen entsprechenden Aufenthaltstitel. Es ist nicht Aufgabe der für die Bewilligung von Elterngeld (entsprechend wie bei dem früher in Betracht kommenden Erziehungsgeld) zuständigen Behörden, darüber zu entscheiden, ob einem Ausländer ein zum Leistungsbezug berechtigender Titel zusteht. Insoweit kommt der Entscheidung der Ausländerbehörde Tatbestandswirkung zu. Die Erteilung eines solchen Titels entfaltet bezogen auf einen Anspruch auf Erziehungs- bzw. Elterngeld selbst dann keine rückwirkende Kraft, wenn der Beginn der Geltungsdauer des Titels auf einen Zeitpunkt vor seiner tatsächlichen Erteilung zurückreicht (BSG, Teilurteil vom 30. September 2010 – B 10 EG 9/09 R –, BSGE 107, 1 = SozR 4-7837 § 1 Nr. 2).
Auch eine (verwaltungsrechtlich grundsätzlich in Betracht kommende rückwirkende Aufhebung eines zuvor erteilten Aufenthaltstitels in Anwendung des § 48 VwVfG; vgl. BVerwG, Urteil vom 05.09. 2006 - 1 C 20/05 - NVwZ 2007, 470) nimmt an dieser Tatbestandswirkung teil. Hat die Ausländerbehörde eine zunächst erteilte Aufenthaltserlaubnis nachfolgend rückwirkend ab dem Zeitpunkt ihrer Erteilung bestandskräftig aufgehoben, dann ist diese auch unter dem Gesichtspunkt eines Elterngeldanspruchs als nicht erteilt zu betrachten. Auch in diesem Zusammenhang hat nicht die für die Bewilligung von Elterngeld zuständige Behörde eine eigene inhaltliche Entscheidung darüber zu treffen, ob die von der Ausländerbehörde ausgesprochene rückwirkende Aufhebung eines zuvor erteilten Aufenthaltstitels zu Recht oder zu Unrecht erfolgt ist. Die Elterngeldbehörde hat die in der Sache getroffene Entscheidung der Ausländerbehörde lediglich umzusetzen, nicht aber inhaltlich zu überprüfen.
Dies bedeutet für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes, dass der Betroffene mögliche Einwände gegen die ausländerbehördliche Entscheidung gegenüber der dafür zuständigen Behörde durch Anfechtung der auf § 48 VwVfG gestützten Aufhebungsentscheidung vorbringen muss. In einem Rechtsstreit mit der Elterngeldstelle ist hingegen die Tatbestandswirkung eben dieser ausländerbehördlichen Regelung zu beachten ist, solange diese nicht aufgrund einer entsprechenden Anfechtung durch den/die Betroffene(n) im Rechtsbehelfsverfahren aufgehoben wird. Hat die Betroffene, wie im vorliegenden Fall, hingegen die von der Ausländerbehörde ausgesprochene rückwirkende Rücknahme eines zuvor erteilten Aufenthaltstitels bestandskräftig werden lassen, dann eröffnet der Rechtsstreit gegen die Elterngeldstelle keine Möglichkeiten zur inhaltlichen Überprüfung der ausländerbehördlichen Entscheidung. Dementsprechend ist im vorliegenden Verfahren nicht weiter zu hinterfragen, ob die Ausländerbehörde bei der Entscheidung vom 20. Oktober 2011 hinreichend deren Auswirkungen etwa auf Elterngeldansprüche im Rahmen der Ermessensabwägung berücksichtigt hat (vgl. zu dieser verwaltungsrechtlichen Problematik BVerwG, Urteil vom 05.09.2006 - 1 C 20/05 - NVwZ 2007, 470).
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin jedoch gerade von einer Anfechtung der rückwirkenden Rücknahme der ihr seit 2006 zunächst erteilten Aufenthaltserlaubnis abgesehen. Diese damit bestandskräftig gewordene ausländerbehördliche Entscheidung ist aufgrund ihrer Tatbestandswirkung der Prüfung des Elterngeldanspruchs mit der Maßgabe zugrunde zu legen, dass im Ergebnis die Klägerin im Zeitraum vor dem 20. Oktober 2011 über keinen rechtsgültigen Aufenthaltstitel verfügt hat, und zwar auch nicht im Sinne einer rechtsgültigen Duldung oder Gestattung ihres damaligen Aufenthaltes. Damit verbleibt ausländerrechtlich lediglich ein tatsächlicher Aufenthalt im Bundesgebiet seit 2006; dieser kann jedoch auch elterngeldrechtlich mangels einer entsprechenden fortbestehenden ausländerbehördlichen Regelung nicht als rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Sinne des § 1 Abs. 7 Nr. 3 Buchstabe a BEEG gewertet werden.
Schutzwürdige verfassungsrechtliche Belange der Klägerin werden dadurch nicht berührt. Es ist letztlich dem eigenen Verantwortungsbereich der Klägerin zuzuschreiben, wenn diese 2006 die deutschen Behörden durch die Vorlage von Heiratsdokumenten getäuscht hat, mit denen die deutschen Behörden - sofern nicht ohnehin von einer Totalfälschung auszugehen sein sollte - jedenfalls über die Identität ihres Ehemanns in die Irre geführt werden sollten. Damit hat die Klägerin selbst die maßgebliche Ursache dafür gesetzt, dass nicht schon 2006 eine umfassende Würdigung möglicher Aufenthaltsbefugnisse auf der Grundlage der tatsächlichen Gegebenheiten erfolgen konnte, sondern lediglich auf der Basis der zu Täuschungszwecken übermittelten Angaben zur Identität des Ehemanns eine Entscheidung im Sinne der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG getroffen wurde, welche nach Aufdeckung der Täuschung rückwirkend aufgehoben worden ist.
Überdies war es auch die eigene Entscheidung der Klägerin, von einer Anfechtung der ausländerbehördlichen Rücknahmeentscheidung auch insoweit abzusehen, wie sich diese eine Rückwirkung beigemessen hat.
Entsprechend dem Grundsatz "keine Gleichheit im Unrecht" (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 1979 – 1 BvL 25/77 –, BVerfGE 50, 142) kann sich die Klägerin im vorliegenden Verfahren, in dem lediglich der Elterngeldanspruch bezogen auf die Betreuung ihres jüngsten Kindes G. zu beurteilen ist, auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte (im Ergebnis rechtsirrtümlich) bezogen auf die Betreuung ihres älteren Kindes N.und damit bezogen auf einen anderen Streitgegenstand - einen Elterngeldanspruch anerkannt hat. [...]