LSG Hessen

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Zitieren als:
LSG Hessen, Beschluss vom 14.07.2015 - L 9 AS 279/15 B ER - asyl.net: M23391
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Leitsatz:

Ein genereller Leistungsausschluss derjenigen Unionsbürger, die bereits eine Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübt haben und denen kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer mehr zusteht, die aber den Nachweis einer tatsächlichen Verbindung zum Arbeitsmarkt geführt haben, dürfte unvereinbar mit Europarecht (Art. 18 AEUV, Art. 4 VO (EG) 883/2004 und Art. 24 Abs. 2 der RL 2004/38/EG) sein.

Da die Frage im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend geklärt werden kann, ist im Rahmen der Folgeabwägung zur Sicherstellung des Existenzminimums, die Leistung vorläufig zu gewähren.

Schlagwörter: Unionsbürger, Leistungsausschluss, SGB II, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Sozialleistungen, tatsächliche Verbindung zum Arbeitsmarkt, Erwerbstätigkeit, unverschuldete Arbeitslosigkeit, Arbeitslosigkeit,
Normen: SGB II § 7 Abs. 1 S. 1, SGB II § 7 Abs. 1 S. 2,
Auszüge:

[...]

Die Antragstellerin hat ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügigG/EU jedenfalls ab Aufnahme der Erwerbstätigkeit am 8. Juni 2015. Ab diesem Zeitpunkt liegen die Voraussetzungen der Ausschlussnorm des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ersichtlich nicht vor. Für den übrigen streitgegenständlichen Zeitraum verfügte die Antragstellerin dagegen nicht über ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin. Die Antragstellerin hatte zwar eine Arbeitsstelle, hat diese aber im Januar 2015 durch die Kündigung der Arbeitgeberin verloren. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 FreizügG/EU bleibt das Recht nach Abs. 1 für Arbeitnehmer und selbständige Erwerbstätige unberührt bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach mehr als einem Jahr Tätigkeit (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU). Bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung bleibt das Recht aus Abs. 1 während der Dauer von sechs Monaten unberührt (§ 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU). Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit liegt vor, wenn diese unabhängig von dem Willen des Ausländers bzw. nicht aus einem in seinem Verhalten liegenden Grund eingetreten oder durch einen legitimen Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von seiner Seite gerechtfertigt ist (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26. Juni 2014 - 4 LB 22/13 - NVwZ-RR 2015, 111 m.w.N.). Der Verlust des Arbeitsplatzes war zwar unfreiwillig, aber - nach der summarischen Prüfung im Eilverfahren - aufgrund des Verhaltens der Antragstellerin eingetreten, da sie sich nicht zeitnah bei ihrer Arbeitgeberin krank gemeldet und die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt hat. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU sind daher nicht gegeben, so dass die Antragstellerin in dem Zeitraum vom 2. April 2015 bis zum 7. Juni 2015 kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin hatte. Da sich ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin für diesen Zeitraum auch nicht aus § 2 Abs. 2 Nrn. 2 bis 7 FreizügG/EU ergibt, kommt vorliegend nur ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU in Betracht. Der Aufenthaltszweck der Arbeitsuche ist allerdings kein Auffangtatbestand, der zur Anwendung gelangt, wenn ein anderer Aufenthaltszweck nicht feststellbar ist (vgl. Beschlüsse des erkennenden Senats vom 4. Januar 2013 - L 9 AS 681/12 B ER, L 9 AS 707/12 B ER und L 9 AS 781/12 B ER -; Hess. LSG, Urteil vom 27. November 2013 - L 6 AS 378/12 -; SG Darmstadt, Beschlüsse vom 4. Mai 2012 - S 16 AS 282/12 ER - und vom 12. März 2013 - S 16 AS 1095/12 ER -; Dienelt, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 2 FreizügG/EU, Rdnr. 59 m.w.N.). Der Aufenthaltszweck der Arbeitsuche muss daher positiv festgestellt werden. Die Antragstellerin ist im Jahre 2014 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, um eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Dies folgt schon daraus, dass sie am 9. Juli 2014 mit der Firma C. Personal Management GmbH in A-Stadt einen Arbeitsvertrag geschlossen und nach Verlust des Arbeitsplatzes im Januar 2015 am 5. Juni 2015 ein neues Arbeitsverhältnis zum 8. Juni 2015 mit der D. Personal Service D-Stadt GmbH und Co. KG begründet hat.

Damit ergibt sich für den Zeitraum vom 2. April 2015 bis zum 7. Juni 2015 das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin allein aus dem Zweck der Arbeitsuche, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vorliegen.

In Rechtsprechung und Literatur ist aber umstritten, ob der generelle Leistungsausschluss von Unionsbürgern, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, mit Europarecht vereinbar ist.

Zu den für und gegen die Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses mit Europarecht vorgebrachten Argumente nimmt der Senat zunächst Bezug auf die Beschlüsse vom 4. Januar 2013 (L 9 AS 681/12 B ER, L 9 AS 707/12 B ER und L 9 AS 781/12 B ER), in denen er ausgeführt hat:

Gegen die Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses mit Europarecht wird vorgebracht:

Die Neugestaltung der sozialrechtlichen Koordinierung innerhalb der Europäischen Union durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) 883/2004) vom 29. April 2004 (ABl. L 166 S. 1) sowie auf der Ebene des Primärrechts durch Art. 34 der Charta der Grundrechte (GRC) führe zu einer Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs auf alle Unionsbürger unabhängig von ihrem Status und ihrer wirtschaftlichen Betätigung. Der Leistungsausschluss für Ausländer nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II gelte für Unionsbürger aufgrund des Gebots der Inländergleichbehandlung aus Art. 4 VO (EG) 883/2004 zumindest dann nicht, wenn sie Leistungen nach Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 erhalten oder erhalten haben (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 12. November 2012 <L 9 AS 625/12 B ER <m.w.N.; Hess. LSG, Beschluss vom 14. Juli 2011 < L 7 AS 107/11 B ER <; LSG Berlin< Brandenburg, Beschluss vom 30. September 2011 < L 14 AS 1148/11 B ER <; Beschluss vom 30. November 2010 < L 34 AS 1501/10 B ER <; LSG Niedersachsen<Bremen, Beschluss vom 11. August 2011 < L 15 AS 188/11 B ER <; Schreiber, Europäische Sozialrechtskoordinierung und Arbeitslosengeld II<Anspruch, NZS 2012, 647; Eichenhofer, Soziale Sicherung nichterwerbstätiger EU<Bürger, ZESAR 2012, 357; Frings, Grundsicherungsleistungen für Unionsbürger unter dem Einfluss der VO (EG) Nr. 883/2004, ZAR 2012, 317). Der strikte Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 VO (EG) 883/2004 beziehe sich auch auf die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen, zu denen nach dem Anhang X der VO auch die Leistungen nach dem SGB II zählten. Da die VO (EG) 883/2004 gegenüber Gesetzen im Rang eines nationalen Bundesgesetzes vorrangig sei, kämen die Regelungen des SGB II nur insoweit zur Anwendung, als sie mit der VO (EG) 883/2004 vereinbar seien. Auch der Vorbehalt der Bundesregierung zum Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) vermöge an dieser Anspruchssituation nichts zu ändern, da die VO (EG) 883/2004 vorrangig zu beachten sei und die Anwendung des EFA sogar ausschließe, soweit die betroffenen Sozialleistungen eine mindestens ebenso weitgehende Regelung bereits in der VO (EG) 883/2004 erfahren hätten.

Für eine Vereinbarkeit der Ausschlussregelung des §§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit europarechtlichen Vorgaben wird angeführt:

Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verletze nicht das Recht der Europäischen Union. Er beruhe vielmehr auf Art. 24 Abs. 2 der RL 2004/38/EG vom 29. April 2004 (ABl. L 158 S. 77, 112). Danach sei der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder ggf. während des längeren Zeitraums der Arbeitsuche nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. b RL 2004/38/EG u. a. einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Auf diese europarechtliche Bestimmung habe der Gesetzgeber die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausdrücklich gestützt (BT< Drucks. 16/688, S. 13). Damit dürften die Mitgliedstaaten einem Unionsbürger die Sozialhilfe versagen, wenn er zum Zwecke der Arbeitsuche eingereist sei. Dies sei auch mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vereinbar. Danach dürften zwar finanzielle Leistungen, die unabhängig von ihrer Einstufung nach nationalem Recht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, nicht als Sozialhilfeleistungen angesehen werden (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009 < C 22/08, C 23/08 <). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben handele es sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II aber um Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG. Diese Leistungen hätten nämlich nicht den Zweck, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, sondern die Existenzsicherung zu gewährleisten (LSG Berlin< Brandenburg, Beschluss vom 6. August 2012 < L 5 AS 1749/12 B ER < m. w. N.). Zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt sehe das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende in den §§ 16 ff. SGB II weitere Leistungen vor, die vom Leistungsträger gesondert gewährt würden.

Die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstoße auch nicht gegen die VO (EG) 883/2004. Nach Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 gelte die Verordnung zwar ausdrücklich auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne des Art. 70 Abs. 1, also solche Leistungen, die nach Rechtsvorschriften gewährt werden, die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbereiches, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch der Sozialhilfe aufwiesen. Dazu gehörten nach Art. 70 Abs. 2 Buchst. c VO (EG) 883/2004 i. V. m. Anhang X VO 883/2004 in Deutschland ausdrücklich auch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende, soweit für diese Leistungen nicht dem Grunde nach die Voraussetzungen für den befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld (§ 24 Abs. 1 SGB II) erfüllt seien. Zwar sprächen diese Regelungen der VO (EG) 883/2004 bei isolierter Betrachtung für einen Gleichbehandlungsanspruch aller Unionsbürger auch hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Jedoch sei§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II i. V. m. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG als speziellere Regelung anwendbar ... .

Sinn und Zweck dieser Regelung liege darin, eine Zuwanderung unter Ausnutzung des jeweiligen Fürsorgesystems zu unterbinden. Die RL 2004/38/EG enthalte demnach gegenüber der VO (EG) 883/2004 ein eigenständiges Regelungswerk. Während die VO (EG) 883/2004 allgemeine Vorschriften zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme beinhalte, regele die RL 2004/38/EG das Aufenthaltsrecht der Unionsbürger. In Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG sei auch das Gleichbehandlungsgebot gesondert geregelt. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG stelle hierzu eine Ausnahmevorschrift dar. Sie sei erforderlich, weil das Aufenthaltsrecht einer - seits unter anderem schon tatbestandlich davon abhänge, dass Sozialhilfeleistungen nicht oder nicht unangemessen in Anspruch genommen werden (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c, 12 Abs. 2, 14 Abs. 1 RL 2004/38/EG), andererseits aber die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nach Art. 14 Abs. 3 RL 2004/38/EG nicht automatisch zu einer Ausweisung führen dürfe. Aus dieser Regelungssystematik ebenso wie aus Sinn und Zweck der RL 2004/38/EG folge ein gegenüber der VO 883/2004 eigenständiger Sozialhilfebegriff. Dieses Ergebnis werde auch dadurch bestätigt, dass der EuGH in seiner oben erwähnten Entscheidung (Urteil vom 4. Juni 2009 < C 22/08, C 23/08 <), in welcher es um Leistungen für die Zeit ab dem 28. April 2007 gegangen sei, die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht für unanwendbar gehalten habe (LSG Berlin<Brandenburg, Urteil vom 19. Juli 2012 < L 5 AS 511/11 <; Beschluss vom 6. August 2012 s. o.; Beschluss vom 3. April 2012 < L 5 AS 2157/11 B ER <; Beschluss vom 5. März 2012 < L 29 AS 414/12 B ER <; Beschluss vom 29. Februar 2012 < L 20 AS 2347/11 B ER <; Beschluss vom 8. Juni 2009 < L 34 AS 790/09 B ER <; LSG Niedersachsen<Bremen, Beschluss vom 23. Mai 2012 < L 9 AS 347/12 B ER <; LSG Baden<Württemberg, Urteil vom 16. Mai 2012 < L 3 AS 1477/11 <).

Der EuGH hat mit Urteil vom 11. November 2014 (Rechtssache Dano - C-333/13 -) entschieden, dass das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 auch für die "besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen" im Sinne der Art. 3 Abs. 3 und 70 VO (EG) 883/2004 gilt und dass Art. 24 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der RL 2004/38/EG und Art. 4 VO (EG) 883/2004 dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" im Sinne des Art. 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht. Die Entscheidung des EuGH bezieht sich aber nicht auf arbeitsuchende, sondern auf wirtschaftlich inaktive Unionsbürger ohne Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG (s.o. Rdnr. 66, 74) und kann daher zur Frage der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit Europarecht nicht unmittelbar herangezogen werden. Der Senat sieht entgegen der teilweise in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte vertretenen Rechtsauffassung, wonach der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit Europarecht vereinbar sei (vgl. u.a. den von dem Antragsgegner in Bezug genommenen Beschluss des Hess. LSG vom 11. Dezember 2014 - L 7 AS 528/14 B ER --, diese Rechtsfrage als nicht geklärt an. Davon geht auch das BSG aus, da es nur die Frage I. 1. (Geltung des Art. 4 VO (EG) 883/2004 auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne des Art 70 VO (EG) 883/2004 des Vorlagebeschlusses vom 12. Dezember 2013 (B 4 AS 9/13 R - ZfSH/SGB 2014, 158) für erledigt erklärt hat, nachdem der EuGH diese Vorlagefrage mit Urteil vom 11. November 2014 (C-333/13) entschieden hat (Beschluss vom 11. Februar 2015).

Eine Entscheidung des EuGH zu den Fragen I. 2. und I. 3. des Vorlagebeschlusses des BSG vom 12. Dezember 2013 (B 4 AS 9/13 R) steht dagegen noch aus. Diese lauten:

2. Sind - ggf. in welchem Umfang - Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots des Art. 4 VO (EG) 883/2004 durch Bestimmungen in nationalen Rechtsvorschriften in Umsetzung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG möglich, nach denen der Zugang zu diesen Leistungen ausnahmslos nicht besteht, wenn sich ein Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers in dem anderen Mitgliedstaat allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt?

3. Steht Art. 45 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit Art. 18 AEUV einer nationalen Bestimmung entgegen, die Unionsbürgern, die sich als Arbeitsuchende auf die Ausübung ihres Freizügigkeitsrechts berufen können, eine Sozialleistung, die der Existenzsicherung dient und gleichzeitig auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert, ausnahmslos für die Zeit eines Aufenthaltsrechts nur zur Arbeitsuche und unabhängig von der Verbindung mit dem Aufnahmestaat verweigert?

Ungeachtet der Frage der fehlenden abschließenden Klärung der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses mit Europarecht in der Rechtsprechung des EuGH erscheint es unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH fraglich, ob ein vollständiger Leistungsausschluss aller Arbeitsuchenden als europarechtskonform angesehen werden kann.

Die Antragstellerin des vorliegenden Verfahrens fällt zwar, da ihr ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche zusteht, in den persönlichen Anwendungsbereich des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG. Nach dem Wortlaut der Bestimmung sind privilegiert nur Arbeitnehmer, Selbstständige, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihre Familienangehörigen; alle anderen Personen können während der ersten drei Monate des Aufenthalts und - soweit es sich um Arbeitsuchende handelt - während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. b (solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden - von (Sozialhilfe)-Leistungen ausgeschlossen werden. Der (generelle) Leistungsausschluss für Arbeitsuchende ist das Spiegelbild des in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b RL 2004/38/EG normierten Verbots der Ausweisung, solange die Unionsbürger den Nachweis der Arbeitsuche und der begründeten Aussicht auf Einstellung führen können. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II dürfte daher im Grundsatz mit Art. 4 VO (EG) 883/2004 und Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG vereinbar sein. Unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH (Urteil Brey C-140/12) wird aber ein genereller Leistungsausschluss derjenigen Unionsbürger, die - wie die Antragstellerin des vorliegenden Verfahrens - bereits eine Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübt haben und denen kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer mehr zusteht, die aber den Nachweis einer tatsächlichen Verbindung zum Arbeitsmarkt geführt haben, als unvereinbar mit Europarecht (Art. 18 AEUV, Art. 4 VO (EG) 883/2004 und Art. 24 Abs. 2 der RL 2004/38/EG) angesehen (vgl. Hess. LSG, Beschluss vom 7. Januar 2015 - L 6 AS 815/14 B ER ); Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet vom 26. März 2015 in der Rechtssache Alimanovic C-67/14, Rdnr. 104 ff.).

Sprechen damit gewichtige Umstände dafür, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit Europarecht nicht vereinbar bzw. europarechtskonform dahingehend auszulegen ist, dass er auf Unionsbürger, die - wie die Antragstellerin - bereits eine Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübt und den Nachweis einer tatsächlichen Verbindung zum Arbeitsmarkt geführt haben, nicht anwendbar ist, sieht der Senat den Anordnungsanspruch der Antragstellerin als hinreichend glaubhaft gemacht an. [...]