LSG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.11.2015 - L 3 AS 479/15 B ER - asyl.net: M23366
https://www.asyl.net/rsdb/M23366
Leitsatz:

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist nicht verfassungswidrig. Er verstößt nicht gegen das Grundrecht des Antragstellers auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG. In Ausübung seines Gestaltungsspielraums hat der parlamentarische Gesetzgeber ausreichende Regelungen bezüglich der Gewährung von Leistungen zur Existenzsicherung getroffen. Mit dem Leistungsausschluss für EU-Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiten, hat der Gesetzgeber den Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Schlagwörter: Leistungsausschluss, Drittstaatsangehörige, drittstaatsangehöriger Ehegatte, Menschenwürde, menschenwürdiges Existenzminimum, Existenzminimum, Unionsbürger, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Asylbewerberleistungsgesetz,
Normen: SGB II § 7, SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, GG Art. 1, GG Art. 20 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

1. Für den Antragsteller, der sein Aufenthaltsrecht nach § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU aus dem Aufenthaltsrecht seines Ehemannes ableitet, ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Er ist nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil sich sowohl sein als auch das Aufenthaltsrecht seines Ehemannes allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.

a. Der Leistungsausschluss gilt auch für den Fall, dass das Aufenthaltsrecht seines Ehemannes nach § 2 Abs. 2 Nr.1a FreizügG/EU in Folge des über sechs Monate dauernden Aufenthalts und nicht erbrachter Nachweise über eine Erfolg versprechende Arbeitsuche weggefallen ist, sich beide also bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU über das Nichtbestehen eines Freizügigkeitsrechts noch in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten dürften und sie erst nach einer entsprechenden Feststellung der Ausländerbehörde (§ 7 Abs.1 Satz 1 FreizügG/EU) ausreisepflichtig wären.

b. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 SGB II schließt nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut (... ausgeschlossen sind ....) einen an sich unter den Voraussetzungen des Abs. 1 bestehenden Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für den dort genannten Personenkreis aus, so dass der ausdrücklich genannte und vom Leistungsausschluss betroffene Personenkreis nicht zu den nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erwerbsfähigen Leistungsberechtigten gehört. Der Leistungsausschluss betrifft nach Nr. 2 der Vorschrift Ausländerinnen und Ausländer, wenn sich das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, also keine sonstigen Gründe nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU für die Unionsrechtliche Freizügigkeitsberechtigung gegeben sind. Der Zweck der Arbeitsuche gewährt EU-Bürgern und ihren Familienangehörigen (vgl. § 3 Abs. 2 FreizügG/EU) nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a FreizügG/EU zwar ein Recht auf Einreise und Aufenthalt (Aufenthaltsrecht), verschafft ihnen aber keinen Leistungsanspruch nach dem SGB II. Dies, obwohl diese Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU für bis zu sechs Monate unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden.

Entfällt nun der ein Aufenthaltsrecht begründende und schon zum Leistungsausschluss führende Zweck der Arbeitsuche, führt dies nicht zu einem Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Die Vorschrift, die bei einem sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebenden Aufenthaltsrecht insoweit zu Lasten der EU-Bürger und ihrer Familienangehörigen eingeführt worden ist, würde bei einer anderen Lesart sinnwidrig ins Gegenteil verdreht werden: EU-Bürger (und deren Familienangehörigen), die über ein "materielles" Aufenthaltsrecht aus dem Zweck der Arbeitsuche und damit über einen legitimen Grund für die unionsrechtliche Freizügigkeitsberechtigung in der Bundesrepublik Deutschland verfügen, würden gegenüber denjenigen benachteiligt, die nicht (mehr) über einen solchen materiellen Status verfügen, also ein "weniger" hätten. Der Gesetzgeber unterscheidet daher (konsequenterweise) nicht zwischen den Ausländerinnen und Ausländern, die zunächst ein entsprechendes "materielles" Aufenthaltsrecht hatten und solchen, die sich lediglich (ohne entsprechendes aus § 2 Abs. 2 FreizügG/EU resultierendes Aufenthaltsrecht) in der Bundesrepublik noch aufhalten dürfen, weil die Ausländerbehörde das Nichtbestehen eines Freizügigkeitsrechts (noch) nicht nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU festgestellt hat. Der Leistungsausschluss betrifft auch (und erst Recht) diejenigen Ausländerinnen und Ausländer, bei denen ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche nicht bestanden hat oder fortgefallen ist und kein anderes materielles Aufenthaltsrecht feststellbar ist.

Ob man während dieser Zeitspanne – also vom Wegfall des Aufenthaltsrechts nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU bis zur Feststellung der Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU – überhaupt von einem "formellen" Aufenthaltsrecht (im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU) dieses Personenkreises sprechen kann, ist im Hinblick auf den Wortlaut dieser Vorschrift fraglich. § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU setzt voraus, dass die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 entfallen sind oder nicht vorliegen, damit der Verlust dieses Rechts festgestellt werden kann und die Ausreisepflicht nach § 7 Abs. 1 FreizügG/EU besteht. Liegen die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1, 2 FreizügG/EU nicht (mehr) vor, kann es auch kein "formelles" Aufenthaltsrecht (nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU) geben. Dies kann im Ergebnis aber dahinstehen, denn bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde halten sich diese Personen rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland auf. Das "Aufhaltendürfen" ist ebenso Ausfluss der Regeln des Binnenmarktes für Unionsbürger wie das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche; es beruht gerade auf der Privilegierung durch die Freizügigkeitsvermutung.

Nur diese Lesart der Vorschrift wird im Übrigen auch Sinn und Zweck der Regelung gerecht, eine "Einwanderung in die Sozialsysteme" (so zutreffend LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.02.2015 - L 2 AS 14/15 B ER, vgl auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B) unter Ausnutzung der Möglichkeiten, die die Freizügigkeit für EU-Ausländer innerhalb des EU-Binnenmarktes bietet, zu verhindern. Aus dem Gesamtzusammenhang der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks 16/688) wird deutlich, dass mit der Einführung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II eine Regelung getroffen wurde für alle Ausländerinnen und Ausländer, die von ihrem Recht nach der Unionsbürgerschaft Gebrauch machen, nach Deutschland einzureisen, ohne einen anderen anerkannten Aufenthaltsgrund nach dem FreizügG/EU zu haben, als die Arbeitsuche. In Ziffer B der Einleitung in der Gesetzesbegründung heißt es "Ausschluss von Leistungen für EU-Bürger und ihre Familienangehörigen, die zuvor nicht in Deutschland gearbeitet haben, sondern zur Arbeitsuche nach Deutschland einreisen". Dies bedeutet, dass es ohne Belang ist, ob sich die Betroffenen auf ein materielles Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche oder aber nur auf ein "Aufhaltendürfen" berufen können. Andernfalls würde dies dazu führen, dass Ausländerinnen und Ausländer, die nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche verfügen bzw. möglicherweise von Anfang an ein entsprechendes Recht nicht hatten, bis zu einer Entscheidung der Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU und einer sich erst danach ergebenden Ausreisepflicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU entgegen der klaren Intention des Gesetzgebers, nämlich keine Einwanderung in die Sozialsysteme zu ermöglichen, Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätten.

c. Die gegenteilige Auffassung (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.06.2015 - L 19 AS 717/15 B ER und 17.08.2015 - L 19 AS 1265/15 B ER, L 19 AS 1266/15 B; LSG Hessen, Beschluss vom 07.04.2015 – L 6 AS 62/15 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.03.2015 – L 31 AS 1258/ 1, in dem ausgeführt ist: "Wer nur zum Sozialleistungsmissbrauch eingereist ist, ist nach keiner Regelung des SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen, da § 7 Abs. a Satz 2 Nr. 2 SGB II nur tatsächlich Arbeitsuchende betrifft.") ist aus den oben genannten Gründen weder mit dem Wortlaut und dem eindeutigen Regelungsgehalt der Vorschrift noch mit ihrem Sinn und Zweck vereinbar. Auch der Einwand (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 07.04.2015 a.a.O., juris, Rn. 52) bezüglich der Besserstellung von Personen, die trotz vollziehbarer Ausreisepflicht leistungsberechtigt nach dem AsylbLG seien, überzeugt nicht. Für die unterschiedliche Behandlung der beiden Personengruppen ist ein hinreichender Differenzierungsgrund gegeben (vgl. LSG, Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2338/15, juris Rz. 34). Bei den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) handelt es sich um ein eigenes, spezielles Leistungssystem zur Sicherung des Lebensbedarfs, das primär an den ungesicherten Aufenthaltsstatus anknüpft (vgl. Oppermann, jurisPK-SGB XII, § 1a AsylbLG Rz. 18). Es handelt sich bei den Leistungsberechtigten um Personen, die in der Regel – anders als EU-Ausländer – nicht ohne weiteres in ihr Heimatland zurückkehren können. Diese Personen sind häufig aus ganz unterschiedlichen Gründen an der umgehenden Ausreise gehindert und sind deshalb schutzbedürftiger als EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht, deren umgehender Rückkehr in ihr Heimatland keinerlei Hindernisse entgegenstehen.

2. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstößt nicht gegen das Recht der Europäischen Union, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) mittlerweile mit Urteil vom 15.09.2015 (C-67/14) entschieden hat (vgl. hierzu Beschlüsse des Senats vom 31.03.2014 – L 3 AS 598/13 B ER, 04.11.2014 – L 3 AS 487/14 B ER, 12.03.2015 – L 3 AS 110/15 B ER und LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13.10.2015 – L 6 AS 454/15 B ER, L 6 AS 455/15 B).

3. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist nach Ansicht des Senats auch nicht verfassungswidrig. Er verstößt nicht gegen das Grundrecht des Antragstellers auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG. a. Gemäß Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Alle staatliche Gewalt muss sie achten und schützen; sie ist migrationspolitisch nicht zu relativieren. Das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums steht als Menschenrecht deutschen und ausländischen Staatsbürgern, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, grundsätzlich gleichermaßen zu (so BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL10/10, 1 BvL 2/11).

Der Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Der Umfang dieses Anspruchs hängt von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und ist danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG hält den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen. Der Staat ist im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, die materiellen Voraussetzungen für Hilfebedürftige zur Verfügung zu stellen (BVerfG, a.a.O., Rn. 63, juris). Dies ist eine objektive Verpflichtung des Staates, die mit einem individuellen Leistungsanspruch, der allerdings der Ausgestaltung durch ein Gesetz bedarf, korrespondiert.

Entgegen der Ansicht des SG gebietet indes das Grundgesetz nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen (BVerfG, Beschl. v. 7.7.2010 – 1 BvR 2556/09, juris Rz. 13). Vielmehr liegt es in der politischen Verantwortung des parlamentarischen Gesetzgebers im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums zu bestimmen, welche Leistungen in welcher Höhe zur Existenzsicherung gewährt werden und die hierbei erforderlichen Wertungen vorzunehmen. Der parlamentarischen Gesetzgeber hat den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert, bleibt grundsätzlich ihm überlassen. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und ist zudem von unterschiedlicher Weite: Er ist enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht (BVerfG, Beschl. v. 9.2.2010 – 1/BvL 1/09 u.a., juris Rz. 138).

b. In Ausübung seines Gestaltungsspielraums hat der parlamentarische Gesetzgeber – nach Auffassung des Senats ausreichende - Regelungen bezüglich der Gewährung von Leistungen zur Existenzsicherung getroffen. Nach der Willensbildung des parlamentarischen Gesetzgebers können solche heute nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch, dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch und dem Asylbewerberleistungsgesetz beansprucht werden. Der gemeinsame verfassungsrechtliche Kern aller drei heutigen Existenzsicherungssysteme ist das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 25.06.2015 - B 14 AS 17/14 R unter Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 -1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11). Die erfolgten Differenzierungen hinsichtlich der Leistungshöhe in Abhängigkeit von den Besonderheiten bestimmter Personengruppen sind zulässig (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.7.2012, aaO, Rz. 73) und schließen die strukturelle Gleichwertigkeit der drei Leistungssysteme nicht aus (vgl BSG, Urteil vom 21.12.2009 – B 14 AS 66/08 R).

c. Unter Berücksichtigung der bestehenden Regelungen zur Gewährung von Leistungen zur Existenzsicherung ist das Grundrecht des Antragstellers auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht verletzt. Er kann darauf verwiesen werden, Leistungen seines Heimatlandes zur Sicherung seines Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen oder von seinem Freizügigkeitsrecht innerhalb des Hoheitsgebiets der EU Gebrauch zu machen. Mit dem Leistungsausschluss für EU-Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiten, hat der Gesetzgeber den Nachrang des Deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (so auch LSG Bayern, Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 ER und LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2338/15 ERB). Auch der aus dem gesetzlichen Leistungsausschluss resultierende faktische Zwang ins Herkunftsland zurückkehren oder in einen anderen Mitgliedstaat reisen zu müssen, weil es ihm nicht möglich ist, seinen Lebensunterhalt in der Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen, stellt keine Verletzung seines Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dar. Er ist vergleichbar mit der Situation von Auszubildenden und Studenten, die ihre Arbeitskraft für ihren Lebensunterhalt einsetzen müssen (so zu Recht und überzeugend LSG Bayern, a.a.O., unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des BVerfG zu denLeistungsausschlüsse für Studenten und Auszubildende gemäß § 7 Abs. 5 SGB II vom 03.09.2014- 1 BvR 1768/11 und vom 08.10.2014 – 1 BvR 886/11).

d. Der dem Grundgesetz verpflichtete Gesetzgeber hat auch keine aus Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art 20 Abs. 1 GG resultierende verfassungsrechtliche Pflicht über die bereits getroffenen Regelungen hinaus jedem Menschen, der sich – aus welchen Gründen auch immer, also legal oder illegal – in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, voraussetzungslose Sozialleistungen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.7.2010 – 1 BvR 2556/09, juris Rz. 13) zu gewähren und die drei heutigen Existenzsicherungssysteme, deren verfassungsrechtlicher Kern das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG ist, um eine weitere Regelung zu ergänzen (vgl. zur Handlungspflicht des Gesetzgebers BVerfG, Kammerbeschluss vom 26.10.1995 – 1 BvR 1348/95). Wie bereits ausgeführt, liegt es in der politischen Verantwortung des parlamentarischen Gesetzgebers im Rahmen seiner insoweit grundsätzlich freien Entscheidung zu bestimmen, welche Sozialleistungen in welcher Höhe gewährt werden und die hierbei erforderlichen Wertungen vorzunehmen.

e. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des SG auch nicht aus den Grundsätzen, die der erste Senat in seiner Entscheidung vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11- für die nach dem AsylbLG zu gewährenden Leistungen aufgestellt hat. Insbesondere ist hieraus nicht der Schluss zu ziehen, das BVerfG habe hier grundlegend entschieden, dass jeder Mensch, der – aus welchen Gründen auch immer - in die Bundesrepublik Deutschland einreist und sich hier aufhält, generell und voraussetzungslos über die bereits bestehenden Existenzsicherungssysteme Anspruch auf (dauerhafte) staatliche Leistungen zur Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums unmittelbar aus der Verfassung hat. Abgesehen davon, dass ausdrücklich nur über § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und § 3 Abs. 2 Satz 3 iVm Abs. 1 Satz 4 AsylbLG sowie § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 und § 3 Abs. 2 Satz 3 iVm Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 des AsylbLG (jeweils in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (Bundesgesetzblatt I Seite 2022) zu entscheiden war, ergibt sich insbesondere aus der Begründung, dass diese Erwägungen nicht allgemein in dem vom SG angenommenen Sinne zu verstehen sind, sondern mit Blick auf die konkrete Fragestellung, nämlich, ob die nach dem AsylblG für diesen Personenkreis zu gewährenden Leistungen unter Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art 20 Abs. 1 GG ausreichen, die entsprechenden Regeln also verfassungsgemäß sind (vgl. hierzu Ausführungen Rz. 68, 95). [...]