Für die Einbürgerung hat eine Person die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II nicht zu vertreten, wenn sie die Dauerpflege ihrer an Autismus mit mittelgradiger Intelligenzminderung erkrankten 15-jährigen Sohnes übernommen hat.
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Dem Anspruch auf Einbürgerungszusicherung steht auch nicht die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG entgegen. Zwar kann der Kläger den Unterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen nicht ohne die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG). Denn neben einem Pflegegeld für die Pflege seines Sohnes C. in Höhe von monatlich 525.- Euro bezieht er zur Sicherung seines Lebensunterhalts ergänzend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Kläger hat die ergänzende Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II indes nicht zu vertreten.
Der Einbürgerungsbewerber hat einen Sozialleistungsbezug im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG zu vertreten, wenn er in den vergangenen acht Jahren eine sozialrechtliche Obliegenheitspflicht dem Grunde nach verletzt hat und der Zurechnungszusammenhang dieser Pflichtverletzung mit dem aktuellen Leistungsbezug fortbesteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2009 - 5 C 22/08 -, BVerwGE 133, 153; OVG NRW, Beschluss vom 21. Mai 2012 - 19 E 559/11 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 5. August 2013 – 8 K 4979/10 -; Beschluss vom 30. September 2013 – 8 K 258/13 -).
Der Begriff des "Vertretenmüssens" beschränkt sich nicht auf vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB). Ausreichend ist vielmehr, dass der Ausländer durch ein ihm zurechenbares Handeln oder Unterlassen adäquat-kausal die Ursache für den fortdauernden Leistungsbezug gesetzt hat. Das Vertretenmüssen setzt demnach kein pflichtwidriges und schuldhaftes Verhalten voraus. Der Leistungsbezug muss lediglich auf Umständen beruhen, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zurechenbar sind. Danach hat ein Einbürgerungsbewerber den Leistungsbezug zu vertreten, wenn er sich nicht oder nicht hinreichend um die Aufnahme einer neuen Beschäftigung bemüht hat, wenn er nicht bereit ist, eine ihm im Sinne des § 10 SGB II zumutbare Beschäftigung unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes aufzunehmen, oder wenn er bei der Arbeitssuche nachhaltig durch Gleichgültigkeit zu erkennen gibt, dass er tatsächlich kein Interesse an einer Erwerbstätigkeit hat. Welche Anforderungen an Art und Umfang der Bemühungen um eine Arbeitsstelle zu stellen sind, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Von Bedeutung sind dabei insbesondere die Faktoren, die die individuellen Chancen des Einbürgerungsbewerbers auf dem Arbeitsmarkt bestimmen, wie Ausbildungsstand, Qualifikation, Alter, Gesundheitszustand oder Dauer der Beschäftigungslosigkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2009 - 5 C 22/08 -, BVerwGE 133, 153; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. März 2010 - OVG 5 M 40/09 -, Juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 5. August 2013 – 8 K 4979/10 -; Beschlüsse vom 4. August 2014 – 8 K 3958/13 – und vom 25. Juli 2013 – 8 K 9023/12 -).
Ein hinreichendes Bemühen um die Aufnahme einer Beschäftigung liegt regelmäßig nur vor, wenn der Einbürgerungsbewerber alle (legalen) Tätigkeiten in Betracht zieht, zu denen er körperlich und geistig in der Lage ist und die ihm zumutbar sind. Daher sind grundsätzlich auch Arbeitsstellen mit ungünstigen Lohn- und Arbeitsbedingungen und Gelegenheitsarbeiten in die Arbeitssuche einzubeziehen. Schließt der Einbürgerungsbewerber bei der Arbeitssuche bestimmte Arbeitsstellen von vornherein aus und richtet er seine Bemühungen ausschließlich auf bestimmte andere Arbeitsstellen, so liegt ein hinreichendes Bemühen um Arbeit nicht vor (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 5. August 2013 – 8 K 4979/10 -; Beschlüsse vom 4. August 2014 – 8 K 3958/13 – und vom 25. Juli 2013 – 8 K 9023/12 -; VG Stuttgart, Urteil vom 18. Januar 2013 - 11 K 618/12 -, Juris).
In Anwendung dieser Grundsätze hat der Kläger die ergänzende Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II nicht zu vertreten. Neben der Dauerpflege seines an frühkindlichem Autismus (F84.0 ICD-10) mit mittelgradiger Intelligenzminderung (F71.8 ICD-10) erkrankten 15-jährigen Sohnes C. ist es ihm weder möglich noch zumutbar, einer Beschäftigung nachzugehen.
Der Kläger hat unter Vorlage diverser "Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI" des MDK Nordrhein, BBZ ... sowie fachärztlicher Berichte und Bescheinigungen des Kinderneurologischen Zentrums Düsseldorf, des Sana Krankenhauses ... und der Kinder- und Jugendärzte am ... eindrücklich dargelegt, dass sein Sohn C. einer 24-stündigen Pflege und Betreuung bedarf, die er – abgesehen von den schulischen Abwesenheitszeiten sowie des einmal wöchentlich stundenweise zur Verfügung stehenden Freizeithelfers – als ehrenamtlich bestellter Pfleger vollständig alleine übernimmt. Für seine Pflegeleistungen erhält er ein monatliches Pflegegeld in Höhe von 525.- Euro, ist sozialversicherungsrechtlich versichert und erzielt gesetzliche Rentenanwartschaften.
Der Kläger ist neben der Vollzeit-Betreuung seines Sohnes auch unter Berücksichtigung der schulischen Abwesenheitszeiten seines Sohnes nicht in der Lage, einer Beschäftigung nachzugehen.
Der Kläger wäre darauf angewiesen, eine Teilzeitbeschäftigung zu finden, die mit den Abwesenheitszeiten seines Sohnes (montags bis donnerstags in der Zeit von 8:30 bis 15:15 Uhr und freitags von 8:30 bis 12:15 Uhr) vereinbar ist.
Selbst für den Fall, dass sich eine mit den Abwesenheitszeiten des Sohnes zu vereinbarende Teilzeitbeschäftigung fände, bestünde das weitere Problem, dass sich die schulfreien Zeiten (Schulferien und Brückentage) nicht mittels der dem Kläger gesetzlich zustehenden Urlaubs-/Sonderurlaubstage abdecken ließen. Der Kläger kann insoweit auch nicht, wie die Beklagte meint, in zumutbarer Weise darauf verwiesen werden, die schulfreien Zeiten des Sohnes mittels einer Betreuung durch Dritte zu überbrücken. Der u.a. an frühkindlichem Autismus erkrankte pflegebedürftige Sohn des Klägers könnte insoweit allenfalls einer sozialpädagogischen Fachkraft zur Betreuung anvertraut werden. Unabhängig von den erheblichen Kosten, die dadurch auf den Kläger zukämen, dürfte sich auch die Suche nach einer qualifizierten Fachkraft mit entsprechender Erfahrung, dem nötigen Verantwortungsbewusstsein und ganztägiger Verfügbarkeit als schwierig erweisen. Die Suche nach einer geeigneten Fachkraft dürfte darüber hinaus auch dadurch erheblich erschwert werden, dass bei an Autismus erkrankten Menschen regelmäßig die Schwierigkeit besteht, sich auf neue Bezugspersonen einzustellen und ein Vertrauensverhältnis zu diesen aufzubauen. Vor diesem Hintergrund erscheint der pauschale Verweis der Beklagten auf die Inanspruchnahme einer Ferien-Betreuung durch Dritte realitätsfern. Abgesehen von den schulfreien Zeiten müsste der Kläger auch die Krankheitszeiten seines Sohnes abdecken, in denen eine Betreuung durch die Schule nicht stattfände. Der Kläger hat insoweit überzeugend dargelegt, dass diese auf Grund der erethischen Unruhe seines Sohnes den "normalen Krankenstand" eines Jugendlichen erheblich übersteigen mit der Folge, dass die insoweit gesetzlich vorgesehenen Sonderurlaubstage nicht auskömmlich wären. In diesen Fällen müsste der Kläger sehr kurzfristig für eine anderweitige Betreuung sorgen, was bei lebensnaher Betrachtung schwerlich realisierbar sein dürfte.
Darüber hinaus benötigt der Kläger die schulbedingten Abwesenheitszeiten seines Sohnes zur Erledigung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten, zu deren Verrichtung er in Anwesenheit seines Sohnes nicht imstande ist. Denn C. leidet an einer motorischen Unruhe mit fehlender Steuerungsfähigkeit, hat eine permanente Weglauf-Tendenz sowie einen Hang zur Zerstörung von Gegenständen ohne erkennbaren Grund. Zudem handelt er teilweise autoaggressiv. Eine Abnahme des Hilfebedarfs ist ausweislich der gutachterlichen Stellungnahme des MDK Nordrhein, BBZ ... vom 5. Februar 2014 nicht zu erwarten. Mit Blick darauf ist es dem Kläger nicht möglich, alltägliche hauswirtschaftliche Tätigkeiten (beispielsweise einkaufen, waschen, kochen, bügeln, putzen) in Anwesenheit seines Sohnes zu verrichten.
Nicht zuletzt erscheint es bei lebensnaher Betrachtung fernliegend, dass ein Arbeitgeber den Kläger in Kenntnis der schwerwiegenden Erkrankung und der daraus resultierenden 24-Stunden-Pflegebedürftigkeit seines Sohnes ernsthaft einstellen würde. Diese Annahme wird bestätigt durch die Bescheinigung des Jobcenters ... vom 5. Dezember 2013, ausweislich derer dem Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt derzeit keine leidensgerechte Stelle angeboten werden kann, die er neben der Betreuung seines Sohnes wahrnehmen könnte. [...]