VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 26.02.2015 - 15 K 1369/14.A - asyl.net: M23063
https://www.asyl.net/rsdb/M23063
Leitsatz:

Nach derzeitigem Erkenntnisstand bestehen bei einem Ehepaar mit einem neugeborenen Kind keine belastbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Mängel bei der Durchführung des Asylverfahrens in Italien.

Schlagwörter: Dublinverfahren, Italien, Kinder, Kind, systemische Mängel, Aufnahmebedingungen, besonders schutzbedürftig, unmenschliche Behandlung, erniedrigende Behandlung, Dublin III-Verordnung,
Normen: AsylVfG § 34a, AsylVfG § 34a Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 27a, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Die Kläger haben bereits In Italien um ihre Anerkennung als Asylberechtigte nachgesucht, so dass Italien der für die Durchführung des Verfahrens zuständige Mitgliedsstaat ist, an den Deutschland nach Maßgabe der Art. 18, 23 ff. Dublin-III-VO ein Rücküberstellungsersuchen richten konnte. Rechtliche Bedenken gegen eine sich daraus ergebende Abschiebung nach Italien als für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat bestehen insoweit nicht; insoweit wird auf die Ausführungen in den o.g. Beschlüssen verwiesen.

Die Kläger sind dieser Würdigung nicht mehr entgegengetreten.

Im Übrigen bestehen auch nach derzeitigem Erkenntnisstand keine belastbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Mängel bei der Durchführung des Asylverfahrens In Italien:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der das Gericht folgt, beinhaltet eine Prognose in Bezug auf systemische Mängel - im Anschluss an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 -, Slg. 2011, I-13905 Rn. 88 bis 94 = NVwZ 2012, 417 - die Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat dann nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (EuGH a.a.O. Rn. 80), sei aufgrund systemischer Mängel widerlegt, setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 - juris (Rdz. 9) und vom 06.06.2014 -10 B 35.14 -, juris (Rdz. 5 f.)).

Für solche systemischen Mängel des Asylverfahrens in Italien bestehen weiterhin keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte (vgl. zur Situation in Italien auch: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.02.2014 - 10 A 10656/13 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 -, juris).

Die Kläger können der Würdigung ihres Asylantrags als unzulässig und der Abschiebungsanordnung auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass zwischenzeitlich die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 (aE) Dublin-III-VO - infolge des "Rechtsbehelfs" (hier das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 16 L 451/14.A) und der Entscheidung des Gerichts vom 31.03.2014 endete diese am 30.09.2014 - bereits abgelaufen und daher von einer Zuständigkeit Deutschlands für die Durchführung des Asylverfahrens auszugehen sei.

Die Zuständigkeits- und insbesondere auch Fristvorschriften der Dublin-III-VO - wie hier die Rücküberstellungsfristen des Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin-III-VO - begründen keine subjektiv öffentlichen Rechte für den Asylbewerber. Diese Vorschriften dienen allein den objektiven Zwecken einer sachgerechten Verteilung der mit der Durchführung der Asylverfahren verbundenen Lasten im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander. Der Asylbewerber kann im Hinblick auf eine auf §§ 27a, 34a AsylVfG gestützte Entscheidung des Bundesamtes lediglich eine gerichtliche Überprüfung dahingehend verlangen, ob eine Verletzung seiner Rechte aus Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-Grundrechtecharta droht.

Das erkennende Gericht folgt Insoweit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (vgl. EuGH (Große Kammer), Urteil vom 10.12.2013, C-394/12, juris, der sich zahlreiche weitere Gerichte angeschlossen haben (vgl. insoweit VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 -; OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.11.2014 - 13 LA 66/14; VG München, Beschluss vom 27.03.2014 - M 16 S 14.50039 -; VG Würzburg, Beschluss vom 11.06.2014 - W 6 S 14.50065 -; VG Hannover, Beschluss vom 27.05.2014 - 5 B 634/14 -; VG Osnabrück, Beschluss vom 19.02.2014 - 5 B 12/14 -; VG Trier, Beschluss vom 11.02.2014 - 5 L 95/14.TR -; ferner in der Tendenz bejahend, letztlich aber offen gelassen: OVG NRW, Urteil vom 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, sämtlich juris).

Auch die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Beschlüsse vom 04.07.2014 - 11 B 789/14.A - und vom 08.09.2014 - 13 A 1347/14.A -) rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Diese Entscheidungen setzen sich nicht mit der zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und zahlreicher weiterer Gerichte - teilweise auch aus der II. Instanz - zur Frage der Verletzung subjektiver öffentlicher Rechte auseinander und problematisieren diese Frage nicht.

Der Umstand, dass die Klägerin zu 2. in Deutschland ein Kind geboren hat, steht der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung nach Italien nicht entgegen. Für das in Deutschland geborene Kind ist - anderes ist nicht ersichtlich - weder ein Asylverfahren eingeleitet noch besteht für dieses aus sonstigen Gründen ein Aufenthalts-/Bleiberecht In Deutschland, aus dem die Kläger zu 1. und 2. als Eltern einer Abschiebung entgegenstehende Rechte ableiten könnten.

Das Bundesamt hat nach alledem den von den Klägern hier am 29.10.2013 gestellten Asylantrag zu Recht als unzulässig angesehen und die Abschiebung der Kläger nach Italien angeordnet. [...]