VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 19.06.2015 - 22 L 486/15.A - asyl.net: M23056
https://www.asyl.net/rsdb/M23056
Leitsatz:

In Fällen, in denen vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen eine Abschiebungsanordnung wegen verschuldeten Fristversäumnis nicht mehr offen steht, findet zur Vermeidung einer mit Art. 19 Abs. 6 GG unvereinbaren Rechtsschutzlücke § 123 Abs. 5 VwGO keine Anwendung, sofern der Antragsteller seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz auf Tatsachen oder Mittel stützt, die er ohne Verschulden nicht innerhalb der Antragsfrist des § 34a Abs. 2 AsylVfG gerichtlich geltend gemacht hat. In einem solchen Fall ist ein Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO zur vorläufigen Verhinderung der angeordneten Abschiebung möglich.

Schlagwörter: Dublinverfahren, Antragsfrist, Rechtsmittelfrist, Fristversäumnis, einstweilige Anordnung, effektiver Rechtsschutz, Abschiebungsanordnung, Wiederaufnahme des Verfahrens, Verschulden, Überstellung, Italien, unzulässig, Dublin III-Verordnung, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, Duldungsgrund, Abschiebungshindernis, Krankheit, Lungentuberkulose, Infektionskrankheit, erhebliche individuelle Gefahr, Reisefähigkeit, Rechtsschutzlücke,
Normen: AsylVfG § 34a, AsylVfG § 34a Abs. 2 S. 1, VwGO § 60, VwGO § 60 Abs. 1, VwGO § 60 Abs. 2 S. 1, VwGO § 123 Abs. 5, VwGO § 80 Abs. 5, VwGO § 123, VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1, GG Art. 19 Abs. 4, AsylVfG § 27a,
Auszüge:

[...]

Die Antragsfrist gemäß § 34a Abs. 2 S. 1 AsylVfG von einer Woche ab Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheides ist nicht gewahrt. Der gemäß § 31 Abs. 1 S. 4 AsylVfG dem Antragsteller selbst zuzustellende Bescheid ist diesem am 30. Januar 2015 durch Zustellung wirksam bekannt gegeben worden, § 41 Abs. 5 VwVfG, § 3 VwZG. Die Zustellung erfolgte ausweislich der Postzustellungsurkunde wirksam gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 3, 2. Alt. ZPO an den zur Entgegennahme von Zustellungen ermächtigten Vertreter des Leiters der Gemeinschaftseinrichtung, Herrn Albert Höpke. Entgegen der Auffassung des Antragstellers setzt die wirksame Zustellung nach diesen Vorschriften nicht voraus, dass eine unmittelbare Weiterleitung des zuzustellenden Schriftstücks durch den ermächtigten Vertreter des Leiters der Gemeinschaftseinrichtung an den Adressaten noch am selben Tag sichergestellt wäre. Vielmehr setzen die gesetzlichen Zustellvorschriften voraus, dass es die Obliegenheit jedes Bewohners einer Gemeinschaftseinrichtung ist, sich beim Leiter oder dessen Vertreter nach eventuellen Posteingängen zu erkundigen. Die Zustellung ist mit der Übergabe an den Leiter der Gemeinschaftseinrichtung bzw. dessen ermächtigten Vertreter wirksam.

Gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 ZPO, §§ 187 ff BGB begann damit die in § 34a Abs. 2 S. 1 AsylVfG bestimmte Wochenfrist am 31. Januar 2015 zu laufen und endete mit Ablauf des 9. Februar 2015 (Montag). Der Antrag ging erst am 13. Februar 2015 und damit nach Fristablauf bei Gericht ein.

Dem Antragsteller war auch nicht auf seinen Antrag gemäß § 60 VwGO Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist zu gewähren. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen liegen nicht vor.

Der Antragsteller hat nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, die gesetzliche Antragsfrist einzuhalten (§ 60 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 VwGO). Unverschuldet ist eine Fristversäumnis, wenn dem Betroffenen nach den Umständen des Einzelfalls kein Vorwurf an der Fristversäumnis zu machen ist; ihm mithin die Einhaltung der Frist nicht zumutbar war (VG Aachen, Beschluss vom 18. November 2014 – 2 L 511/14.A – m.w.N., juris).

Der Antragsteller hat keine Tatsachen dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht, die die Annahme rechtfertigen, er sei in diesem Sinne unverschuldet verhindert gewesen, die Antragsfrist einzuhalten. Der erhobene Einwand, der zugestellte Bescheid sei vom Hausmeister zunächst einem Mitbewohner übergeben worden, von dem der Antragsteller den Bescheid erst am 9. Februar 2015 erhalten habe, lässt nicht erkennen, dass der Antragsteller die ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um zu erfahren, ob ihm ein Dokument in der Gemeinschaftseinrichtung zugestellt wurde, in der er zu wohnen verpflichtet und in der er gemeldet war. Es ist noch nicht einmal dargelegt, welche Anstrengungen der Antragsteller in dieser Hinsicht überhaupt unternommen hat. Vor diesem Hintergrund vermag auch der Hinweis, der Bescheid sei dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers, der sich am 30. Januar 2015 gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) für den Antragsteller bestellt habe, erst mit Schreiben vom 10. Februar 2015 - zudem mit einem unvollständigen Ausdruck des elektronischen Verwaltungsvorgangs - übersandt worden, den Antragsteller nicht zu exkulpieren.

Der Hilfsantrag ist hingegen zulässig und begründet.

Der Hilfsantrag ist zulässig. Insbesondere steht seiner Statthaftigkeit § 123 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO, § 34a Abs. 2 AsylVfG nicht entgegen. Zwar ist gegen den streitgegenständlichen Bescheid zunächst einst - weiliger Rechtsschutz nach Maßgabe des § 80 Abs. 5 VwGO eröffnet, so dass insoweit ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 5 VwGO unstatthaft ist. Ist jedoch einstweiliger Rechtsschutz – wie hier - nach Maßgabe des § 80 Abs. 5 VwGO nicht mehr eröffnet, weil die Wochenfrist des § 34a Abs. 2 AsylVfG bereits verstrichen ist, vermag die Regelung in § 123 Abs. 5 VwGO den Zugang zum einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 bis 3 VwGO jedenfalls dann nicht zu sperren, wenn die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung noch nicht bestandskräftig ist und der Antragsteller seinen Antrag auf Tatsachen oder Mittel zur Glaubhaftmachung stützt, die er ohne Verschulden nicht innerhalb der Antragsfrist des § 34a Abs. 2 AsylVfG gerichtlich geltend gemacht hat.

Dies ist schon zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten. Denn dem betroffenen Ausländer wäre sonst keine Möglichkeit zur vorläufigen gerichtlichen Sicherung eigener Rechte eröffnet, deren Durchsetzung er im Hauptsacheverfahren mit der (rechtzeitig erhobenen) Klage verfolgt. Anders liegt es, wenn die betreffende Abschiebungsanordnung bereits bestandskräftig geworden ist. Will der von einer bestandskräftigen Abschiebungsanordnung Betroffene eine nachträgliche Veränderung der Sach- oder Rechtslage geltend machen, so kann er einen Antrag beim Bundesamt auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. VwVfG stellen und im Hauptsacheverfahren gegebenenfalls im Wege der Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO eine Sachentscheidung erzwingen (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 21. April 2015 – 10 CE 15.810, 10 C 15.813 –, Rdn. 5 m.w.N., juris).

Der dieser Fallkonstellation systematisch entsprechende statthafte Antrag im einstweiligen Rechtsschutz ist dann der Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO zur Sicherung des geltend gemachten Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens, mit dem eine vorläufige Verhinderung der angeordneten Abschiebung erreicht werden soll, indem der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsträgerin des Bundesamtes aufgegeben wird, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig nicht aufgrund der früheren Mitteilung und der bestandskräftigen Abschiebungsanordnung abgeschoben werden darf (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 21. April 2015 – 10 CE 15.810, 10 C 15.813 –, Rdn. 5, m.w.N., juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Februar 2015 – 22 L 378/15.A – juris).

Dieser Weg zur vorläufigen Sicherung eigener Rechte ist nicht eröffnet, wenn die Abschiebungsanordnung – wie hier – nicht bestandskräftig, sondern Gegenstand einer rechtzeitig erhobenen Klage ist. Zur Vermeidung einer mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbaren Rechtsschutzlücke ist § 123 Abs. 5 VwGO einschränkend dahingehend auszulegen, dass diese Vorschrift keine Anwendung findet, wenn die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung noch nicht bestandskräftig ist - jedenfalls dann, wenn der Antragsteller seinen Antrag auf Tatsachen oder Mittel zur Glaubhaftmachung stützt, die er ohne Verschulden nicht innerhalb der Antragsfrist des § 34a Abs. 2 AsylVfG gerichtlich geltend gemacht hat.

So liegt der Fall hier. Der Antragsteller stützt sich im Wesentlichen darauf, dass seiner Überstellung gegenwärtig rechtliche Hindernisse aufgrund seiner aktuellen Erkrankungen (fortgeschrittene HIV-Infektion mit Wasting-Syndrom und Lungentuberkulose) entgegenstehen. Zur Glaubhaftmachung hat er ein fachärztliches Attest vom 18. Februar 2015 vorgelegt. Diese Umstände hat der Antragsteller ohne Verschulden nicht schon während der Antragsfrist nach § 34a AsylVfG, hier also bis zum 9. Februar 2015 geltend gemacht. Er befindet sich zwar schon seit Januar 2015 wegen Tuberkulose in regelmäßiger ärztlicher Behandlung. Die hier maßgebliche Frage, welche Auswirkungen eine eventuelle Unterbrechung der Behandlung hätte, dürfte zu Beginn der Behandlung aber noch nicht absehbar gewesen sein und wurde - soweit ersichtlich - erstmals mit fachärztlichem Attest vom 18. Februar 2015 festgestellt.

Der Antrag ist auch begründet.

Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm der geltend gemachte Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch) und dieser Anspruch in einer Weise gefährdet ist, dass er durch eine gerichtliche Entscheidung gesichert werden muss (Anordnungsgrund), § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Ein Anordnungsgrund ergibt sich bereits daraus, dass der Antragsteller wegen der vorläufig vollziehbaren Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamtes vom 28. Januar 2015 jederzeit mit seiner Überstellung nach Italien rechnen muss.

Der Antragsteller hat auch Umstände glaubhaft gemacht, aus denen sich ein Anordnungsanspruch ergibt. Einer Überstellung des Antragstellers nach Italien auf Grundlage der Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 28. Januar 2015 stehen nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand rechtliche Hindernisse entgegen.

Es bestehen gegenwärtig durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützten Abschiebungsanordnung des Bundesamtes. Nach der genannten Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Es bestehen erhebliche Zweifel, dass die hierfür erforderlichen Voraussetzungen im vorliegenden Fall derzeit erfüllt sind.

Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Antragsgegnerin den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann, § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG.

Zwar dürfte Italien auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union, nämlich Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO) für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers zuständig sein. Die Anfrage im EURODAC-Verzeichnis hat ausweislich des Übermittlungsprotokolls vom 25. November 2014 ergeben, dass sich der Antragsteller vor seiner Einreise in das Bundesgebiet in Italien aufgehalten hat und dort einen Asylantrag gestellt hat.

Die damit nach Art. 13 Dublin III-VO für Italien anzunehmende Zuständigkeit ist auch nicht nachträglich entfallen.

Insbesondere hat das Bundesamt innerhalb der in Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO genannten Frist am 7. Januar 2015 ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gerichtet, das ausweislich der automatisch generierten Empfangsbestätigung an diesem Tag dort auch eingegangen ist. Italien hat hierauf nicht reagiert, sodass gemäß Art. 25 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Dublin III-VO seit Ablauf des 21. Januar 2015 davon auszugehen ist, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung Italiens zur Wiederaufnahme des Antragstellers begründet.

Ferner ist die Zuständigkeit nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Antragsgegnerin übergegangen. Die (hier fingierte) Annahme des Aufnahmegesuchs durch Italien liegt weniger als sechs Monate zurück.

Darüber hinaus kann sich der Antragsteller auch nicht erfolgreich darauf berufen, die Antragsgegnerin sei verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, weil seiner Überstellung nach Italien rechtliche Hindernisse entgegenstünden. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert nur die Überstellung dorthin, begründet aber kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C 394/12 -, juris, Rdn. 60, 62 und Urteil vom 14. November 2013 - C 4/11 -, juris, Rdn. 37; BVerwG, Beschluss

vom 19. März 2014 - 10 B 6/14 -, juris, Rdn. 7).

Es steht gegenwärtig aber nicht im Sinne von § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.

Offen bleiben kann, ob die Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO gehindert ist, den Antragsteller nach Italien zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller in Italien systemische Schwachstellen aufwiesen, die für den Antragsteller eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) bzw. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) mit sich brächten (vgl. zu den Voraussetzungen im Einzelnen: EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rdn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413). Denn der Überstellung steht gegenwärtig jedenfalls ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis entgegen.

Das Bundesamt hat nach Maßgabe des § 34a AsylVfG neben zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen auch zu prüfen, ob der Abschiebung inlandsbezogene Vollzugshindernisse entgegenstehen. Für eine insoweit eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde verbleibt daneben kein Raum (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14-, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 -18 B 1060/11 -, juris Rn. 4; OVG Niedersachsen, Urteil vom 4. Juli 2012- 2 LB 163/10 -, juris Rn. 41; OVG Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 - OVG 2 S 6.12 -, juris Rn. 4 ff.; VGH Bayern, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris Rn. 4; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, juris Rn. 4 ff.; OVG Hamburg, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris Rn. 9 ff.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004- 2 M 299/04 -, juris Rn. 9 ff.).

Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14-, juris m.w.N.). Ein Duldungsgrund (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) in diesem Sinne besteht unter anderem dann, wenn ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in Gestalt einer Reiseunfähigkeit vorliegt. Ein solches ist anzunehmen, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers unmittelbar durch die Ausreise bzw. die Abschiebung voraussichtlich wesentlich verschlechtern wird. Als Beurteilungsgrundlage kann insoweit auf den in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG normierten Maßstab zurückgegriffen werden: Eine durch eine Ausreise eintretende Gesundheitsgefährdung ist danach jedenfalls dann nicht mehr zumutbar, wenn dadurch erhebliche konkrete Gefahren für Leib und Leben des Betreffenden einzutreten drohen. Soweit sich unterhalb dieser Schwelle durch die Ausreise bzw. Abschiebung eine Gesundheitsverschlechterung einstellen sollte, hat sie der Ausländer grundsätzlich hinzunehmen. Denn nicht jede mit der Erkenntnis der Aussichtslosigkeit des Bleiberechts in Deutschland und einer bevorstehenden Überstellung in ein anderes Land einhergehende Gefährdung bzw. Verschlechterung des Gesundheitszustandes führt auf eine Reiseunfähigkeit. Indem das Aufenthaltsgesetz die Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht (§ 58 AufenthG), nimmt es in diesem Zusammenhang vielfach zu erwartende Auswirkungen auf den gesundheitlichen, insbesondere psychischen Zustand der Betroffenen in Kauf und lässt diese nur beim Vorliegen besonderer Umstände als Duldungsgründe gelten (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. März 2005 - 18 B 1660/04 -, 27. Juli 2006 - 18 B 586/06 -, 29. November 2010 - 18 B 910/10 – und 21. März 2011 - 18 B 1091/10 -, sämtlich veröffentlichtbei NRWE).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen jedenfalls nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung hinreichend konkrete Anhaltspunkte für eine beim Antragsteller derzeit bestehende Reiseunfähigkeit vor. Ausweilich des zur Ausländerakte genommenen amtsärztlichen Schreibens des Gesundheitsamtes der Kreisverwaltung N. an das Amt 32-21 der Kreisverwaltung N. vom 21. Januar 2015 leidet der Antragsteller an einer nicht ansteckenden, aber behandlungsbedürftigen Lungentuberkulose. Die Amtsärztin spricht sich dafür aus, dass die bereits begonnene und vom Antragsteller gut angenommene Therapie durchgehend in M. weitergeführt werden solle, da es im Falle einer Therapiepause zu einer Resistenzentwicklung der Tuberkulose und bei einem Behandlungsabbruch gar zu einer infektiösen Form der Lungentuberkulose mit Ansteckungsrisiko für die umgebenden Personen kommen könne. Der Facharzt für Innere Medizin T. attestiert am 18. Februar 2015, dass eine Abschiebung des Antragstellers mit möglicher Unterbrechung der Therapie für diesen angesichts der bei ihm diagnostizierten Erkrankungen (fortgeschrittene HIV-Infektion CDC C3/AIDS mit Wasting-Syndrom und Lungentuberkulose) eine potentielle Lebensbedrohung darstelle, auf jeden Fall aber die Gefahr einer Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des Patienten in sich berge. Eine abschließende Klärung des Gesundheitszustandes des Antragstellers und eventueller ärztlicher Hilfen, mit denen einer mit der Überstellung verbundenen Gesundheitsgefahr begegnet werden kann, muss unter diesen Umständen dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. [...]