VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.09.2014 - A 3 S 2322/13 - asyl.net: M23009
https://www.asyl.net/rsdb/M23009
Leitsatz:

Zulassung der Berufung aufgrund abweichender obergerichtlicher Rechtsprechung im Hinblick auf die Anforderungen an den Nachweis der Ernsthaftigkeit des Glaubens nach einer Konversion zum Christentum in Deutschland.

Schlagwörter: Berufungszulassung, Konversion, Konvertiten, Christen, Übertritt zum Christentum, religiöse Identität, Taufe, religiöse Verfolgung, obergerichtliche Rechtsprechung, richterliche Überzeugungsgewissheit, Staatskirchenrecht,
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

Der rechtzeitig gestellte und begründete Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat Erfolg. Der Antrag richtet sich gegen das bezeichnete Urteil, mit dem das Verwaltungsgericht auf die Klage des Klägers - eines iranischen Staatsangehörigen - Ziffer 2 bis 4 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19.12.2012 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet hat, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Der mit der Antragsbegründung geltend gemachte Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG (Divergenz) ist hinreichend dargelegt und liegt vor.

Nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG ist die Berufung zuzulassen, wenn das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Sowohl die Abweichung als auch das "Beruhen" der Entscheidung hierauf sind gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG darzulegen. Zur Darlegung der von der Beklagten geltend gemachten Rechtssatzdivergenz ist erforderlich, dass ein die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz aufgezeigt wird, der mit einem ebensolchen Rechtssatz in der Entscheidung des höheren Gerichts im Widerspruch steht (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 9.7.2012 - A 9 S 1359/12 - AuAS 2012, 211; Beschl. v. 17.3.1997 - 8 S 664/97 - DVBl 1997, 1326).

Eine diesen Maßgaben entsprechende Darlegung ist hier erfolgt. Denn die Beklagte hat unter Hinweis auf das Urteil des beschließenden Gerichtshofs vom 12.6.2013 (- A 11 S 757/13 - juris) und seinen Beschluss vom 13.3.2013 (A 3 S 103/13) hinreichend herausgearbeitet, dass dieser die die dortigen Entscheidungen tragenden Rechtssätze aufgestellt hat, ein Asylbewerber, der sich nach einem Übertritt zum Christentum in Deutschland darauf berufe, wegen der Betätigung seines christlichen Glaubens in seinem Heimatland von Verfolgung bedroht zu sein, müsse die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen. Der formale, kirchenrechtlich wirksam vollzogene Übertritt zum Christentum in Gestalt der Taufe reiche für die Gewinnung dieser Überzeugung jedenfalls im Regelfall nicht aus. Weiterhin widerspreche es geltendem Prozessrecht, dass das staatliche Gericht hinsichtlich der Feststellung der inneren Tatsache der Ernsthaftigkeit der Hinwendung zum Christentum an eine entsprechende Feststellung eines taufenden Pfarrers der Evangelischen Landeskirche Baden gebunden sei (vgl. hierzu ferner BVerwG, Urt, v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67; Beschl. v. 9.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 23.4.2014 - A 3 S 269/14 - juris; Beschl. v. 17.6.2014 - A 11 S 389/14 -; Beschl. v. 12.8.2014 - A 3 S 877/14 m.w.N.).

Von diesen Rechtssätzen weicht das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Urteil - wie die Beklagte dargelegt hat - ab, indem es in den Entscheidungsgründen ausführt, es sei zwar von der Ernsthaftigkeit der Konversion des Klägers zum Christentum nicht überzeugt. Das Gericht sei aber an die Bejahung der Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts durch der Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde und die Taufe des Klägers staatskirchenrechtlich gebunden. Bei offener Darstellung des Glaubensübertritts im Iran drohe dem Kläger Verfolgung.

Auf dieser Abweichung beruht das Urteil auch. Es besteht die Möglichkeit, dass das Verwaltungsgericht bei Zugrundelegung der genannten Rechtssätze des Obergerichts zu einer für die Rechtsmittelführerin, die Beklagte, günstigeren Entscheidung gekommen wäre. Dies ist insbesondere schon deshalb nicht ausgeschlossen, weil das Verwaltungsgericht selbst von der Ernsthaftigkeit der Konversion des Klägers zum Christentum nicht überzeugt war. [...]