Die Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts (Besschluss vom 17. Dezember 2013, 1 BvL 6/10) zur Behördenanfechtung sind nicht übertragbar auf die Anfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB.
(Amtlicher Leitsatz)
[...]
a) Vorliegend handelt es sich nicht um eine verfassungsrechtlich generell unzulässige Entziehung der Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG, denn hierunter fällt nur die Verlustzufügung, die die Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit beeinträchtigt (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24. Oktober 2006, juris Rn. 18 sowie BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 2 BvR 669/04, BVerfGE 116, 24, juris Rn. 49). Der Wegfall der Staatsangehörigkeit, der als Rechtsfolge eintritt, wenn ein Gericht auf Anfechtung hin das Nichtbestehen der Vaterschaft feststellt, von der ein Kind den Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ableitet, stellt eine solche Beeinträchtigung jedenfalls dann nicht dar, wenn das betroffene Kind sich in einem Alter befindet, in dem Kinder üblicherweise ein eigenes Vertrauen auf den Bestand ihrer Staatsangehörigkeit noch nicht entwickelt haben (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24. Oktober 2006, juris Rn. 19). Dies ist bei der Klägerin der Fall. Zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts Wittmund war die Klägerin 1 Jahr und 9 Monate alt. In einem solchen Alter konnte die Klägerin noch kein Vertrauen auf den Bestand ihrer Staatsangehörigkeit entwickelt haben. Außerdem setzt eine Entziehung voraus, dass keine Einflussmöglichkeit des Kindes oder seiner Eltern hinsichtlich des Verlusts besteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013, - 1 BvL 6/10 -, juris Rn. 31 f.). Hier muss sich die Klägerin die familienrechtlichen Handlungen des zeitweiligen Vaters H. K. zurechnen lassen. Eine etwaige Einflussnahme des Beklagten auf diesen ändert hieran nichts, solange die Entscheidung autonom ist. Dies ist hier der Fall (s.u.).
b) Der Verlust der Staatsangehörigkeit aus § 1599 Abs. 1 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG ist an Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG zu messen. Danach darf der Verlust der Staatsangehörigkeit nur auf Grund eines Gesetzes und nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.
Entgegen der Ansicht der Klägerin verstoßen die § 1599 Abs. 1 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG nicht gegen das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Zwar findet das Zitiergebot grundsätzlich Anwendung auf Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. Jarass in: Jarass/Pieroth, GG 11. Auflage 2011, Art. 19 Rn. 4), jedoch ist für seine Auslösung ein zielgerichteter (finaler) Eingriff durch die öffentliche Gewalt erforderlich (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. August 1999, - 1 BvR 2181/98, 1 BvR 2182/98, 1 BvR 2183/98 -, juris Rn. 56; sowie BVerfG, Entscheidung vom 18. Februar 1970 2 BvR 531/68, BVerfGE 28, 36). Ein solcher finaler Eingriff in das von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Grundrecht liegt hier im Falle der Vaterschaftsanfechtung durch den Scheinvater nach § 1599 Abs. 1, § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG nicht vor. Denn mit dieser Vaterschaftsanfechtung wird im Unterschied zu der vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 17. Dezember 2013 (a.a.O.) für nichtig erklärten Regelung über die Behördenanfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB nicht zielgerichtet durch die öffentliche Gewalt in die Rechte aus Art. 16 Abs. 1 GG eingegriffen. Vielmehr ist es regelmäßig das Ziel des anfechtenden Scheinvaters seine familienrechtlichen Pflichten (primär seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind) zu beseitigen. Als mittelbare und vom Anfechtenden i.d.R. nicht vorrangig beabsichtigte Folge tritt damit aber zugleich der rückwirkende Verlust der Staatsangehörigkeit beim Kind ein.
Diese nur mittelbare Betroffenheit der Klägerin wirkt sich auch im Hinblick auf die Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt aus. Es sind nicht die gleichen strengen Anforderungen wie bei einem finalen Eingriff im Fall einer Behördenanfechtung zu stellen (vgl. zu Letzterem BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013, a.a.O., juris Rn 81 ff). Bei einem finalen unmittelbaren Eingriff kann - und hat - der Gesetzgeber die Voraussetzungen des Eingriffs genau zu normieren. Auf sonstige Eingriffe ist dies nicht ohne Weiteres übertragbar. So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner "Osho" - Entscheidung (Beschluss vom 26. Juni 2002 1 BvR 670/91, BVerfGE 105, 279, juris Rn. 83) eine Kompetenznorm als gesetzliche Grundlage für staatliches Informationshandeln ausreichen lassen; ebenso in seiner Entscheidung zur Bundeszentrale für Politische Bildung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. August 2010 1 BvR 2585/06, juris Rn. 23). Sicherlich ist die Grundrechtsbetroffenheit der Klägerin eine deutlich intensivere als in den genannten Fällen. Die Entscheidungen zeigen jedoch, dass das Bundesverfassungsgericht nicht bei jedem Grundrechtseingriff die gleichen Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt stellt. Hier ist zu berücksichtigen, dass § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG schon vom Wortlaut her (also in einer für den Grundrechtsträger deutlich zu erkennender Weise) den Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit von einer wirksamen Vaterschaftsanerkennung abhängig macht (sie also unter diesen Vorbehalt stellt). Ausdrücklich ist in § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG dagegen nicht angesprochen, dass mit einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung des deutschen Scheinvaters die Staatsangehörigkeit rückwirkend entfällt, was mangels finalen Eingriffs auch nicht notwendig ist. Ausreichend ist vielmehr, dass aus der genannten Vorschrift in Verbindung mit § 1599 Abs. 1 BGB und der dortigen Rückwirkung der Anfechtung zu entnehmen ist, dass mit wirksamer Anfechtung des deutschen Scheinvaters auch der Staatsangehörigkeitserwerb zum Erlöschen gebracht wird. Denn wenn § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG den Staatsangehörigkeitserwerb an eine wirksame Vaterschaftsanerkennung knüpft, muss auch dem Grundrechtsträger klar sein, dass bei einer unwirksam werdenden Vaterschaftsanerkennung die Erwerbsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen und er nicht mehr im Besitz der Staatsangehörigkeit bleiben kann die deutsche Staatsangehörigkeit somit in diesem Zeitpunkt endet. [...]