VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Beschluss vom 31.03.2015 - 20 L 211/15.A - asyl.net: M22766
https://www.asyl.net/rsdb/M22766
Leitsatz:

Es liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die flüchtlingsrechtlichen Gewährleistungen und die Verfahrenspraxis in Rumänien nicht an die zu fordernden und bei Einfügung des § 27 a AsylVfG vorausgesetzten unions- bzw. völkerrechtlichen Standards heranreichen und systemische Mängel des Asylverfahrens in Rumänien bestehen.

Schlagwörter: Rumänien, Asylverfahren, Inhaftierung, systemische Mängel, Dublinverfahren, Aufnahmebedingungen,
Normen: AsylVfG § 27a,
Auszüge:

[...]

Es liegen aber konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die flüchtlingsrechtlichen Gewährleistungen und die Verfahrenspraxis in Rumänien nicht an die zu fordernden und bei Einfügung des § 27a AsylVfG vorausgesetzten unions- bzw. völkerrechtlichen Standards heranreichen und systemische Mängel des Asylverfahrens in Rumänien bestehen.

So waren nach einem gemeinsamen Bericht kirchlicher Organisationen und der NGO Pro Asyl von Dezember 2012 (Flüchtlinge im Labyrinth, Die vergebliche Suche nach Schutz im europäischen Dublin-System) trotz Angleichung der rechtlichen Bestimmungen an die EU-Vorgaben faktisch in Rumänien keine Strukturen für die ordnungsgemäße Durchführung von Asylverfahren vorhanden. Flüchtlinge wurden sehr schlecht über das Asylverfahren informiert und waren der Willkür der Behörden ausgeliefert. Meist gab es keinen Zugang zu Dolmetschern, weder für die Beratung noch für die Anhörung selbst. Wenn es im Rahmen solcher mangelhafter Verfahren zu Ablehnungen kam, so wurden die Flüchtlinge bis zu ihrer Abschiebung oft monatelang inhaftiert. Ferner gab es Berichte von Flüchtlingen, die einen Schutzstatus erhalten hatten und trotzdem auf unbegrenzte Zeit ins Gefängnis kamen. Zudem mussten Asylantragsteller in Rumänien von umgerechnet 85 Cent pro Tag leben, was bei weitem nicht zur Deckung existenzieller Bedürfnisse ausreichte.

Ein aktueller Zeitungsbericht weckt erneut Zweifel an der Einhaltung der Aufnahmebedingungen in Rumänien, wenn der Präsident des Bundesamtes dort wie folgt zitiert wird: "In Rumänien beispielsweise würden Asylbewerber grundsätzlich inhaftiert; zum Arztbesuch werden sie in Handschellen und Ketten vorgeführt" (vgl. Fränkische Landeszeitung vom 20.01.2015, Asyl: Entscheidung in elf Tagen).

Das Bundesamt hat zu diesem Bericht auf Befragen mit Schriftsatz vom 26.02.2015 mitgeteilt, dass der Präsident nicht, wie in der Zeitung dargestellt, gesagt habe, dass "alle Asylbewerber grundsätzlich immer inhaftiert werden und zum Arztbesuch in Handschellen vorgeführt werden, sondern lediglich davon berichtet, dass das Bundesamt von solchen (Einzel-)Fällen gehört hat". Es hat ferner mitgeteilt, dass dem Bundesamt darüber hinaus zu Rumänien keinerlei Erkenntnisse vorliegen, dass es dort systemische Mängel gibt.

Das Gericht sieht sich vor diesem Hintergrund zu einer abschließenden Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen - insbesondere auch bezogen auf die Inhaftierungspraxis - in Rumänien im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens nicht in der Lage. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil die Erkenntnislage hierzu sehr dürftig ist. Mit Ausnahme einer weiteren Stellungnahme von ACCORD vom Mai 2014 zur Lage von subsidiär Schutzberechtigten in Rumänien, die vorliegend nicht unmittelbar relevant ist, gibt es neben den obigen Quellen keine - dem Gericht derzeit zugänglichen - ausführlichen aktuellen Stellungnahmen zur Lage von Asylbewerbern in Rumänien. Feststeht allerdings, dass es zu Inhaftierungen und der Vorführung von Asylbewerbern zum Arztbesuch in Handschellen gekommen ist, und zwar jedenfalls in einem Umfang, der aus Sicht des Präsidenten des Bundesamtes im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung erwähnenswert war. Das Gericht sieht sich daher veranlasst, den aufgetretenen Zweifeln im Rahmen des Hauptsacheverfahrens im Einzelnen nachzugehen. [...]