VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 09.03.2015 - 9 K 1152/14.A - asyl.net: M22735
https://www.asyl.net/rsdb/M22735
Leitsatz:

Die permanente Überlastung einer Behörde stellt keinen zureichenden Grund für die Nichtbescheidung eines Antrags dar.

Bei Untätigkeit des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Hinblick auf einen Wiederaufgreifensantrag besteht lediglich ein Anspruch auf Entscheidung über den Wiederaufgreifensantrag in angemessener Frist, jedoch nicht auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes, da das Gericht daran gehindert ist, "durchzuentscheiden".

Schlagwörter: Untätigkeitsklage, hohe Arbeitsbelastung, hohe Geschäftsbelastung, Überlastung, Durchentscheiden, Asylantrag, Asylfolgeantrag,
Normen: VwGO § 75,
Auszüge:

[...]

Die Beklagte beruft sich zur Darlegung eines zureichenden Grundes für die Nichtbescheidung des Antrages allein auf die hohe Geschäftsbelastung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt); die Zugangszahlen von Asylbewerbern seien exorbitant hoch. Dieser Herausforderung müsse im Asylbereich durch organisatorische Umverteilungsmaßnahmen und Priorisierungsentscheidungen Rechnung getragen werden. Derzeit seien alle Entscheider, Prozesssachbearbeiter und für den Asylbereich reaktivierte, im Asylrecht versierte Regionalkoordinatoren mit dem Abbau des weiter steigenden Antragsanfalls beschäftigt. Damit ist ein zureichender Grund indes nicht dargelegt. Zwar kann sich ein zureichender Grund aus einer kurzfristigen besonderen Geschäftsbelastung ergeben. Ein zureichender Grund liegt jedoch nicht bei einer permanenten Überlastung bestimmter Behörden vor, weil es in einem solchen Fall Aufgabe des zuständigen Ministeriums bzw. der Behördenleitung ist, für hinreichenden Ersatz zu sorgen oder entsprechende organisatorische Maßnahme zu treffen (vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 30. Oktober 2014 - 24 K 992/14.A -, juris, Rn. 17, m.w.N.).

Nach diesen Maßgaben ist die Überlastung des Bundesamtes ersichtlich nicht auf eine kurzfristige Geschäftsbelastung, sondern auf einen spätestens seit 2012 sprunghaft ansteigenden und anhaltend hohen Arbeitsanfall zurückzuführen, wie die Beklagte selbst mit Zahlenmaterial darlegt. Die Klägerin stellte ihren Wiederaufgreifensantrag am 2. April 2013. Bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist ihr Antrag vom Bundesamt nicht beschieden worden. Nachfragen des Gerichts im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wurden von der Beklagten mit Schriftsatz des Bundesamtes vom 12. August 2014 dahingehend beantwortet, dass "zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschätzt werden" könne, wann mit einer Entscheidung im vorliegenden Verfahren zu rechnen sei. Danach genügen die vom Bundesamt dargelegten Maßnahmen offensichtlich nicht, die in hoher Zahl anfallenden Asylverfahren in angemessener Zeit bearbeiten zu können. Es wäre insoweit Aufgabe und Pflicht der zuständigen Stelle, das Bundesamt in dem erforderlichen Umfang mit Personal auszustatten (vgl. VG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 19).

Soweit die Klägerin dagegen die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begehrt, bleibt die Klage erfolglos.

Die Klägerin hat lediglich einen Anspruch auf die Entscheidung über den Wiederaufgreifensantrag zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in angemessener Frist, nicht jedoch auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes. Wegen der Besonderheiten des Asylverfahrens ist das Gericht zur Vermeidung des Verlustes einer Tatsacheninstanz gehindert, "durchzuentscheiden" und eine Entscheidung in der Sache zu treffen. Abgesehen davon, dass das Bundesamt mit besonderer Sachkunde ausgestattet ist, gewährt das Asylverfahren auch besondere Verfahrensgarantien, die nicht nur für Asylerst- und Asylfolgeverfahren gelten, sondern auch für Wiederaufgreifensverfahren betreffend die Feststellung von Abschiebungsverboten (vgl. VG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 21 ff., mit zahlr. weit. Nachw.).

Die vom Bundesamt verweigerte sachliche Prüfung ist nach der besonderen Struktur des asylrechtlichen Anerkennungsverfahrens nicht vom Gericht zu treffen, sondern vorrangig vom Bundesamt als zuständiger Fachbehörde nachzuholen. Dies gilt auch für den Fall der ohne sachlichen Grund erfolgten Nichtentscheidung innerhalb angemessener Frist (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 1. Juli 1997 - A 13 S 1186/97 -, juris, 3. Orientierungssatz). [...]