VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 28.01.2015 - A 1 K 500/14 - asyl.net: M22637
https://www.asyl.net/rsdb/M22637
Leitsatz:

Bei einem Übergang der Zuständigkeit infolge des Ablaufs der Überstellungsfrist hat der Asylsuchende einen subjektiven Anspruch auf die Prüfung seines Asylgesuchs. Die Dublin III-Verordnung erlaubt es einem Staat nicht, die Prüfung eines Antrags zu verweigern, nur weil er es versäumt hat, das Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeverfahren rechtzeitig durchzuführen.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublin III-Verordnung, Dublinverfahren, Zweitantrag, Überstellungsfrist, Fristablauf, Zuständigkeitsübergang, subjektives Recht, Asylverfahren, Zuständigkeit,
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 71a, AsylVfG § 34a,
Auszüge:

[...]

Im Zeitpunkt der Antragstellung beim Bundesamt war Spanien nach Art 12 Abs. 1 Dublin III-VO für die Prüfung der Gewährung internationalen Schutzes an den Kläger zuständig. Diese Zuständigkeit ist zunächst auch erhalten geblieben, da das Bundesamt ein Wiederaufnahmeverfahren durchgeführt und Spanien der Wiederaufnahme des Klägers zugestimmt hat.

Spanien hat seine Zuständigkeit aber durch den Ablauf der Überstellungsfrist verloren. Die Frist für die Überstellung des Klägers vom ersuchenden Mitgliedstaat (hier: die Bundesrepublik Deutschland) an den zuständigen Mitgliedsstaat (hier: Spanien) beträgt nach Art. 29 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO 6 Monate. Ein Grund für einer Verlängerung dieser Frist auf 1 Jahr bzw. 18 Monate nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO liegt nicht vor. Die Überstellungsfrist beginnt mit der Annahme des Überstellungsgesuchs zu laufen, hier am 12.02.2014. Sie ist, auch wenn sie im Zeitraum vom Erlass des angefochtenen Bescheides bis zur Zustellung des für den Kläger negativen Beschlusses der Kammer im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gehemmt war (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1285/14 - juris RdNr. 58), abgelaufen. Sie wäre auch abgelaufen, wenn die Frist mit der Zustellung des ablehnenden Beschlusses der Kammer im Eilverfahren neu zu laufen begonnen hätte. Denn der Beschluss wurde bereits am 10.04.2014 zugestellt. Die Zuständigkeit ist somit nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Da nach der Dublin III-Verordnung jeweils nur ein "Dublin-Staat" zuständig sein kann, ist ausschließlich die Bundesrepublik Deutschland zuständig geworden.

Es liegen auch keine Umstände vor, welche die Zuständigkeit Spaniens neu begründet oder für einen gewissen Zeitraum über den Ablauf der Überstellungsfrist hinaus verlängert hätten. Das Bundesamt hat nichts unternommen, um Spanien nach Ablauf der Überstellungsfrist zur Wiederaufnahme des Klägers zu veranlassen. Der Schriftsatz des Bundesamts vom 01.12.2014 ist vielmehr in dem Sinne zu verstehen, dass es selbst von der Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland ausgeht. Denn dort vertritt es selbst die Auffassung, dass jetzt die Voraussetzungen eines Zweitantrags nach § 71a AsylVfG zu prüfen seien, was eine entsprechende Zuständigkeit voraussetzt. Es liegt auch nicht die Konstellation vor, über die der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1285/14 - Juris) zu entscheiden hatte. Dort hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ausgeführt, dass sich ein Kläger nicht auf den Zuständigkeitsübergang auf die Bundesrepublik Deutschland berufen kann, solange die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg konnte in seinem Urteil aufgrund der vom Bundesamt vorgetragenen Praxis der italienischen Behörden davon ausgehen, dass Italien den dortigen Kläger noch übernehmen würde. Grundlage war, dass Italien regelmäßig Überstellungen akzeptierte, die innerhalb der vom Bundesamt mitgeteilten Überstellungsfrist erfolgten. Diese war im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg noch nicht abgelaufen. Denn das Bundesamt ging bei seiner Fristberechnung davon aus, dass die Überstellungsfrist mit der Zustellung des ablehnenden Beschlusses des Verwaltungsgerichts Im Eilverfahren neu zu laufen beginne. Aber auch eine so berechnete Frist wäre im vorliegenden Fall abgelaufen (siehe oben).

Die Auffassung, dass eine Person, die einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, keinen subjektiven Anspruch auf Prüfung dieses Antrags durch den zuständigen Dublin-Staat hat, wenn die Zuständigkeit aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist (vgl.: OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.11.2014 -13 A 66/14 - juris mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung) oder anderer Fristen eingetreten ist, überzeugt die Kammer nicht. Die Art 13 und 18 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 337 Seite 9; im Folgenden: EU-Flüchtlingsschutz RL) gehen davon aus, dass ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzstatus hat, wenn die Voraussetzungen dieser Richtlinie erfüllt sind. Die Dublin III-Verordnung hat nach ihrem Art. 1 lediglich zum Gegenstand, die Kriterien dafür festzulegen, welcher Mitgliedstaat oder andere Staat, in dem die Dublin III-Verordnung Anwendung findet, für die Prüfung des in der EU-Flüchtlingsschutz-Richtlinie definierten internationalen Schutzes zuständig ist. Sie erlaubt es einem Staat, den sie für zuständig erklärt, aber nicht, die Prüfung eines Antrags vorübergehend oder gar auf Dauer zu verweigern, nur weil dieser es versäumt hat oder er nicht in der Lage war, einen Asylbewerber rechtzeitig in den noch zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen oder das Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeverfahren rechtzeitig durchzuführen. Die einzige "Sanktion", die in der Dublin III-Verordnung für ein Verhalten eines Asylbewerbers vorgesehen ist, ist die Verlängerung der Überstellungsfristen im Falle seiner Inhaftierung oder seines Untertauchens (vgl. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO). Es ist auch nicht erkennbar, wie ein Asylbewerber den Schwebezustand, in dem der früher zuständig gewesene Mitgliedstaat nicht mehr zuständig ist und der jetzt zuständige Mitgliedstaat davon ausgeht, er sei zwar im Verhältnis der "Dublin-Staaten" untereinander zuständig, dürfe dem Asylbewerber gegenüber aber eine Entscheidung verweigern, beenden sollte. Eine Rückkehr in den ursprünglich zuständigen Staat hilft ihm nicht weiter, da er dort für die Prüfung seines Antrags keinen Anspruch mehr hat. Eine Abschiebung in diesen Staat ist auch nicht mehr möglich. Ein Weiterwandern in einen anderen "Dublin-Staat" führt auch nicht weiter, weil diesem gegenüber nach der Dublin III-Verordnung die Bundesrepublik Deutschland zuständig bleibt. Ein Asylbewerber kann, wenn die Bundesrepublik Deutschland für ihn aufgrund eines Fristablaufes zuständig geworden Ist, allenfalls dann auf einen früher zuständig gewesenen "Dublin-Staat" verwiesen werden, wenn mit Ausnahme der vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg entschiedenen Konstellation (siehe Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1285/14 -), dessen Zuständigkeit in dem für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts maßgeblichen Zeitpunkt neu begründet ist. Aber auch für derartige Bemühungen des ersuchenden Staates wäre eine zeitliche Grenze zu setzen. Eine neue Zuständigkeit eines anderen "Dublin-Staates" wurde hier nicht begründet. Dieser Fall dürfte auch nur ausnahmsweise eintreten, da keine Gründe für einen "Dublin-Staat" ersichtlich sind, einen Asylbewerber, für den ein anderer Staat zuständig geworden ist, wieder aufzunehmen.

Die Kammer setzt sich mit Ihrer Entscheidung nicht in Widerspruch zu dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10.12.2013 - C-394/12 - juris (Abdullahi). Zwar führte dieser in seinem Urteil (RdNr. 80) sinngemäß aus, ein Asylbewerber könne gegen eine Überstellung in einen Mitgliedstaat, der seiner Aufnahme zugestimmt habe, nur einwenden, dass es in diesem Staat systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gebe. Hintergrund dieser Rechtsprechung ist die Annahme, dass jedem Asylbewerber in allen "Dublin-Staaten" das gleiche Schutzniveau gewährt werde. Dies setzt aber voraus, dass die Zuständigkeit, die durch die Zustimmungserklärung des "Dublin-Staats", begründet wurde, fortbesteht. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat aber nicht zu der Frage Stellung genommen, welche Rechtspositionen einem Asylbewerber in den Fällen zustehen, in denen die Zuständigkeit eines "Dublin-Staates", die durch ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung begründet wurde, wegen der Nichteinhaltung von Überstellungsfristen auf den ersuchenden Staat übergegangen ist. Es kann auch nicht angenommen werden, dass der "Dublin-Staat", der eine Zustimmungserklärung abgegeben hat, unbefristet zur Aufnahme des Asylbewerbers bereit ist. Die Zustimmungserklärung ist vielmehr in dem Kontext der Bestimmungen der Dublin III-Verordnung zu sehen, wonach Zuständigkeiten auch wieder entfallen, wenn Fristen nicht eingehalten werden. Ist eine Zuständigkeit durch Fristablauf entfallen, kann sie nur durch eine ausdrückliche und erneute Zustimmungserklärung wieder begründet werden. Eine solche liegt hier nicht vor. Nur wenn sie zeitnah (wieder) vorläge, könnte der Asylbewerber nicht einwenden, sie sei zu spät, nämlich nach dem Ablauf von Fristen der Dublin III-Verordnung begründet worden.

Da der Asylantrag des Klägers im Zeitpunkt der Entscheidung zulässig ist, entfällt die nach § 34a AsylVfG bestehende Möglichkeit, seine Abschiebung nach Spanien anzuordnen.

Aus der Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland folgt weiter, dass sie ihre Verpflichtungen, die aus dem Asylverfahrensgesetz folgen, zu erfüllen hat. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ein anderer Staat als - zuvor - Spanien nach der Dublin III-Verordnung für den Kläger zuständig sein könnte. [...]